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Kapitel 3

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Margitta wollte dann doch nicht mitgehen, und Astrid ließ einfach keine Ruhe, also war heute, Mittwoch, der Tag, an dem Julia endlich den Gutschein für das Fitnessstudio einlösen würde.

Freudlos hatte sie das Studio betreten, war aber ausgesprochen nett begrüßt worden, obwohl hier niemand wusste, wer sie war.

Das werde ich ganz sicher auch niemandem sagen, dachte Julia. In einer Stunde bin ich sowieso wieder weg.

Alexander, ein zuvorkommender Mitarbeiter des Studios, irgendwo Anfang dreißig, vielleicht ein Meter neunzig und damit beinahe einen Kopf größer als Julia, durchtrainiert, kein Fettpölsterchen, in weißem Muskelshirt und grauer Jogginghose, hatte sie herumgeführt. Er hatte ihr den Fitnessbereich gezeigt, anschließend die Saunen und das Schwimmbecken mit dem angrenzenden Ruheraum, der über weit geöffnete Glasschiebetüren auf eine Wiese führte, auf der fünfzehn oder zwanzig Sonnenliegen verstreut unter riesigen Sonnenschirmen auf Erholungssuchende warteten. Durch eine hohe, blickdichte Hecke war dieser Bereich von der Außenwelt gänzlich abgegrenzt und ließ die Anlage, einer verträumten Oase gleich, im Sonnenlicht dahindösen.

Lediglich zwei Liegen, nicht unter Sonnenschirmen, waren zurzeit von Frauen in Julias Alter belegt. Ein Fingerzeig, der Julia keineswegs umstimmte.

In einer Stunde werde ich wieder in meinem Auto sitzen – und damit basta. Julia hatte diese Entscheidung längst getroffen, vielleicht sogar schon am Geburtstag ihrer Tochter.

Alexander erklärte ihr ein paar Geräte – wie man sie benutzen sollte und welche Muskeln dadurch trainiert würden. Julia hörte kaum zu. Erst nachdem er ihr zwei Geräte nahegelegt hatte, an denen sie, nach dem Aufwärmen auf dem Ergometer, etwas für den Po-Bereich und den Bauch tun konnte, hatte sie wieder zugehört und wirkte innerlich ein wenig ungehalten. Sie hatte doch absichtlich ein extraweites schwarzes Sweatshirt zu den lilafarbenen Leggins gewählt, was offensichtlich völlig nutzlos war. Ihr Po, rund und sehr weiblich, der ihr gefiel, wie er war, war nicht bemerkt worden, es war ihr Bauch, der keineswegs riesig war, der aber mehr oder weniger unverhüllt, schlichtweg entblößt zu sein schien.

Aber aus Kleidergröße sechsunddreißig war im letzten Winter doch lediglich Größe achtunddreißig geworden, dachte Julia verzagt und war gleichzeitig auch bestürzt. Männern würde diese Veränderung, eine Kleidergröße, an sich selbst wohl kaum auffallen. Sie ziehen den Bauch ein, und alles ist gut.

Aber Alexander empfahl ihr, etwas für, genauer gesagt, gegen den Bauch zu tun.

Doch sie beruhigte sich – warum aufregen? In einer Stunde bin ich sowieso wieder weg.

Julia bedankte sich bei Alexander freundlich für den ersten Überblick, versprach, sich bei Fragen unbedingt an ihn zu wenden, und setzte sich auf eins dieser Ergometer. Fünfzehn Minuten hatte er empfohlen und angemahnt, den Puls keinesfalls über einhundertfünfundzwanzig kommen zu lassen. Nur den Körper, nur die Muskulatur aufwärmen, hatte er gesagt.

Bedächtig trat sie in die Pedalen und blickte durch eine andere große Glasscheibe wieder auf die Liegewiese. Die beiden Frauen waren in der Zwischenzeit verschwunden. Nun waren sämtliche Liegen verwaist, und die Oase schien still zu schlafen. Und das erste Mal vernahm Julia leise Musik, irgendwoher aus versteckten Lautsprechern. Esoterische Klänge, wie sie glaubte.

Julia lächelte, über sich, über diese merkwürdige Begebenheit, denn ihre innere Einstellung war dieser ganzen Sache hier, diesem Fitness, keineswegs gewogen – und würde es auch nie werden.

Was hast du dir nur dabei gedacht, Astrid?, fragte sie lautlos ihre Tochter, verlor sich in diesem Gedanken und trat ein wenig schneller in die Pedalen – in der Hoffnung, die Zeit damit überlisten zu können.

Dass in der Zwischenzeit neben ihr ein junger Mann seine Aufwärmphase begonnen und er Julia mit einem freundlichen »Hallo« begrüßt hatte, war ihr völlig entgangen. Erst als die Digitaluhr auf dem Display des Ergometers 15:00 Minuten anzeigte und sie endlich von dem Sattel rutschen durfte, fiel ihr Blick das erste Mal auf den jungen Mann.

»Hallo, na, wieder anwesend?«, sagte er lächelnd, schien aber keine Antwort zu erwarten.

Wieder anwesend? Kopfschüttelnd und wortlos wendete Julia sich rasch ab. Sie suchte kein Gespräch, schon gar nicht mit einem jungen Mann, der noch jünger schien als dieser Alexander und offensichtlich mindestens genauso gut trainiert war wie er.

Sie durchquerte den Saal, in dem die unterschiedlichsten Trainingsgeräte in Weiß, Schwarz und Chromfarben glänzten, bis sie endlich vor dieser Vorrichtung stand, die angeblich gut für ihre Bauchmuskulatur sein sollte.

Was hatte er gesagt? Wo konnte sie die Gewichte und damit die Trainingsstärke verändern?

Hilflos blickte Julia zur Rezeption, doch dieser Alexander war nicht zu sehen. Vielleicht wäre das jetzt der richtige Zeitpunkt, um zu verschwinden.

Immerhin kann ich sagen, dass ich hier gewesen bin, dachte sie.

»Kann ich dir irgendwie behilflich sein?«, vernahm Julia plötzlich eine Stimme.

Dir?, wiederholte Julia dieses eine Wort laut im Kopf. Dir?

Julia war entsetzt, drehte sich um und blickte in die Richtung, aus der die Frage, dieses Wort, diese unverschämte Anrede an sie gerichtet worden war. Mit welcher Dreistigkeit duzt man mich hier?, stand ihr ins Gesicht geschrieben. Nicht einmal Alexander hatte sich das getraut, war distanziert beim Sie geblieben.

Es war wieder dieser junge Mann vom Ergometer, der sie lächelnd aus graublauen Augen ansah. Irgendwie unglaublich und frech, aber irgendwie auch offenherzig und sympathisch, das musste sie zugeben.

»Wissen Sie, wie das hier geht?«, antwortete Julia schließlich, wobei sie die Distanz deutlich betonte.

Doch schien ihn das keineswegs zu beeindrucken, geschweige denn zu irritieren.

»Hat Alex dir gesagt, dass du was für deinen Bauch tun sollst?«

Diese Ungehörigkeit machte Julia beinahe sprachlos. Ist mein Bauch für jedermann so deutlich sichtbar?, fragte sie sich und wurde einen kurzen Moment unsicher. Aber dann ging sie tatsächlich auf seine Frage ein – sie verstand sich selbst nicht mehr.

»Er hat gesagt, ich soll ...«

Doch noch bevor sie ihren Gedanken zu Ende bringen konnte, nahm dieser freche Kerl ihre Hand, hob sie hoch und sagte: »Dreh dich doch mal ... bitte.«

Und tatsächlich, Julia drehte sich, an der Hand dieses Kerls, um die eigene Achse. Sie machte eine Pirouette. Und nun war sie fürwahr fassungslos, weniger über diesen dreisten Kerl, als viel mehr über sich selbst. Machte sie sich gerade zum ... zum ... wie hieß das noch gleich? Ach ja, zum Tanzbären? Zur Tanzbärin?

Aber diese Frechheit hatte ihren Höhepunkt noch lange nicht erreicht.

»Ich finde, du hast eine tolle Figur. Und dein Bauch ...« Er ließ ihre Hand los und strich ihr wie zufällig und keineswegs anzüglich, einfach nur eine Tatsache feststellend, über ihr schwarzes Sweatshirt und damit über den Bauch. »Ich finde, dein Bauch ist doch ziemlich klein und, wenn du mich fragst, einfach zauberhaft. Machst du Yoga?«

Julia nickte nur. Seine Hand auf ihrem Bauch war dreist und frech, und sie glaubte ihren Gedanken, ihren auflebenden Gefühlen kaum selbst, denn ... seine Hand war auch irgendwie angenehm, normal. Wohltuend.

Noch kein Mann hatte Julia so behandelt, hatte es gewagt, sie so zu behandeln – nicht einmal Eckehard. Julia Fürstin von Metten galt als unnahbar, weithin als distanziert, ihre Schwester hielt sie sogar für unterkühlt – nett ausgedrückt. Und eben hatte sie eine Pirouette gedreht und für einen kurzen Moment hatte die Hand dieses dreisten jungen Mannes auf ihrem Bauch gelegen, und es hatte sich gut angefühlt, einfach nur gut.

»Machst du hier so eine Art Schnupperstunde?«

Wieder nickte Julia nur. Ihre Gedanken hörten nicht auf, sich zu drehen, waren völlig derangiert, dachten immer wieder nur an seine Hand auf ihrem Bauch. An diese Frechheit und an dieses ... dieses angenehme Behagen, das sie für eine Sekunde durchströmt hatte.

»Also, ich denke ...«, fuhr er fort und wirkte dabei völlig entspannt und irgendwie ehrlich. »Mach dein Yoga und zweimal in der Woche einen anständigen Waldlauf, und dein Hausarzt kann seine Praxis dichtmachen. Und ein Fitnessstudio brauchst du auch nicht.«

»Und du meinst wirklich, mehr ist nicht erforderlich?«

Julia hatte ihre Distanz verloren, war selbst auch zum Du übergegangen, und sie war froh, zufrieden und geradewegs erleichtert, allein und unerkannt hier zu sein.

Der junge Mann nickte nur. Zustimmend. »Wenn du willst ... Kennst du den Garstetter Wald?«

Natürlich kannte Julia den Garstetter Wald, denn an dessen Rand lag ihr Gut, ihr Zuhause.

»Ja, warum?«

»Samstags laufe ich da immer. Um zehn Uhr. Vom Parkplatz aus. Wenn du also Lust und Zeit hast? Du bist herzlich eingeladen.«

Julia nickte. Nicht zustimmend, eher nachdenklich.

»Ich überleg mir das.«

»Tu das. Ach, wie heißt du eigentlich?«

»Julia.«

»Ich bin Niklas.«

Er reichte ihr die Hand, förmlich und distanziert. Fast wirkte diese Geste ein wenig grotesk, nachdem diese Hand doch Augenblicke vorher schon prüfend über ihren Bauch gestrichen war.

»Vielleicht dann bis Samstag. Ach so, soll ich dir das Gerät hier noch erklären?«

Julia schüttelte den Kopf, und er lächelte wieder unaufdringlich.

»Ich muss jetzt an mein Foltergerät. Mein Rücken. Und das schon in meinem Alter. Schrecklich. Vielleicht dann bis Samstag«, sagte er freundlich.

Und weg war er.

Weltvergessen stand Julia noch eine Weile so da und konnte noch immer nicht begreifen, was hier eben geschehen war. Sie, die Unnahbare, die Zurückhaltende, die personifizierte Distanz, war wie ... wie Dornröschen aus einem langen Schlaf geweckt worden. Zwar nur für Sekunden – aber wie sehr hallten diese Sekunden in ihr nach.

Ohne sich weiter um irgendwelche Übungen zu kümmern, ging Julia zur Rezeption. Alexander war in der Zwischenzeit wieder aufgetaucht. Sie bedankte sich für seine Bemühungen und sagte freundlich: »Ich werde mir das alles einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen.«

Höflich nahm sie noch einen Prospekt entgegen, ging in die Umkleidekabine, packte ihre Sachen - duschen würde sie gleich zu Hause - und verließ, wieder ganz die distanzierte Fürstin, das Fitnessstudio.

Doch diese eine Stunde, die merkwürdige Begegnung mit diesem Niklas trug sie wie eingemeißelt im Gedächtnis.

Am Samstag um zehn?, ging ihr sein Angebot durch den Kopf.

Natürlich nicht!

Sie setzte sich in ihren nachtblauen Mercedes und fuhr nach Hause.

LiebesMut

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