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Es braucht manchmal nur diesen einen bewussten Atemzug, um in die Bewusstheit zu kommen, oder wie Eckhart Tolle es ausdrückt:

»EIN BEWUSSTER ATEMZUG … EIN UND AUS … IST MEDITATION.«

Genauso wie durch Meditation ist auch durch bewusstes Atmen möglich, dass wir ein wenig Abstand bekommen zu unseren Identifikationen. Der Atem schafft es, dass wir unsere Gefühle besser ausbalancieren können, und er optimiert auf vielfältige Art und Weise unsere körperlichen Funktionen. Über den Atem können wir außerdem unsere Leistungsfähigkeit, oder wie im Falle von Ganesha dargestellt, unsere Entscheidungsfähigkeit steigern.

Bis mir das so bewusst wurde, hat es allerdings etwas gedauert. AUF MEINEM WEG ZUR YOGALEHRERIN WAR ICH ZUERST NUR AUF DIE KÖRPERLICHEN HALTUNGEN FOKUSSIERT. Die Yogahaltungen, die sogenannten Asanas, haben mich komplett gefesselt, vor allem dadurch, dass sie körperlich und geistig herausfordernd und anstrengend waren und somit meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zogen.

Als ich anfing, Yoga zu praktizieren, war ich Ende zwanzig, und mein Anspruch war damals, mich vor allem körperlich zu spüren. Ich nutzte Yoga für mich also als eine Art Sport. DIE AUFMERKSAMKEIT AUF DEN ATEM UND BESTIMMTE ATEMTECHNIKEN WURDEN NATÜRLICH DABEI AUCH UNTERRICHTET, ABER ICH MASS DEM NICHT SO VIEL BEDEUTUNG BEI. Im Yoga erlernten wir eine bestimmte Form der Atmung, die wir während der körperlichen Übungen praktizieren sollten, die sogenannte Ujjayi-Atmung. (Sie wird an Tag 7 deines Atemprogramms näher erklärt.)

Dass es einen Unterschied macht, mit der Ujjayi-Atmung zu üben, habe ich zum ersten Mal während meiner Yoga-Lehrausbildung bemerkt. Die Ausbildung fand in Berlin statt, und wenn ich zu Hause in Hamburg zwischen den Unterrichtseinheiten bei meinen Lehrern auf einmal meinen Fokus nur noch auf die körperliche Ausführung der Yogahaltungen setzte und den Atem komplett außer Acht ließ, passierte in den sechs Wochen zwischen den Trainingseinheiten in Berlin genau genommen gar nichts. Womit ich ausdrücken will, dass meine Praxis sich trotz täglichen intensiven Übens in keiner Weise weiterentwickelt hat. Ich trat auf der Stelle. Zurück in der Yogaausbildung in Berlin wurde mir dann nach einer Weile klar, was gefehlt hatte: der bewusste Ujjayi-Atem, der jede Bewegung anführt. ALS ICH MIT DIESER ERKENNTNIS WEITERPRAKTIZIERTE UND BEWUSSTER ATMETE, WÄHREND ICH ÜBTE, HAT SICH MEINE YOGAPRAXIS SOFORT WIEDER WEITER GEWANDELT. ICH BEKAM MEHR KRAFT, AUSDAUER UND FLEXIBILITÄT.

Der amerikanische Ernährungs- und Fitnesscoach John Douillard führte in den 1990er-Jahren ein Experiment mit Leistungssportlern und -sportlerinnen durch: Die Athleten sollten im ersten Teil des Experiments während der physischen Anstrengung durch den Mund atmen. Sie nahmen nach einigen Minuten eine erhöhte Atemfrequenz wahr und hatten Schwierigkeiten bei der Überwindung der physischen Herausforderung. Im zweiten Teil des Experiments durften die Athleten nur durch die Nase atmen. Hier ergaben die Messungen, dass sie sowohl eine niedrigere Herz- und Atemfrequenz als auch mehr Kraft hatten, um die Aufgabe zu meistern.1


Die Art und Weise, wie wir atmen, macht also einen enormen Unterschied. Und das gilt nicht nur in Kombination mit Bewegung, wie etwa beim Sport und Yoga, sondern es ist auch in unserem Alltag von Bedeutung. Gesunde Menschen benutzen in der Regel sowohl ihre Nase als auch ihren Mund, um zu atmen. Letzteres ist vor allem wichtig, wenn die Nase durch eine Infektion verstopft ist oder wenn man durch physische Anstrengung kurzzeitig mehr Sauerstoff braucht. Im Normalfall atmet man kurzzeitig auch beim Sprechen oder Essen durch den Mund, was vollkommen in Ordnung ist.

MEDIZINER SIND SICH JEDOCH WEITGEHEND DARIN EINIG, DASS DAS DAUERHAFTE ATMEN DURCH DEN MUND NICHT GUT IST. Das liegt vor allem daran, dass bei der Mundatmung die einströmende Luft nicht so aufbereitet wird, wie das beim Atem durch die Nase der Fall ist. Schadstoffe, Krankheitserreger oder kalte Luft können so ungehindert bis in die Lunge vordringen. Chronische Mundatmung kann entsprechend zu trockenem Mund, schlechtem Atem, chronischer Müdigkeit, Asthma und Allergien führen. Wer nachts durch den Mund atmet, leidet zudem meist an Schnarchen und Schlafapnoe (kurzzeitiger Atemstillstand während des Schlafs), was zu Bluthochdruck, chronischem Stress und Herzkrankheiten führen kann.2

WER SICH BEREITS ALS KIND DIE MUNDATMUNG ANGEWÖHNT, KANN DURCH DIE NICHT GENUTZTE NASENATMUNG SOGAR GESICHTSDEFORMATIONEN DURCH EINE VERÄNDERTE ENTWICKLUNG DER KNOCHENSTRUKTUR UND MUSKULATUR IM GESICHT ERFAHREN. Dazu gehören ein fliehendes Kinn, ein sehr schmales Gesicht, schiefe Nase, missgebildete Zähne und eine schlechte Körperhaltung. Diese langfristigen Folgen verdeutlichen recht eindrücklich, welch große Bedeutung die richtige Atmung hat.

In dem Moment, in dem wir den Mund schließen, unsere Zunge am oberen Gaumen lassen und durch die Nase atmen, sinkt unser Blutdruck. Stresshormone werden reduziert.

ABER DIE NASENATMUNG HAT NOCH WEITERE VORTEILE:

•Die Nase wärmt die Luft auf Körpertemperatur auf, bevor sie in die Lunge kommt und wirkt so wie eine eigene Klimaanlage.

•Die Nase wirkt wie ein Reinigungsfilter, denn die sich in der Nasenschleimhaut befindlichen Flimmerhärchen fangen kleine Schmutzteilchen, Keime und sogar Krankheitserreger ab.

•Die Nase befeuchtet die Luft, um Trockenheit in den Bronchien und Lungen zu vermeiden.

•Nasenatmung erhöht den Sauerstoffgehalt im Blut, hilft den Stoffwechsel anzukurbeln und so Gewicht zu reduzieren.

Doch nicht nur das richtige Atmen durch die Nase will gelernt sein, auch unserer Atemvolumen ist entscheidend. WIR ATMEN MEIST VIEL ZU VIEL UND ZU FLACH!

Als Erwachsene nutzen wir dabei häufig nur ca. ein Sechstel unseres möglichen Atemvolumens. Statt der 500 Kubikzentimeter, die wir im Normalfall einatmen, könnten wir mit unseren Lungen eigentlich 3000 Kubikzentimeter Luft aufnehmen, bzw. zumindest die Lungenkapazität erhöhen.3 Aber nicht nur das: Mit einem guten Bewusstsein für den Atem könnten wir sogar lernen, die volle Atemkapazität zu nutzen, um dann insgesamt weniger atmen zu müssen.

Denn wie heißt es im Yoga so schön: Ein Yogi hält sich nicht daran, wie viele Lebensjahre ihm wohl zustehen, sondern sein Maß ist eine bestimmte Anzahl an Atemzügen, die ihm für dieses Leben gegeben wurden.

WIR WISSEN INZWISCHEN, DASS BEWUSSTES ATMEN SICH POSITIV AUF DIE GESUNDHEIT UND DIE LEBENSERWARTUNG AUSWIRKT. Und bewusstes Atmen kann man üben. Die gute Nachricht ist, dass am Atemprozess Muskeln beteiligt sind, Muskeln, die wir trainieren können, um so die Atemkapazität und das Atemvolumen zu steigern. Und genau das ist es, was ich euch unter anderem in diesem Buch und den darin enthaltenen Übungen zeigen möchte: das richtige Atmen lernen, denn das hat uns nie jemand so wirklich beigebracht, weder im Kindergarten noch in der Schule oder unsere Eltern zu Hause. Jetzt ist die Zeit dafür, und sobald wir uns etwas bewusst machen, haben wir auch die Chance, es zu 100 Prozent umzusetzen.

WIE ALLES ANFING


Aber spulen wir einmal zurück. WANN HABEN WIR EIGENTLICH ANGEFANGEN ZU ATMEN? Zu unserer Geburtsstunde, als Baby, haben wir uns sofort bemerkbar gemacht. Wahrscheinlich haben wir das mit einem Schrei getan, vielleicht war es auch eher ein Seufzen oder Jammern, aber es hat dazu geführt, dass die Lunge sich entfaltete, wir außerhalb des Mutterleibs leben können und uns selbst über den Sauerstoffaustausch am Leben halten. Es gab also diesen ersten Atemzug. Und von da an haben wir nicht mehr aufgehört zu atmen, denn das würde sehr schnell zu einem Stillstand der notwendigen Versorgung unseres Körpers führen.

Das Faszinierende ist, dass wir uns allerdings nicht ständig überlegen müssen, wann wir demnächst einatmen oder ausatmen. Atmung ist zunächst einmal etwas völlig Automatisches, um das man sich nicht zu kümmern braucht. Sie ist etwas, das eigenständig funktioniert, wie auch unser Herzschlag oder die Verdauung. All diese Funktionen werden vom autonomen Nervensystem gesteuert. Und es heißt eben deshalb autonomes Nervensystem, da darüber unsere automatisch ablaufenden innerkörperlichen Vorgänge gesteuert werden, ohne dass wir bewusst und willentlich eingreifen müssten. Darum haben wir vielleicht bisher auch nicht so viele Gedanken daran verschwendet.

DAS SPANNENDE IST NUN ABER, DASS DIE ATMUNG EIN SYSTEM UNSERES KÖRPERS IST, DAS ZWAR EINERSEITS VÖLLIG AUTOMATISCH FUNKTIONIERT, DAS WIR ANDERERSEITS ABER DENNOCH BEEINFLUSSEN KÖNNEN. Dadurch haben wir die Chance, unseren Körper und einige seiner wichtigsten Funktionen nützlich und gesundheitsfördernd zu verändern.

1) John Douillard: Body, Mind, and Sport, Harmony Books 1994.

2) Siehe dazu den Artikel „Schnarchen & Schlafapnoe – Definition und Häufigkeit“ des Deutschen Berufsverbands der Hals-Nasen-Ohrenärzte e. V. unter www.hno-aerzte-im-netz.de/krankheiten (Stand: 26.03.2021).

3) Vgl. B. K. S. Iyengar: Licht auf Pranayama, O. W. Barth 2012, S. 41.

Atem ist Verbindung

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