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Der erste Tag im Basiscamp

11. August

Knirschen, Klirren, metallisches Klappern, Schritte, Stimmengewirr - nur langsam drangen die Boten des neuen Tages in sein Bewußtsein, und zugleich meldete sich ein quälender Schmerz im ganzen Körper, als sei er mit Stöcken geprügelt worden. Nein, das war es nicht. Paul realisierte im Erwachen, daß sein provisorisches Nachtlager unerwünschte Folgen in Form von Verspannungen der Rückenmuskulatur hinterlassen hatte.

Mißmutig versuchte er, sich aufzusetzen, was unter Stöhnen gelang. Dann unterdrückte er im letzten Augenblick die Absicht, aufzustehen und in seine Schuhe zu schlüpfen. „Vorsicht Vorsicht!“, mahnte ihn seine Erinnerung an das Gespräch gestern im Flugzeug: “In den Tropen morgens immer erst die Schuhe nach Ungeziefer abklopfen. Schlangen, Spinnen und Skorpione können sich nicht nur schmerzhaft zur Wehr setzen, gerne geben sie eine Portion Gift gratis dazu.“ Das gemahnte ihn daran, auch seinen Schlafsack, der einen idealer Kuschelplatz für Schlangen abgab, fest zusammenzuwickeln. Er nahm sich vor, einen der verschließbaren Aluminiumkästen zu organisieren, die eigentlich für medizinische Ausrüstung in den Camps vorgesehen waren. Ein nicht benötigter Behälter würde sich wohl finden lassen. Er wusste nur noch nicht, wo.

Schließlich kam Paul unbeschadet auf die Beine, schob das Netz zur Seite und verließ sein Zelt. Vor ihm lag ein Platz von der Größe zweier Fußballfelder, auf dem in mehreren Reihen spitzgiebelige Zelte standen, die für eine bis zwei Personen ausreichend Platz boten.

Das erste, was sein Blick bewußt einfing, war die schlanke Gestalt einer jungen Frau. Langes, blondes Haar fiel in Wellen über schmale Schultern und glänzte in der Vormittagssonne wie ein mit goldenen Pailletten besticktes Tuch. Diese geradezu poetische Erscheinung weckte in ihm die Erinnerung an ein kleines Klavierstück, dessen französischer Titel ihm entfallen war. Mit seiner einfachen, gläsernen Melodie zauberte es das Bild eines Mädchens, zeitlos, eindringlich, voll von Klarheit. Im Geiste hörte er die Musik klingen und meinte deutlich die lebendige, unbefangene Jugend zu fühlen, die mit dem Rücken zu ihm auf dem schwarzen Lavaboden kniete und offensichtlich etwas in einem grünen, zerfledderten Rucksack suchte.

Das war Janina. Im Flieger war sie ihm nicht aufgefallen. Es stellte sich später heraus, dass sie bereits seit einigen Wochen hier war. Er dachte: „wie bedauerlich, daß ich nur wenige Male Gelegenheit haben werde, mit ihr zu sprechen, wenn wir verschiedenen Gruppen angehören.“ Ihre Anwesenheit und auch ihr goldenes Haar sollten uns alle hier noch einmal beschäftigen und unsere Solidarität fordern.

So stand Paul ruhig vor seinem Zelt und war sich sicher : „das wird ein guter Tag heute.“ Die Sonne lag warm auf seiner Haut, über dem Camp flimmerte die Luft. Ein Flieger zog über den hellen, klaren Himmel. Das heisere Schnarren seiner Propeller kam und ging, sonst war es still. Für einen Augenblick meinte Paul vollkommenen Frieden einzuatmen. Da war nur er, und da war der Anblick der jungen Frau, nur wenige Schritte entfernt, und in ihm tönte die Musik, und er fühlte sich ganz leicht und frei. Einen guten Tag erwartete er also. Aber was konnte noch schöner werden als es dieser Augenblick am Morgen war?

Das blecherne Klappern von Kochgeschirren riß ihn aus seinem tranceähnlichen Zustand. Er dachte an Frühstück und wendete sich nach rechts, wo ein Militärlastwagen stand, die Rückseite offen, die Plane war hochgeschlagen. Die Einrichtung der Ladefläche verriet, dass es sich um ein Küchenfahrzeug handelte. Ein riesiger Kochtopf fiel ins Auge, dahinter ein Stapel von braunen Kästen, Nato-Verpflegung für den Kampfeinsatz. Paul kannte den Inhalt aus seiner Militärzeit. Als er näher kam, winkte ihm ein afrikanischer Mitarbeiter von der Ladefläche herab zu und reichte ihm unaufgefordert eines der Päckchen. „Asante“ sagte Paul zu ihm. Er würde erst später etwas essen. Der Mann grinste. „Ça ne fait rien.“

Rechts, zwischen dem Lastwagen und Pauls Zelt, waren unter einem großen Stoffdach Bänke und Tische arrangiert, ganz wie in einem bayrischen Biergarten. Hier setzte er sich und öffnete seine Packung, die eine ganze Tagesration enthielt. Alle Bänke waren leer, seine Frühstückszeit schien verspätet zu sein. Nun, es war sein erster Tag, und es war der Tag nach einer strapaziösen Reise und einer noch strapaziöseren Ankunft.

Obwohl ihm diese Art von Verpflegung bekannt war, schlich sich doch ein Lächeln in sein Gesicht, als der Anblick von „Panzerplatten“, eine Art trockenes Brot, und Käse in der Tube Erinnerungen an Drill, Männerkameradschaft und schweißtreibende Geländeübungen bei einer Gebirgsjäger-Einheit hervorzauberten. Es waren trotz der gewollten Strapazen und einem etwas überzogenen Männergehabe schöne Tage gewesen mit den Mulis in den wildromantischen Wäldern des bergigen Grenzgebietes.

Pauls Zelt lag, von der bewachten Pforte aus gesehen, gleich rechts, dicht neben einer Mauer. Die Lage gefiel ihm, weil von hier aus der Krater des majestätischen Nyiragongo zu sehen war. In der Mitte des Camps ragte ein etwas größeres und höheres, olivgrünes Militärzelt hoch, das für Beratungen und Planungen vorgesehen war. Hier fanden auch die abendlichen Besprechungen und Einteilungen statt, die eine Voraussetzung für einen effektiven ärztlichen Einsatz waren. Auch musste täglich die Sicherheitslage für die umgebenden Sanitätszentren geklärt werden.

Ging man links herum hinter der letzten Zeltreihe entlang, so landete man bei einem Bürogebäude, Lehmwände mit einem Strohdach darüber. Innerhalb fand sich ein Tisch mit einer uralten Schreibmaschine, daneben lag ein Stapel Papier unter einer verbeulten Kassette. Zwei Stühle ergänzten die spartanische Einrichtung. Es gab keine Fenster. Nur durch die Türe fiel etwas Licht ins Innere. Der Boden bestand aus gestampftem, nach Ackererde duftendem Lehm. Fast hätte Paul erwartet, Hühner gackern und ein Schwein grunzen zu hören.

Auf seinem ersten Rundgang traf er, wenige Schritte weiter, auf ein merkwürdig amorphes Bauwerk aus Wellblech, das den Eindruck erweckte, als könne es bei jedem heftigeren Windstoß mit gräßlichem Geschepper zusammenfallen. Was war das nur? Es waren die sanitären Anlagen. Gleich vorne eine wenig einladende Trockentoilette mit einer Art Thron, den man bei entsprechendem Bedarf erklimmen musste.

Seitlich, rechts neben dem Aufbau, imponierte eine große Eisenkurbel, die nach der Toilettenbenutzung zu betätigen war. Entsprechende Anweisungen hierzu fanden sich auf einer verrostete Tafel in englischer Sprache. Diese Vorrichtung presste die menschlichen Ausscheidungen wie eine Wäschemangel mittels zweier Walzen in einen unter dem Thron aufgerollten blauen, unendlich langen Plastiksack. Der Horror? Nein! Nachdem Paul in den folgenden Tagen die sogenannten Toiletteneinrichtungen draußen in den Camps kennengelernt hatte, erst da wußte er, was Horror bedeutete.

Die Exkremente der Lagerbewohner wurden getrocknet und dienten als Dünger auf den zahlreichen üppigen Bohnenfeldern am Rande von Goma, gleich neben der Straße am Flughafen. Man sah darin lediglich einen Schritt im ewigen Kreislauf der Dinge. Philosophisch und real mochte das zutreffen, aber hygienische Gesichtspunkte blieben dabei auf der Strecke. Im Wissen um diese Art von Recycling schätzte sich Paul glücklich, ausschließlich auf den Inhalt der Nato - Einsatzpackungen angewiesen zu sein, auch wenn deren Vielfalt in umgekehrtem Verhältnis zur Kalorienzahl stand.

Unmittelbar anschließend an die Toilette waren drei Duschen im Freien installiert, die von weitem aussahen wie große Sonnenblumen. Sie waren nur durch halbhohe, gekachelte Mäuerchen gegeneinander abgeschirmt und luden ohne Ansehen des Geschlechtes zur Benutzung ein. Euphemistisch konnte man es einen fortschrittlichen Umgang mit der Gleichheit von Mann und Frau nennen. Vielleicht nahm man auch die zahlenmäßig unterrepräsentierten männlichen Helfer nicht so ernst, oder man vertraute auf deren Anstand.

„Eine Dusche nehmen“ bedeutete, den wackeligen Hahn zu öffnen und auf einen einzigen, schmächtigen Wasserstrahl zu warten, der sich mit ungeheurer Mühe durch ein dünnes Röhrchen hindurchzwängen musste. Es dauerte Minuten, bis der eingeseifte Körper wieder frei von Schaum war. Und auch das nur, wenn der monströse, auf dem Dach des benachbarten Blechschuppens deponierte, viertausend Liter fassende Kunststoffsack gefüllt war. Gelblich - braune Schmutzränder im Inneren zeigten den Wasserstand an. Paul mochte nicht daran denken, was für ein Heer von Bakterien nur darauf wartete, sich über sie alle herzumachen.

Der Tank, der seinerseits bei Bedarf von einem großen Tanklaster aus der Stadt nachgefüllt werden konnte, speiste auch mehrere steinerne Waschbecken, die jeweils den Duschkabinen gegenüber hochgemauert waren. Hier wusch man sich selbst, Füße, Wäsche, nach Belieben auch das Eßgeschirr und Obst, sofern man welches hatte. Seife gab es gegen Bezahlung im Büro, Handtücher hatte jeder selbst dabei, oder auch nicht.

Dazu war zu sagen, daß für die freiwilligen Helfer der Organisation Karton - Mahlzeiten und Getränke kostenlos zur Verfügung gestellt wurden. Dies traf auch für die wenigen Einheimischen zu, die Hilfsdienste verrichteten - es gab eine Bürokraft, eine Küchenhilfe und zwei Frauen, die sich um die Wäsche kümmerten, abgesehen von den Fahrern.

Folgte man einem kleinen Pfad hinter dem Wasserspeicher, so stand man unvermittelt am Ende der Steinmauer, an die sich ein grösseres, einstöckiges Steinhaus anlehnte. Es schien in verhältnismäßig gutem Zustand zu sein, die Wände waren weiß getüncht und ohne grössere Risse. Zwei Hallen teilten sich den Innenraum, getrennt durch eine Reihe quadratischer Säulen. Rechts wurden chaotisch übereinander gestapelte Gegenstände, Kisten und Feldbetten aufbewahrt, dahinter fielen Paul große Aluminiumkästen auf, die verschiedene Ausrüstungsgegenstände für die Arbeit in den Basislagern enthielten. „Ah“, dachte er, “da ist ja alles, was ich brauche.“

Auf jedem der Behälter sah er eine handgeschriebene Liste liegen, beschwert mit einem schwarzen Lavastein. Er griff sich eine davon und sah, dass eine Reihe von medizinischen Artikeln aufgeführt war, vor allem übliches chirurgisches Material wie Mullbinden, Gummihandschuhe, Desinfektionsmittel und Instrumente. Er legte den Zettel wieder zurück unter den Stein und schaute sich die zahlreich aufgetürmten Kartons an. Aufschriften verrieten, dass sie verschiedene Medikamente enthielten. Später erfuhr er, daß zu deren Verwahrung und Ausgabe eigens ein Apotheker aus Deutschland eingeflogen worden war, dessen Einsatz mehrere Monate betrug. E war auch verantwortlich für das Auffüllen der Einsatzkästen.

Als Paul zwischen den Säulen zu dem Raum auf der linken Seite des Gebäudes hinüberwechseln wollte, traf er auf einen großen, massigen Mann mit Vollbart. Sie mochten etwa im gleichen Alter sein. Sie nickten sich zu, und der Mann sagte: “ hallo, Doktor Wieland, schön, Dich zu treffen. Ich bin Manuel.“ „Aha“, dachte Paul und stellte sich vor, obwohl er den Eindruck haben musste, ihm schon bekannt zu sein. Es lag an seiner Art, wie er Paul ansah, und es war seine Körpersprache, die zur Freundschaft einlud. Seine sonore Stimme weckte Vertrauen. Manuel arbeitete für die Hilfsorganisation und hatte die Funktion des Lagerleiters übernommen. So, wie man sich einen Pianisten mit schmalen Händen und langen Fingern vorstellen mochte, oder einen Professor mit hoher Stirn über einer Nickelbrille, so war Manuels Händedruck der eines Chirurgen, fest und bestimmend, und Paul hatte sich nicht getäuscht.

„Bis zur Mittagsbesprechung ist noch etwas Zeit. Komm´ ich zeige Dir gleich noch das Herzstück unserer Niederlassung“, damit deutete Manuel auf die Werkstatt. “Ohne die wären wir nicht mobil, denn die Fahrzeuge sind alle schon recht alt und klapprig. Und die Straßen hier nehmen darauf keine Rücksicht.“ Er lächelte und wußte wohl, wie er das meinte. Ich würde es in den kommenden Tagen verstehen und auch zu spüren bekommen.

Wir standen in dem linken Raum, der wie eine Fabrikhalle wirkte. Er beherbergte eine komplette Kfz - Werkstatt, in der die insgesamt fünfzehn wirklich schon in die Jahre gekommenen Geländewagen instand gehalten wurden, so gut es ging.

Einer der Landrover stand mit hochgeklappter Motorhaube über dem Monteurgraben. Das grobstollige, aber schon abgefahrene Profil der Reifen sah nicht gut aus, ein Riß stach Paul ins Auge. „Lange wird der auch nicht mehr halten.“ Die vordere Stoßstange saß schräg auf der Karosserie, das rechte Ende war verbogen, der Kotflügel dahinter eingeknickt. “Was für ein altes Schlachtroß“, dachte Paul.

Von unten drang lautes Klopfen herauf, ein Metallgegenstand fiel klirrend zu Boden, eine heisere Stimme fluchte. „Verdammt, dacht´ ich mir´s doch, der Kühler ist es.“ Manuel beugte sich herunter.

“Schorsch, bist Du da unten?“

„Ach Manuel, tja, der Kühler leckt, hat einen Schlag abgekriegt, da muss ich wohl schweissen.“

„Schaffst Du´s bis morgen?“

„Denke schon. Ist ja noch früh am Tag.“ Ohne dass Schorsch sein Gesicht gezeigt hatte, verließen sie seinen Arbeitsplatz.

Zwischen dem Werkstattraum und dem sich dahinter öffnenden Ausgang des Campingareals gab es eine schmale Gasse, durch die man die Fahrzeugen hinter das Gebäude fahren konnte. Hier lagen der Parkplatz und die Diesel-Reservekanister. „Es ist kaum möglich, Diebstähle zu verhindern, aber da hinten liegen sie nicht so auf dem Präsentierteller“, erklärte Manuel und lächelte nicht mehr.

Paul beglückwünschte sich zu seinem Entschluss, gleich morgens einen ersten Erkundungs-Spaziergang gemacht zu haben, so wusste er schon, wo er seine mitgebrachten Medikamente loswerden würde und wo es ein neues Feldbett für ihn gab. Und er hatte Manuel kennengelernt, der, wie sich herausstellen sollte, wirklich eine zentrale Figur in diesem Lager darstellte.

Nur wenige Schritte weiter brachten sie zum Ausgang, wo sich die beiden Männer bis zum Mittagstreffen verabschiedeten. Einer der Wachsoldaten schaute vom Tor herüber, grinste uns zu und schlug mit der flachen Hand auf das Magazin seiner Maschinenpistole, die über seiner rechten Schulter hing. War das eine freundliche Geste oder eine Drohung? Auf Pauls französischen Gruß reagierte er nicht. Es mochte sein, daß er nur Suaheli verstand, eine vor allem in Ostafrika weitverbreitete Bantusprache. Das war aber eher unwahrscheinlich, wenn er den örtlichen, offiziellen Landestruppen angehörte.

Paul kehrte zurück zu seinem Zelt. Es duckte sich in geringer Entfernung von dem eisernen Gittertor unter die drei Meter hohe Steinmauer, die alle Zelte, den Küchenwagen, das Büro und die „Hygieneeinrichtungen“, außerdem das Wasserreservoir und das große weiße Haus, rund umschloß. Alle drei Meter unterbrach eine rechteckige Säule die weisse Fläche. Die Oberkante der Mauer war mit gewellten, rotbraunen Ziegeln belegt.

Nicht zuletzt bewunderte Paul den modernen, mit allem notfallmedizinischen Komfort ausgerüsteten, knallrot lackierten Rettungswagen, der in der Nähe seines Zeltes parkte. Am Klinikum in S. hatte er keinen besser ausgerüsteten Notarztwagen gesehen. Sein anfänglich bewunderndes Staunen ging allerdings in Ungläubigkeit über, als er erfuhr, daß dieses schöne Beispiel heutiger Medizintechnik ausschließlich für die Versorgung der Ärzte und Schwestern aus Deutschland gedacht war. Paul begrüßte diese Tatsache, aber es blieb doch ein ungutes Gefühl.

Nach diesem ersten Rundgang innerhalb der Mauern, der weniger als eine halbe Stunden gedauert hatte, kehrte er zu dem Lagerbüro zurück und informierte sich über die verschiedenen Zeiten und Termine, die sein Leben in den nächsten Tagen und Wochen bestimmen würden.

Anschließend suchte er sich einen Platz an einem Tisch unter der Zeltplane in der Nähe des Küchenwagens, nachdem er dort sein erstes Frühstück entgegengenommen hatte. Zum Genießen war er nicht hier und schon die erste Mahlzeit bestätigte seine Annahme, nun gut. Entsprechend schnell war er damit fertig und entschloß sich trotz einigen inneren Widerstandes zum Premierenbesuch der Toilette und einer Duschbenutzung. Es mußte einfach sein. Die Gänsehaut, die er dabei bekam (oder sollte er sagen: der Schüttelfrost?), war nicht die Folge der lauwarmen Brühe, die ihm schmierig über den Rücken rann, sondern der Ekel vor all dem, was zuhause Genuß und Wohltat war, hier aber einer Selbstverleugnung gleichkam.

Während er sich abtrocknete, dachte er dankbar an all die Impfungen, die er vor Antritt der Reise eher unwillig über sich hatte ergehen lassen, und er schwor sich, ab sofort nur noch mit abgefülltem Flaschenwasser die Zähne zu putzen. Vermutlich ersparte ihm das eine Enteritis, deren Auswirkungen bei den gegebenen Waschmöglichkeiten eine doppelt qualvolle Katastrophe bedeutet hätten.

Trotz allem: er fühlte sich erstaunlicherweise wieder frisch und sauber, wechselte seine Kleidung und suchte nun das Beratungszelt auf, denn er wußte bereits von Manuel, daß wichtige Informationen für den vorgesehenen Einsatz auf ihn wie auf alle anderen, neu Eingetroffenen warteten.

Frühmorgens, noch bevor die Bauern mit ihren Traktoren zu den Feldern fuhren, wenn die Sonne gerade über den östlichen Hügel schaute, war es am stillsten an seinem Ruheplatz. Noch glitten keine Flügel über die Fluren. Die Schwingen der Raubvögel waren abhängig von den steigenden, warmen Luftströmungen, die ihren ausgebreiteten Federn Auftrieb gaben. Auch die Insekten warteten auf steigende Temperaturen, um die Steife der kühlen Nacht in den feinen, borstigen Gliedern zu überwinden. Die Schatten der Bäume schliefen noch, längs hingestreckt auf den Wiesen. Am Horizont stufte sich hinter den Vulkankegeln das Vorgebirge hoch.

Eine zusammengedrückte Bierdose, zerfetztes Silberpapier, plattgetretene Zigarettenfilter erinnerten Paul daran, daß er hier nicht der einzige Gast war. Diese untrügliche Zeichen gaben ihm den Beweis dafür, daß er dem Dunstkreis einer hochtechnisierten Zivilisation nicht entflohen war.

Fremde Schicksale, fernes Land

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