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9. Kapitel

Lisa hob den Blick und bemerkte, dass auch der junge Typ etwas verloren herumstand. Sie beobachtete, wie er sie musterte und versuchte, ihren Blick zu erhaschen. Genervt blickte sie in eine andere Richtung, aber dadurch ließ er sich offensichtlich nicht abschrecken. Er pflügte durch die sportlichen Senioren entschlossen auf sie zu und machte Anstalten, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Immerhin, er roch gut, stellte Lisa fest, als er endlich neben ihr stand. Er hatte sein verschwitztes Reiseshirt von vorhin gegen ein rotes T-Shirt getauscht. Diesmal prangte darauf der Aufdruck einer bekannten Tierschutzorganisation. „Safe the Animals of the World“. Lisa entzifferte mühsam die ausgewaschenen Buchstaben. Immerhin, sehr abwechslungsreich, amüsierte sie sich heimlich.

„Hey, bist du auch zum Wandern hergekommen?“, fragte er Lisa, nicht eben einfallsreich.

„Ja, unter Anderem bin ich auch zum Wandern hergereist.“ Lisa lächelte ihn höflich an.

Eine Augenbraue rutschte frech nach oben:

„Unter anderem???“, bohrte er nach.

Lisa biss sich in Gedanken auf die Zunge. Der Typ war nervig, hatte sie doch gleich gedacht. Und schlau war er auch, sonst hätte er nicht sofort das entscheidende Wörtchen aufgespießt. Aber ihr Anliegen ging keinen etwas an. Sie riskierte nur sensationslüsterne Nachfragen.

Ihre Antwort fiel demnach patziger aus, als gewollt: “Ja, unter anderem“.

Das tat seiner guten Laune keinen Abbruch.

„Ach, entschuldige, ich habe mich dir noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Jonas.“

„Lisa“, murmelte sie und schaute nach vorne zu Bruder Ansgar, der gerade mit seiner Führung über das Klostergelände starten wollte.

Jonas lachte:

„O.K., ich habe mir gleich gedacht, schon als ich dich im Bus gesehen habe, dass du irgendwie nicht zu den alten Leuten passt, die hier rumschwirren. Junge Leute verschlägt es nicht unbedingt freiwillig in diese Einöde. Ich bin auch eher beruflich hier. Wir sehen uns hoffentlich später.“

Mit diesen Worten verabschiedete er sich von ihr und wandte sich den herzkranken Herren zu, um sie in ein Gespräch über Wandertouren zu verwickeln.

Erleichtert nahm Lisa seine Worte zur Kenntnis. So übel, wie sie zuerst gedacht hatte, war der Typ gar nicht. Er war sogar ganz nett, wenn sie es recht bedachte. Allerdings hatte sie keine Zeit für einen unbeschwerten Urlaub, sie musste sich auf ihre Aufgabe konzentrieren. Diese Klosterführung war wichtig, so erhielt sie einen ersten Überblick über die Örtlichkeiten.

Bruder Ansgar kannte die Geschichte des Klosters seit dessen Gründung im Jahre 1165 in und auswendig. Er überhäufte seine Schäflein mit Daten und Fakten, dass ihnen allen der Kopf schwirrte.

Die Gruppe der Neuankömmlinge trabte ergeben hinter Bruder Ansgar über den Kopfsteingepflasterten Innenhof des Klosters in Richtung der imposanten Kirche. Der Rundgang über die Klosteranlage war wie eine Zeitreise ins düstere Mittelalter. Der gotische Baustil hatte etwas Magisches an sich, dachte Lisa, als sie, den Kopf im Nacken angesichts der hoch aufstrebenden Architektur, die Säulen und Bögen bewunderte. Die meisten Bauwerke der Anlage waren teilweise noch erstaunlich gut erhalten. Allerdings waren auch fortlaufend Restaurierungsarbeiten notwendig. Diese Aufgabe verschlang immens viel Geld, das musste Bruder Ansgar auf eine Nachfrage seitens der alten Herren eingestehen. Nach dieser Information beschloss Lisa, sich nicht mehr über die Hotelpreise zu ärgern.

Die mächtige Kirche war der Mittelpunkt und das Prunkstück der Klosteranlage. Lisa bewunderte im Inneren des sakralen Bauwerkes die hoch aufragenden Säulen, die zahllosen Reihen der unbequemen, hölzernen Kirchenbänke und den mächtigen, Ehrfurcht gebietenden Altar. Dahinter ragten die bunt verzierten, kostbaren Kirchenfenster in die Höhe, die wichtige Begebenheiten aus der heiligen Schrift zeigten.

Am Ende der Besichtigungstour besuchte die Gruppe den mittelalterlichen Kräutergarten. Die Mönche hatten diesen Garten wieder, dem Vorbild um 1450 entsprechend, gestaltet. Bei der Begehung entpuppte sich eine der älteren Damen als regelrechte Kräuterhexe und fragte Bruder Ansgar Löcher in den Bauch.

Bei einer ausgesprochen seltenen Pflanze, die in einem Beet blühte, musste er allerdings bei der lateinischen Bezeichnung passen, die das Kräuterweib unbedingt wissen wollte. Lisa wandte erstaunt den Kopf und starrte Jonas an, als er blitzschnell in die Bresche sprang und die lateinische Bezeichnung dieses Krautes parat hatte. Sofort hingen alle Rentnerinnen regelrecht an den Lippen dieses gebildeten jungen Mannes. Sie löcherten ihn nun mit ihren botanischen Fragen.

Lisa bemerkte, wie Bruder Ansgar beleidigt war, dass er nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. Sie nutzte diesen Augenblick, um ihm eine scheinbar harmlose Frage zu stellen, die ihr die ganze Zeit schon auf der Seele brannte, nämlich ob es hier alte Legenden oder Schauergeschichten gab, die sich um die Geschichte des schwarzen Sees rankten.

Der Mönch erstarrte kurz, sein misstrauischer Gesichtsausdruck verstärkte sich, dann riss er sich zusammen, lachte die Frage weg und verkündete salbungsvoll, im Brustton der Überzeugung:

„Über diesen gottgeweihten Flecken gibt es keine Schauergeschichten zu erzählen. Zu allen Zeiten haben hier gottesfürchtige Mönche ein hartes, arbeitsames und friedliches Leben geführt.“

Aber Lisa bemerkte sofort, wie sich ein feindseliger Ausdruck in seine Augen schlich. Sie ließ nicht locker:

„Ich habe mal gehört, dass es hier irgendwo eine Gedenkstätte geben soll, die den Opfern des Totensees gewidmet ist. Stimmt das?“

Bruder Ansgar konnte jetzt nur noch mit Mühe und Not seinen aufkeimenden Ärger unterdrücken. Er wiegte den Kopf bedächtig hin und her.

„Der Abt unseres Klosters sieht es nicht gern, wenn solche alten Geschichten ausgegraben werden. Das ist unserem modernen, auf Erholung ausgerichteten Image nicht zuträglich. Wir wollen keinen Gruseltourismus, sondern Gäste die die vollkommene Ruhe und Abgeschiedenheit suchen,“ flüsterte er Lisa zu, in der Hoffnung, die anderen würden es nicht mitbekommen.

Lisa insistierte nachdrücklich:

„Aber es gibt diese ungewöhnliche Gedenkstätte?“

Bruder Ansgar wand sich sichtlich und schaute nervös zu den anderen Gästen, die immer noch den jungen Mann umringten. Er rang sich zur Wahrheit durch:

„In der Tat, es gibt diesen Ort, der den Opfern des,“ er senkte seine Stimme zu einem heiseren Flüstern,“ Totensees gewidmet ist. Aber das gehört nicht zum allgemeinen Besichtigungsprogramm. Aber…,“ er zögerte, „meines Wissens sind dort Gott sei Dank in den vergangenen Jahren keine Gedenkveranstaltungen mehr durchgeführt worden. Es gab wohl schon länger keine Opfer …“, seine Stimme verlor sich in unangenehmen Erinnerungen.

“Zeigen sie mir den Weg dorthin!“

Lisa erschrak vor ihrer eigenen Stimme. Das war ihr fast im Befehlston herausgerutscht.

Bruder Ansgar wand sich erneut, aber dann flüsterte er ihr ins Ohr, welchen Weg sie nehmen musste.

Lisa nickte ihm zu und machte sich sofort auf die Suche.

Totensee

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