Читать книгу Lidwicc Island College of Floral Spells - Andreas Dutter - Страница 19

Was wäre an einem anderen Ort passiert?

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Starren mich die anderen an?«

»Ja.« Harmonia: Profi darin, wie man jemandem seine Sorgen nahm.

»Ich bin dir zwar dankbar, dass du mich aus dem Mentoring mit Morpheus gerettet hast, weshalb ich nicht zu viel verlangen will, jedoch wäre das nun dein Part gewesen, zu sagen: Nein, das bildest du dir nur ein, du bist noch schlaftrunken, weil du beinah vierund-zwanzig Stunden durchgepennt hast.«

Meine Zimmerpartnerin hob die gelben Augenbrauen und ihr Mund verformte sich zu einem lautlosen O. »Oh! Ich, ich, habe gemeint, weil du so verdammt heiß aussiehst. Nicht, du weißt schon, weil du creepy bist.«

Warmes Meerwasser umspülte meine Knöchel, als ich stehen blieb. Das Wasser malte Muster in den Sand und ließ einige Sandkörner sowie Muschelteile auf meinem Fuß zurück. Ich sah an mir hinunter und deutete mit meinen Händen auf die grauen Shorts, danach auf das weiße XXL-Shirt. »Meinst du das ernst?«

»Ja?« Harmonia drehte sich um und bemerkte, was mir auffiel.

Bemüht unauffällige Blicke vieler Studierenden, die mich musterten.

»Gehen wir weiter.« Harmonia zog mich mit sich, wobei ich ihre schwitzigen Hände bemerkte. »Versteh sie auch. Du bist hier, ohne jegliche Ahnung darüber, dass es Magie gibt.«

Neben uns spazierten zwei Typen vorbei. Einer in Leo-Optik, die sich nicht nur auf seiner engen Bermudabadehose zeigte, sondern auch in dem Muster, das er sich in seine kurzen Haare eingefärbt hatte. Der Zweite tat es ihm im Zebralook gleich. Eigentlich fand ich das mega. Wie die beiden mich begafften und ihre Münder angewidert verzogen, nahm mir allerdings wieder die Lust daran, sie kennenzulernen. Die beiden schauten auf mich herab. Nein, wirklich. Die langen, schlaksigen Typen waren bestimmt zwei Meter groß.

»Ludwig und Gustavius. Brüder aus Wien. Die sehen jeden so an.«

Ob das der Wahrheit entsprach? All die magischen Studierenden saßen an Tischen, die sich um den Strandabschnitt verteilten und die wie Blüten aussahen, quatschen, lachten, holten sich Getränke von einem Kiosk, der die Form eines Kaktus hatte, und ich stand wieder nur abseits.

»Kannst du mir dabei helfen, mit mir ins Reine zu kommen? Wie macht man sowas überhaupt?« Das stellte sich als die bisher schwerste Aufgabe für mich heraus.

Denn genau das hatte ich mein Leben lang vermieden.

»Lernen wir uns besser kennen, dann kannst du dich mehr öffnen.« Harmonia sah sich um. »Komm, wir holen uns zwei Limos und suchen uns einen ruhigeren Platz. Vielleicht das Volleyballfeld.« Aus Harmonia sprühte das pure Leben und bei jedem sonnigen Grinsen steckte sie sogar beinah mich an.

Wie lange würde sie mich mit ihrer Frohnatur noch aushalten? Bald würde ich auch ihr zu viel geworden sein. Saugte ich sie mit meiner Negativität nicht aus? Mir vorzustellen, wie mein Pessimismus ihre strahlende Aura ergrauen ließ, stimmte mich traurig. Für alle in meinem Leben war ich nur eine Last.

»Margo? Kommst du?« Harmonia deutete zum Kiosk.

»Willst du dir deine freien Tage mit mir versauen?«

»Warum versauen?« Harmonia begutachtete mich, als hätte ich etwas total Abwegiges gesagt. »Sonst hätte ich es ja nicht angeboten.«

Nervös knetete ich meine Hände. Die Blicke brannten sich in meinen Körper, und sie zu ignorieren brachte nichts. Ich betrachtete das Meer. Die untergehende Sonne, die ich vor kurzem noch mit Daphne gesehen hatte, weckte neuen Mut in mir.

»Gehen wir.«


»Stopp, hör auf!« Harmonias Lachen schrillte über den Volleyballplatz, der glücklicherweise wie leergefegt war. »Das stimmt doch nicht.«

»Doch, Harmonia. Wenn du wüsstest, was auf der Straße so passiert.«

Das Kleeblatt, das Harmonia hatte wachsen lassen, damit wir es als Picknickdecke umfunktionieren konnten, war mittlerweile plattgedrückt. Nach dem Lachflash setzte sie sich wieder auf. Da wir am Rand des Volleyballfeldes lagen, spielte sie mit der Sandburg, die wir gebaut hatten.

»Wie sieht es mit dir aus? Wo wohnst du, wenn du nicht auf Lidwicc bist?«

Ein Schlag noch und das Dach der Sandburg hatte die Form erreicht, die ich wollte.

»Toulouse. In Frankreich.« Sand rieselte durch ihre Hand. Sie sah weg, ich kannte diesen leeren Blick. Sie verfiel in eine Art Trance, weil sie eine Erinnerung unterdrückte.

»Blödes Thema?«

»Nein, es ist nicht so schlimm wie …«

»Bei mir?«

»Das habe ich nicht gemeint, eher, ähm.«

»Schon gut, Harmonia. Ich weiß, dass es nicht das non plus ultra ist, auf der Straße zu leben.«

»Wie ist es dazu gekommen?« Harmonia schnappte sich mit ihrer leicht zitternden Hand ihren Pappbecher und saugte an dem pflanzlichen Strohhalm.

»Es ist ein, hm.« Was machte ich da? Harmonias Gesellschaft mochte angenehm sein, trotzdem kannte ich sie nicht, also durfte ich nicht zu viel verraten. »Ein wenig kompliziert.«

Harmonia tat meine Antwort mit einem Nicken ab. Die plötzlich auftretende Stille zeigte mir, dass sich unsere Annäherung ausgebremst hatte.

»Ganz alleine?«

Nicht er wieder. Links von uns schritt er zwischen den Bäumen hervor und betrat den Platz, als wäre er auf einem roten Teppich. Jedoch begleitete ihn jemand.

Harmonia riss vor Schreck die halbe Sandburg um.

»Harmonia.« Ein Mädchen mit hochgesteckten, roten Locken hatte sich bei Drakon eingehakt und richtete sich ihre dicke Eisenkette um den Hals.

»Clio. Ganz alleine unterwegs?« Was meinte Harmonia?

»Du kannst mich nicht mehr behandeln, als wäre ich unsichtbar.« Eigentlich ein ziemlich passender Einwand von Drakon.

»Ganz allein, mein Bruder wollte nicht mit.« Clio war Drakons Schwester? Die beiden sahen sich nicht ähnlich. Wirkte Clio wie aus einem klischeehaften Gothic Musikvideo samt düsterem Make-up, stolperte Drakon geradewegs aus einem Gossip Girl Spin Off – er gehörte dabei zu den bösen Reichen.

»Ha, ha, total unlustig.« Drakon löste sich von seiner Schwester und warf seinen Blazer über die Schulter.

»Wer ist deine Freundin?« Clio schenkte mir ein knappes Lächeln.

»Das ist Margo.« Drakon posaunte das heraus, als wäre er stolz, diese Information vor Clio erfahren zu haben.

»Ah, du bist die, die so tut, als hätte sie keine Ahnung von ihrer Magie, damit du der Hauptcharakter in unserer kleinen Soap namens Lidwicc College bist?« Was war schlimmer? Ihre Aussage oder ihr lautes Kaugummikauen?

»Als du mich verfolgt und angebaggert hast, klang es nicht, als wüsstest du von nichts.« Wie gern hätte ich ihm sein Grinsen aus dem Gesicht geprügelt.

Da gab es aber auch noch diese eine selbstauferlegte Regel von mir: Nie in der ersten Woche, in der ich neu bin, jemanden verprügeln.

Zwar musste ich zugeben, dass Harmonias geweitete Augen und der Schock in ihrem Gesicht Gold wert waren. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen.

»Ich habe dich angebaggert? Da habe ich etwas versäumt.«

»Muss dir nicht peinlich sein.« Drakons Schulterzucken machte die Situation nicht besser. Ich kannte solche Typen wie ihn.

Auf der Straße lauerten diese Leute mit dem Selbstbewusstsein eines Löwen, das sie sich mit einer Line ins Hirn geschossen hatten, an jeder Ecke. Auch für meine Leute musste ich eine Lanze brechen. Die meisten von ihnen waren tolle Menschen, die mir mehr Familie als reiche Adoptiveltern waren.

»Ich habe dir nichts davon erzählt«, sagte ich und erhob mich, »weil es dich nichts angeht, du peinlicher Arsch.« Ganz dicht vor ihm legte ich meinen Zeigefinger auf sein Brustbein. »Und jetzt zieh Leine.« Mit ein wenig Nachdruck stupste ich ihn weg.

Clios ungläubiger Blick spiegelte sich auch in dem Gesicht ihres Bruders wieder, der einen Schritt zurückging.

»Du weißt echt nicht Bescheid, oder?« Warum glaubte Clio mir auf einmal?

Sofort roch ich Harmonias klebriges Honig-Karamell-Parfüm, noch bevor sie neben mir stand.

»Zufrieden? Haut ab.« Sie legte ihre Hand auf meinen Rücken, als müsste sie mich bestärken.

»Habe ich etwas verpasst?« Jeder von den Dreien wich meinem Blick aus und ich fragte mich, warum ich erst zur anderen Seite der Insel ans Volleyballfeld wechseln musste, damit mir geglaubt wurde?

»Du weißt nicht, wer wir sind?« Drakon richtete sich seinen Kragen und am liebsten hätte ich diesem arroganten Gesichtsausdruck das Muster meiner Faust zugefügt.

»Genauso wenig wie ihr mich kennt.«

»Ich bin Drakon Fenrir Olivsson und das ist meine Schwester Clio Elektra.« Er verkündete ihre Namen wie eine Oscarnominierung.

»Okay, und was wollt ihr, dass ich mit dieser Info mache?«

»Margo. Nicht.« Harmonias Hand an meinem Rücken zitterte.

»Wir sind die einflussreichste Familie in der magischen Welt, die die stärksten Pflanzenbegabten hervorgebracht hat.« Clio verdrehte die Augen, als wäre ihr Drakons Gelaber selbst zu viel.

»Hört sich an, als wärt ihr Gärtner mit einem besonders grünen Daumen.« Nach meinem Kommentar wirkte Drakon wütend und schürzte angewidert seine Oberlippe, bis er sich verwundert an seine Schwester wandte, nachdem sie losprustete.

»Sieh mich nicht so an. Das ist echt lustig gewesen.« Clio presste ihre Lippen aufeinander, bis der schwarze Lippenstift verwischte, doch sie lachte wieder los.

»Sie macht Witze über uns.«

»Ach, halt den Ball flach. Du bist derjenige, der bei allen Familientreffen Jokes auf Kosten unserer Familie macht.«

»Ich wollte euch nicht zu nahe treten, aber es nervt, dass ihr glaubt, ich mache einen auf besondere Märchenprinzessin. Der einzige Grund, warum ich noch hier bin, ist …« Daphne.

»Das geht euch nichts an.«

»Ganz richtig, Margo. Nur kommen wir so nicht weiter.« Callidora hüpfte aus einem Märzenbecher, als wäre es das Normalste auf der Welt, und näherte sich mir.

Niemand erschrak und ich hüpfte nur nicht zurück, weil Harmonias Hand mich daran hinderte.

»Komm mit mir.«


Vielleicht hätte ich doch mit Callidora gehen und nicht Drakon zum magischen Basketballplatz folgen sollen.

Die Tulpe wackelte auf und ab, als Drakon abermals traf.

»Siehst’e. Hab doch gesagt, ich treffe zwanzigmal hinter-einander.« Drakon streckte die Brust raus und bedeutete der Basketballkorb-Blume mit dem Zeigefinger, ihm den Ball zurückzugeben.

»Nicht schlecht.« Sagte ich, die kein einziges Mal getroffen hatte.

Ich hielt mir zugute, dass ich noch zu geschockt über die Indoor-Basketballhalle war, in der statt Körben zwei gegenüber-liegende übergroße Tulpen standen.

Was diese Magie bewirkte, begriff ich nur schwer. Träumte ich echt nicht?

»Krass mit den Tulpen.«

»Fosteriana.«

»Hä?«

Drakon schoss mir den Ball zu, den ich nur mit Mühe fing. »Das ist nicht einfach eine Tulpe, das ist eine Fosteriana-Tulpe.«

»Schön für sie?«

Drakon zog die Brauen zusammen und knabberte auf der Unterlippe herum, ehe er sich näherte. »Hörst du sie nicht?«

Hören? Sorgsam achtete ich auf Geräusche. Nichts.

»Was?«

»Die Pflanzen. Sie flüstern einem doch zu, wie sie heißen. Außerdem lernen wir als Kleinkinder die Namen aller Pflanzen.«

»Tja, ich bin nicht wie ihr.«

Drakon schnappte sich den Basketball und schlich an mir vorbei. »Stimmt. Ist komisch irgendwie. Komme mir vor, als würde ich mit einer Nichtmagierin sprechen, und das ist verboten.«

Gedanklich erschien eine Hand mit Stift in meinem Kopf, die sich notierte, dass ich mit Nichtmagiebegabten nicht über das alles sprechen durfte.

»Tut es ihr weh?«

Drakon blieb stehen. »Was?«

»Der Fosteriana, wenn wir sie als Basketballkorb benutzen?«

Belustigtes Schnauben hatte ich nicht als Antwort erwartet.

»Was ist so witzig?«

»Siehst du, deine Gefühle verbinden sich mehr und mehr mit den Pflanzen. Du entwickelst deine florale Empathie. Du wirst zu einer von uns. Zu deiner Frage: Nein. Pflanzen, die wir magisch benutzen, werden automatisch widerstandsfähiger.«

Und da drehte sich wieder alles um mich. Der Duft der Tulpe überdeckte den der Sporthalle, in der es nach Gummi und Schweiß roch. Trotzdem wurde mir von beidem gerade übel. Wie sollte ich das alles jemals verarbeiten?

»Soll ich dich noch ein wenig im College herumführen?«

Seitdem ich vorhin panisch vor Callidora weggelaufen war, als sie am Volleyballplatz aus dem Märzenbecher gesprungen war, weil ich Angst vor dem hatte, was sie mir vorgeschlagen hatte, folgte Drakon mir auf Schritt und Tritt.

»Was hast du davon, wenn du nett zu mir bist?« Niemand war jemals einfach so nett. Nie. Nicht in meinem Leben.

Drakon öffnete mithilfe einer Kletterpflanze, die überall im Schloss waren, die Tür aus der Sporthalle und zwinkerte mir dann über die Schulter zu.

»Keine Ahnung? Gutes Karma für heute?« Trottel.

Trottel mit schönen, zartgrünen Augen. Solche Augen hatte ich noch nie gesehen. Und warum roch der auch noch so gut nach Mandarine, Basilikum und grünem Tee?

Wieder außerhalb schlenderten wir an verglasten Räumen vorbei, in denen Studierende herumwirbelnden Blättern auswichen oder sich an einer bepflanzten Kletterwand auspowerten.

»Wirkt das befremdlich auf dich?«

»Das wäre untertrieben. Ich meine, ich habe gedacht, ich wäre diejenige, die viel gesehen hat. Auf der Straße geht einiges an Shit ab. Das ist aber nicht mit hier zu vergleichen. Ich fühle mich ziemlich verloren.«

»Du hast auf der Straße gelebt?«

Unsere Hände streiften einander, als der Flur enger zusammenlief. Ein Stromschlag brachte mich aus dem Konzept. Hatte er das auch gespürt?

Na toll. Warum erzählte ich ihm davon? Ich brauchte gar nicht hinsehen, denn ich spürte den mitleidigen Blick auch so auf mir. Das arme Straßenmädchen. Wobei ich bestimmt weniger bemit-leidenswert rüberkäme, wüssten die Leute, dass ich alles andere als ein missverstandener Engel war. Verdammt, natürlich hatte ich krumme Dinger gedreht, um zu überleben. Selbst Menschen, denen es schlechter als mir ging, hatte ich manipuliert, damit sie mir halfen. Nicht nur einmal war ich diejenige gewesen, die andere in die Pfanne haute, um einen Vorteil daraus zu ziehen. Warum auch nicht? Ich kannte nur Verrat und Bosheit. Glücklicherweise hatte sich das irgendwann geändert. Daphne spielte dabei eine große Rolle. Wenn ich doch nur noch einmal über ihre große, schiefe Nase streicheln könnte, die sie so gehasst und ich so sehr geliebt hatte.

»Ja, ähm, kein Ding, echt. Ist cool da.« Was laberte ich?

»Es hat mich beeindruckt.« Drakon bog um die Ecke.

Dort erwartete uns ein Flur mit hunderten von Gemälden. Bäume, Wiesen, Blumen, Sträuße, Menschen, aus denen Pflanzen wuchsen. Eingerahmt von Kletterpflanzen, die sich an der Decke entlang schlängelten und eine Abzweigung zwischen den Bildern nahmen, um ihnen als Rahmen zu dienen.

»Ähm, was hat dich beeindruckt?« Meine eigenen Worte hörte ich wie durch Watte, da ich die Umgebung bewunderte.

»Deine Ehrlichkeit. Sonst biedern sich uns alle an. Niemand wäre je so unverschämt wie du. Irgendwie ist das nice gewesen.«

Schmunzelnd drehte ich meinen Kopf weg von ihm und tat, als begutachtete ich die Malereien auf den Säulen, die hie und da in die Mauern eingebettet waren.

»Unverschämtheiten habe ich noch ein paar auf Lager.«

Drakon blieb stehen und sah nach oben. Ein Durchbruch befand sich in der Decke und darüber erkannte ich einige Studierende, die herumwuselten, Bücher in den Händen trugen und sich unterhielten. Wie selbstverständlich schossen Ranken von den Pflanzen um uns zu Drakon. Teile von Efeu und Blauregen umklammerten ihn und hoben ihn hoch.

»Na dann, bye. Wir sehen uns.«

»Ha, ha. Na los. Versuch es. Bring sie dazu, dich hochzubringen.«

»Klar, könnte ich. Will ich nicht. Ich guck mich ein wenig um.«

Drakon blickte jetzt nicht mehr zu mir, sondern an mir vorbei. Jemanden hinter mir zu wissen, hatte noch nie etwas Gutes bedeutet.


Ich sollte mich korrigieren: Ich wäre doch lieber wieder bei Drakon, der sich aufplusterte wie ein stolzer Pfau, weil er zwanzig Mal einen Korb traf, anstatt doch noch von Callidora erwischt worden zu sein. Natürlich hatte sie hinter mir gestanden und zwang mich nun, ihrer Idee von Mit-Sich-Ins-Reine-Kommen zu folgen.

»Verstehe ich das richtig? Diese Erinnerungsblumen töten mich?« Mein Bauch drehte sich im Kreis und äußerte grummelnd seine Einwände.

»Du siehst auch nur das Schlechte, oder?« Callidora legte ihren Arm um mich.

»Berufskrankheit.« Meine Blicke huschten nach rechts und ich erkannte ihre Hand auf meiner Schulter, die sie mit weißen, samtigen Handschuhen bedeckt hatte.

»Diese Pflanzen könnten dich töten, ja. Keine Angst, werden sie nicht.« Wir waren wieder in ihrem Büro. Hinter einem Regal, in dem Gläser mit eingelegten Blüten, Blättern und Wurzeln ihren Platz gefunden hatten.

Links und rechts zählte ich mindestens zwanzig Blumen in kleinen Beeten, die von rotem Licht beleuchtet wurden. Ihre Blüten hatten die Form von Notenschlüsseln und an ihren geschwungenen Enden hing etwas heraus, das wie eine Zunge aussah.

Memo an mich: Komisches Geheimzimmer hinter Bücherregal meiden.

»Du brauchst deine Seelenblume und wenn du nicht über deinen Schatten springen kannst, musst du deinen Ängsten eben direkt begegnen.«

»Sind meine Schatten nicht nur vergangene Erlebnisse, die mich nicht mehr kümmern sollten? Sie sind nicht meine Gegenwart, sie sind nur in meinem Kopf. Verdränge ich sie, sind sie nicht mehr da.« Panik sprach aus mir.

Meine Vergangenheit nochmal erleben? Ein Zahnarztbesuch bei dem scharfen ehrenamtlichen Typen, der sich den Straßenleuten annahm, wäre mir lieber gewesen.

»Nur, weil etwas vergangen und in einen Schrank in deinem Kopf gesperrt ist, ist es nicht weniger real. Diese dunkle Energie ist genau das: Reale Energie, die sich an deiner beraubt.« Callidoras Stimme lullte mich ein.

Für diesen Moment klang sie nicht mehr wie die taffe Collegeleiterin, die sich behaupten und durchsetzen musste, sondern wie eine liebevolle Mutter. Eine Mutter, die ich nie gehabt hatte. Ihre Worte gaben mir das Gefühl, dass es okay war, nicht okay zu sein. Eine Duftwolke von Honig, Vanille, Zimt und Rosenholz wanderte von ihr zu mir.

Beruhigt lockerte sich mein Kiefer, und meine Verkrampfungen, die mich seit Jahren angespannt zurückließen, sodass ich morgens mit dem Gefühl aufwachte, als hätte man meinen Magen mit einem Kompressor aufgepumpt, lösten sich. Und plötzlich purzelte ein Satz aus mir, den ich ewig nicht mehr ausgesprochen hatte: »Ich habe Angst.«

»Das ist großartig.«

Alles in mir fühlte sich tonnenschwer an und für eine Sekunde hatte ich geglaubt, dass ein kleiner Teil meines seelischen Ballasts sich gelöst hatte. Konnte es sein, ja, durfte ich es in Erwägung ziehen, dass meine Sorgen mich weniger erdrückten, wenn ich sie teilte?

»Geh zur Erinnerungsblume und lecke an ihrem Erinnerungsfühler.«

Ferngesteuert bewegte ich mich auf die bläuliche Pflanze zu. Eine tropische Hitze brachte mich zum Schwitzen und das gedimmte Licht erhellte den langgezogenen Flur. Ich betrat das Beet, die Erde unter mir gab nach und dann streckte ich meine Zunge aus und berührte den Fühler.

Lidwicc Island College of Floral Spells

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