Читать книгу Es ist, wie es ist - ich bin, wie ich bin - Axel Dickschat - Страница 9

Kapitel 2

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Wieso fallen eigentlich bestimmte Dinge nicht auf?

Es mag sein, dass sich einige Leserinnen und Leser fragen, warum bestimmte Behinderungen, Handikaps und Krankheiten nicht auffallen.

Wenn jemand motorisch eingeschränkt ist, also in einem Rollstuhl sitzt oder nicht greifen kann, dann ist die Sachlage relativ klar. Bis auf die engsten Angehörigen weiß zwar von außen niemand, welche Behinderung die Person hat. Eines steht aber relativ fest, die Person kann nicht gehen bzw. nicht greifen. Also ist die Umwelt aufmerksam und kann Hilfe anbieten, wenn sie es möchte.

Bei sensorisch eingeschränkten Menschen ist es anders: sie fallen erst einmal nicht auf – sie müssen sich, so wie ich, jedes Mal und bei allen möglichen Gelegenheiten „outen“.

Wenn ich beispielsweise in ein Hotel einchecke, dann legt man mir zunächst einen Meldebogen vor, den ich auszufüllen habe. An dieser Stelle sollten Sie einmal die Rezeptionistin beobachten, wenn ich in dem Feld „Post-leitzahl“ mein Geburtsdatum und in dem Feld „Name“ meine Straße eintrage, weil ich die Felder in dem Formular nicht lesen kann. In diesem Moment kann man in ihrem Gesicht ablesen: oh je … was haben wir denn jetzt für einen Gast!?

Wir alle unterliegen bestimmten Normen und Regeln, was das Aussehen, die Verhaltensweise und die sogenannte soziale Kompetenz, also den Umgang mit Mitmenschen, angeht. Wer auch immer diese Regeln festgelegt hat, feststeht: es gibt zwar eine gewisse Toleranz, wird diese jedoch überschritten, stimmt etwas mit dieser Person nicht, und man wird automatisch in eine bestimmte Schublade gesteckt. Hier möchte niemand von uns sein und jeder versucht, alles zu tun, um es zu vermeiden. Also entwickelt jeder, der nicht in dieses Schema beziehungsweise Raster passt, einen gewissen Mechanismus, um sich davor zu schützen.

Vor wenigen Jahren hatte ich die große Freude, eine wundervolle Frau kennenzulernen, die in der Zwischenzeit die 70er-Grenze überschritten hat. Auch wenn wir uns heute – leider – nur sehr selten sehen, so darf ich sie doch als „Freundin“ bezeichnen. Zu ihrer aktiven Zeit war sie Konrektorin einer Schule für geistig behinderte Kinder. Heute heißt es wohl korrekterweise „kognitiv eingeschränkte Schüler“. Meine Freundin trägt zwei Hörgeräte, weil sie beidseitig hörbehindert ist. Natürlich habe ich sie gefragt, wie das möglich ist. Soweit ich informiert bin, muss man, um Lehrerin werden zu wollen, vorher studiert haben. Wie geht das, wenn man nicht gut hören kann?

Sie erzählte mir, dass in ihrer gesamten Schulzeit die Hörbehinderung nicht erkannt worden war. In der Volksschule hatte sie sich immer so gesetzt, dass sie den Lehrern von den Lippen ablesen konnte. Drehten sie sich um, weil beispielsweise etwas an der Tafel geschrieben wurde, hatte sie sich die Inhalte selber zusammengelegt. Das passte natürlich nicht immer. Aber bis zu diesem Zeitpunkt war es in Ordnung. Als sie dann in die weiterführende Schule kam und die Fächer Englisch und Französisch dazukamen, ging es nicht mehr weiter mit dieser Methode, weil nun das Mundbild nicht mehr mit den Worten übereinstimmte

An dieser Stelle ist sicher die Frage erlaubt: warum schaffen es die einen unter widrigen Bedingungen, etwas aus ihrem Leben zu machen und die anderen eben nicht? Dies hat weder etwas mit der sozialen Herkunft, dem finanziellen Hintergrund, einem Talent, Begabung oder Gabe zu tun. Es hat etwas damit zu tun, ob jemand sich auf seine Schwächen oder auf seine Stärken konzentriert. Am besten wird dies sicher in einer berühmten Metapher beschrieben: „Warum kann die Hummel fliegen?“ Nach dem Gesetz der Aerodynamik ist es unmöglich, dass eine Hummel fliegen kann: sie hat eine Flügelfläche von 0,7 cm² und wiegt 1,2 Gramm. Die Antwort: die Hummel weiß es nicht und fliegt einfach.

Wer in seinem Leben immer alle Eventualitäten im Vor-hinein berechnet, plant und kalkuliert, wird automatisch so viele negative Antworten erhalten, dass er oder sie erst gar nicht anfängt. Diejenigen, die über all diese Risiken nicht nachdenken und einfach etwas tun, bei denen ist die Chance relativ hoch, dass sie es schaffen.




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