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Ankunft in Goma

Mittwoch, 10. August.

Kurz darauf sah ich durch das Seitenfenster Palmenwälder am Rande des Rollfeldes, deren fächerförmige Blätter sich bewegten. Hellbraune Lehmhütten flogen unter uns vorbei, und schon bald stand die Maschine auf der Landebahn still. Unglaublich, wir waren heil unten angekommen. Wir nahmen unsere Gepäckstücke auf, und als die Rolltreppe herangefahren war, stiegen wir hinab auf afrikanischen Boden. Für mich war es das erste Mal, und ich empfand es als etwas Besonderes, auch wenn die Umstände wenig erfreulich waren, in jeder Hinsicht.

Niemand hatte unterwegs an eine Äquatortaufe gedacht, obwohl doch diese unsichtbare Linie des größten Erdumfanges nur kurze Zeit vorher unter uns vorbeigezogen sein musste. Der Pilot hatte anscheinend anderes zu tun gehabt, als uns darüber zu informieren. Na ja, wir waren keine Touristengruppe.

Fremdartige Stimmen schlugen heran, es konnte ein verzerrtes Französisch sein, die Amtssprache des Landes. Wir sollten uns wohl umgehend von dem Flugzeug entfernen. Hastig dirigierte man unsere Horde von ahnungslosen Zivilisten hinter die Mauern des nahegelegenen Flughafengebäudes. Wildes Gestikulieren bewaffneter Männer in Kaki - Uniformen machte ein Sprachverständnis unnötig. Ohnehin war klar, was zu geschehen hatte. Hochpeitschende Schüsse von der anderen Seite des Gebäudes motivierten uns, unverzüglich Folge zu leisten.

Die hektische Atmosphäre beschleunigte unsere Schritte. Von einer Gruppe schwerbewaffneter Soldaten erging die Anweisung, uns dicht unter der Mauer niederzukauern und in Deckung zu bleiben. Die Anspannung ließ etwas nach, als es einem der Kollegen gelang, sich kurz mit einem von ihnen in französischer Sprache zu verständigen. „Il y a des tirs là bas, dans la rue, un gang de rebelles!“ Ja, das hatten wir bemerkt, denn unvermittelt ratterten wieder Maschinengewehr-Salven aus der Richtung, wo sich die Strasse jenseits des Gebäudes befand. Nur fünfhundert Meter weiter, im Osten, verlief die Grenze zu Ruanda.

Ich fand Zeit, mich umzusehen. Es war ein irrealer Anblick. Dreissig Menschen an eine Mauer gepresst, kniend, auf dem sandigen, roten Boden hockend, manche auf ihrem Koffer sitzend. Niemand sprach, die Blicke waren zum Boden gesenkt, schienen nach innen gekehrt. Auch wenn es nicht zu überhören war, realisierten wir nicht wirklich, was da gerade mit uns und um uns geschah. Es war zu fremd für uns, die wir doch alle aus einem friedlichen, sichern Land kamen.

Plötzlich stieg Angst in mir hoch, und ich dachte beschämt an meine Frau, die ich fassungslos zurückgelassen hatte. Jetzt fand ich meine Abenteuerlust, die mich hierher gebracht hatte, egoistisch, geradezu grausam, und ich musste zugeben, dass ich aus Sehnsucht nach Jasmina dem Weinen nahe war. Am liebsten wäre ich in das Flugzeug geflüchtet und zurückgeflogen, schien es im Augenblick doch der sicherste Ort zu sein, den ich mir denken konnte. Ich hätte mich, trotz aller Bedenken, dieser alten, maroden Flugmaschine anvertraut. Nur schwer gelang es mir, aufsteigende Panik zu beherrschen.

Die Dämmerung setzte ein, wenn man überhaupt von Dämmerung reden konnte. Innerhalb weniger Minuten fiel Dunkelheit über den Flughafen, über das ganze Land, nur zweihundert Kilometer südlich des Äquators. Die Gewehrsalven wurden weniger, und unsere militärischen Beschützer geleiteten uns nach einer kurzen, eher symbolischen Ausweiskontrolle durch das menschenleere Gebäude nach vorne auf die Strasse, die ins Zentrum von Goma führte. Niemand interessierte sich für den Inhalt unserer Gepäckstücke, auch meinen Karton mit Medikamenten konnte ich unbehelligt mitschleppen. In diesem Land galten - insbesondere im Augenblick - andere Maßstäbe, als wir sie von Europa gewohnt waren. Was die Schießerei vor dem Flughafengebäude zu bedeuten hatte, war mir nicht klar. Die Kriegshandlungen der letzten Monate hatten im benachbarten Ruanda stattgefunden, hier aber befanden wir uns zweifellos auf dem Staatsgebiet der Republik Kongo.

Eine kleine Gruppe von Geländewagen erwartete uns, Landrover und Toyotas, diese unersetzlichen, unermüdlichen Helfer des Menschen bei der Erforschung und Eroberung unbekannter oder auch bekannter Regionen. Ich konnte trotz der herabgesunkenen Nacht die roten Kreuze auf den weiss lackierten Kühlerhauben erkennen - die Sanitäts-Armada der Flüchtlings - Hilfsorganisation MHD. Zu einem freudigen Begrüßungsjubel mit den deutschen Mitarbeitern kam es allerdings nicht, wieder musste alles sehr schnell gehen. Das beunruhigende, peitschende Knallen gelegentlicher Schüsse erklärte die Eile.

Geduckt rannten wir mit unseren Säcken, Taschen, Koffern und Kartons los, verteilten uns auf die Fahrzeuge, die Motoren heulten auf, und die Kolonne schob sich über die staubigen, zumeist unbeleuchteten Schotterstrassen davon in Richtung Stadtmitte, und dann weiter, wieder weg von den nur schemenhaft erkennbaren Häusern des Zentrums. Sporadisch blinzelten an hochragenden Stangen müde Glühbirnen, mühselig einen schwachen Lichtschein bis hinunter auf die Fahrbahn werfend. Rechts neben der staubigen Strasse hatten in bunte Stoffe gewickelte, stämmige Frauen auf einem Feld die Bohnenernte beendet und suchten, am Fahrbahnrand hintereinander gehend, ihre Hütten zu erreichen. Es war eine exotische, in der herabgefallenen Dunkelheit fast gespenstische Szene, die ich trotz der Anspannung deutlich wahrnahm.

Unser Ziel war der ehemalige Campingplatz von Goma, umfunktioniert in ein Basiscamp, das zentrale Sanitätslager der Hilfsorganisation, streng von Militär bewacht gegen Überfälle marodierender, bewaffneter Schlägertrupps, die, nicht nur von der allgemeinen Not getrieben, raubten und plünderten, was ihnen in die Hände fiel. Manches ihrer Opfer sollte zu unseren Patienten in den kommenden Wochen gehören.

Abendessen, exotische Musik, zirpende Grillen, das alles blieb unerfüllt. Müde, erschöpft und innerlich seltsam leer räumte ich mein Gepäck in das mir zugeteilte Zelt, würgte die Tabletten zur Malaria-Prophylaxe mit einem Schluck Wasser herunter, klappte im schmalen Schein meiner Taschenlampe das Feldbett auf und kroch ohne Abendtoilette unter das Moskitonetz.

Das also war Afrika ?

Wanderwege kreuzten die kleinen Straßen, auf denen Paul mit seinem Motorrad an Äckern und Wiesen vorbeikam. Kleine Waldstücke waren zu durchqueren, in versteckten Seitentälern sah er einsame Bauernhöfe, die von der Gegenwart abgeschnitten schienen. Eines dieser Anwesen lag, wenn man von Süden kam, vor einer ansteigenden, engen S - Kurve. Ein Weg führte rechts zu dem Wohnhaus, ein zweiter kurz danach zu halb verfallenen Schuppen aus dicken, grau verblichenen Holzbrettern. Hier war modernes Ackergerät untergestellt und bewies, wie die Antenne auf dem Hausdach und mehrere Autos auf dem erdigen Parkplatz davor, daß auch hier die Neuzeit angekommen war, auch wenn der erste Eindruck ländlich friedvolle Idylle vergangener Zeiten versprach, die, wie so oft, nur für den flüchtigen Betrachter existierte.

Fremde Schicksale, fernes Land

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