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Die Kugel der Angler

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Ein sanfter Wind wehte mit leichter Briese über die Deichkrone und zog durch den lauen Sommerabend. Er tauchte hinab zu dem großen Elbteich, in dem sich der aufgehende Mond mit seinem silbrigen Schein spiegelte und die schwarze Wasserfläche in ein glitzerndes Lichtermeer verwandelte.

Aus der Ferne erklang das Rotorgeräusch eines Hubschraubers, der schnurstracks Kurs hielt. Zielgenau steuerte er auf den großen Elbteich zu. Dieser erbärmliche Krach durchbrach die Stille des abendlichen Naturschauspiels. Die sanften Geräusche der Tierwelt verloren sich im Lärm, der heran schwebte. Fassungslos starrte Leo zu dem fliegenden Brummer und fragte: »Was hat der vor, dieser Idiot?«

Mano zuckte mit den Achseln und rief: »Wahrscheinlich ein Polizeioder Rettungseinsatz. Was glaubst du, Jan?«

»Sieh mal! Der dreht bei und rauscht direkt hier rüber!«, bölkte Jan und verdrehte die Augen. Hubertus von Hochdonn hielt sich die Ohren zu.

»Der bläst uns gleich den Grill aus. Verdammtes Mistding! Verschwinde! Hau ab, stör’ nicht unseren ruhigen Abend«, ärgerlich blickte er zu dem kleinen Grill der zu explodieren drohte.

Sprühende Funken entwichen der Glut des lodernden Feuers. Von dem riesigen Blasebalg entfacht, schossen sie aus der glühenden Kohle heraus und flogen ihnen um die Ohren. Wie Glühwürmchen verteilten sie sich in den langen Gräsern der Umgebung. Angewurzelt standen die vier Angelfreunde im Lichtkegel der Suchscheinwerfer. Das strahlende Ungeheuer blendete sie wie die großen Augen eines Galaxie-Monsters.

»Verflixt! Ob zu Hause etwas passiert ist?«, schoss es Mano durch den Kopf.

»Die suchen einen von uns«, schrie Leo aufgeregt.

»Hat einer von euch was angestellt, Polizei, Zoll, Steuerfahndung?« Prüfend schaute er in die ahnungslosen Gesichter seiner Angelfreunde.

Die schwere Maschine rotierte über dem 4 ha großen Fischteich. Die große Power des Luftdrucks zog ihnen die Hautfalten ihrer erstaunten Gesichter glatt und ließ die Wellen springen wie Laubfrösche. Die ausgeworfenen Posen flogen durch die Luft. Sie stoben auseinander wie abgeschossene Pfeile aus einem Bogen. Schwerfällig drehte sich das fliegende Objekt, wie eine wild gewordene Riesenlibelle, um die eigene Achse. Gemächlich knatterte die Lärmbombe in einer großen Runde über ihre zerzausten Köpfe hinweg und donnerte zur gegenüber liegenden Deichkrone.

»Der sucht eine günstige Stelle!«, rief Mano erregt und verfolgte die gleißenden Scheinwerfer. Das grelle Licht erstrahlte in kreisenden Bewegungen und leuchtete gespenstisch den hohen Elbdeich aus. Auf einer nahe gelegenen Wiese der Deichniederung fand der Pilot, was er suchte. Sanft senkte er sein knallrotes Spielmobil herab und setzte es weich in die von Blumen erfüllte Sommerweide. Der enorme Luftdruck presste das lange wehende Gras zu Boden, so dass eine wie von Zirkelhand gezogene grüne Kreisfläche entstand. Die mächtigen Rotoren der Maschine wirbelten alles durch die Luft, was sich in ihrer Nähe befand. Blätter flogen in Massen von den Bäumen und rauschten ihnen mit hoher Geschwindigkeit um die Ohren. Als seien sie von einem Orkan entfacht trieb der warme Sommerwind sie hinaus in die Weiten der Marschlandschaft.

Die schroffen Schilfrohre des Teichrandes beugten sich zum Wasserspiegel und versanken in den Fluten. Die zuvor beschauliche spiegelglatte Fläche verwandelte sich in ein aufschäumendes Wellenmeer, das von tausenden Windstößen angetrieben wurde. Die Äste der mächtigen Bäume bogen sich vom Sturm und ein starkes Rauschen ihrer Blätter erfüllte die warme Sommerluft. Aus den Büschen flüchteten zwitschernd die Vögel. Rotierende Libellen rasten erschrocken davon.

Im Lichtkegel der Scheinwerfer tanzten Schwärme von Mücken. Millionenfach schwirrten sie dem hellen Licht entgegen, das weit in den Horizont strahlte. Langsam verhallte der höllische Lärm. Aus den Wiesen erklang das Zirpen der Grillen. In der Ferne stachen die knallgelben Weizenfelder hervor, durchflochten von Millionen Kornblumen und Klatschmohn. Mit sanften Bewegungen tanzten sie im Kegel des Lichtes. Völlig verdutzt sah sich die Gruppe an. Jan ergriff das Wort und vermutete ärgerlich: »Ich glaube, das ist Erni. Der Dussel hat in Frankfurt bestimmt seinen Flieger verpasst.«

Gespannt verfolgten sie die unwirkliche Szene, als sich die Tür des Krachmachers öffnete. Tatsächlich, er war es. Umständlich kroch er heraus. Freudestahlend und bepackt bis über beide Ohren kam er ihnen entgegen. Völlig außer Atem begrüßte er sie stürmisch. Mit einem Wink verabschiedete er sich von dem Piloten. Sogleich starteten die mächtigen Rotoren und erfüllten mit ihrem erbärmlichen Lärm die lauwarme Luft. Donnernd hob die Maschine vom Boden ab. Sie verabschiedete sich auf so stürmische Weise, wie sie gekommen war und verschwand in dem violetten Schein des Abendhimmels Richtung Hamburg.

»Hab’ ich was verpasst?«, fragte er aufgeregt und sah mit großen Augen gierig auf die frisch gezapften Bierkrüge.

»Na, zum Glück haben die ja einen Deckel. Suchend langte er in seine Tasche und holte eine kleine silberne Kugel hervor.

»Hier ist die Kugel der Angler.« Den kleinen Roulettetisch, den er im Arm hielt, stellte er ab und meinte: »So war es doch vereinbart Freunde, damit es immer schön spannend bleibt.« Er legte die Kugel auf die Scheibe und rief: »Ich bin schon ganz gespannt darauf, wer mit unserem erotischen Spielchen beginnt und wer als Nächster folgt.«

»Wo hast du dein Manuskript?«, fragte Leo aufgebracht. Lässig zog er es aus seinem Pilotenkoffer und winkte ihnen zu.

Na und! Wo sind eure Wortfetzen, zeigt mal her.«

Sie griffen sich ihren Papierstapel und hielten ihn hoch. Mit zufriedener Miene nickte er und rief: »Ich brauche jetzt ein Bier, Jungs!« Jan stand am Zapfhahn und reichte ihm eins der frisch gezapften Bierchen. »Nimm’ meins, wir haben schon ein paar gezischt«, sagte er und prostete ihm fröhlich zu.

Verwirrt sahen sie sich an. Alle waren noch leicht benommen von dem ohrenbetäubenden Lärm und dem höllischen Druck in ihren Gehörgängen.

»Ich dachte schon das war der Zoll und die holen Jan jetzt ab«, meinte Leo und rief lachend: »Herzlich Willkommen, du alter Sack!« Erni stürzte sich auf das Glas wie ein Verdurstender, klappte den Deckel hoch und schüttete das Bier in sich rein.

»Lecker!« Er wischte sich den Schaum von den Lippen und rief: »So Freunde, es kann starten!«

Erwartungsvoll sahen sie sich an. Mano blickte zu Leo und blaffte ihn an. »Leg los Junge, lass’ die Kugel rollen!«

»Okay, ihr geilen Böcke! Hier ist die Kugel – es geht los!«

Mit einem kraftvollen Schwung seiner Riesenpranken drehte Leo die Scheibe des kleinen Roulettes und ließ die Kugel roullieren. Die Zahlen rasten an ihren Augen vorüber und sie warteten gespannt darauf, wen sie sich als Ersten aussuchte. Vibrierend und hüpfend zischte sie über die keinen Segmente und hopste wie ein davon rennender Hase im Zickzack über die bunte Scheibe. Das leise Knistern des Feuers und ein Zirpkonzert von Millionen Grillen durchbrachen die Spannung, die in der Luft lag. Nach endlosen Umdrehungen beruhigte sich langsam der Schwung und drehte sich immer gemächlicher um die eigene Achse. Mit lautem Hops-hops und Klickklack-klick sprang die Kugel über die Zahlenkette, die als grau schillernder Streifen aus dem Wirrwarr der Farben im Schein des flackernden Grills heraus stach. Die Drehzahl verringerte sich. Die ersten Farbfelder wurden sichtbar und die Kugel kreiste in einem der Felder herum. Doch urplötzlich schoss sie noch einmal eine Runde weiter, bis sie sich endlich in einem Segment verfing und die Kugel genau vor Jans Nase anhielt.

»Na fein! Ich darf der Allererste sein!«, rief Jan aufgeregt.

»Meine Story ist die allergeilste! Aber zuerst noch mal prost! Die Deckel hoch und weg mit dem eiskalten Saft!« Fröhlich ließen sie die Deckel hoch klicken und genossen in großen Schlucken die frisch eingeschenkte Gerstenkaltschale.

Leo leerte in einem riesigen Zug sein Glas, er ließ es in sich hinein laufen, als würde eine Flutwelle sich ihren Weg durch die geöffneten Schleusentore bahnen.

»Was machen deine Rippchen, Mano?«, fragte er und wischte sich den Schaum vom Mund.

»Sind gut durchgegart! – Praktisch fertig«, antwortete Mano und stocherte mit der Fleischgabel in dem saftigen Stück Fleisch herum.

»Schmeiß mal eine Rippe rüber, ich brauche noch eine kleine deftige Stärkung, bevor ich euch von der Entdeckung meines Lebens berichte und die Erfahrungen vom aller ersten Mal schildere. Die waren so ungeheuerlich, dass ihr euch gegenseitig die Angelruten um die Ohren schlagen werdet!«, rief Jan aufgeregt in die Runde. Alle lachten vergnügt und stürzten sich wie hungrige Wölfe auf den Grill, schnappten sich eines der köstlich duftenden Schweinerippchen, welches von einer herzhaft gewürzten Kruste umhüllt war.

»Ratet mal, was ich gesehen habe, als ich hier herüber geflogen bin?«, meinte Erni süffisant.

»Ja, was denn wohl?«, fragte Leo neugierig. Allgemeines Achselzucken ging durch die Runde.

»Na, was schon, du Blödmann?«, meinte Jan gleichgültig. »Den Teich, der liegt doch vor deiner Nase, die Elbmarsch, die Kornfelder, die Kühe, Schafe oder Fohlen, der Deich, die Pinnau, die Krückau.«

»Nee, der Pilot hat mich darauf aufmerksam gemacht, ich selbst wäre auch nicht darauf gekommen.«

Huby sah ihn an und meinte: »Was denn genau? Die Form, die Größe, die Länge, die Breite, die Wassertiefe, die Schilfrohre, die Fische, die Halbinsel auf der wir hier sitzen?«

»Ja, schon nicht so schlecht«, antwortete Erni und grinste sie unternehmungslustig an. Mano erahnte was Erni meinte und meldete sich zu Wort: »Ich kann mir schon denken, was der meint. Der hat aber ein feines Gespür dafür, was die Damen so unter ihren Röcken verbergen.«

»Jo, jo«, verriet Erni lachend! »Genau, das ist’s. Na Freunde dämmert es langsam bei euch?«

»Nun erzähl schon!«, rief Leo ganz neugierig.

»Lass Mano das erklären. Ich will jetzt wissen, ob er recht mit dem hat, was er sagte.«

»Also, ich habe mit Monique einen Rundflug über die Elbmarsch gemacht und im Anflug aus der Richtung des Helikopters sah ich ein wunderschön geformtes zweischenkeliges Dreieck, als hätte es der liebe Gott in einem erotischen Anfall dort hingezaubert. Zwei wuchtige Oberschenkel, die in eine breite Beckenform mündeten, bildeten die Wasserfläche. Sie umschloß die kleine Insel des erotischen Dreiecks. Dazwischen lag der schmale Grad, der die beiden wildbewachsenen Hügelchen trennt und genau wo wir jetzt sitzen, war die heiße Zone. Wir hocken sozusagen genau über der Ritze.« Mano zeigte auf die ausgehöhlte Schleppbucht der Böschung, in der sie ihren Ruderkahn an Land ziehen konnten.

»Hallo Freunde! Benehmt euch hier anständig, wir sitzen sozusagen auf dem Quell des Lebens. Ganz so wie es: Gustave Courbet in seinem Gemälde: »Der Lebensquell«, so erotisch dargestellt hat.«

Alle lachten und Jan meinte: »Das sehe ich mir an! Dann mache ich ein paar Fotos, die schicke ich meinen geilen Kunden zu Weihnachten mit einer Einladung, sich auf St. Pauli von den Engelchen das Halleluja blasen zu lassen.«

Leo fragte: »Na, Jungs, seid ihr alle gesättigt? Dann kann es ja los gehen.« Leo stand auf, steckte sich eine seiner Pfeifen an und warf einen letzten prüfenden Blick auf das flirrende Schauspiel der Wasserfläche, die nur von einem beplankten Holzsteg der zum Festland hinüber führte durchtrennt wurde. »Nichts mehr los, nach dem Krach! Alle Fische sind weg, die Posen leuchten. Sie stehen ruhig im Wasser! Die Kugel der Angler hat dich ausgeguckt: Kannst anfangen, Jan«, meinte Leo erwartend und zog genüsslich an seiner qualmenden Pfeife.

»Na denn!«, rief Jan mit seiner lauten Löwenstimme, die weit über die Wasserfläche schallte und dieses Idyll der spannungsgeladenen Ruhe durchbrach.

»So, aufgepasst! Und schön die Schlappohren in Position stellen! Jetzt gibt’s gleich was Steiles. Es geht los Freunde! Der Titel lautet: Das Fenster der Aale!«

Teich-Gelüste

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