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Jim und Jessie

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„Du bist bestimmt der einzige Typ in der freien Welt ohne Navi“, nörgelte Jessica. Sie saß mit verschränkten Armen auf dem Beifahrersitz. Jim, oder auch Jimbo, wie er sich gern nennen ließ, knurrte Unverständliches. Okay, er hatte sich verfahren, okay, er hatte eben kein Navigationsgerät. Dafür besaß er eine Landkarte. Und wer konnte die nicht lesen? Wusste nicht mal, wie rum man sie halten musste? Und meckerte jetzt nur noch?

„Halt die Klappe“, zischte er, als das Gekeife neben ihm kein Ende nehmen wollte. „Es sind deine bescheuerten Verwandten, die hier irgendwo in dieser Einöde heiraten wollen. Nicht meine!“

Jessica schwieg. Sie hasste Meddington, die Kleinstadt, aus der ihre Eltern bei Nacht und Nebel abgehauen waren. Jessica war damals erst zehn gewesen, aber sie wusste noch sehr gut, wie die neue Heimatstadt sie zuerst erschreckt hatte: Die Menschen redeten und lachten, waren freundlich und so lebhaft. Meddington erinnerte irgendwie an eine Geisterstadt. Die Bewohner schlichen kraft- und farblos umher. Meddington, hatte ihr Vater zu ihr gesagt, sei ausgeblutet. „Wenn du nur einen Funken Verstand besitzen würdest, dann hättest du diese Einladung abgelehnt! Was haben wir mit denen noch zu schaffen? Nichts! Die Leute dort haben sich aufgegeben. Fahr bloß nicht da hin!“

Aber Jessica war total blank und hoffte, aus ihrer Tante Annie ein paar Kröten rauszuholen. Denn von ihren Eltern bekam sie keinen Cent mehr. Und ihre Cousine irgendeines Grades, die heiratete, nahm bei ihrer Hochzeit bestimmt auch Tausende von Dollar ein. Jessica war vorbereitet: Sie hatte einen leeren Briefumschlag, den sie der Braut in den Beutel stecken würde, und sie hatte einen langen, weiten Ärmel, in den sie die Umschläge, die sie dabei unauffällig mit herauszuziehen gedachte, schieben konnte. Jimbo lenkte derweil die Braut mit einem Witz oder dergleichen ab. Ein Kinderspiel.

Leider hatte Jimbo sich verkalkuliert und die zwanzig Dollar für das Benzin reichten doch nicht „dicke bis nach Meddington“. Der Motor stotterte schon und drohte, bald stehenzubleiben. Vielleicht hatte er auch bloß wieder vergessen, irgendetwas nachzusehen oder nachzufüllen, der Schussel. Und jetzt wussten sie nicht einmal, wo sie waren. Schon ewig hatte Jim kein Schild mehr gesehen, nur vor längerer Zeit hatte irgendwo an irgendeiner Kreuzung eines in Richtung einer Stadt namens „Ryan’s Field“ gewiesen.

„Wir fahren doch nur im Kreis!“, meckerte Jessica weiter, „wir werden zu spät kommen! Verdammt!“

Jim öffnete den Mund, um ihr zu sagen, dass sie den ihren schließen solle, oder er würde sie aus dem Wagen werfen und allein weiterfahren, da tauchte auf einmal auf der rechten Seite ein wunderschönes Haus auf. Ein niedriger weißer Zaun trennte den Vorgarten von der staubigen Straße ab, dahinter blühten farbenprächtige Blumen. In einem liebevoll angelegten Kräutergärtchen mit von weißen Steinen abgegrenzten Beeten wuchsen viele verschiedene Kräuter.

Auch die Blumenkästen an den Fenstern blühten üppig und verschönerten die weiße Fassade.

Jim trat auf die Bremse. Jessica, die darauf nicht vorbereitet war, hing beinahe auf dem Armaturenbrett.

„Bist du völlig bekloppt?“, brüllte sie, „jetzt muss ich den Mascara neu auftragen!“

Jim war das egal. „Guck mal, in dem Haus gibt’s bestimmt ein Telefon! Oder die haben vielleicht sogar Benzin!“ Er machte den hustenden Motor aus und verließ erleichtert das Auto. Jessica kam sofort hinterher.

„Wie kann man nur in dieser Einöde wohnen? Hier ist doch rundum nur Wald!“, schimpfte sie. Jim verdrehte die Augen. Immer nur am Meckern. Er erwog ernstlich, sie bei ihren komischen Verwandten zu lassen. Einfach Gas geben und weg.

Er musste sich etwas runterbeugen, um das Gartentörchen zu öffnen. Quietschend gab es den Weg frei. Jessica konnte sich kaum sattsehen an den Blumen und Rosensträuchern. Ihr Duft wurde nur von dem aus dem Kräuterbeet übertroffen.

„Was riecht ’n hier so intensiv?“, fragte Jim abschätzig.

„Ich glaube, das ist Thymian“, gab Jessica nachdenklich zurück. Zum ersten Mal seit ihrer Abfahrt redete sie in normaler Lautstärke und ohne ihn wegen irgendetwas fertigzumachen. Der Vorgarten haut wohl sogar auch sie aus den nuttigen Stiefeln.

Jim stieg die paar Stufen zur Haustür hoch und klopfte. Er kam sich in seinen zerrissenen Jeans und dem nach abgestandenem Bier müffelnden Tank Top etwas fehl am Platz vor. Auch seine dreckigen Turnschuhe machten bestimmt keinen guten Eindruck auf die Hausbewohner. Jessica sah beinahe noch schlimmer aus. Sie hatte einen extrem kurzen, engen Rock an, Schaftstiefel, abgeschnittenes Shirt, das ihren Nabel freiließ, der gepierct war, genau wie ihre Nase. Die Haare hatte sie sich vor Monaten schwarz und rot gefärbt, genau am Scheitel. Nur war das schmuddelige Blond inzwischen wieder zum Vorschein gekommen. Und geschminkt war sie, als wäre sie dreimal hintereinander in den Farbtopf gefallen. Selbst Jim musste zugeben, dass er es den Hausbewohnern nicht verdenken konnte, wenn sie die Tür gleich wieder zuschlugen oder gar nicht erst aufmachten.

Die Tür ging jedoch auf, und Jim schnappte nach Luft: Eine schlanke, hübsche Frau um die dreißig in einem weißen Sommerkleid stand freundlich lächelnd vor ihnen. Ihr dunkles Haar hing ihr bis auf den Rücken.

„Ähm, äh, hallo“, stammelte er verlegen, „wir haben uns verfahren und kein Benzin mehr. Könnten wir wohl Ihr Telefon benutzen?“

Jessica verdrehte die Augen. Kaum war eine attraktive Frau im Spiel, kramte er seine Sonntagsmanieren hervor.

Der Ausdruck der Frau hatte sich trotz der abgerissenen Erscheinung vor ihr nicht verändert. Ihr Lächeln vertiefte sich sogar.

„Oh! Na, da habt ihr ja Pech gehabt, was? Klar, kommt ruhig rein!“ Sie öffnete die Tür noch weiter und gab den Blick in einen hellen Flur frei. Neugierig betraten die beiden das Haus. Hinter ihnen knallte die Tür ins Schloss. Erschrocken fuhren sie herum. Jessica jagte ein Schauder über den Rücken: Für einen Bruchteil einer Sekunde glaubte sie in den Augen der Frau etwas Gieriges, Verschlagenes und widerlich Gemeines gesehen zu haben. Aber schon lächelte sie wieder. „Tut mir leid, das muss der Wind gewesen sein! Ich habe eine kleine Party, und deswegen ist die Verandatür offen. Kommt, das Telefon ist gleich da drüben!“ Sie wies ins Wohnzimmer, wo ein schnurloses Telefon auf dem gläsernen Couchtisch lag. Jim und Jessica traten schüchtern näher. Dieses helle, freundliche Haus gehörte für sie normalerweise in die Kategorie „Spießer“, aber die Eleganz und Sauberkeit schüchterten sie irgendwie ein und die Bewohnerin hatte nichts Spießbürgerliches an sich. Sie war auf ihr Heim sichtlich stolz. Nichts lag herum, alles war perfekt aufgeräumt. An der Wand hing nur ein Foto: Das lächelnde Gesicht der Frau, darüber lag schemenhaft noch ein anderes. Das andere lächelte nicht, sondern sah ernst auf sie herab. Ein faszinierendes Bild von dunkler Schönheit. Es ließ Jessica gar nicht los.

„Zwei Fotos von mir übereinandergelegt, das eine davon beinahe durchsichtig. Fotomanipulation. Ein kleines Hobby von mir.“ Die Frau nahm auf der Couch Platz. „Toll“, stotterte Jessica. Die einladende Geste schlug sie mit einem Kopfschütteln aus. Sie hatte den Eindruck, die Reinheit um sich herum zu beschmutzen. Sie kam sich vor wie Pig Pen von den Peanuts. Jim sah sogar noch schlimmer aus, fand sie. Jessica hätte nicht mal sagen können, wann er sich das letzte Mal geduscht hatte, der Sack.

Der Sack hatte in der Zwischenzeit das Telefon genommen und eine Nummer gewählt. Verwirrt nahm er den Hörer vom Ohr und starrte darauf.

„Da ist so ein Störsignal.“

Die Frau nahm es ihm aus der Hand, lauschte, runzelte die Stirn, und schaltete es ab.

„Bestimmt hat der Sturm vor ein paar Tagen eine Leitung beschädigt. Wie schade.“

„Haben Sie kein Handy?“

„Nein, leider nicht. Habt ihr denn keins?“

Die beiden schüttelten den Kopf. Sie hatten zwar eins, aber ohne Guthaben. Nutzlos.

„Tja, dann seid ihr hier erst mal gestrandet. Aber das macht ja nichts, kommt mit raus, ich stelle euch meinen Gästen vor. Apropos, tut mir leid, ich hatte ganz vergessen, mich vorzustellen. Ich bin Samira.“ Sie streckte die Hand mit den silbernen Armbändern und Ringen aus. Jessica und Jim schüttelten sie und sahen sich an.

„Also, eigentlich wollten wir weiter nach Meddington …“

„Ach! Sieh an!“

„Äh, ja … Jessicas Cousine heiratet …“

„Wie schön!“

„Ja … und wir wollten eigentlich … also, wir möchten eigentlich weiterfahren …“

„Wie denn, so ohne Benzin?“, strahlte Samira. Jessica und Jim sahen sich unbehaglich an.

„Nun ja, haben Sie vielleicht etwas Benzin?“

„Nein. Leider nicht.“

„Oder könnten Sie uns nach Meddington fahren?“

„Mein Wagen ist leider kaputt. Ihr werdet wohl die Nacht hier verbringen müssen.“

„Und …“ Jim schluckte, denn das Lächeln auf dem hübschen Gesicht war mit jeder seiner Fragen etwas geschwunden, „… und könnte vielleicht einer von Ihren Gästen uns hinfahren …?“

„Ach, die kommen nicht von da, keiner von denen. Aber wir werden mal sehen, vielleicht nach der Party. Jetzt kann ich niemanden um so etwas bitten, Meddington ist ja auch über eine Stunde entfernt! Kommt, ich stelle euch vor!“

Zögernd folgten die beiden Samira durch die geöffnete Schiebetür nach draußen. Sie sperrten bei diesem riesigen, prächtigen Garten die Münder auf. Ihn zu durchqueren dauerte eine ganze Weile. Der Duft von bratendem Fleisch lag in der Luft und wurde immer intensiver. Jessica und Jim spürten erst jetzt, wie hungrig sie waren. Auch für Verpflegung war kein Geld da gewesen.

Weiter hinten im Garten gab es einen kleinen Badeteich. Davor standen mehrere Stühle und Gartenliegen und eine Bierzeltgarnitur. Auf den langen Tischen reihten sich Schüsseln mit Nudel- Kartoffel- Bohnen- und anderen Salaten aneinander. Flaschen mit Cola und Bier standen bereit, ebenso wie Teller und Besteck. Sie störten wohl gerade ein Barbecue.

Der Grill befand sich noch ein Stück weiter hinten, damit der Rauch die Gäste nicht belästigte. Er war gemauert und verputzt und sehr groß. Der Rost reichte bestimmt für einen ganzen Ochsen. Die Gäste wandten sich fragend um, als Samira mit den beiden jungen Leuten wiederkam.

„Ich war gerade in der Küche, da klopft es an der Tür! Was für ein Glück, dass ich nicht hier hinten war, sonst hätte ich diese beiden netten Leute in Not verpasst!“

Alle brachen in lautes Gelächter aus. Jim fand es etwas übertrieben für diesen Sparwitz.

Jessica betrachtete derweil abschätzig die Aufmachung der Gäste. Ein alter, gebeugter Mann mit Glatze und grauem Rauschebart in einem schwarzen Blazer, schwarzer Bundfaltenhose und weißem Hemd, eine junge Frau in einem schwarzen Trägerkleid mit weißer Bluse und straff hochgestecktem Haar, ein junger Mann in einer grauen Jeans und einem weißen Jeanshemd. Sie standen mit Gläsern in den Händen herum und warteten auf ihr Essen, das vor sich hin briet. Jessica fragte sich, warum Samira ihre Gäste hier in der Sonne schmoren ließ, obwohl sie in der Mitte des Gartens einen weißen Pavillon hatte.

Samira stellte die Gäste als William Hart und seine Enkelin Sandra vor, sowie einem weiteren William, der von Sandra immerzu angehimmelt wurde. Alle lächelten freundlich, hatten aber etwas Kaltes und Lauerndes in ihren Blicken, das Jessica und Jim schaudern ließ.

„Wie gut, dass du so viel Fleisch hast, was, Samira?“, kicherte William jetzt, und Mr. Hart und seine Enkelin lachten wieder.

„Ja, es ist zum Glück reichlich da! Wenn ihr Salat und etwas zum Trinken wollt, auf den Tischen steht alles. Bedient euch!“ Sie schnappte sich eine Grillzange und wendete die Steaks.

Jessica und Jim ließen sich das nicht zweimal sagen. Jessica öffnete eine Flasche Cola und schenkte sich und Jim ein Glas ein. Sie reichte Jim eins und trank selbst. Dann stutzte sie.

„Ist was?“, raunte Jim ihr zu.

„Die haben auch alle ein Glas, auch Samira“, flüsterte sie zurück.

„Äh, ja und?“

„Die beiden hier sind unbenutzt. Die waren über!“

„Äh, ja und?“

Jessica verdrehte wieder die Augen.

„Das bedeutet, dass sie zwei Gläser mehr als nötig hier hingeschleppt hat! Als ob sie wusste, dass wir kommen!“

Jim lachte. „Boah, und ich dachte immer, ich wäre der Paranoiker von uns beiden!“

„Ach, Klappe! Bei dir kommt die Paranoia vom schlechten Gras. Aber das ist doch merkwürdig, oder?“

„Wieso? Vielleicht hat sie nicht abgezählt oder einfach zwei Gläser mehr mitgenommen, falls eins runterfällt oder … oder was auch immer. Entspann dich. Wenigstens kriegen wir was zu essen. Ich falle schon vom Fleisch.“

Jessica seufzte. Sie und Jim waren beide ziemlich dünn. Sie sah die Gäste an und schluckte, als sie deren Blicke bemerkte. Sie sahen abfällig auf ihre schmuddeligen Klamotten, die mit 99 Cent Haarfärbemitteln selbst verbrochenen Frisuren, Jessicas Make-up, Jims Kaskade von Ohrsteckern, die das ganze Ohr in einen Schweizer Käse verwandelt hatten, und ihre hervorstehenden Hüftknochen.

„Seid ihr von zuhause weggelaufen, Kinder?“, fragte Mr. Hart jetzt voller Güte. Bei Jim schrillte sofort ein Alarm los, denn dieses falsche Mitleid kannte er.

„Nein. Wir sind schon Mitte zwanzig.“

„Ja, aber vorher, ich meine, ihr lebt doch schon lange auf der Straße, oder?“

„Nein“, schnauzte Jessica sofort, „bei uns sehen viele so aus. Wir wollen nicht so sein wie alle anderen.“

Die drei Gäste sahen die beiden Neuankömmlinge aufmerksam an. Sogar Samira drehte sich um.

„Dafür haben wir mehr Verständnis, als ihr glaubt“, sagte Mr. Hart mit einem so warmen Blick, dass sich die beiden wieder entspannten.

„Ich hoffe, die denken nicht, ihre bescheuerte Aufmachung wäre irgendwie cool, und jetzt machen die auf Verbrüderung oder so“, murmelte Jessica Jim ins metallverzierte Ohr.

„Mann, Jessie, sei doch mal nett“, knurrte Jim und nahm von Samira einen Teller entgegen. Auch Jessica bekam einen. Alle sahen wohlwollend zu, wie die beiden hungrigen jungen Leute sich Unmengen Salat aufluden, das Fleisch in Ketchup ertränkten und alles hastig runterschlangen. Sie nahmen auch den Nachschlag dankbar an.

Erst nach der dritten Portion versorgte Samira ihre anderen Gäste mit Fleisch, aber die schienen das absolut nicht übelzunehmen.

Sie setzten sich zu Jessica und Jim und aßen. Jessica saß direkt neben dieser Sandra und sie rückte instinktiv ein Stück ab; irgendwie fühlte sie sich in der Nähe der jungen Frau, die in ihrem Alter zu sein schien, aber durch ihre krähenhafte Aufmachung viel älter aussah, nicht wohl. Sie roch auch merkwürdig, nach Kräutern und irgendwie muffig. So ähnlich hatte es mal in der Metzgerei von ihrem Onkel Fred gerochen. Aber da war Jessica schon seit vielen Jahren nicht mehr gewesen.

„Oh, wer bist denn du? Du bist aber süß!“, rief sie jetzt, als eine schwarze Katze gemächlich zu ihr kam und sich an ihrem Bein rieb. Sie trug ein Halsband mit einem Glöckchen daran.

„Das ist mein Kater“, erklärte Samira und setzte sich neben William.

„Ach, Sie haben eine Katze“, lächelte Jim und streichelte das Tier.

„Nein, einen Kater. Das muss man ihm schon lassen, er ist ein sehr männlicher Kater.“

„Äh, aha. Und wie heißt er?“, fragte Jessica.

„Luke“, erwiderte Samira mit einem Grinsen, das Jessica nicht so recht verstand.

„Hallo Luke.“ Sie kraulte das Tier hinter den Öhrchen. Luke schnurrte.

Samira warf ihrem Kater ein Stück Fleisch zu.

„Hier, Luke, sollst auch nicht leben wie ein Hund!“ Luke fuhr zurück, sah das Stück vorwurfsvoll an, fauchte wütend und lief davon. Alle brachen in schallendes Gelächter aus.

„So ein verwöhntes Vieh“, rief Jim fröhlich. Die anderen lachten noch lauter. William grölte so sehr, dass er sich verschluckte. Jessica fand es übertrieben. Die hatten hier einen seltsamen Sinn für Humor.

2

Bald waren Jim und Jessica völlig satt. Luke, der schmollende Kater, trieb sich in einiger Entfernung herum. Immer wenn seine Herrin einen amüsierten Blick in seine Richtung warf, fauchte er und machte einen Buckel. Das Glöckchen klingelte melodisch. Jessica fand es merkwürdig, dass so ein stattlicher Kater ein Glöckchen umhatte. Ihr erschien das etwas spöttisch, so als würde ein Terrier einen Maulkorb tragen.

„Das hat wunderbar geschmeckt“, lobte Jim höflich.

„Vielen Dank.“ Samira sah, wie Jim seine Freundin hilfesuchend ansah. Schnell schnitt sie die sich anbahnende Frage, ob sie nicht jemand nach Meddington fahren könne, ab: „Ich hole uns allen noch ein Schnäpschen, zur Verdauung.“ Und schon eilte sie den Weg zurück zum Haus. Bald kam sie wieder und reichte Jim und Jessica ein kleines Gläschen mit einer bräunlichen Flüssigkeit, die extrem bitter schmeckte, wie Jim Jessies Grimasse entnehmen konnte. Er hob zögernd das Glas. Plötzlich war der Kater neben ihm und kratzte an Jims Stiefel.

„Na? Du willst wohl gekrault werden, was?“ Jim streichelte den Kater. Der fauchte plötzlich und schlug mit der Pfote nach dem Glas, das nun, da Jim sich zu ihm herunter gebeugt hatte, in seiner Reichweite war.

„He, gehörst wohl zu den Antialkoholikern, was?“, scherzte Jim, aber keiner lachte. Alle sahen stirnrunzelnd zu Samiras Kater herunter, der mit der Pfote an Jims Bein herumkratzte und sich jedes Mal schüttelte, wenn Jim Anstalten machte, das Gläschen zu leeren.

„Luke! Böses Kätzchen! Teuflisches Höllenkätzchen! Willst wohl alle neun Leben auf einmal aufbrauchen, hm?“ schimpfte Samira und funkelte den Kater an. Der ließ den Kopf hängen wie ein Hund, der beim Pinkeln auf den Wohnzimmerteppich erwischt worden war, und sauste davon.

„Erstaunlich gut erzogen, Ihr Kater“, stotterte Jim verblüfft.

„Ja, manchmal glaube ich selbst, er versteht die menschliche Sprache. Nimm dein Schnäpschen ruhig, Luke wird dich nicht mehr stören.“

„Äh, ja …“ Jim, der plötzlich Unbehagen bei den Gedanken verspürte, das Zeug zu trinken, sah unentschlossen auf das Gläschen herunter.

„Das ist ein selbst gemachter Kräuterschnaps“, ermunterte Samira ihn lächelnd. Alle lächelten jetzt. Ein freundliches Lächeln, das die Augen nicht erreichte. Alle strahlten Jim an, wie er mit seinem Glas da dumm herumstand. Es wurde ihm langsam mulmig.

„Ich glaube, ich habe zu viel gegessen“, sagte da Jessica mit matter Stimme. Sie sank auf einen der Lehnstühle und sah aus, als sei sie fertig mit der Welt.

„Alles okay, Jessie?“, fragte Jim besorgt und eilte an ihre Seite. Sein Gläschen stellte er auf den Tisch. Vier Augenpaare zogen sich zusammen, während das der Katze sich etwas entspannte.

„Mir ist nicht gut …“ Jessica stand der Schweiß auf der Stirn. Ihre Augen schlossen sich, ihr Kopf fiel zur Seite. Jim nahm ihre Hand, fühlte ihre Stirn, und sah alles in allem sehr unschlüssig aus, was er nun tun sollte. Samira trat an seine Seite.

„Sie hat wohl wirklich zu viel gegessen“, beruhigte sie Jim, „sie wird bestimmt gleich wieder auf den Beinen sein.“

„Ja, nein, ach … Sie verstehen das nicht … sehen Sie, Jessie ist schwanger …“

„Ahhhh!“, stießen die Gäste aus, als habe ein Zauberer gerade ein besonders fettes Kaninchen aus seinem Zylinder gezerrt. Auch Samiras Augen leuchteten einen Moment lang grellgrün auf.

„Schwanger!? Du meine Güte! Wie schön!“

„Scheint dein Glückstag zu sein, Samira“, feixte William. Auch Mr. Hart wirkte zufrieden.

Jim sah verwirrt von einem zum anderen und klopfte Jessica besorgt den Puls.

„Schwangere Frauen im Haus zu Gast zu haben bringt Glück“, erklärte Samira. „Jetzt trag deine Freundin rein, sie muss sich hinlegen. Mr. Hart ist Arzt, er wird sie sich mal ansehen.“ Mr. Hart nickte zustimmend. William kam und bevor Jim protestieren konnte, hob er Jessica hoch und trug sie eifrig zum Haus herüber. Er verschwand mit ihr auf den Armen darin. Es war, als habe das Gebäude die beiden verschluckt.

Jim zögerte kurz, dann folgte er William. Er hörte aber noch, wie Mr. Hart Samira etwas zuzischte das sich anhörte wie: „… zu viel Bralocolin … schleunigst wieder raus …“

Dann verschluckte das helle Haus auch ihn.

Die Hungrige Hexe

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