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5. Fishbones Welt

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Ein paar Tage später liefen wir in London mit unserem Walfänger Konstanze ein. Nach etlichen Kontrollen auf der Themse und erstaunten Gesichtern der Zöllner, die selten einen Walfänger mit Leinenballen als Fracht sahen. Peter Fishbone, von Fishbone & Sons, nahm uns in Empfang. Peter war der Mittlere von drei Söhnen der alt eingesessenen Kaufmannsfamilie. Er breitete seine großen sommersprossigen Arme aus, sobald er uns erkennen konnte. Wollte er das ganze Schiff umklammern? Peter entging nicht, dass wir mit einem Walfänger gekommen waren. Sein fragender Gesichtsausdruck verriet uns seine skeptischen Gedanken, die denen der Zöllner ähnlich waren. Sollten etwa auf dem hässlich gestrichenen Walfänger meine Leinenballen aus Schlesien sein?

„Wo sollen wir den Waltran abladen, Peter?“, hörte er auch prompt und die Mannschaft der Konstanze übertraf sich gegeneinander im Grinsen, Feixen und Pusten.

„Ich glaub dir das nicht, Caspar! Wo sind meine schlesischen Leinenballen?“, antwortete er und kratzte sich den rotblonden lockigen Schopf, der seinen ratlosen Gesichtsausdruck großzügig umhüllte.

„Das klärt sich alles auf“, beschwichtigte Kapitän Broder, der mit seiner krächzenden Stimme kaum zu hören war. Mister Fishbone sprang auf das Deck und öffnete eilig eine Luke, die einen Blick auf die Ladung zuließ. Er sah, was er sehen wollte, und schmunzelte den bekannten Gesichtern von Hinrich und mir zu.

„Sind euch die passenden Schiffe ausgegangen oder wollt ihr ins Eismeer segeln?“, überspielte er die für ihn knifflige Situation.

Schon bald saßen Peter Fishbone, Kapitän Broder, Hinrich und ich in einem Wirtshaus und tranken das berühmte Londoner Schwarzbier. Leider verdarben die Briten ihr Bier mit exotischen Gewürzen aus Ostindien. Immer neue Rezepte änderten nichts an den Grausamkeiten, die sie ihrem Bier antaten. Zum Glück konnten wir auch das Bier ohne Veredelung bestellen. Ich erzählte ihm von meinen Plänen und Peters alles einnehmenden, buschigen Augenbrauen bewegten sich zur Stirn und wieder zurück. Die weit aufgerissenen Augen sorgten unterstützend für einen staunend überraschten Gesichtsausdruck. Er witterte zu Unrecht eine neue Falle und durchleuchtete unsere Gesichter.

„Du kommst auf Ideen, Caspar! Klar, dass ich dir helfe - irgendwie zumindest. Doch ich muss, genauso wie ihr es machen würdet, mit meinem Vater sprechen. Da ein Teil der Leinenballen sowieso nach Boston geht und wir dort gute Kontakte haben, müssten wir euch helfen können. Aber wieso haben euch meine Landsleute beschossen, mit eurer Hamburger Flagge an Bord dürfte so etwas doch nie passieren, oder?“

„Weil wir mit vollen Laderäumen kurz vor Neufundland waren und man befürchtete, wir würden Neufrankreich anlaufen wollen“, antwortete Kapitän Broder knapp, nachdem er Pfefferkörner aus seinem Krug gefischt hatte.

„Es war also ein fataler Irrtum meiner Landsleute, euch zu beschießen!“, stellte Peter schnell fest.

„Eigentlich dürfte man im Zweifel nicht schießen“, fand Hinrich streng.

„Dann wären wir wahrscheinlich nicht in Quebec angekommen und die Walfangfahrt hätte einen anderen Verlauf genommen …!“, antwortete ich.

„Wir müssen an die Zukunft denken, meine Herren!“, ermahnte Broder. Wir tranken unser Bier und Peter sicherte uns zu, noch abends mit seinem Vater, Mortimer Fishbone, zu sprechen.

Am nächsten Morgen kam Peter zur frühen Stunde auf die Konstanze. Gespannt warteten wir auf seine Nachricht.

„Wie ist es gelaufen, was sagt dein Vater, Peter?“, fragte ich ganz ungeduldig und sofort versammelte sich das ganze Schiffsvolk an Deck.

„Ihr könnt den Waltran“, er lachte, „die vorgesehenen Ballen für Boston auf dem Schiff belassen, wenn ihr noch zusätzlich Werkzeuge und Getreide für Boston mitnehmt“, antwortete er kraftvoll und offenbar voller Freude“. Wenn ihr wollt, komme ich auch mit und werde euch bei der Suche nach Jacob und seinen Freunden helfen!“

„Das ist ja wunderbar, Peter! Wann können wir los? Wie hast du das hingekriegt?“, überschlug ich mich vor Enthusiasmus.

„Die Leute in Boston sind Fremden gegenüber sehr misstrauisch und du brauchst für dein Vorhaben viel Hilfe. Soviel steht fest. Zumal wir Hilfe von unbekannten Dritten benötigen, die nicht vor Ort sein werden, sondern in Maine, New York oder sonst wo. Das Sankt-Lorenz-Tal liegt schließlich nicht gleich um die Ecke. Mein Vater hatte erst vor ungefähr einem Monat gesagt, dass einer von uns unbedingt einmal zu den Kolonien mitsegeln solle. Einerseits müssen wir unsere bestehenden Kontakte pflegen, andererseits Neue knüpfen. Doch das ist noch nicht alles, Caspar: Das frei gewordene Schiff wird anderweitig benötigt, weil ihr nun die Ladung nach Boston bringt. Denn wir haben wegen des Krieges viele Aufträge und könnten noch ein paar andere Schiffe losschicken, wenn welche verfügbar wären.“

„Wann können wir auslaufen?“, fragte Hinrich, der ebenso begeistert war, genau wie die um uns versammelte Mannschaft. Sie fieberten alle mit, obwohl sie an der eigentlichen Suche auf dem Kontinent nicht beteiligt sein würden. Das unfreiwillige Abenteuer anno 1755 hatte uns zusammen wachsen lassen. Es war eine unbeschwerte Verbindung unter uns entstanden, die Rang unabhängig bestand und die jedem Kraft gab, fest an das Erreichen unserer Ziele zu glauben.

„Mittags kommt die Ladung an Bord und abends können wir mit der Flut auslaufen, wenn ihr wollt“, fügte Peter an, indem er seine buschigen Augenbrauen nochmals athletisch streckte. Er wendete sich dabei zum Kapitän, um die Regeln der christlichen Seefahrt einzuhalten. Broder nickte milde, schließlich wollte auch er keine Zeit verlieren und diesmal die volle Fangzeit im Eismeer nutzen. Er hatte sich deswegen so manchen Vorwurf im Heimathafen anhören müssen. Wie er denn dazu käme, erst im Sommer auszulaufen. Doch er sagte allen und besonders denen, die am lautesten schrien, dass ungewöhnliche Situationen manchmal ungewöhnliche Maßnahmen erforderlich machten und nur der Erfolg schließlich zählt. So einige der Schreihälse kamen ohne Fang nachhause, obwohl sie pünktlich im März ausgelaufen waren und scheinbar alle Zeit der Welt hatten.

In der Folge bescheinigte uns die gesamte Familie Fishbone, die einzigartige Hässlichkeit des Anstrichs der Konstanze, als sie uns später im Hafen von London mit allem Drum und Dran verabschiedete. Sie stritten sich sogar, ob es sich bei dem Anstrich um ein ockerfarbenes Grau oder um ein grau farbiges Ocker handelte. Auch Peter ließ nun seine junge Frau Anne mit Tränen in den Augen zurück. Sie hatte nicht viel Zeit gehabt, sich mit Peters Reise innerlich zu arrangieren.

Ich nutzte die lange Reisezeit, um mir zu überlegen, welche möglichen Begleiter mir bei der Suche nach Jacob und den anderen zur Seite stehen könnten. Hinrich wollte unbedingt zum Walfang. Das hatte er von Anfang an klar gemacht. Außerdem bestimmte der Kapitän meinen Bruder die fehlenden Navigationseinheiten zu vermitteln. Auch Hinrich wollte sein Kapitänspatent als Absolvent der Hamburger Navigationsschule machen. Das gleiche Ziel verfolgten Jacob und ich, nachdem wir auf dem Walfänger ausgebildet worden waren. Doch ich beanspruchte dieses Recht bisher nicht, auch weil der Walfang für mich selbst nicht mehr infrage kam, und durch meine fehlende Teilnahme auf der Rückreise der Konstanze mir sicher ein paar Monate Übung fehlten. Ich weinte dem keine Träne nach. Ich konzentrierte mich auf meine Aufgabe: Wenn ich den Koch, die Speckschneider und Harpuniere ebenfalls ausklammere, bleiben nicht mehr so viele Männer übrig, die ich zur Suche mitnehmen könnte. Kapitän Broder konnte zwei Mann entbehren, die keine Schlüsselposition bei der Waljagd einnahmen. Ich wollte neben dem erfahrenen Hannes noch einen möglichst Englisch sprechenden jungen Mann dabei haben. Die Wahl fiel auf den nordfriesischen gescheiten Matrosen Arian, der aufgeschlossen auf neue Dinge zuging und zusätzlich noch ein guter Ruderer war. Denn um irgendwelche schiffbaren Vehikel werden wir auf unserem Weg nicht herumkommen. Indes hatte Arian nicht damit gerechnet, dass ich ihn fragen würde.

Die Würfel waren nach Absprache mit Kapitän Broder gefallen: Hannes, Peter, Arian und ich werden von Boston aus mit der Suche nach Jacob, Julie, Peter, Irina, Zven und Ivonne beginnen.

Inzwischen war es spät geworden, im Hause Kock an der Kehrwiederstraße. Cornelius und Caroline lauschten meinen ausführlichen Erzählungen, trotz eines harten Arbeitstages, den wir hinter uns ließen. Es klopfte an der Tür und Lisa kam herein. Ihr Blick verriet, dass auch sie die späte Stunde bemerkt hatte.

„Ich möchte zwar kein Spielverderber sein, aber ...“

„ ... aber, du bist es jetzt schon, Mutter!“, fuhr Caroline sie an und klopfte unterstützend auf eines der unzähligen Kissen.

„Ein freundlicherer Ton könnte deinen Bemerkungen manchmal nicht schaden, Caroline!“, sagte ich ärgerlich.

„Ist schon richtig so, Lisa. Ich kann auch nicht mehr weiter erzählen.“ Ich nahm sie in den Arm, nachdem sie neben mir auf dem Sofa Platz genommen hatte.

„Entschuldigung, Mutter! Ich hab es nicht so gemeint. Vater hatte nur so schön erzählt und ich wollte einfach hören, wie es weitergeht.“

„Ihr müsst morgen früh die Charlotte beladen und Cornelius muss seine Sachen für die Fahrt packen. Das Schiff soll schließlich mit der Flut auslaufen“, ergänzte sie. Die Kinder hatten diesem Argument nichts entgegen zu setzen. Sicher spürten auch sie längst den langen Tag, der nun allmählich sein Ende fand.

„Bei nächster Gelegenheit werde ich weiter erzählen, wenn ihr wollt!“, rief ich den Kindern hinterher, die bereits die Treppe hinab stiegen.

„Das wird frühestens in zwei Monaten der Fall sein. Gute Nacht!“, antwortete Cornelius schläfrig aus dem Treppenhaus.

„Morgen macht dein Sohn seine erste Fahrt als 1. Offizier nach La Rochelle“, sagte Lisa, mit Stolz in ihrer lieblichen Stimme.

„Wenn ich Caroline und Cornelius von damals erzähle und mich an all die verrückten Sachen erinnere, dann bin ich so intensiv bei den Ereignissen, als hätte ich sie gerade eben erlebt. Anschließend brauche ich einige Zeit, bis ich als souveräner Vater meiner Kinder auf das Sofa zurückkehre ...“ Sie legte ihren Arm bedächtig um meine Schultern und ihre zarte Wange berührte die meine. Ich spürte ihren sanften Atem und mein Ohr fing an zu kitzeln. Immer noch neugierig wie am ersten Tag unserer Liebe, wartete ich ab, was noch geschehen würde, und ich horchte in den Raum hinein. Stille! Auch der nahe Hafen kam zur nächtlichen Ruhe.

Am nächsten Tag lief die Charlotte planmäßig nach La Rochelle aus. Direkt vor unserer Haustür am Kehrwieder konnten wir die Abfahrt des Schiffes verfolgen. Die Brigantine Charlotte, die auch auf ihre alten Tage noch weiterhin regelmäßig zwischen La Rochelle und Hamburg verkehrte und somit die private wie geschäftliche Verbindung der Kocks aufrechterhielt, hatte neben Cornelius noch einen anderen Neuen an Bord. Der junge Kapitän Jaspar Jensen, dessen Vater mit mir damals zum Walfang als zweiter Steuermann unterwegs war, hatte frisch sein Kapitänspatent erhalten.

Caroline arbeitete derweil überwiegend im Kontor in der Katharinenstraße bei ihrem Großvater. Jedoch heute war sie verdächtig oft im Hafen zu sehen gewesen. Das Schiff legte ab und sie winkte und winkte. Lisa guckte mich mit fragendem Blick an.

„Ereifert sie sich bloß, weil sie froh ist, ihren Bruder mal ein paar Tage nicht zu sehen“, bemerkte ich tonlos, ohne den Blick vom auslaufenden Schiff zu lassen. Lisa schaute mich nochmals an. Ich sah in ihr Gesicht. Sie kniff kurz aber kräftig die Augen zu, was in etwa bedeutete, ich solle mir meine Kommentare möglichst verkneifen. Zumindest aber, wenn unsere Tochter anwesend sei.

Die Sonne strahlte kräftig. Caroline winkte, auch noch, als die Brigantine nicht mehr zu sehen war und sie dem Schiff nicht mehr hinterher sehen konnte.

„Nun ist er weg. Er wird es gut haben bei Nathalie und Clemens“, stellte Lisa lächelnd fest, bevor wir ins Haus gingen.

„Und nicht zu vergessen, bei seiner Cousine Antoinette!“, ergänzte ich spitzfindig. Sie hatte ihn gern und veranstaltete bisher immer etwas Besonderes, wenn Cornelius zugegen war. Caroline bestieg unterdessen wortlos das wartende Fuhrwerk, das sie direkt zu ihrer Arbeit ins Kontor zurückbringen sollte.

Cornelius hatte die hinter ihm liegende Fahrt nach La Rochelle bravourös in seiner Funktion als 1. Offizier gemeistert und sichtbar reifen lassen. Er wirkte nach der Fahrt erwachsener, wohl auch, weil er sein Haupt nunmehr in den Himmel steckte. Endgültig entledigte er sich der Beaufsichtigung seiner Eltern, die nun seiner abgelegten kindlichen Vergangenheit angehörte. Noch am Abend vor der Abfahrt der Charlotte, wo wir ebenfalls hier auf dem Dachboden unseres Hauses am Kehrwieder saßen, wirkte er eher zart, unsicher und jugendlich, als ich bis zum London Aufenthalt bei den Fishbones von der zweiten Amerikareise erzählte.

Auch bei seiner Schwester hatte sich etwas getan. Die zwei Jahre ältere Caroline ließ uns den letzten Schritt des Erwachsenwerdens deutlich spüren. Ihr genügte erstaunlicherweise während der Abwesenheit des Bruders nur die Gesellschaft ihrer besten Freundin Rosalinde, die für die Herzensangelegenheiten zuständig war. Caroline verhielt sich in den häuslichen Räumen nun eher still und nachdenklich, entgegen allen bisherigen Vorlieben. Die Ankunft der Charlotte machte sie plötzlich ganz hektisch. Wie schon bei Cornelius` Abfahrt überraschte sie mit rauschender Präsenz im Hafen, die sonst nach außen hin üblicher schlichter vornehmer Zurückhaltung wich. Caroline hatte ihr neues Kleid angezogen und bald stellte sich heraus, dass sie sich nicht für ihren Bruder so schön zurechtgemacht hatte. Meine Tochter kokettierte mit unserem Kapitän Jaspar Jensen, der seine Augen ebenfalls nicht von ihr lassen konnte, obwohl er sich im Dienstgespräch mit dem neuen Hafenmeister und dem Elblotsen befand. So hatte Rosalinde das Nachsehen, die sicherlich die flotten Offiziere des Schiffes in Augenschein nehmen wollte. Schließlich hatte man gegenüber der besten Freundin eine untrügliche Verpflichtung. Doch nun stand sie in der zweiten Reihe der Hafenbesucher und der schnell zusammengetrommelten Angehörigen, die die Mannschaft selbstverständlich zur Begrüßung in Empfang nehmen wollten. Cornelius schulterte lässig seinen Seesack und ging grinsend an seiner Schwester vorbei, die nur Bruchteile einer Sekunde einen Blick zu ihm warf.

Das Verhalten der Kinder hielt uns trotzdem nicht von der Zusammenkunft auf dem Dachboden unseres Hauses ab. Lisa, Cornelius und ich hüteten uns davor, Carolines Begrüßung der Charlotte irgendwie zu kommentieren. Auch wenn es mir sehr schwer fiel. Caroline würde das nicht so leicht verzeihen, soviel stand fest. Erstaunlicherweise galt ihr Interesse immer noch meinen Erzählungen. Erst am nächsten Tag sah sie Jaspar Jensen anlässlich des Empfangs bei Vater wieder. Bis dahin hatte sie alle Zeit der Welt und die Ruhe meinen weiteren Ausführungen aus dem Kennebectal zu lauschen.

Caspar rund das Meer spricht Englisch

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