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2. Erziehungsfragen

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In Erziehungsfragen sind die Amerikaner sehr eigen und wollen von europäischer Gelassenheit nichts wissen. Hier gilt: Erziehung ist Kampf! Wogegen? Das ist nicht ganz klar. Deutlich ist, wofür: um die Kinder im harten Arbeitskampf gegen die aufstrebenden Chinesen nicht untergehen zu lassen. Und in dieses Unternehmen Kind und Welt wird um jeden Preis investiert.

Die Familie, in der ich als Deutschterroristin arbeite, erscheint im alten Europa wie ein bedauernswerter Extremfall, aber ich fürchte, dass diese Familie kein Einzelfall in den USA ist. Die Kinder wirken wie gehetzte Rennpferde, wollen keuchend an der Konkurrenz vorbeilaufen und wissen so wenig wie Rennpferde, warum sie das tun sollten. Sie hetzen trotzdem. Die Jockeys, also die Nannys und Sprachlehrer, wissen, warum sie antreiben müssen: um die Eigentümer der Kinder vom Rand der Rennstrecke nicht zu enttäuschen. Sonst werden sie als Jockeys ausgewechselt, gegen den nächsten Knecht, der die Kleinen entschiedener drangsaliert, damit sie gegen die Chinesen antreten. Auch für Amerika.

Die Familie, die mich wegen meiner deutschen Muttersprache anheuerte, lebte im teuersten Areal des Staates New York. Aus diesem Grund sah es bei der daheim ziemlich nett aus. Ein sieben Quadratkilometer großes Gelände war ummauert worden. Auf dem Gelände befanden sich mindestens 25 schicke Häuser. Hier gab es die eigene Polizei, die gut darauf aufpasste, dass wirklich niemand ohne Anmeldung das Anwesen betreten konnte. Außerdem war da noch eine Kirche, doch keine Einkaufsmöglichkeit oder Schule. Dafür musste die schicke Welt verlassen werden. Das gesamte Arenal war größtenteils naturbelassen worden, abgesehen von den geleckten Straßen, die zu den Häusern führten.

Die Mutter des Betriebs um drei Kinder holte mich am Bahnhof ab und versuchte sinnlos, sich von ihrer besten Seite zu zeigen. Das amerikanische Gesäusel kann erschreckend plärrend wirken. Voller Stolz erzählte sie im scheinbar unschuldigen Angebertonfall, wie viele Sprachlehrer das Haus passiert hatten, nichtsahnend, dass mir die Haare zu Berge standen.

Heute musste der Spanischlehrer, der gleichzeitig Schach mit den Blagen übte, gehen, und am Morgen war die Französischoma entsorgt worden. Mit der sei nicht viel bei den Kindern angekommen, weil die Jungs, fünf und sechs Jahre alt, am Morgen verschlafen gewirkt hätten. Da gab es kein Zögern. Die Guillotine musste fallen. Béni soit l'Amérique. Gelobt ist Amerika. You understand?

Dann sei sie zum Vater gefahren und habe dessen unglaublich schlechtes Tennisspiel gesehen, bevor die Jungs eine Trainingseinheit bekommen sollten. Den konnte sie schlecht vor die Tür setzen.

Ich verstand, dass mich die Kinder hassen müssten, bevor sie mich kennenlernten. Ich war die unerwünschte Niederkunft eines weiteren Lehrers mit Fremdsprache Nummer vier. Deutsch. Das konnte nur bedeuten: Stress! Spielen stand nicht auf dem Arbeitsplan der Kinder.

Weil die Mutter das schreckliche Leben der Kinder in Watte packen wollte, gab sie vor, dass wir Ostereier färben müssten. Da freuten sich die Kinder aber! Aber halt! Bevor man das Ei in die Farbe tunkt, muss das Kind sagen: „Ich lege das Ei in die blaue Farbe.“ Vorher durfte es nichts tun. So nuschelte es mir auf Deutsch nach. Ich überlege, ob es ein Wort für das Gegenteil von Lerneifer gibt.

Ich begegnete alsbald der Nanny, die für das Baby eingestellt worden war, um mit ihm Buchstabensuppe zu kochen, und das Alphabet in allen Ausführungen abzuleiern. Alles, was das Baby umgab, war mit Buchstaben und Zahlen bestickt.

Ich solidarisierte mich mit den Kindern, wenn sich die Mutter im Wandschrank versteckt hatte, um den Lektionen zu lauschen, sich dummerweise durch Geräusche bemerkbar machte. Da paukte ich mit den Kleinen Gegenteilwörter. War die Herrin weg, ging’s ums Vergnügen. Das lustigste deutsche Wort? „Purzelbaum!“ Das musste man ausprobieren. ,,Zicke-zacke, Hühnerkacke!" Was heißt denn das? Die Kinder wollten es genau wissen. ,,Zic-zääc! Chicken pooo!“ Sie sahen, dass ich nicht ganz verblödet zu sein schien.

Immerhin hatte die Herrin mir vor meiner Ankunft in einer E-Mail geschrieben, dass ich wie alle anderen Sprachlehrer vorgeben müsste, kein Wort Englisch sprechen zu können. Was sollten die Kinder denken? „Hey, die deutsche Tante lebt seit mehr als zwei Jahren hier und spricht kein Englisch. Aber wir sollen von einer wie der Sprachen lernen, deren Länder wir nicht mal vom Namen her kennen. Wo liegt denn dieses Deutschland?“

Die Mutter erwischte uns Tage später beim Englischreden - und rastete aus. Ich sollte den Jungs auf Deutsch sagen, wie man die Ostereier ins Wasser legt, und sie sollten nachsprechen. Die Söhne protestierten, und der Älteste rannte davon.

Es stellte sich heraus, dass die Mutter ein Jahr älter als ich war. Sie sah um Jahre jünger aus. Als ich im Obergeschoss des Hauses herumlief, um einen ausgebüxten Lehrling aufzuspüren, entdeckte ich an den Wänden Aktzeichnungen. Da eilte die Mutter herbei und deutete mein Interesse falsch. Das galt keinem Kunstwerk. Ihr Mann sei Schönheitschirurg und möge deshalb Bilder von Körpern. ,,Oh ja, so naheliegend." Das erklärte ihr fast jugendliches Aussehen. Arbeit am lebenden Objekt.

Der Junge hatte sich unter dem Bett versteckt. Ich setzte mich auf die Matratze und wippte mit den Füßen. „Nooo!“, schrie Christian: "I don t want to learn German! No. No.“ Es eilte die Nanny zu Hilfe. Der Kleine wurde panisch. Warum so eine Angst vor einem Kindermädchen? „Komm´ sofort da raus! Du weißt, was sonst passieren wird.“ Da stand Christian vor uns und heulte bitterlich: „Nicht mein Spielzeug wegnehmen. Bitte nicht …“ Die garstige Nanny: ,,Ab nach unten mit dir! Deutsch lernen!“

Man könnte denken, dass sich das stressige Lernprogramm nur auf die Stunden bezog, in denen wir vor Ort waren. Den wichtigtuerischen Berichten der Mutter zufolge, ging es immerzu darum, kleine Lerneinheiten einzuschieben. Nichts ging ohne Fragen der Mutter nach Vokabeln. Die Kinder durften abends kein Bad nehmen, ohne der Mutter Körperteile auf Französisch aufzusagen. Jambes. Beine. Mains. Hände.

Schaute man sich in den Zimmern der Kinder um, gab es dort nicht die üblichen Spielsachen. Kram war reichlich vorhanden. Aber dort lagen Lernspielzeuge. Bücher gab es in dreisprachiger Ausführung. Dadurch verloren die schönen Kindergeschichten an Reiz, wenn auf die „drei kleinen Schweinchen“ noch „The three little pigs“ und „Les trois petites cochons“ folgten. Mir reichte es langsam. Ich ging.

Mir war nicht klar, ob der Eifer allein in der Mutter steckte. Der Vater, der mich manchmal zur Bahnstation brachte, erzählte, dass er morgens um vier Uhr zum Tennisspielen fahre, um vor der Arbeit Sport zu treiben. Bei der Mutter schien Leistungserbringung Lebensinhalt zu sein. Die Rolle als Hausfrau an der Seite eines Arztes hatte mangels Armut keine Bedeutung.

Zu Beginn bekam ich jeden Tag einen ausgefeilten Arbeitsplan für die kleinen Bildungssklaven. Was darauf stand, hätte als Pensum für eine Woche gereicht, sollte an einem Nachmittag geschafft werden. Auf das Lernen folgte ein Test. Während des Abfragens bekam jeder ein Häkchen auf dem Papier. Das Papier musste bei der Kontrollversessenen abgegeben werden, was ich einmal angeblich vergaß. Der Zettel lag im Auto, und die Schöngeschnipselte guckte mich panisch an. Ich: „Oh, das haben wir ganz vergessen.“ Ich gab ihr das Papier, stieg aus und ging zum Gleis am Bahnhof. Fortan schlich sie herum, um den Kontrollbogen möglichst bald in die Finger zu kriegen. Darauf standen Kreuzchen neben der Aufgabe, Vergangenheitsformen zu lernen. Die kannte die Mutter selbst nicht. Also bestand nicht die Gefahr der Überprüfung.

Die Kinder und ich zogen zum See und taten der Dame kund, wie wild und erfolgreich wir gelernt hätten. Natürlich petzten die Jungs nicht. Allerdings hatte ich, als wir am See waren vermutet, dass die Mutter uns heimlich gefolgt sein könnte, in einem Busch saß und lauschte. Einmal hatte sie das Kindermädchen zur Spionin gemacht. Als ich mit den Jungs auf dem Spielplatz gewesen war, kam sie mit dem Baby dazu, hielt sich mit Abstand dort auf und übte mit dem Winzling Buchstaben des Alphabets. Später bemerkte ich, dass sie der Mutter berichtet hatte, was bei unserer Lektion herumgekommen war. Bei meinem nächsten Besuch eine Woche später wirkte die Mutter angespannt und nervös, als sie mich von der Station abholte. Sie sagte, unsere Deutschstunde könne nicht sofort beginnen, weil die Kinder bei den Nachbarn seien.

Das schien sie sehr zu ärgern, weil wir dadurch wertvolle Zeit verlieren würden. Zeit wurde nur in der Kategorie „Lernen“ gemessen. Fand das nicht statt, stand die Zeit einfach still. Für sie war das unerträglich. Deshalb lernte ich noch ein anderes Anwesen im Park kennen.

Dort schien die Situation ähnlich zu sein. Während die Kinder herumrannten und eine Art Spiel ins Leben zu rufen versuchten, rannten drei Angestellte hinterher, die mir als Sprachlehrer für Russisch, Französisch und Spanisch vorgestellt wurden und wie selbstverständlich alle kein Englisch sprachen. Das versicherte mir die Mutter: „So wie du!“, sprach sie mit einem Augenzwinkern. Sie wies mich an, mich am seltsamen Herumgerenne zu beteiligen, und Deutsch mit ihnen zu sprechen.

Die Kinder hatten sich einen fahrbaren Untersatz geschnappt und fuhren auf dem Anwesen herum. Die Mutter befahl, ich solle hinterherlaufen und Aufmunterndes auf Deutsch zurufen. Sie hatte dafür eine Liste vorbereitet.

Das war mein letzter Besuch im Lerngehege, zumal mit der Aussicht, dass die Kinder einen anderen Deutschlehrer bekommen würden, der strenger sein würde als ich.

Bei meinem ersten Besuch hatte sie mir berichtet, die Familie sei im Sommerurlaub in Kolumbien gewesen. In selben Satz erwähnte sie, dass die beiden Jungen dort eine Sprachschule besucht hätten, in der sie morgens bis abends unterbracht gewesen waren. Sie konnten das Land nicht kennenlernen, waren nirgendwo sonst gewesen als in dieser Sprachschule.

Hey Guys

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