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8. Kapitel

Innerlich stöhnte Lisa gequält auf, dieser Typ war auch noch ein Vogelfreak. Diese Spezies konnte sie noch nie besonders gut leiden. Solche Typen weckten stets unangenehme Erinnerungen an ihren Biolehrer in ihr. Allerdings kannte sie sich mit Vogelarten erstaunlich gut aus, seit sie seinen Unterricht genossen hatte.

Aber was ging sie der Typ überhaupt an, fragte sie sich im gleichen Moment. Sie konnte definitiv keine Zeit mit solchen Überlegungen vergeuden, schließlich hatte sie eine Mission zu erfüllen. Auch wenn sie vielleicht nur die Angelegenheit mit dem Blumenstrauß bewältigen konnte, das würde sie auf jeden Fall erledigen. Lisas Gedanken ratterten prompt in eine andere Richtung. Wo bekam sie in dieser Einöde bloß einen Strauß roter Rosen her, die sie auf das Grab ihrer Großtante legen konnte?

Ihre Überlegungen wurden allerdings im nächsten Moment von einer seltsamen Gestalt unterbrochen, die das riesige Tor in der Mauer zum Innenhof der Klosteranlage öffnete und die Gruppe der neuen Gäste herzlich willkommen hieß. Lisa war etwas irritiert. Zum ersten Mal in ihrem Leben begegnete sie einem leibhaftigen Mönch. Der Mitarbeiter war ganz offensichtlich ein Mitglied des Ordens des heiligen Hieronymus, da er in eine erdfarbene Kutte gehüllt war. Zumindest sah er genau so aus, wie man sich typischerweise Mönche vorstellte, wenn man Filme über das Mittelalter gesehen hatte.

Der Mönch stellte sich der neuen Reisegruppe umständlich als Bruder Ansgar vor und verkündete, dass er ihnen jetzt ihre Zimmer zeigen würde.

„Anschließend treffen wir uns in der Hotelhalle zu einem Begrüßungsumtrunk,“ erklärte er abschließend.

„Wir hoffen auf ein kühles Bier der Klosterbrauerei“, riefen die beiden herzkranken Sportsmänner dazwischen.

Bruder Ansgar lachte dröhnend:

„Hier gibt’s nur eine Kräuterlimonade aus unserem berühmten Klostergarten. Bier können sie gerne zum Abendessen bestellen.“

Einige Minuten später besichtigte Lisa bereits ihr Hotelzimmer. Dieser Gebäudeflügel der insgesamt sehr alten, teilweise verwitterten Klosteranlage war von einem teuren Architekten sorgfältig modernisiert und den Bedürfnissen der heutigen Gäste angepasst worden. Gleichzeitig war ihm das Kunststück gelungen, die altertümliche Atmosphäre des Mittelalters zu bewahren. So waren zwar moderne Bäder eingebaut worden, aber die Wände und Fußböden der Schlafzimmer waren nahezu im Urzustand erhalten. Die weiß gekalkten Zimmer mit ihren alten, knarrenden Bodendielen verströmten eine beruhigende Gemütlichkeit.

Lisa ließ sich auf das mit rot-weiß karierter Bettwäsche bezogene Bett plumpsen und zückte ihr Handy, um ihrer Mutter Bescheid zu geben, dass sie gut angekommen war. Ihre Mutter reagierte ganz entspannt und freute sich, dass ihre Tochter einige erholsame Wandertage vor sich hatte.

„Du hast schließlich einen sehr anstrengenden Job, da musst du dir unbedingt mal eine Auszeit gönnen, mein Schatz“, meinte ihre Mutter am Telefon. In Lisa regte sich ein wenig das schlechte Gewissen. Sie hatte ihre Mutter in kompletter Ahnungslosigkeit über die tatsächlichen Umstände dieses Urlaubs gelassen.

Aber Lisa wusste genau, dass ihre Mutter sich nur irrsinnige Sorgen gemacht hätte, wenn sie den Grund ihrer Reise genannt hätte, deshalb durfte sie nichts verraten.

Ihre Mutter wäre entsetzt gewesen und hätte mit allen Mitteln versucht, sie von diesem gefährlichen Ausflug abzuhalten.

Wie nicht anders zu erwarten, lag auf dem Nachttischchen eine Bibel und vom Bett aus fiel ihr Blick auf das obligatorische Heiligenbildchen. Jesus am Kreuz. Der konzentrierte Ausdruck seiner dunklen Augen erinnerte Lisa stark an den Naturfreak von vorhin. Immerhin, sie befanden sich hier in einem Klosterhotel, da durfte man so etwas erwarten. Sie merkte langsam, dass sie doch etwas müde und verschwitzt von der langen Zugreise war und erhob sich vom Bett um das Bad zu inspizieren und sich frisch zu machen.

Anschließend verließ Lisa ihr Gästezimmer im ersten Stock, um sich mit den anderen Gästen pünktlich in der Hotelhalle zur Kräuterlimo zu treffen. Als sie die Treppenstufen hinunter schritt bewunderte sie erneut, wie gut es bei dem Umbau zum Hotel gelungen war, die anheimelnde, ein wenig museale Atmosphäre zu erhalten. Die Hotellobby präsentierte sich wie ein alter Rittersaal. Ein riesiger, dunkler geschnitzter Eichentisch dominierte den Saal. Unter den dunklen Deckenbalken, entlang der Wände zierten uralte Porträts längst verstorbener Mönche den Raum.

Lisa sah auf einen Blick, dass die Reisegruppe bereits vollzählig versammelt und in muntere Gespräche vertieft war. Nur Bruder Ansgar fehlte noch. Allerdings beobachtete Lisa, die als Letzte kam, wie seine breite Gestalt mit einem Tablett in den Händen auf sie zueilte. Die aus grobem Stoff gewebte, erdfarbene Kutte umwehte seinen korpulenten Körper wie ein Zelt. Vermutlich kam er gerade aus der Küche.

Jeder Gast nahm sich ein Glas mit eisgekühlter Kräuterlimonade und probierte vorsichtig. Die teils misstrauischen Gesichtsausdrücke der Gäste verwandelten sich prompt in helle Begeisterung, als alle den ersten Schluck gekostet hatten. Auch Lisa musste zugeben, dass diese Limonade köstlich und erfrischend schmeckte.

Sie umklammerte ihr Limonadenglas, nippte immer wieder kleine Schlucke und hielt sich etwas abseits der Gespräche. In diesem Augenblick hatte sie keine Lust mehr auf Smalltalk, weil sie sich gedanklich darauf vorbereiten wollte, welche Schritte sie demnächst unternahm. Alles, was sie bislang hier kennen gelernt hatte, wirkte ausgesprochen nett und harmlos. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich hier in dieser Gegend in der Vergangenheit tragische Todesfälle ereignet hatten, auch wenn das letzte Unglück hoffentlich schon einige Zeit zurück lag. Später musste sie sich allerdings eingestehen, dass sie, hätte sie in diesem Moment gewusst, welche Gefahren hier auf sie lauerten, auf der Stelle die Flucht ergriffen hätte.

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