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Bildformatrente

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Wenn ›Prestigerente‹ die schmeichelhafte Nachwirkung ehemaligen Ansehens meint, dann könnte gelten: Wer Bildformatrente kassiert, der profitiert von Effekten bildformattypischer Eigenschaften auch noch jenseits des tatsächlichen Mediums ›Bild‹. Voraussetzung dafür wäre natürlich die Ablösbarkeit solcher Eigenschaften vom Bild selbst – sie würden im Ensemble zum stabilen Schema.

Nun könnte bildformattypisch ja vieles sein: das Zentrierende einer bildbegrenzenden Quadrat- oder Kreisform, das den Umriss einer Sache Bekräftigende eines Versatzstücks, das Additive eines Panoramas, das modular Gefügte oder das von innen nach außen Entwickelte eines Shaped Canvas, das Fortlaufende eines Frieses oder das Vielzellige eines Polyptychons. Doch sind dies sämtlich Spezialfälle, Ausnahmen von einer Regel, die auf das rechtwinklige Format in maßvollem Verhältnis von Höhe zu Breite hinauswill, eines Formates, das die Wände eines jeden gut sortierten Museums der Malerei füllt, und zwar mindestens die Abteilungen vom 16. Jahrhundert bis in unsere Zeit.

Zu den Ursachen für den unerhörten Erfolg dieses Modells gehören historisch gesehen gewisse Konventionen. Es ist nicht übertrieben, mittlerweile sogar von regelrechten Instituierungen auszugehen – bis hin zu entsprechend vorformatiert aufgezogenen Leinwänden des Malereibedarfshandels. Aber es kommt auch ein Faktor ins Spiel, den jeder Kulturalist am liebsten ausblenden würde: das Naturgesetz der Schwerkraft. Ihm antwortet auf unserem Planeten ein aufrechtes Stehen, sprich ein rechter Winkel sowohl des Menschen als auch vieler Tiere und Bäume zur Horizontale der Erdoberfläche, in der Folge aber auch all der Bauten und unzähligen Dinge, mit denen der Mensch sich umgibt. Diese gewissermaßen von Natur aus vorbereitete, per Kultur fortgesetzte Vorstrukturierung findet im rechtwinkligen, lotrecht auf horizontal zu denkenden Bildformat nicht einfach nur Widerhall, sondern eine starke Entsprechung. Denn dieses Format gewährleistet eine von Inkaufnahmen verschonte Darstellung ohne verunklärende Wegschnitte weitaus besser, als alle Alternativen es vermöchten (was übrigens eine ganz ähnliche Beharrungskraft der typischen Bühnenportalform im Theater seit der Renaissance sowie die weitaus späteren, konventionalisierten Übernahmen dieses Formates in Bewegtbildmedien bis hin zu sämtlichen digitalen Displays unserer Tage erklärt).

Die bislang noch außer Acht gelassene maßvolle Längung der rechtwinkligen Bildform wiederum ergab sich im Typus des Hochformats historisch aus der Aufgabe der Personendarstellung, insbesondere im Porträt, hingegen beim Querformat aus einem plausiblen Kompromiss: zwischen raumzeitlicher Punktualität des Bildlichen (wie beim Tondo oder Quadrat) und dessen raumzeitlicher Nebeneinanderordnung bzw. Reihung (wie beim Panorama oder Fries). Über die Feinabstimmung dieses Verhältnisses genauso wie über die von ihnen jeweils favorisierte Bildgröße geben denn auch heutige Künstler bereitwillig Auskunft – und denken nicht einmal daran, die Hauptsache zu erklären, warum sie ausgerechnet ein rechtwinkliges Format verwenden. Darin erblicken sie bloß eine Selbstverständlichkeit, die noch den unschätzbaren Vorteil hat, neutral zu wirken, wie eine Matrix, relativ zu der abweichende Lösungen erst Kontur gewinnen.

Wie viel Berechtigung oder vielleicht sollte man sagen, wie viel Gewohnheitsrecht darin steckt, wird man anerkennen, sobald man festgestellt hat, dass die Ablösbarkeit der Bildformateffekte vom Bild – also genau das, was wir als Bildformatrente verfolgen – interessanterweise bereits im Bild selbst beginnt: Während man nämlich bei abstrakter Malerei des frühen 20. Jahrhunderts eine entsprechende Formattreue noch ganz gut mit Verweis auf die Ableitung und Entfaltung der Abstraktion aus ehemals gegenständlichen Zusammenhängen oder Szenerien erklären könnte, kommt man bei späteren, gänzlich monochromen Bildern oder der Allover Structure eines Jackson Pollock kaum an dem Verdacht vorbei, es spiele eben doch Anciennität eine Rolle: so, als wäre die Althergebrachtheit des typischen Bildformats stark genug, den Bildern an Rückhalt zu geben, was die Maler ihnen innerbildlich auch immer austreiben mochten – und verkäuflicher blieben die Sachen im probaten Bildschema allemal.

Die zweite Stufe einer Ablösung der Bildformateffekte vom Bild ist dort erreicht, wo faktisch gar kein Bild mehr vorhanden ist, aber nach Kräften daran erinnert wird: Seien es aufgehängte Keilrahmen von Imi Knoebel oder Bildabnahmen von Timm Ulrichs mit zurückbleibenden Wandspuren – stets reicht die Aufbietung der Eckdaten des typischen Bildgevierts schon hin, um zu evozieren, was faktisch fehlt. Solche von Ulrike Lehmann und Peter Weibel einst unter »Ästhetik der Absenz« verbuchten Fälle profitieren zwar vom Nachwirken des Bildes im Modus des Stumpfschmerzes, loten diesen Effekt aber durchaus bewusst aus, weshalb es ihnen nicht als M. d. K., sondern nur als mäßige Originalität angekreidet sei.

Die dritte Stufe ist erreicht, wenn ein künstlerisches Medium offiziell mit bildindifferentem Anspruch – sei es auf Weltverbesserung, auf Sammlung von Fakten oder Dingen, sei es auf konzeptuell motivierter Darbietung oder auch Partizipation – antritt, ohne dass doch verzichtet würde auf die unterschwellige Wirkung des Bildes, nämlich vermittels seines hier als typisch explizierten Formates. Man denke bloß an die räumlich dispositiven Lösungen institutionskritischer oder anderweitig politisch ambitionierter Kunst, wie sie seit den 1990er Jahren vorzugsweise in Einrichtungen wie der Wiener Generali Foundation oder der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig dargeboten werden: Schautafeln, Diagramme oder noch drögere Kost hält sich an der Wand, während davor in Vitrinen oder auch lose auf Tischen Informations- oder Betätigungsmaterial ausgelegt wird, vielleicht noch irgendwelche Formulare, die der Besucher ausfüllen darf. Auch die sogenannte Dienstleistungskunst der 1990er Jahre und der installativ vorgehende Dokumentarismus unserer Tage, schließlich etliche im Bildformat ausgelegte Bodenarbeiten kassieren Bildformatrente, indem sie vordergründig die Entsublimierung eines politisch oder anderweitig motivierten Anliegens betreiben oder sich darstellungsabstinent und literalistisch gerieren, unterschwellig aber bildliche Absolution suchen.

Die allgemeine Verbreitung des Prinzips Bildformatrente könnte zu der Einsicht verleiten, alle historischen Fluchtversuche aus dem als kontaminiert erachteten Bild landeten nach Umwegen über bildindifferente und antibildliche Ausdrucksweisen früher oder später wieder genau dort – wenn schon nicht explizit, so doch implizit (eine Einsicht, die betrüblich ohnehin nur für diejenigen wäre, die von außerkünstlerischer Praxisrelevanz der Kunst träumten). Bedeutsamer erscheint mir, dass uns mit dem Konzept der Bildformatrente ein Mittel wenn schon nicht der Analyse, so doch wenigstens der Dingfestmachung jener andernfalls opak oder idiosynkratisch bleibenden Entscheidungen heutiger Starkünstler für diese oder jene Dimensionierung einer Stellwand, eines Durchganges oder vielleicht auch nur eines Vorhanges an die Hand gegeben ist. All diese Details und Epiphänomene in großen, gern installativen Arbeiten auf einer Biennale, die dem Laien undurchschaubar, dem Kunstfeind geschmäcklerisch und dem Kunsthistoriker als Undeutbarkeitsrest anmuten dürften, würden sich wohl oftmals durch solche Effekte nachzeichnen lassen. Die unentwirrbare Überlagerung solch künstlerischerseits habitualisierter, den Künstlern aber nicht stets voll bewusster Kunstgriffe erzeugt, wie ich finde, jenen schwer sprachfähig zu machenden ›Look von Kunst‹ mit, der längst Teil von Kunst wurde. Das heißt aber, dass bestimmte Partien heutiger, zumal komplexer und vorderhand gar nicht als Bild auftretender Werke in dem Sinne ›spuken‹, als in ihnen entleerte Schemata ereignisverdichtenden Erzählens oder auch ›hoch auf quer‹ dimensionierte Figurationen potentiell sinnhaften Zeigens irrlichtern. Die mit sich zufriedenen Künstler können dann die Arme in die Hüfte stemmend tönen, dass ihre Arbeit so – und nur so – stimme. So wenig wie die meisten ihrer Betrachter ahnen sie, inwieweit ihr Werk dabei von gewissen Eigenschaften des Bildes zehrt, die längst in den Untergrund gegangen sind.

Maschen der Kunst

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