Читать книгу Interview mit einer Diva - Birgit Nipkau - Страница 5

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Sallys Boot hielt an der Rialto-Brücke, die von grellen Scheinwerfern angestrahlt wurde. Der Fahrer stellte das Gepäck ab, Sallys Hoffnung, er würde sie ein Stück ihres Weges begleiten, erfüllte sich nicht. Es war mittlerweile spät geworden und Sally spürte die Feuchtigkeit, die in der Luft lag. Sie blickte auf den Zettel und las die Adresse, nahm ihren Koffer und ging mutig drauflos. Die Gasse, auf der sie entlang lief, wurde rasch schmaler und nach wenigen Minuten hatte sie sich verirrt.

Die Hausnummern waren überall vierstellig und schienen ihr nicht logisch geordnet zu sein. Sie bog mal links mal rechts ab und merkte rasch, dass sie im Kreis gelaufen war. Nachdem sie schon zweimal an dem ockerfarbenen Haus vorbeigegangenen war, sah sie, dass die Nummer, die über der Eingangstür stand, mit der auf ihrem Zettel übereinstimmte. Erleichtert klingelte sie. Mit einem Summen wurde die Haustür geöffnet und sie trat in den Hausflur, in dem eine kahle Glühbirne einen trüben Lichtschein verbreitete. Es roch nach Feuchtigkeit im Treppenhaus. Sally ging schnell die Treppe hinauf. Die Wohnung lag gleich im ersten Stock. Die Italienerin, bei der sie wohnen sollte, stand schon in der Tür. Sie war kleiner als Sally, sehr zierlich und hatte lange schwarze Haare. Ihr Gesicht war freundlich und sanft, aber ihre Augen musterten Sally vorsichtig. Sie schien nervös zu sein und Sally erklärte sich das mit ihrer plötzlichen Ankunft.

„Willkommen“, sagte die kleine Italienerin, die ungefähr Ende Zwanzig und damit in Sallys Alter war, „ich hoffe, Sie haben das Haus gleich gefunden.“

„Ja, danke“, erwiderte Sally lächelnd, ohne sich eine Blöße zu geben.

„Ich heiße Rosa Bernardo“, stellte sich die kleine Italienerin vor und reichte Sally ihre zarte Hand. Und ohne Sallys Namen abzuwarten, fügte sie hinzu, „Sie sind sicher müde, ich zeige Ihnen am besten gleich die Wohnung. Sie ist ja nicht groß.“ Rosa sprach schnell und auch ihre Bewegungen waren flink, sie erinnerten Sally an ein Eichhörnchen.

Die Wohnung war tatsächlich nicht groß und vor allem schien sie dunkel zu sein. Statt Lampen gab es nur Glühbirnen, die ein schwaches Licht herab warfen. Die beiden Frauen gingen den schmalen Flur entlang. Auf einem kleinen Schränkchen stand ein Telefon. Gleich links war Rosas Zimmer, in das sie Sally aber nicht führte, sondern nur mit einer raschen Handbewegung darauf verwies. Auf der rechten Seite, am Ende des Flurs lag die Küche, in der ein alter Gasherd, ein Kühlschrank, der bedrohlich und unregelmäßig brummte, sowie ein runder Holztisch mit zwei Stühlen standen. Die Einrichtung bewertete Sally diplomatisch als spartanisch, sie zwang sich aber zu einem, „wie reizend“, wie es sich eben für eine Engländerin gehörte. Neben der Küche lag das Badezimmer, das immerhin eine Badewanne und ein schmales Fenster besaß. Die ganze Wohnung war mit einem rötlichen Steinboden mit kleinen schwarzen und weißen Mosaiksteinchen ausgelegt, den Sally sehr hübsch fand. Gleich neben dem Bad lag ihre neue Unterkunft.

Ihr Zimmer konnte mit Recht als bescheiden bezeichnet werden. Ein schmales Bett mit dünnen Laken, ein klappriges Regal, ein Stuhl, ein Tisch. In der Ecke stand eine alte Kommode aus Mahagoniholz mit einem Spiegel, dessen Glas aber blind war. An der Wand hing ein Bild mit kräftigen Farben gemalt, Sally sah es sich an, als Rosa, das Eichhörnchen sagte: „Das Bild habe ich selbst gemalt.“

„Ach, wirklich. Es gefällt mir.“ Sally fand es wirklich sehr gelungen.

„Eigentlich arbeite ich als Restaurateurin“, fügte Rosa leise hinzu.

„Das ist ein interessanter Beruf. Sie vermieten öfter?“ fragte Sally.

„Manchmal, an Studenten, aber immer nur für einige Tage oder Wochen.“

„Ich verstehe“, sagte Sally und untersuchte als erstes fachmännisch die Steckdosen in ihrem neuen Heim. „Ob ich wohl meinen Laptop hier anschließen kann?“

„Ich weiß nicht, ich muss Sie warnen, es gibt oft Stromausfall in den Häusern von Venedig. Die Häuser sind alt, die Leitungen daher nicht auf dem neusten Stand. Das ist ein Problem für alle, die viel mit dem Computer arbeiten müssen.“

Sally atmete tief ein und aus um sich zu beruhigen.

„Haben Sie eventuell einen Internetanschluss?“ fragte sie freundlich.

„Nein, leider nicht, ich brauche das nicht. Sie müssen hier arbeiten, wegen der Filmfestspiele nicht wahr?“

„Ja, ich bin Reporterin, aber ich finde schon eine Lösung.“

Sally hoffte, Rosa würde ihr noch etwas zu essen anbieten, da sie noch Hunger verspürte. Aber Rosa verabschiedete sich rasch, nachdem sie noch schnell den Boiler im Bad erklärte, der für warmes Wasser sorgte und den Sally zwei Stunden, bevor sie duschen wollte, anstellen musste. Entnervt schloss Sally die Tür ihres Zimmers. Das Zimmer war winzig, sie ging zum Fenster und öffnete rasch die dunkelgrün gestrichenen Holzläden, an denen der Lack abblätterte. Eine Aussicht hatte Sally nicht, denn das Nachbarhaus lag nur ungefähr einen knappen Meter entfernt. So blickte sie auf eine bröckelige Fassade. Unter ihrem Fenster führte eine schmale Gasse zur Eingangstür des Nachbarhauses. Die kleine Fensterbank von Sallys Fenster war mit Taubenkot und grauem Federstaub bedeckt. Rechts und links von ihr war an der Fassade eine kleine Wäscheleine mit zwei Leinen angebracht. Aber auch sie war voller Kot und Sally schloss angeekelt das klapprige Fenster. Als sie eine Schublade der Kommode aufzog fand sie darin ein Bügeleisen, das allerdings aus mehreren rostigen Einzelteilen bestand, die Sally mühevoll wieder zusammensetzte. Dann musste leider feststellen, dass es nicht warm wurde, als sie den Stecker in die Steckdose in ihrem Zimmer steckte. Sally war der Verzweiflung nahe, als sie an die verknitterten Blusen in ihrem Koffer dachte. Von der Abendgarderobe mal ganz abgesehen. Wie schön wäre es jetzt im Hotel, dachte sie bei sich. Ein uniformierter Page würde kommen, das Kleid mitnehmen und fein gebügelt wiederbringen. Mit dem Abendkleid musste sie sich wirklich etwas einfallen lassen, es vielleicht gab es eine Wäscherei hier in der Nähe. Ich werde mich morgen früh darum kümmern, dachte Sally. Sie war müde. Sie zog sich aus, legte sich auf ihr Bett und stellte sich vor, wie sie noch ein Glas Champagner im eleganten Hotelfoyer getrunken hätte, um dann leicht beschwipst in ihr Zimmer zu gehen. Sie träumte von einem heißen Schaumbad, sie vergaß dabei, dass sie sehr hungrig war. Ebenso vergaß sie, sich bei ihrer Redaktion in London zu melden, um mitzuteilen, dass sie nicht im Hotel war. Sie döste ein wenig weiter und schlief erschöpft ein.

Mitten in der Nacht wachte sie wieder auf, sie hörte, wie die Venezianer die Fenster ihrer Häuser zuschlugen und beim Heimkommen mit den Türen knallten. Dann hörte sie, wie eine Frau vom Nachbarhaus vor Lust aufschrie. Es fielen Schüsse aus davonrasenden Autos in den Fernsehern, die in den benachbarten Wohnzimmern standen und die die ganze Nacht zu laufen schienen. Jeder Ton wurde von einer Häuserwand zur anderen katapultiert und schallte erdbebenhaft zurück.

In der unteren Wohnung des Nachbarhauses trafen sich die alten Männer um zu trinken und Karten zu spielen. Jeder, der eintreten wollte, klopfte ein bestimmtes Zeichen an die schwere Holztür, die daraufhin quietschend geöffnet wurde und schwer zufiel. Immer wieder schreckte Sally hoch um gleich darauf wieder einzuschlafen. Sie fiel endlich in einen unruhigen Schlaf und bekam nicht mit, dass Rosa mitten in der Nacht noch einmal die kleine Wohnung verließ.

Durch das Schrillen der nachbarlichen Wecker und durch die eindeutigen Geräusche der umliegenden Badezimmer erwachte Sally am nächsten Morgen. Sie hörte, wie das Abflusswasser aus den umliegenden Badezimmern durch die maroden Rohre rauschte, die draußen einfach an der Hausfassade angebracht waren.

Sie warf das Bettlaken mit Schwung beiseite und stand auf. Sie huschte in die Küche, Rosa war nicht da, etwas Essbares konnte sie auch nicht ausmachen. Aus dem Ausguss des Waschbeckens in der Küche entströmte ein fauliger Geruch, der sich seinen Weg durch die Wohnung bahnte. Ich muss unbedingt die Redaktion in London und das Pressebüro der Festspiele anrufen, ging es ihr pflichtbewusst durch den Kopf. Da hörte sie das scheußlichste Geräusch dieser Stadt, das Quietschen der Wäscheleinen, die mit kleinen Metallrollen vor den Fenstern angebracht waren und die gerade von der Nachbarin gezogen wurden.

Alles quietscht hier, dachte Sally. Es stimmt nicht, was ich im Reiseführer gelesen habe, dass Venedig eine ruhige Stadt war, das ist nur ein Teil der Legende, dachte Sally zerknirscht. Die Fenstertüren quietschten, wenn Sally sie öffnete, das Fensterglas saß lose im Holzrahmen und klapperte bei jeder noch so winzigen Erschütterung. Die Wohnungstüren saßen in verrosteten Angeln und quietschten, die Schranktüren ächzten und waren verzogen, wie die Schubladen der alten Holzkommode, die in ihrem Zimmer stand. Hatte Sally die Schublade geöffnet, war es unmöglich, sie wieder zu schließen. So ließ sie sie offen. Selbst die Kühlschranktür quietschte und der Kühlschrank selbst leckte und produzierte mehr Wasser als Kälte.

Ich muss einige Flaschen Wasser und etwas zu essen einkaufen, dachte sie. Als Sally ins Bad ging, sah sie, dass die Waschmaschine mit Klebestreifen abgesichert war, was sie das Schlimmste befürchten ließ. Sally freute sich auf eine warme Dusche, sie zog ihr Nachthemd aus, da fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, den Boiler einzuschalten. So hielt sie nur kurz den Kopf unter das eiskalte Wasser und verließ schaudernd die kleine Wohnung.

Es war noch früh, aber schon mild und warm. Der Nebel hatte sich aufgelöst und die Septembersonne schien sanft und schmeichlerisch auf die Stadt. Sally trat aus dem dunklen Hausflur auf die Gasse. Das Morgenlicht blendete sie und tat ihr in den Augen weh, als sie aus dem finsteren Haus ins Freie trat. Die Geschäfte hatten gerade geöffnet, es gab Zeitungen, Backwaren und in den winzigen Lebensmittelläden herrschte bereits reger Betrieb. Nur die Souvenirläden hatten noch geschlossen und schliefen hinter ihren eisernen Gittern. Sally bog in Richtung Rialto ab und entdeckte rasch ein Café, in dem an der Bar eine Handvoll Venezianer standen und plauderten. Sie ging hinein und bestellte einen Espresso. Die Signora mit einem grauen Dutt hinter der Theke klapperte mit Tellerchen und Löffeln und knallte geschwind die gefüllten Tassen auf die Unterteller, während sie ununterbrochen mit den Gästen redete. Sally stellte fest, dass sie Kopfschmerzen hatte. Sie trank den schwarzen Kaffee mit viel Zucker und dachte, dass sie noch niemals einen so guten Espresso getrunken hatte, wie in dieser kleinen lauten Bar. Sie zahlte und trat wieder hinaus in die Gasse.

Nach wenigen Minuten erreichte sie den Mercato del Pesce. Durch die Säulen der offenen Markthalle sah sie das Wasser des Canal Grande grünlich schimmern. Eingeklemmt zwischen den grauen Säulen boten die Fischhändler ihre dem Meer entrissene Ware feil. Überall schoben sich die Venezianer an den Ständen vorbei, schauten unvermutet mal rechts, mal links und verwickelten sich in lautstarke Gespräche. Sally kam nur langsam voran.

Auf den Ständen sah sie weiche Massen von schwarzen Tintenfischen und riesige orangefarbene Hummer. Muscheln, Scampi, Krabben breiteten sich vor ihren Augen aus. Hin und wieder zuckte es, lebendige Canocefischlein, die sie aus ihren großen putzigen Augen verwundert anstarrten. Zarte sanfte silberne Fischlein schimmerten im Morgenlicht und ihre aufgeschlagenen Augen blickten ungläubig in die Ferne. In einem metallenen Becken lagen dunkle Aale. Als Sally näher trat, sah sie, dass sie atmeten, sie konnte sich aber nicht bewegen, weil das Wasser nur knapp den Boden bedeckte. Aber es gab auf den Ständen auch leblose Fischstücke, Fischhälften, Lachssteaks, die auf den durchnässten weißen Papieren auslagen. Eine blutige Flüssigkeit lief auf den metallenen Tischen hinab durch eine schmale Rinne, tropfte hinunter und wurde in einem Plastikeimer aufgefangen.

Plötzlich sah Sally ihn. Ein riesiger Fisch mit schwarzer Schuppenhaut öffnete sein gewaltiges Maul. Sein verzerrtes Fischgesicht umrahmte ein Mantelkragen aus weißen Eiswürfeln. Sein Maul schien nach Sally zu schnappen und in diesem Moment stieg eine entsetzliche Übelkeit in ihr hoch und sie floh.

Sie gelangte unter dunkle Arkaden und suchte einen Abfalleimer auf, um sich sogleich über diesen zu krümmen. Der Fischgeruch in ihrer Nase aber ließ sich nicht abschütteln.

„Entschuldigung, Signora, geht es Ihnen nicht gut?“

Eine sanfte männliche Stimme beugte sich besorgt über Sally. Sie versuchte ein wenig aufzuschauen und blickte nur kurz in zwei verschmitzte braune Augen.

„Nein, nicht besonders“, erwiderte sie, da sich der Boden gerade unter ihr auflöste und sie mit hinabreißen wollte. Sie taumelte leicht, aber ein starker Arm bewahrte sie vor dem Fall auf den Steinboden. Sie lehnte sich dankbar an einer der Säulen.

„Ich fürchte, ich habe nicht genug gefrühstückt, mich nicht gestärkt, für einen Gang über den Fischmarkt“, sagte sie ein wenig mühsam. „Mir ist etwas flau.“

Die angenehme Stimme gehörte zu einem attraktiven Mann, der jetzt lachte. Sie nahm die Gelegenheit wahr, sich ihren Retter näher anzusehen. Er ist zweifellos Italiener, dachte Sally, groß und schlank, seine Haare sind tiefschwarz, er ist bestimmt nicht älter als fünfunddreißig. Sein Gesicht ist von der Sonne leicht gebräunt und er trägt Jeans, ein weißes Hemd und einen leichten Trenchcoat, der ihm außerordentlich gut steht, stellte sie fest.

„Der Mercato del Pesce hat Ihnen demnach wohl nicht gefallen. Schade, denn er ist eine venezianische Attraktion“, sagte Vittorio und grinste.

„Nun, ich würde meinen, er ist etwas gewöhnungsbedürftig“, gab Sally lächelnd zurück. Er hält mich wahrscheinlich für eine Touristin und wird mich gleich zu einem Cappuccino einladen, dachte sie. Vittorio lächelte über Sallys Antwort und überlegte, ob er sie zu einem Espresso einladen sollte. Da klingelte plötzlich etwas und es schien direkt aus seiner Manteltasche zu kommen.

„Scusa“, hörte sie ihn noch sagen, dann sprach er in sehr schnellem Italienisch in sein Handy. In der Zwischenzeit brachte Sally ihr Gesicht und ihre Haare wieder in Ordnung. Als er sein Gespräch beendet hatte, schaute er sie fragend an.

„Geht es Ihnen besser, Signora, kann ich Sie wieder alleine lassen?“

„Selbstverständlich können Sie das“, antwortete sie. Sie stellte fest, dass sie ein wenig enttäuscht war, weil sie keine Einladung erhielt.

„Ich muss leider gehen. Bleiben Sie noch ein paar Tage in Venedig?“ fragte er.

„Ja, solange die Filmfestspiele andauern“, gab sie zurück.

„Sie sind also wegen der Festspiele hier“, erwiderte er nur und sah sie jetzt prüfend an.

„Ja“, antwortete Sally.

„Alles Gute und auf Wiedersehen. Ich muss leider gehen“, sagte er dann schnell, drehte sich um und verschwand mit wehendem Mantel hinter den steinernen Säulen.

„Auf Wiedersehen, ... und...danke...“, rief sie noch, aber er war schon nicht mehr zu sehen.

Sally ging weiter. Je näher sie der Rialtobrücke kam, desto dichter wurde das Gedränge von Menschen. Ein kleiner Gemüsemarkt war direkt an der Brücke aufgebaut. Sally kam nur mühsam vorwärts, schritt die Stufen der Brücke hinauf und oben angekommen hatte, oben angelangt, endlich einen freien Blick auf den Canal Grande. Die Sonne schien auf das silbrig grüne Wasser und ein Vaporetto dröhnte vorbei und verschwand unter der Brücke. Sie fühlte sich besser und atmete tief durch. Alles wirkte freundlich und irgendwie heiter von hier oben.

Sally nahm ihr Handy und wählte die Nummer ihrer Redaktion in London. Sie musste den Kollegen die Adresse ihrer neuen Unterkunft mitteilen und fragen, wann sie ihnen das Interview schicken sollte. Sie lauschte in den Hörer, aber es kam keine Verbindung mit London zustande. Sie versuchte es noch einmal, aber alles was sie hörte, war ein Rauschen. Dann rief sie im Ufficio Stampa, dem Pressebüro der Festspiele, an. Sie war überrascht, denn sie kam sofort durch.

„Ja, Ihr Magazin ist auf unserer Liste, Signora, und ihren Ausweis, für die Festspiele haben Sie schon?“ fragte eine tiefe Frauenstimme.

„Sie meinen den internationalen Presseausweis?“ gab Sally zurück.

„Nein, Signora, es gibt einen noch anderen Ausweis, der extra für die Filmfestspiele und nur für die eingeladenen Gäste und die Presse gültig ist.“

„Nein. Wo kann ich diesen Ausweis bekommen?“

„Am besten, Signora, Sie kommen gleich vorbei, dann gebe ich Ihnen auch gleich alle Termine, die Sie benötigen. Wo sind Sie jetzt?“

„Auf der Rialtobrücke...“, antwortete Sally.

„Wunderbar, da sind Sie ganz in der Nähe von unserem Büro. Signora, gehen Sie Richtung Markusplatz weiter und biegen Sie zwei Gassen vorher rechts ab, es ist ganz leicht zu finden.“

„Ja, ich habe verstanden, Signora, wie war doch gleich Ihr Name?“

„Fragen Sie nach Brunella, va bene?“

„Grazie.“ Sally lief über die Rialtobrücke und reihte sich in den bunten Touristenstrom ein, der zum Markusplatz floss.

Im Ufficio Stampa ging es wie in einem Taubenschlag zu. Es herrschte ein unübersichtliches Kommen und Gehen, was die Mitarbeiter des Büros aber keinesfalls zu stören schien. Alle sprachen gleichzeitig. Sally kämpfte sich den Weg frei und erst nach mehrmaligen lautstarken Fragen gelangte sie in Brunellas Büro.

„Buon Giorno, Signora, mein Name ist Sally Parker vom ‚Latest Movie Magazine’, wir haben gerade miteinander telefoniert.“

„Ja, richtig. Setzen Sie sich doch bitte.“ Die stattliche Italienerin freute sich offenbar, Sally zu sehen.

„Es ist schon unglaublich, unsere Diva Anna Mangoni gibt nur Ihrem Magazin ein Interview, ganz exklusiv, wie haben Sie das nur gemacht...“. Die Signora lachte mit einer tiefen rauen Stimme.

„Unser Magazin hat eine sehr große Auflage und vor allem einen sehr guten Ruf“, erwiderte Sally.

„Ja, es ist auch in Italien sehr bekannt. Sie selbst leben in London?“

„Ja, ich bin dort aufgewachsen“, sagte Sally und ging auf den Plauderton der Dame ihr gegenüber ein.

„Ich gebe Ihnen als erstes unsere Pressemappe mit allen wichtigen Informationen und den Terminen der verschiedenen Veranstaltungen. Aktuelle Änderungen können sie im Internet einsehen, die Adresse der internen Seiten mit Kennwort finden Sie ebenfalls in der Mappe.“ Brunella kramte in einem riesigen Berg von aufgetürmten Papieren und Aktenordnern herum.

„Da habe ich auch schon Ihren Ausweis, wir haben ein rotes Bändchen daran befestigt, die meisten Journalisten tragen ihn um den Hals, damit er gut sichtbar ist.“

„Grazie“, sagte Sally. „Wie lange dauert denn der Empfang heute Abend?“

„Bis circa 22 Uhr.“

„Ich soll nach dem Empfang ins Hotel Excelsior kommen und Anna Mangoni in ihrer Suite treffen. Das hat mir ihr Manager mitgeteilt. Die Rezeption kann mir sicher mehr sagen, nicht?“

„Ich gebe Ihnen einen Rat. Die Rezeption wird von Journalisten überfüllt sein. Damit Sie die Diva nicht warten lassen, gehen Sie einfach an der Rezeption vorbei, nehmen die Treppe und gehen hoch in die Suite. Es ist, glaube ich, der dritte Stock.“ Brunella blickte verschwörerisch.

„Ja, es ist die Suite 311“, erwiderte Sally.

„Viel Glück für das Interview mit der Diva und schicken Sie uns ein Magazinexemplar als Beleg, ja?“ Die Stimme von Signora Brunella gurrte, als Sally den Raum verließ und sich wieder in das Getümmel stürzte. Sie verließ das Ufficio Stampa und schlug sich wieder in die Gassen, die ebenfalls überfüllt waren.

Auf dem Rückweg über Rialto sah Sally, dass der Markt gerade zu Ende ging. Sally musste wieder an ihren attraktiven Retter denken. Wo er wohl hingegangen ist? Es hatte auf jeden Fall mit dem Anruf zu tun, den er bekommen hatte. Sie seufzte. Die Händler verstummten jetzt einer nach dem anderen mit ihren Rufen. Die Kisten waren leer, und übrig blieb ein trister Grauschleier von Staub auf den Ständen. Zwischen den Säulen wurden achtlos weggeworfene Schalen von exotischen Früchten und schmutzigem Papier zusammengefegt. Wo der Fischmarkt noch vor einigen Stunden die kleinen Meeresbewohner anbot, tropfte die Nässe von den leeren metallenen Ständen. Einer der Händler bespritzte mit einem Wasserschlauch die Steinplatten, um sie zu säubern, aber der ekelhafte Geruch blieb auf ihnen haften und stieg unermüdlich auf. Ein schwerer Dunst hing über dem Marktviertel. Die Feuchtigkeit stieg auf und gleichzeitig drückte vom Himmel eine Glocke aus Nebel auf die Stadt. Sally spürte wieder heftige Kopfschmerzen. Hoffentlich kommt bald Wind auf, dachte sie und lief weiter. Die Sonne schien auf die vergessenen Fischschuppen, die auf den schweren Steinen lagen und die silbern aufglänzten, wie die Pailletten vom Kleid einer Meerjungfrau. Der Wind würde sie fortwehen wie verlorene Wimpern.

Auch die Fleischerei, die nur Pferdefleisch verkaufte, hatte ihre metallenen Läden heruntergelassen. Ein Reisigbesen lehnte einsam an einer der Säulen. Überall lagen graue Taubenfedern herum, die sich im Spritzwasser des Händlers mit Vogel- und Hundekot mischten und dann weggespült wurden. Der winzige dreckige Fluss, der dabei entstand, lief langsam in die stummen Kanäle, die ihn gierig verschluckten.


Interview mit einer Diva

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