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Kapitel 1

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»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, meine liebe Astrid.« Julia Fürstin von Metten nahm ihre Tochter gefühlvoll, innig und ein wenig ungestüm in den Arm. Das war heute nicht irgendein Geburtstag, es war ihr achtzehnter.

Astrid konnte ab sofort ihre eigenen Wege gehen, denn auch finanziell stand ihr ab jetzt monatlich ein nicht unerheblicher Betrag – als Vorgriff auf ihr Erbe, das sie mit fünfundzwanzig Jahren antreten würde – zur Verfügung.

Julias Mann, Eckehard Fürst von Metten, der vor mehr als drei Jahren, nach kurzer Krankheit, im Alter von vierzig Jahren an Magenkrebs verstorben war, hatte es noch so verfügt.

Doch hoffte Julia natürlich – und glaubte, es auch zu wissen –, dass ihre Tochter noch lange nicht das elterliche Gut verlassen würde.

Vielleicht würde sie ja nie gehen, Platz genug bot das Gut, auch für zwei Familien, für zwei Haushalte, doch das würde allein Astrid entscheiden.

Julias und Eckehards Eltern lebten in Neuseeland, sie waren aus sehr unterschiedlichen Gründen dort ›gestrandet‹. Eckehards Vater war als Diplomat dort gewesen, und Julias Mutter hatte das Goethe-Institut in Wellington geleitet. Auch ihr Mann hatte dort eine Aufgabe gehabt und sein Golf-Handicap auf +3 verbessert, was einem ambitionierten Amateurspieler entsprach.

Nach dem Ende ihrer beruflichen Aufgaben waren sie alle in Neuseeland geblieben und waren nur einmal, nach Eckhards Tod, für etwa ein halbes Jahr zurückgekehrt.

Jetzt lebten sie dort wieder zufrieden und glücklich ein vollkommen anderes Leben, als es ihre Titel eigentlich mit sich gebracht hätten, denn Titel, Würden und Verantwortung hatten sie nach ihren beruflichen Zwängen an ihre Kinder abgetreten.

»Danke, Mama.«

Astrid lächelte ihre Mutter aus diesen dunkelblauen Augen an, die sie von ihrem Vater geerbt hatte, und wofür Julia dem Schicksal unsagbar dankbar war. Hierdurch hatte sie das Gefühl, auch heute noch in die Augen ihres Mannes blicken zu können, obwohl die Augen ihrer Tochter selbstverständlich mit ganz anderen Vorstellungen nach Leben griffen – und das war auch gut so.

»Und da war doch noch etwas? Irgendwas hab ich vergessen.«, betonte Julia dann so, als müsste sie überlegen, als wüsste sie selbst nicht genau, dass es neben dem Gratulieren an einem Geburtstag noch etwas anderes gab. Doch die vielen Lachfältchen, die schon leicht zuckten, verrieten sie. Wie immer.

»Ach, ja, dein Geschenk. Entschuldige, mein liebes Kind. Doch wo habe ich es jetzt nur?«

Julia griff in die Tasche ihrer dunkelroten Kostümjacke und tat so, als würde sie dort nach etwas suchen, nach etwas Kleinem.

»Ach, hier hab ich es.« Langsam zog sie einen Schlüssel heraus, einen Autoschlüssel. »Der Rest steht vor der Tür«, sagte sie, und auf ihrem Gesicht erschien augenblicklich dieses unsagbar warme und einnehmende Lächeln, das sich vom Haaransatz bis zur Kinnspitze ausbreitete, das Eis zum Schmelzen bringen konnte und das wohl der nachhaltigste Ausdruck ihrer inneren Freude war. Niemand konnte sich diesem Lächeln entziehen. Und niemand hatte es je gewollt – denn dieses Lächeln allein war schon ein Geschenk.

»Danke, Mama. Danke.«

Auch die umstehenden Geburtstagsgäste freuten sich mit Astrid, obwohl Gudrun Gräfin von Hessdorf, Julias ältere Schwester, selbstverständlich eine Bemerkung dazu machen musste – eine unangemessene Bemerkung, wie es aber vielleicht einer Frau entspricht, die allein lebt, weil ihr kein Mann gut genug ist.

»Ein Auto?! Ich finde, die Kinder werden heute zu sehr verwöhnt.«

Julia, die solche Bemerkungen ihrer Schwester zur Genüge kannte, antwortete, ohne dabei ihr Lächeln zu verlieren und ohne dabei ihre Tochter aus den Augen zu lassen.

»Sei froh, dass du keine Kinder hast. Ihre Wünsche und Vorstellungen vom Leben würden dir nur schlaflose Nächte bereiten.«

Und augenblicklich spürte Julia ganz leicht den Ellenbogen ihrer besten Freundin, Margitta Freifrau von Dolmen, zwischen den Rippen. Sei nicht so frech, sollte das heißen, obwohl sie natürlich gleicher Meinung war.

Auch Edeltraut Baronin von Wolfen, Julias Cousine, lächelte beifällig.

Nur Moritz Prinz von Sodendorf, Astrids Freund, interessierte dieser kleine Wortwechsel nicht, er hatte allein Augen für den Schlüssel und schien zu überlegen, was für ein Auto wohl da dranhing.

Astrid wusste es. Ihre Mutter hatte vor einigen Monaten zu viele Andeutungen gemacht. »Ich möchte mir ein neues Auto kaufen. Welche Farbe würde dir denn gefallen?« – »Vielleicht rot?« – »Rot? Na, mal sehen. Und ich denke da an einen stadttauglichen Wagen. Doch welche Autos sind stadttauglich, und welche sind dabei auch ein wenig spritzig?«

Sie hatte tatsächlich von spritzig gesprochen, eine Ausdrucksweise, die ihrer Mutter normalerweise völlig abging. Sie war keineswegs versnobt, sie wahrte nur gern die Etikette, den Anstand, die Würde. Die Distanz.

»Stadttauglich und spritzig finde ich einen Mini«, hatte Astrid geantwortet. Das war jetzt drei Monate her, und seitdem hatte ihre Mutter nie wieder ein Wort über das Auto verloren. Astrid hatte auch nie mit jemandem darüber gesprochen. Sie konnte eins und eins zusammenzählen, und sie wollte ihrer Mutter die Überraschung und die Freude nicht verderben.

Also stand heute, fast sicher, ein roter Mini vor der Tür, über den Astrid sich sehr freute – doch musste der jetzt einen Moment warten. Ebenso musste Moritz seine Neugier ein wenig zügeln, denn Astrid hatte auch eine Überraschung – eine Überraschung für ihre Mutter.

»Liebe Mama«, begann sie zur Verwunderung ihrer Mutter sowie der anderen Gäste – vielleicht mit Ausnahme von Ferdinand Markgraf von Griesfelden, einem Jugendfreund ihres Vaters und dem Mann, der heute ihrer Mutter stets zur Seite stand und sie gern auf Händen tragen würde.

»Liebe Mama«, wiederholte Astrid die ersten beiden Worte, denn endlich waren alle Anwesenden still, schienen begriffen zu haben, dass es eine Ansprache geben würde, und sie lauschten.

»Ich bin jetzt volljährig und für mein Leben selbst verantwortlich. Du musst und kannst mir nun nicht mehr sagen, was ich tun und lassen soll.« Schalkhaft blickte sie ihre Mutter an. »Ich hoffe, du wirst das auch in den nächsten Wochen und Monaten irgendwie schaffen. Und um dir dabei zu helfen, endlich mal wieder an dein eigenes Leben zu denken, habe ich hier ein paar Kleinigkeiten für dich, die einen Anfang bilden sollen.« Astrid ließ sich, fast ein wenig zu demonstrativ, einen Umschlag von Ferdinand anreichen, öffnete ihn und zog nach und nach Eintrittskarten heraus. »Das sind zwei Karten für ein Konzert in der Konzerthalle von Lüneburg – Brahms, Symphonie Nr. 3 F-Dur op. 90. Eine Sonntagsmatinee, die magst du doch so gern. Und das hier sind zwei Karten für die Oper in Hamburg – Carmina Burana von Carl Orff – und dann habe ich noch zwei Karten für eine Ausstellung in Worpswede.

Gern hätte ich dir auch noch zwei Karten für ›Schwanensee‹ dazugepackt, aber ich weiß, dass du Ballett nicht so magst, obwohl Ferdinand dich sehr gern dorthin begleitet hätte. Und deshalb, vielleicht zur ›Strafe‹, wenn ich das so sagen darf ...« Astrid lächelte ihre Mutter spitzbübisch an. »Eine Karte für einen Schnupperkurs in einem wirklich guten und noblen Fitnessstudio in Nenndorf. Nur für dich allein.«

Julia schüttelte den Kopf und blickte auf die Karten, die sie jetzt in Händen hielt – sie war sprachlos. Die anderen Anwesenden auch. Selbst Gudrun fiel kein abfälliger Kommentar dazu ein. Ferdinand, mit einem leichten Stoß von Astrid aufgefordert, ging dann endlich die zwei Schritte auf Julia zu und nahm die Hand, in der sie die Eintrittskarten hielt.

»Sehr gern begleite ich dich zu all diesen Veranstaltungen. Lediglich dieses Fitnessstudio wollte ich mir ersparen.«

Astrid verzog das Gesicht. Dieser Mann lernt es nie, dachte sie. Warum hatte er diese letzte Äußerung nicht für sich behalten können. Jetzt weiß Mama doch sofort, wie das Ganze gemeint ist.

Sie sollte recht behalten.

»Ich danke dir, meine liebe Tochter. Und ich danke auch dir, mein lieber Ferdinand.

Aber wem ich jeweils die zweite Karte zuteilwerden lasse, darf ich noch selbst entscheiden, oder?«

Astrid nickte und Ferdinand nickte auch, schien es aber nicht zu verstehen – natürlich nicht.

Ferdinand Markgraf von Griesfelden war ein netter Kerl, sah eigentlich gut aus, war schlank und mit vierundvierzig Jahren im besten Alter, doch die braunen Augen wirkten oft etwas ängstlich, fast immer abwehrend und weltfremd, was meist durch die schmal werdenden Lippen noch hervorgehoben wurde. Langsam begriff sogar Astrid, dieses junge Küken, warum er, der Markgraf, vor fünf Jahren von seiner Frau für einen Yogalehrer eingetauscht worden war – mit dem die Exgattin wohl jetzt auf Mallorca lebte. Ob glücklich oder nicht, das wusste niemand. Lediglich den Tausch, Markgraf gegen Yogalehrer, hatten damals alle sensationslüstern zur Kenntnis genommen.

Aber Ferdinand war der Richtige für ihre Mutter, darüber waren sich alle im Klaren, alle, außer vielleicht ihre Mutter selbst und Margitta, die beste Freundin ihrer Mutter, die selbst seit etwa acht Jahren mit einem Chirurgen in ›wilder Ehe‹ lebte. Beide waren ein Mal geschieden und wollten sicher nicht ein weiteres Mal heiraten. Wozu auch? Es schien ihnen gutzugehen, jedenfalls sah Margitta mit ihren fünfundvierzig bestimmt fünfzehn Jahre jünger aus als Gudrun, die gerade einmal zwei Jahre älter war als sie. Leider sah sie auch jünger aus als Astrids Mutter, die demnächst erst einundvierzig werden würde, leider auch deshalb, weil Julia Fürstin von Metten vor dem unerwarteten Tod ihres Mannes immer mindestens sieben, acht Jahre jünger ausgesehen hatte, als sie gewesen war. Immer.

»Natürlich, Mama, du entscheidest selbst. Ferdinand wollte lediglich zum Ausdruck bringen, dass es ihn glücklich machen würde, diese schönen Stunden mit dir teilen zu dürfen. Und ins Fitnessstudio geht man doch sowieso eher allein.«

*

Julia hatte sie längst durchschaut, sah Astrid einen langen Augenblick amüsiert an und schwenkte schließlich den Blick zu Margitta.

»Hättest du nicht auch Lust? Brahms ist toll und Orff auch. Vielleicht hättest du ja sogar Lust, mich ins Fitnessstudio zu begleiten?«

»Julia, wohin du willst. Aber ich denke, heute ist der Geburtstag deiner Tochter ... und nicht irgendeiner ... und den wollen wir jetzt erst einmal gebührend feiern.

Außerdem will ich endlich dieses Auto sehen, Champagner trinken, und ich hoffe, ihr habt auch an ein kaltes Buffet gedacht.«

Alle lachten. Gudrun verzog kurz das Gesicht, unterließ aber eine Bemerkung, denn Margitta war sie nicht gewachsen, das hatte sie schon so manches Mal leidvoll erfahren müssen.

Julia winkte unauffällig nach Norma und Olivia, den beiden Hausangestellten, die augenblicklich den imposanten Wohnraum des Gutshauses durchschritten, Champagnergläser auf zwei Tabletts vor sich hertrugen und dafür sorgten, dass die Gäste das Geburtstagskind hochleben lassen konnten.

Das Buffet, das nebenan im Speisesaal vom Catering-Service aufgebaut wurde, musste tatsächlich noch einen Moment warten, denn nach dem Champagner war nicht nur der neue Mini zu bestaunen, es warteten auch noch die Geschenke der anderen Geburtstagsgäste auf Astrid.

Wieder einmal war es Margitta gewesen, die mit ihrer offenherzigen Art eine quälende Situation gerettet hatte.

Sie war Julia tatsächlich eine wirkliche Freundin.

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