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VORWORT

«Mensch sein heißt ja niemals, nun einmal so und nicht

anders sein müssen – Mensch sein heißt immer, immer

auch anders werden können.»

Viktor Frankl

In diesem Buch werden sechs pädagogische Praktiken vorgestellt, die den Aufbau und die Gestaltung professioneller und entwicklungsfördernder Beziehungen durch Anerkennung in den Mittelpunkt stellen. Wer in der Schule erfolgreiches Lernen will, muss die Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern gestalten. Pädagogische Beziehungen bewegen sich dabei im Spannungsfeld von Nähe und Distanz und stellen deshalb eine große Herausforderung in der Beziehungsgestaltung dar. Für die vorliegenden Betrachtungen ist der häufig verwendete Begriff der professionellen Distanz irreführend. So kommt das Wort Distanz vom Lateinischen distantia und bedeutet Abstand oder Entfernung; distare bedeutet auseinanderstehen, getrennt oder entfernt sein. Um eine pädagogische Beziehung zu beschreiben, ist die Betonung der pädagogischen Nähe wichtig. Deshalb werden hier Möglichkeiten aufgezeigt, wie eine professionelle Nähe in Schule und Unterricht aufgebaut werden kann und Lernen ermöglicht wird. Erfolgreiches Lernen verstehen wir dabei nicht als bloßes fachliches Lernen und Wissensaneignung, zum erfolgreichen Lernen in der Schule gehört auch Persönlichkeits- und Herzensbildung. Lernen und Bildung hat die Sicherung einer friedvollen und humanen Zukunft für uns alle zum Ziel. Dafür braucht es Menschen, die verantwortungsbewusst, beziehungsfähig, anerkennend und selbstbewusst sind. Darum sollen Schülerinnen und Schüler sich als Subjekt eigener Lernprozesse erleben und nicht als Objekt der Belehrung. Menschliche Entwicklung passiert nicht linear, kann auch nicht von außen gesteuert werden und geht von der sozialtheoretischen Einsicht aus, dass Individuen sich in und durch Beziehungen zu anderen Menschen entwickeln (vgl. Hegel, 1807/1970). In Schulen heutzutage zeigt sich vermehrt, dass Kinder und Jugendliche ein großes Bedürfnis nach Begegnung, Kommunikation und Gemeinschaft haben. Das pädagogische Handeln von Lehrerinnen und Lehrern hat also große Bedeutung, denn durch ihre LehrerInnen können SchülerInnen lernen, sich in einem Wir zusammenzufinden. Hannah Arendt (1972, 194) schreibt in Vita Activa, dass Macht eigentlich niemand alleine besitzt, «sie entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln, und sie verschwindet, wenn sie sich zerstreuen». Für Carolin Emcke (2016, 218) wäre das die schönste Beschreibung von einem Wir in einer demokratischen Gesellschaft: «Dieses Wir ist immer ein Potential und nicht etwas Unveränderliches, Messbares, Verlässliches. Das Wir definiert niemand alleine. Es entsteht, wenn Menschen zusammen handeln, und es verschwindet, wenn sie sich aufspalten.» Auch in einer Schule kann ein solches Wir entstehen, das Sich-in-Verbindung-bringen mit den mitlebenden Anderen wird zur zentralen pädagogischen Aufgabe. So wird ausgehend von einem humanistisch-systemischen Menschenbild der Mensch sowohl als Individuum wie auch als soziales Wesen betrachtet. Schule und Unterricht müssen von einer menschenrechtlich begründeten Pädagogik her gedacht werden. Lehrende stellen als pädagogisch Handelnde ein signifikantes Gegenüber für die Entwicklung und das Lernen von SchülerInnen dar. Anerkennung spielt für die Frage nach dem Aufwachsen in einer Demokratie eine zentrale Rolle. Eine Demokratie ist auf die humane Sozialisation ihrer Bürgerinnen und Bürger angewiesen und hat nicht nur rechtliche, materielle oder strukturelle Dimensionen, sondern auch persönliche. Die Erfahrung von Anerkennung ist die Voraussetzung für Selbstachtung und Freiheit. Annedore Prengel beispielsweise (2013, 13) bezeichnet es als «gesellschaftliche und persönliche Gestaltungsaufgabe», wenn Beziehungen in gesellschaftlichen Hierarchien Anerkennungsbeziehungen sein sollen. Wenn hier eben jene Anerkennungsbeziehungen betrachtet werden, dann geht es nicht darum, sich an unterschiedlichen pädagogischen «Schulen» auszurichten. Die Aufmerksamkeit wird auf das jeweilige Tun der Lehrerin und des Lehrers gelegt und es stellt sich dabei nicht die Frage nach richtiger oder falscher Denkweise. Das Kind steht im Mittelpunkt des Geschehens und all unserer Überlegungen als PädagogInnen, denn mit Janusz Korczak (2015, 27) gedacht ist das Kind ein Experte für Schule und Lernen: «Ohne Mitwirkung von Experten bewältigen wir das Ganze nicht, und Experte ist das Kind.» Bei aller Unterschiedlichkeit der Kinder, mit denen wir im täglichen Handeln zu tun haben, stellt sich die Frage, was beim Kind ankommen muss, um sich zu entwickeln und um ein tragfähiges Selbstkonzept auszubilden. Ausgehend von unseren Forschungen würden wir diese Frage kurzum damit beantworten, dass ein Kind Anerkennung erfahren muss.

Ich bin für dich da (E-Book)

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