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Endstation Brook

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1.

12. März

Na, traumhaft«, murmelte Polizeiobermeister Krull und sah sich fast schon flehend um, doch es änderte nichts: Er stand alleine an dem Einsatzwagen. Sein junger Kollege war erst eben in der Bäckerei unweit des Kreisels verschwunden, um sich etwas gegen den plötzlichen Hunger zu kaufen.

Lothar Bergmann kam geradewegs auf Krull zu. Seine Hände steckten in den Taschen des Kurzmantels, der sich über dem Bauch spannte. Die strähnigen grauen Haare, die für gewöhnlich zurückgekämmt die kahle Stelle auf seinem Hinterkopf bedeckten, tanzten im Wind. In Bergmanns Gesicht sprossen die Bartstoppeln und in seinem Mundwinkel hing die unverzichtbare Zigarette.

»Moin Krull«, sagte er und reichte dem Beamten die Hand. »Verdammt ungemütliches Wetter, was? Es wird Zeit für den Frühling. Meine Knochen vertragen die Kälte nicht mehr. Neunundsechzig ist ein unnötiges Mistalter, das sag‘ ich Ihnen. Sehen Sie bloß zu, dass Sie vorher das Zeitliche segnen, das erspart Ihnen eine Menge Ziehen und Ziepen. Verflucht, mein Junge, ich weiß, wovon ich rede.«

Krull drückte Bergmanns Hand. »Haben Sie mich gerochen oder gesucht? Kommen Sie mir bloß nicht damit, dass Sie mir zufällig über den Weg laufen. An Zufälle glaube ich bei Ihnen nämlich nicht.«

Bergmann lächelte flüchtig und zeigte seine nikotinverfärbten Zähne, dann sagte er: »Ich hörte was von einer Leiche am Rande des Brooks. Die wurde gestern Nachmittag von zwei spielenden Jungen gefunden. Erzählen Sie mir was darüber, Krull.«

»Woher wissen Sie davon?«, fragte Krull verwundert. »Wir haben es geheim gehalten.«

»Geheim gehalten«, sagte Bergmann spöttisch und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Hören Sie, Krull: Ich kann Sie fragen oder ich kann andere Leute fragen. Am Ende bekomme ich so oder so meine Informationen. Machen wir es also auf kurzem Wege. Also, mein Junge – ich höre?«

Krull verzog das Gesicht. Er kannte Bergmann gut genug um zu wissen, dass er keine Hemmungen hatte, den Leichenfund vorzeitig an die große Glocke zu hängen und damit die Ermittlungen zu stören.

Er seufzte und sagte mit gedämpfter Stimme: »Männlich, Identität noch ungeklärt. Anfang bis Mitte Zwanzig. Erschlagen. Lag noch nicht allzu lange dort, zwei oder drei Tage erst. Die Kollegen von der Kripo haben übernommen und heute früh die Fundstelle untersucht. Ich wüsste gerne mehr, aber die Informationen stocken ein wenig. Mehr habe ich aktuell nicht, okay?«

Mit einem langen Zug rauchte Bergmann die Zigarette bis auf den Filter herunter, dann ließ er sie auf den Fußweg fallen und trat sie mit der Hacke seiner abgewetzten schwarzen Schnürschuhe aus.

»Es wird nicht oft gemordet im feinen Duvenstedt«, sagte er ruhig, »aber soll ich Ihnen etwas verraten, Krull? Je vornehmer das Gehabe und Getue der Menschen, desto düsterer ihre Geheimnisse. Wir dürfen also gespannt sein, welch' tiefer Abgrund sich in unserer schmucken Gegend auftut. Rufen Sie mich an, wenn in die Sache mit dem Leichenfund Bewegung kommt.«

Krull verzog missmutig das Gesicht. »Haben Sie mir nicht zugehört? Die Kripo hat die Ermittlungen übernommen. Wir Stadtrandbullen sind raus. Und hören Sie endlich auf, überall Ihre Nase rein zu stecken. Immer schön aus dem Sumpf raushalten, alles andere bringt nur Ärger. Weshalb gehen Sie nicht nach Hause und kümmern Sie sich um Ihre Katzen?«

In aller Ruhe zündete Bergmann sich die nächste Zigarette an. Er inhalierte tief und sagte dann: »Wissen Sie, was ich an Ihrem Vater geschätzt habe, Krull? Abgesehen davon, dass er ein verflucht netter Kerl war, war er ein verdammt guter Polizist gewesen. Und soll ich Ihnen sagen, weshalb er gut war? Weil er das Gegenteil von dem getan hat, was Sie gerade gefordert haben. Er hat sich nicht rausgehalten, sondern seine Nase tief in die Dinge reingesteckt. Er hat sich nicht hinter Dienstvorschriften versteckt, sondern sich auf sein Bauchgefühl verlassen. Anstatt in Akten zu blättern, hat er in den Gesichtern von Menschen gelesen. Er war hartnäckig, und wenn's sein musste, auch nervig und ätzend. Ihr Alter hat sich nichts vormachen und von niemanden einschüchtern lassen. Zu schade, dass Sie das totale Gegenteil von ihm sind.«

Mit diesen Worten drehte Bergmann sich um und ging in die Richtung davon, aus der er gekommen war.

»Was ist denn das für ein Vogel?«, fragte der andere Polizist und biss in ein Rosinenbrötchen. Krull erschrak leicht. Er hatte nicht mitbekommen, dass sein Kollege bereits wieder neben ihm stand.

»Man merkt, dass du noch nicht lange bei uns hier oben bist«, grummelte Krull. »Fast jeder in Duvenstedt kennt den spleenigen Lothar Bergmann.«

»Der ist leicht verrückt? Hm, für mich sieht er aus wie ein gewöhnlicher älterer Herr. Er scheint sich ein wenig gehen zu lassen und wirkt etwas ungepflegt, aber ansonsten macht er einen normal Eindruck.«

»Normal war er früher. Doch das ist lange her. Heute ist er verbittert und geht allen auf den Geist.«

Der junge Polizeimeisteranwärter schob sich den Rest des Rosinenbrötchens in den Mund. »Wieso, was ist mit ihm geschehen?«, fragte er so, dass es gerade eben noch zu verstehen war.

Krull sagte: »Er hat als Journalist für verschiedene Zeitungen gearbeitet. Vor etwa acht Jahren erhielt er für eine von ihm aufgedeckte Machenschaft einen renommierten Journalistenpreis. Plötzlich war Bergmann so etwas wie ein Starreporter. Doch dann kam heraus, dass er sich die Geschichte von A bis Z ausgedacht hatte. Alles war eine einzige Lüge. Tja, das war ziemlich peinlich, vor allem für die Fachjury und für Bergmann selbst. Er hat nie erzählt, weshalb er sich auf diese Dummheit eingelassen hat. Es brachte ihm eine saftige Anzeige ein, und als Journalist war er natürlich erledigt. Zu allem Unglück erwischte es kurz darauf seine Frau. Sie stürzte zu Hause die Kellertreppe herunter und erlag ihren Kopfverletzungen. Bergmann behauptete, es sei Mord gewesen, doch es gab keine Anzeichen von Fremdverschulden – und außerdem nahm ihn nach der Schummelei sowieso niemand mehr ein Wort ab. Seitdem schnüffelt der alte Narr überall rum und wittert hinter jedem eingeschläferten Hund eine Weltverschwörung.«

»Bitter für ihn«, sagte der junge Polizist emotionslos. »Arbeitet er noch oder ist er in Rente?«

»Gelegentlich berichtet er für ein Anzeigenblatt, das wöchentlich kostenlos erscheint. Das ist mit seinen früheren Jobs natürlich nicht mal ansatzweise zu vergleichen. Lokalschmiererei anstatt große Politik. Ich glaube, er hofft inständig auf diese eine besondere Story, die seine Journalistenehre wieder herstellt.«

Die beiden Polizisten sahen Bergmann hinterher, der immer wieder mit erhobener Hand Passanten grüßte, ohne jedoch stehen zu bleiben oder einige Worte zu wechseln.

»Für eine besondere Story ist das hier jedenfalls die verkehrte Gegend«, sagte der junge Polizist vor sich hin, öffnete die Fahrertür des Einsatzwagens und stieg ein.

»Da bin ich mir jetzt nicht mehr so sicher«, murmelte Krull, doch das hörte sein Kollege nicht mehr.

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