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Kapitel 3

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Dem Niederländer Louis van Basten war es nach langen Hin und Her gelungen, das Haus am altehrwürdigen Münsterplatz mitten in Aachens Altstadt zu kaufen, in dem vor längerer Zeit mit der »Albrecht-Dürer-Stube« ein Öcher Traditionslokal beherbergt gewesen war. Und weil der Umbau des ehedem beliebten Lokals unweit des Kaiserdoms den Anforderungen des Denkmalamtes unterlag, musste er ständig nervenaufreibende Verhandlungen führen, Kompromisse eingehen … und mehr Geld ausgeben, als er eingeplant hatte. Also war ihm nichts anderes übrig geblieben, als sich schon seit Frühjahr mehr in der nordrhein-westfälischen Kaiserstadt als in seinem niederländischen Heimatort Vaals aufzuhalten. Er musste mit Hand anlegen, wo es nötig war. Aus diesem Grund hatte er sich am frühen Montagabend mit seiner Innenarchitektin verabredet.

Der große und kräftig gebaute Mann mit den zu einem Dutt zusammengebundenen Haaren verließ gerade die Kirche St. Foillan schräg gegenüber dem Dom, als Eleonore Olbrich die Krämerstraße herunterkam und winkend auf ihn zulief.

Der Witwer war an diesem Tag unter anderem nach Aachen gefahren, weil er wieder ein paar Dinge aus seiner alten Wohnung in Vaals in seine neue im oberen Stock seines Restaurants bringen musste. Seinen Umzug hatte er peu à peu organisiert. Den Termin mit der Innenarchitektin hatte er unbedingt einhalten wollen, obwohl es den gottesfürchtigen Mann in die Kirche gezogen hatte, um für seine erst vor Kurzem verstorbene Frau Aninda zu beten. Der gelernte Restaurator und Steinmetzmeister war Gott bedingungslos ergeben, beseelt von seinem Glauben an Jesus Christus und an ein Leben nach dem Tod, entweder im Himmel, im Fegefeuer oder in der Hölle … ein jeder, wo er hingehörte.

»Können Sie bitte kurz Ihre Bluetooth-Knöpfe aus Ihren Ohren nehmen?«, rief die Innenarchitektin und kreiste mit ihrem Zeigefinger vor dem rechten Ohr herum.

»Was? Ach so? Ja, natürlich. Entschuldigung. Jetzt kann ich Sie hören.«

»Mein aufrichtiges Beileid. Wie geht es Ihnen?« Eleonore Olbrich schaute den künftigen Gastwirt besorgt an. »Sie schwitzen ja und wirken abgehetzt. Ist alles in Ordnung?« Die Innenarchitektin hatte erst vor ein paar Tagen erfahren, dass van Bastens Frau Aninda durch einen tragischen Sturz die häusliche Treppe herunter einen Genickbruch erlitten hatte, während ihr Mann in Aachen gewesen sein musste. »Es tut mir leid, dass ich von der Beerdigung nichts erfahren habe. Selbstverständlich wären mein Mann und ich gekommen, um …«

»Schon gut!«, wehrte van Basten ab. »Der Herr behütet alle, die ihn lieben«, ergänzte der einerseits gebrochen, andererseits irgendwie steinern wirkende Mann, der Frauen gegenüber stets versucht hatte, Stärke zu beweisen. Um einen dementsprechenden Eindruck auch bei seiner Architektin zu erwecken, ging er nicht weiter auf das ein, was sie gesagt hatte. Stattdessen kam er gleich zum Geschäft. Dabei schlug er den Weg am Dom vorbei ein, über den Münsterplatz in Richtung des nahen Fischmarktes, vor dem sich sein zukünftiges Lokal befand.

Nachdem sie vor dem alten Kaufmannshaus mit den beiden rundbogigen Glasfronten im Erdgeschoss angekommen waren, zeigte er mit ausgebreiteten Armen zur Beschriftung über der Eingangstür. »Ich hätte dort gerne blattvergoldete Metallbuchstaben in einer breit laufenden Frakturschrift. Geht das?«

Eleonore Olbrich musste nicht überlegen. »Wir haben zwar einen Buchstaben mehr in unserer Firmierung als die bisherige Bezeichnung des Lokals mit 17 Buchstaben und zwei Wortzwischenräumen. Dafür verwendet man bei Frakturschriften Versalbuchstaben nur in Bezug auf die übliche Großschreibung. Somit gewinnen wir in der Breite etwas Platz. Es ist schade, dass im Sturz zwischen dem Erdgeschoss und dem ersten Stockwerk die Höhe zu knapp ist, um größere Lettern anbringen zu können. Deswegen müsste die ›Breite Kanzlei‹ passen und groß genug wirken.«

»Weshalb ausgerechnet diese Schrift?«, mochte van Basten wissen. Wegen seines alten Berufes kannte er diese Fraktur, die durch ihre s-förmigen Schnörkel im Aufstrich verziert ist und allein schon deswegen besticht.

Die Architektin schmunzelte, als sie ihm erklärte, dass dies ihre Lieblingsfraktur sei und die »Breite Kanzlei« im Gegensatz zu anderen Frakturschriften wie zum Beispiel der »Walbaum« schönere Großbuchstaben habe, was sich gerade beim »Z« bei der Bezeichnung »Zur Goldenen Madonna« zeigen würde. »Ich bin zwar keine Grafikdesignerin, weiß aber, dass es auf eine ›Corporate Identity‹ ankommt, die zur Art des Restaurants passt, wenn man Erfolg haben möchte. Und die Authentizität, die Ihr geplantes Speiselokal im Schatten des altehrwürdigen Kaiserdoms ausstrahlen wird, zeigt sich ja jetzt schon am bisher zusammengetragenen Interieur!«

»Sie haben recht«, nahm van Basten den Ball auf. »Das Landesamt für Denkmalpflege verbietet uns ja ein Schild und besteht auf Einzelbuchstaben. Das ist auch gut so. Wir möchten die schöne alte Fassade ja nicht verschandeln, oder? Lassen Sie uns reingehen.«

Wie meistens waren sich der feinsinnige Auftraggeber und die kreative Innenarchitektin einig. Überdies hatten sie sich von Anfang an bestens verstanden, was für eine harmonische und zielführende Zusammenarbeit zum Wohle des Objektes gesorgt hatte. Kein Wunder also, dass die beiden seit Wochen um eine persönlichere Anrede ihres Gegenübers herumeierten. Weil sie mit ihren 42 Jahren zwar fünf Jahre älter, aber eine Frau und zudem die Auftragnehmerin war, er hingegen zwar der Mann in diesem gestalterischen Duo, aber auch der Jüngere war, hatte sich bisher keiner der beiden getraut, dem anderen das »Du« anzubieten.

Im Inneren des schmalen Mittelhauses aus dem 17. Jahrhundert erwartete die beiden eine fast schaurig anmutende Szenerie. Im fahlen Licht, das sich bei tristem Herbstwetter in der bereits einsetzenden Dunkelheit durch die beiden Frontfenster ins Innere mühte, wurden sie von den dunklen Konturen mehrerer Menschen erwartet. Zumindest schien dies so. Eine einsam hängende brennende Glühbirne hellte den Raum nicht merklich auf.

»Waren Sie heute schon einmal hier?«, fragte die Architektin, weil ihr die Funzel aufgefallen war.

»Nein, nein!«, wehrte der Hausherr ab. »Offenbar habe ich gestern versehentlich vergessen, die Birne auszuknipsen!« Nachdem er den Sicherungskasten gefunden und das gesamte zur Verfügung stehende Licht angeschaltet hatte, offenbarte sich ihnen, um was es beim Interieur für dieses Lokal künftig gehen würde: sakrale Gegenstände, Andachtsbilder … und Heiligenfiguren, die hier überall so achtlos herumstanden und herumlagen, als wenn sie nichts wert wären. Neben den Pestheiligen Rochus und Sebastian lehnten ein Wendelin und eine Barbara an der Wand, während mitten im Raum ein übergroßer Johannes auf drei Balken zu ihren Füßen lag. Dazwischen standen etliche andere Kirchenheilige, Herrgottsfiguren, Engel und andere Statuen der verschiedensten Art herum, die alle ebenso ihre Plätze finden sollten wie die alten Kerzenleuchter, Gemälde und kistenweise kleinere Devotionalien.

»Und dies sind bei Weitem nicht alle Statuen!«, versprach der künftige Wirt des Restaurants »Zur Goldenen Madonna«.

»Das muss auch so sein! Denn wenn ich mich hier umsehe, sieht es für mich so aus, dass die Menge der Madonnenfiguren im Vergleich zu den anderen Heiligen etwas zu mager ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir aus der ehemaligen ›Albrecht-Dürer-Stube‹ eine ›Goldene Madonna‹ machen! Allein schon wegen dieses neuen Lokalnamens können wir nicht genug Madonnen haben«, konstatierte die Frau kritisch, lobte ihren Auftraggeber aber gleich darauf: »Wie ich sehe, haben Sie inzwischen einen alten Beichtstuhl aufgetrieben. Respekt!« Nachdem Eleonore Olbrich sich ein Weilchen im Raum umgesehen hatte, erkundigte sie sich nach den neugotischen Kirchenbänken, aus deren Seiten- und Sitzteilen sie von einem Kunstschreiner gemütlich-rustikale Eckbänke machen lassen wollte.

»Die müssen in den nächsten Tagen aus Italien eintreffen, die Kirchenlüster aus Frankreich übrigens auch«, verkündete van Basten mit unverhohlenem Stolz in der Stimme.

»Dann befindet sich ja fast das gesamte Interieur hier, wenn ich aus dem Urlaub zurück bin!«, freute sich die Innenarchitektin. Als sie versehentlich eine der wenigen Madonnenfiguren berührte, hatte sie Farbe an ihrer Hand. »Oh! Die kenne ich ja noch gar nicht! Ist die frisch bemalt worden?«

»Äh … ja!« Van Basten räusperte sich. »Das habe ich gestern gemacht«, kam es eilfertig zur Antwort. »Sie wissen doch, dass ich in meinem früheren Leben Restaurator gewesen bin.«

»Wunderschön! Sie wirkt, als würde sie leben«, bemerkte Eleonore Olbrich. »Man spürt, dass sie ein begnadeter Künstler sind.«

Stolz über das Lob, zog er sie von der materiell wertlosen Gipsfigur weg und erklärte ihr, dass er die Technik des Blattvergoldens perfekt beherrschen würde … auch wenn es lange her sei, dass er sie gelernt habe. »Um meine Figuren selber restaurieren zu können, richte ich mir hier im Keller eine kleine Werkstatt ein«, verkündete er.

»Darf ich die mal sehen?«

»Erst, wenn der Lastenaufzug eingebaut ist und ich meinen Werkraum fertig eingerichtet habe. Im Moment schaut es dort aus wie bei Hempels unterm Sofa.«

Eleonore Olbrich musste lachen. Mit einem lakonischen »Na gut« gab sich die Architektin für den Moment zufrieden.

*

Kurze Zeit später schlurfte die Beerdigungstouristin Marlene Jacobs zielstrebig durch Aachens Innenstadt. Sie wollte rechtzeitig zum Dom gelangen, wo gleich die abendliche Vesper beginnen würde. Als die 78-Jährige an einem Printengeschäft vorbeikam, ließ sie sich für einen Moment aufhalten. Denn vor dem Ladengeschäft bot eine Verkäuferin Printenstückchen zum Verkosten an. Dabei hörte sie unweit neben sich einen Mann mit unangenehm rau klingender Stimme zu einem anderen sagen, dass er jetzt in die Antoniusstraße gehen würde, um dort einer »Schwarzen Nutte« »Manieren beizubringen«.

»Bist du besoffen, Thijs? Lass es lieber! Ab nächster Woche arbeitet Asmara doch wieder in Lüttich und du hast dann deine Ruhe«, empfahl der andere, der seinem Gegenüber irgendwie ähnlich sah, im Gegensatz zu ihm aber eine angenehm weiche Stimme hatte. »Du hast doch schon genug Schaden angerichtet und mich gedemütigt.«

Es war nicht der widerliche Dialog der beiden, weswegen die Frau das soeben erhaltene Printenstückchen wie eine Hostie auf ihre Zunge legte, bevor sie sich hastig bekreuzigte. Ihr war die Reibeisenstimme desjenigen bekannt, der einer Prostituierten Gewalt antun wollte. Als sie den großen Mann betrachtete, fielen ihr dessen Jeans mit den weißen Streifen und dem merkwürdig aussehenden Symbol auf der rechten Gesäßtasche auf. Am meisten aber stachen ihr die Schlangenlederstiefel in die Augen. Weil sie dies alles vom Vaalser Friedhof wiedererkannte, wurde ihr mit einem Schlag mulmig. Weil der andere mit dem Rücken zu ihr stand, sah sie nun auch die kalten blauen Augen desjenigen, dessen Antlitz sie in Vaals nicht gesehen hatte. Und weil er seine Lederjacke links geschultert hatte, konnte sie auch das Löwentattoo auf seinem rechten Oberarm sehen.

Irgendetwas stimmt mit dem nicht, dachte sie.

Nach der Antwort des anderen verabschiedeten sich die beiden. Von einer unbändigen Neugierde getrieben, beschloss die Frau, auf den Kirchgang zu verzichten und stattdessen dem Typen namens Thijs zu folgen. Dies sah sie quasi als »Nachrecherche« auf ihr merkwürdiges Friedhofserlebnis in Vaals an.

Goldmadonna

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