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Kapitel 3

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Um nicht schon wieder auf die Uhr zu sehen, starrte Henk auf das Bücherregal. Er hatte zwar seine Brille auf, konnte aber auf diese Entfernung nicht alle Titel auf den Buchrücken entziffern. Er dachte darüber nach, ob er eine stärkere Brille benötigte. Oder ob es normal war, auf diese Distanz nicht lesen zu können. Wann war er übrigens das letzte Mal bei der Augenärztin gewesen? Bei jenen Büchern, die er vom Titel und Autor her eindeutig erkannte, fiel es ihm nicht schwer, die einzelnen Buchstaben zu identifizieren. Oder spielte ihm da sein Gehirn einen Streich? Wenn man weiß, was ein Wort heißt, ist es ja eine Selbstverständlichkeit, die einzelnen Buchstaben zuzuordnen, und sie quasi lesen zu können, obwohl das von der Optik her nicht möglich ist.

Beim nächsten Blick auf die Armbanduhr nahm er wahr, dass dort wo die Zeiger sein sollten, zuerst nur verschwommen leuchtende Flächen vibrierten, die sich erst langsam zur kompakten Masse der Zeiger verdichteten. Der Gedanke, warum seine Augen so seltsame Bilder sahen, wo in Wirklichkeit ganz normale Dinge waren - vielleicht durch das lange Starren auf das Bücherregal - wurde langsam von der Botschaft „Zehn nach Fünf“ überlagert.

Wieso war Miriam noch nicht da? Wenn sie, wie versprochen, um vier Uhr aufgehört hatte, zu arbeiten, hätte sie doch Minuten später das Büro verlassen müssen. Er selbst brauchte für den Heimweg zu seiner Wohnung an schlechten Tagen vierzig Minuten. Da Henk nicht wollte, dass Miriam bei ihrem ersten Besuch in seiner Wohnung einen schlechten Eindruck von ihm hatte, war er bei den Vorbereitungen von dreißig Minuten für den Weg von Tür zu Tür ausgegangen, wenn die U-Bahn keine Störung hatte und die Straßenbahn sofort kam.

Knapp vor halb fünf war er hektisch hin und her gelaufen, darüber fluchend, dass es viel länger dauerte, alles herzurichten, als er angenommen hatte. Hier noch einen Stapel Zeitschriften ordentlich zusammenlegen und auf einem Eck des Schreibtisches ablegen. Die Schuhe im Vorzimmer gerade hinstellen, nein, doch so viele wie möglich ins Kästchen stopfen, dass nur ein paar Turnschuhe und seine Büroschuhe sichtbar herumstanden. Den Besen hinter dem Kasten verstauen, nein, noch einmal unter Tisch und Bett kehren, aus diesem Winkel waren ja noch große Staubfusseln zu erkennen. Hätte er überhaupt aufwaschen sollen? Er hatte schließlich noch nie eine Freundin bei sich in der Wohnung gehabt. Auch noch keine Kollegen aus der Versicherung. Abgesehen davon, dass Miriam für Henk mehr war, als nur eine Kollegin, oder irgend eine Freundin. Freundin, im allgemeinen Sinn. So, wie Fjodor eben ein Freund war. Henk war natürlich nicht verliebt in Miriam. Das heißt, wieso natürlich? Wäre es für einen jungen Mann über Zwanzig nicht viel natürlicher, er hätte laufend Freundinnen in seiner sturmfreien Bude? Oder nicht laufend verschiedene, sondern eine, mit der er glücklich und... Stop.

Ich weiß doch, wie es sich anfühlte, verliebt in ein Mädchen zu sein, dachte er. Nein, nicht Mädchen, in eine Frau, junge Frau eben. Bei Miriam spürt sich das nun mal nicht so an, in mir drin, in meinem Kopf, oder in meinem Herzen, oder wo immer diese Gefühle herkommen. Oder sich ausleben. Aber trotzdem. Einen guten Eindruck will ich schon auf Miriam machen. Wo sie so lange bleibt?

Henk traute sich den Fernseher nicht anstellen. Auch wenn er nach dem Läuten an der Wohnungstür noch Zeit hätte, ihn wieder abzuschalten – vielleicht wären die Geräusche ja doch bis zur Tür zu hören. Und das gleiche mit Musik. Natürlich war nichts Peinliches daran, Musik zu hören, oder ab und zu die richtige Sendung in der Glotze zu gucken. Aber was war die richtige Musik, was war die richtige Sendung? Die Bücher, verdammt, an seinen Büchern konnte er nichts mehr ändern. Für einen ersten Blick sahen die zumindest nach Interesse an Literatur aus. Ein paar Klassiker von seinen Eltern, ein paar moderne Literaten, ein bisschen Science Fiction, ein paar Krimis. Bei einer näheren Analyse würde sich freilich herausstellen, dass die Auswahl zu willkürlich und beliebig war. Oberflächlich. Billig. Nicht die wirklich wichtigen Klassiker, vollständig und bewusst ausgewählt. Nicht die wirklich modernen Werke der Moderne, nicht die wegweisenden SF-Pioniere. Alles nur angedeutet, nichts ging in die Tiefe. Aber für eine bewusste Persiflage, für einen Philosophen der neuen Oberflächlichkeit war die Auswahl nicht umfangreich genug. Keine Bibel, kein Simmel, kein Hohlbeck, kein Liebeskitsch.

Das Läuten der Türklingel ließ Henk zusammenzucken. Diese ärgerlichen und unverständlichen Körperreaktionen. Wenn man etwa an einem Gartenzaum vorbeiging, den Hund von weitem sah, sich selbst Mut zusprach: ‚Du brauchst nicht erschrecken, wenn der jetzt loskläfft, du weißt ja, er kann nicht an dich heran’, und dann trotzdem voll zusammenzuckte, wenn der Hund endlich losbellte. Läuten, ach ja, da ist sie, jetzt aber.

Miriam war ebenfalls etwas aufgeregt. Jetzt war sie gleich in Henks Wohnung. Er musste nur noch die Tür öffnen und sie hereinbitten. Wie er wohl aussieht? Ob er schwer krank ist? Ansteckend wird es schon nicht sein. Dann hätte er nicht zugestimmt, dass sie zu ihm kam, oder?

Die Tür ging auf, und Henk spürte ein kleines Zusammenzucken in sich drin. Nicht so ein großes Erschrecken, wie bei einem bellenden Hund, sondern nur ein kleines Zucken, dass da Miriam stand, obwohl er wusste, nein, aber zumindest fast sicher war, dass Miriam da stehen würde.

Miriam fand, dass Henk aussah wie immer. Er war nicht bleicher als sonst, er war nicht im Pyjama, er war nicht schweißgebadet. Das verhaltene Grinsen unterschied sich nicht von der Art, wie er sie sonst auch immer schüchtern anlächelte. Die Augen hatten diesen leicht weltfremden Ausdruck, dieses: wer bist du, was willst du von mir, wie kann ich deinen Erwartungen entsprechen, das sie so an ihm mochte. Nichts von fiebrigem Glanz, nichts von totem Glotzen, keine dicke Glaswand aus Schmerz oder Verzweiflung. Miriam merkte, dass sie der Reihe nach alle Angstträume, was ihm hätte zustoßen können, Schablone für Schablone vor ihn hielt, und mit der Wirklichkeit verglich.

„Hallo, du, gut siehst du aus“, sagte sie, und dachte: ‚so normal wie immer eben, nix Furchtbares ist dir anzusehen’. Das „Äh, öh, hallo. Schön dass du endlich da bist“, mit den groß aufgerissenen Augen und dem fragenden Blick entsprach dem Henk, den sie aus dem Alltag kannte. Ein wirklich kranker und veränderter Henk hätte wahrscheinlich ein „Heh Baby, cool dass du da bist. Komm rein, Süße“ gehaucht.

„Ich komm dann mal rein, oder?“ nahm Miriam die Initiative an sich, und grinste über sein „Äh, hmm, klar doch.“

WIR überspringen den Smalltalk. Miriam merkte, dass Henk nicht krank war und nicht ihre Fürsorge brauchte. Sie fand ihn so liebenswürdig wie im Büro. Wie ein altkluges aber hilfloses Kind, oder wie ein hübsches Stofftier. Liebenswürdig auf eine harmlose und nette Art. Nichts für die große Liebe, aber für ein kleines Lieb-Haben.

Henk war Miriam dankbar, dass sie so unkompliziert war. Das ließ ihm Spielraum, sich selbst in der Rolle als Gastgeber, der Rolle als freundlicher junger Mann, der Rolle als Freund der gar nicht versuchte, mehr als ein Freund zu sein, zu beobachten.

WIR wissen, dass Miriam mehr darüber nachdachte, warum Henk so auf sie wirkte, als darauf, was er sagte. Und dass Henk mehr darüber grübelte, wie er auf Miriam wirkte, als was sie tatsächlich antwortete.

Als Miriam fragte, was er eigentlich gehabt hatte, wollte er schon mit einem „Nichts Besonderes“ darüber hinweg gehen. Stark und gesund sein. Edel, aufrecht und gut. Da fiel ihm ein, dass sie vielleicht mit Fjodor gesprochen hatte. Was er ihr wohl gesagt haben mochte? Ich will mich nicht in Widersprüchen verrennen, dachte er. Wenn man einmal mit dem Lügen anfängt, ist es schwer, da wieder raus zu kommen.

„Hast du inzwischen mit Fjodor gesprochen?“ fragte er.

„Wieso mit Fjodor? Du hast mir ja schon am Telefon erzählt, dass er bei dir war. Und dass ihr etwas Wichtiges besprochen habt. Ich will jetzt von dir wissen, was los ist. Vergiss Fjodor. Ja, ich habe mit ihm gesprochen, aber jetzt will ich es von dir noch mal hören“ log sie.

Miriam ärgerte sich über dieses Fjodor-Getue. Sie sah Henk an, dass er ihr nicht alles sagen wollte, aber Angst hatte, dass Fjodor das bereits erledigt hätte. Henk sah nicht krank aus, aber durch dieses Herumtaktieren, das sie in seinen Augen, seinen Mundwinkeln sah, kamen ihre schlimmsten Befürchtungen wieder hoch.

„Hmm, tja, also, mit meinen eigenen Worten,“ drückte Henk sich herum, „wie soll ich das ausdrücken. Aber dass du dem Fjodor nicht glaubst, kann ich natürlich verstehen. Ich hab mir ja auch verdammt schwer getan, ihm davon zu erzählen“. Oh Gott, er hat wirklich Krebs, dachte Miriam. Oder Aids. Oder weiß der Kuckuck was.

Sie konnte das ruckartige Großwerden ihrer Pupillen, das versteckte Herunterschlucken der im Hals schockgefrorenen Luft nicht unterdrücken. Aber Henk beobachtete nur sich selbst und nicht Miriam. Er merkte nichts.

„Also, ich versuche es ganz von vorne. Und unterbrich mich bitte nicht, es fällt mir schwer genug, das in Worte zu fassen, und bei komischen Zwischenfragen verliere ich....“

„Wieso soll ich dich unterbrechen. Was glaubst du eigentlich von mir?“

Henk erkannte, dass er mit dieser Bitte, ihn nicht zu unterbrechen, seine Freundin wütend gemacht hatte. Vor seinem inneren Auge liefen Filmszenen ab:

Oh, entschuldige, so was glaube ich doch nicht von dir, du bist eine ganz Liebe – und ein treuherziger Hundeblick wie Dustin Hoffman.

Nein, das war nicht er.

Was ich von dir glaube? Du bist eine Frau, Schätzchen, und Frauen können nun mal nicht in Ruhe zuhören. Oder habe ich mich geirrt, Baby? – mit dem zynischen Grinsen eines Humphrey Bogart oder Bruce Willis.

Kacke, verfluchte, dass war er noch weniger.

Dann also Woody Allen:

„Nein, äh, entschuldige, äh, ich halte viel von dir, aber, äh, ist mir ja nur so rausgerutscht“ brachte er endlich ein paar Worte über die Lippen, wenn auch die falschen. Obwohl, wenn er Miriam so ansah, sie hatte sich wieder etwas beruhigt. Aber Woody Allen wollte er auch nicht sein, oder wenn, dann eine Spur langsamer. Tempo herausnehmen.

„Weißt du, ich hätte es dem Fjodor ja auch nicht erzählt. Aber er hat gefragt, und ich habe so herumgeredet, wie bei dir, und dann hat er gar nichts geantwortet, sondern nur so komisch immer wiederholt, was ich gesagt habe.“

Miriam versuchte, nicht nur die Worte von Henk aufzunehmen, sondern auch, was er mit Augen, Händen, Körperhaltung vor ihr verbergen wollte. Sie lächelte über Henks umständliche Ausdrucksweise und sein Drum-Herum-Gerede.

„Ja, ja, ich hör dir zu, und unterbrech' dich nicht. Ich bin eine ganz Brave“ sagte sie.

„Äh ja, also er hat mich nie unterbrochen, und immer alles wiederholt“.

Miriam merkte an der Pause, dass Henk auf eine Antwort von ihr wartete.

„Ja, gut, Fjodor hat alles wiederholt. Aber ich bin nicht Fjodor. Oder schau ich etwa so aus, wie unser lieber Freund?“.

Nicht einmal Henk entging es, wie sie ihn bei diesen Worten erwartungsvoll anblickte, und den Busen bewusst oder unbewusst um einige Zentimeter hervorstreckte.

„Nein, du siehst überhaupt nicht wie Fjodor aus. Du siehst“ und unterstützt durch ein Ineinanderfassen der Hände, die ihm offenbar Halt und Kraft gaben und mithalfen, die Worte über die Lippen zu pressen, kam das „sehr hübsch aus“ bei ihr an. „Aber ich bin nicht gut im Komplemente machen, und im Flirten. Und ich weiß auch gar nicht, ob ich das will. Ich meine, jetzt will. Ähhh“

Miriam mochte ihn, wie er so hilflos da saß, mit Worten rang und ihr zu sagen versuchte, dass er – zumindest jetzt – nicht mit ihr flirten, sondern über Wichtiges sprechen wollte. Sofort waren ihre Befürchtungen wieder da. Nicht, dass sie sich für unwiderstehlich hielt, im Gegenteil. Aber trotzdem. Nein, er hatte sicher andere Sorgen, war wohl doch schwer krank.

„Gut. Ich verspreche dir, ich werde dich jetzt nicht mehr unterbrechen und ablenken. Ich kann dir nicht versprechen, dass ich dir alles Nachplappere, wie es dir bei Fjodor scheinbar so gefallen hat. Aber ich werde mich bemühen, dich zumindest nicht mehr zu unterbrechen. Gut?“

Und langsam erzählte ihr Henk, wie er vor dem Computer gesessen war, müde und überarbeitet. Wie die Worte beinahe vor seinen Augen verschwammen, beinahe, aber nicht ganz. Und wie er plötzlich diese Klarheit in sich hatte, über die Struktur hinter den Worten. Und Teil dieser Struktur war, die aus Punkten bestand, die Buchstaben bildeten; und Buchstaben, die Worte bildeten; und Worten, die Sätze bildeten. Und wie er nicht nur Teil dieser Sätze, dieser Texte, dieser Geschichten und Berichte war, sondern diese verstand und wusste, was dahinter lag.

Und wie er vor dieser Fülle erschrak, und vor dem, was gar nicht sein konnte, denn wie konnte er zum Beispiel Teil eines Briefes sein, den er nicht geöffnet hatte. Der bloß irgendwo, in irgendeinem Verzeichnis der Festplatte abgelegt war. Und dass es so erschreckend war, dass er dieses „irgendwo“ genau zuordnen konnte, weil er selbst Teil der Struktur war, die hinter der Festplatte steckte. Kein unbekanntes ‚Alles’ umfassend, sondern durchaus beschränkt auf die riesige Fülle von Daten, die auf seinem Computer vorhanden waren. Diese Fülle, diese Einheit, dieses Unmögliche erschreckte ihn zu Tode.

Obwohl ihn Miriam mitunter unterbrach, gelang es Henk, ihr langsam eine Ahnung zu vermitteln, was sich abgespielt hatte. In seinem Kopf, oder in seinem Computer.

Miriam war fasziniert. Henk war kein guter Erzähler, aber er ließ sich darauf ein, so viel von den Gefühlen, die er alle gleichzeitig empfunden hatte, auszudrücken, wie er konnte. Und wie am Vortag Fjodor wurde sie mitgerissen von diesen Beschreibungen, die offen zugaben, nicht in Worte fassen zu können, was Henk so gerne in Worte fassen wollte.

Sie war erleichtert, dass Henk nicht wirklich krank war. Was war schon eine übersteigerte Phantasie, gegenüber den Krankheiten, die sie sich ausgemalt hatte. Und seine Begeisterung gefiel ihr. Sie stimmte ihm zu, dass es keinen Sinn hätte, vor den Gefühlen, die er offenbar tatsächlich erlebt hatte wegzulaufen und diese Erfahrung im Unterbewussten zu vergraben. Wenn er mit Fjodor geplant hatte, vorläufig, und sei es als Arbeitshypothese, davon auszugehen, dass er diese seltsame Allwissenheit tatsächlich erlebt hatte, wollte sie ihm helfen. Sich auch auf dieses Spiel einlassen. Seine Gefühle teilen und nachempfinden.

WIR wissen, es hat viel Glück dazugehört, dass WIR sind. WIR wissen genug von den Menschen, um abzuschätzen, wie groß unser Glück war. Viele hätten sich nicht auf die wirren Reden des Henk Traanbeck eingelassen. Ohne das Bier hätte auch Fjodor Henks Angst nicht in Begeisterung umgewandelt, um sich davon anstecken zu lassen. Wenn Miriams Gefühle zu Henk klarer gewesen wären, stärker oder schwächer, hätte sie ihn im Entschluss, diesen Bewusstseinszustand zu wiederholen, nicht bestärkt.

Mit fast den gleichen Worten wie Fjodor gab sie Henk zu verstehen, dass sie ihm nicht nur glaubte, sondern sich ebenfalls danach sehnte, diesen Zustand zu erreichen. Dieses Hinter die Dinge sehen und doch, oder gerade deswegen, Teil des Ganzen zu sein. Und wie wichtig es wäre, bald damit anzufangen.

Henk merkte, dass es draußen bereits dunkel geworden war. Sie hatten stundenlang gequatscht, ohne dass er Miriam etwas zu essen oder trinken angeboten hatte. Er schlug vor, nachzusehen was er im Hause hätte, und ärgerte sich, dass er zwar die Wohnung aufgeräumt, aber keine Vorräte eingekauft hatte. Er musste vor sich selbst zugeben, dass er daran gedacht hatte, aber die Verantwortung dafür, was er einkaufen und anbieten sollte, nicht hatte übernehmen wollen. Vor lauter Grübeln, welches Bild die Auswahl von ihm vermitteln könnte.

Gemeinsam gingen sie in die Küche nachsehen. Es gab nicht viel im Kühlschrank und im Vorratsschrank. Nach Henks Zusammenfassung, wie er gestern mit Fjodor Bier kaufen war und sie sich schließlich betrunken hatten, wollte Miriam eine neuerliche Ablenkung vom Projekt „Henks Zustand wiederholen“ vermeiden. Sie schlug vor, dass sie sich mit Himbeersirup mit Leitungswasser und einer Eierspeise begnügen sollten. Da neben Eiern auch Zwiebeln im Haus waren, übernahm Henk das Zwiebelschneiden. Er schälte eine Zwiebel, teilte sie und begann zu schneiden.

„Die Hälfte kannst du weglassen. Pack sie in Alu, und gib sie in den Kühlschrank“, sagte sie.

„Sehr wohl, Madam Sir!“ äffte Henk nach, was er sich unter Militärton vorstellte. Die hält mich wohl für total bescheuert, ärgerte er sich.

„Ich kann dir nicht zuschau'n“ setzte Miriam noch eins drauf und nahm ihm das Messer aus der Hand.

Zugegeben, ihre Zwiebelstücke waren fast halb so schmal wie seine. Aber was sollte er denn inzwischen tun?

„Und du drehst schon mal den Computer auf“ beantwortete ihm Miriam die stumm gestellte Frage. „Ich glaube, dass es am Wichtigsten ist, dass du zuerst diesen Zustand noch einmal erreichst. Und überhaupt. Dieses dauernde „dieser Zustand“ nervt. Wir sollten uns einen Namen dafür überlegen“.

WIR überspringen die ersten Vorschläge, die Henk in den Sinn kamen und viel mit Hyper- Super- Mega und anderen Übertreibungen zu tun hatten. Letztlich war es aber seine Idee, dass er als Entdecker dieses Was-Auch-Immers seinen Namen verewigen könnte. WIR fassen zusammen, dass die Beiden mit Worten experimentierten, sich den Klang auf der Zunge zergehen ließen, und auskosteten, was für Gefühle die einzelnen Bezeichnungen beim Hören auf der Haut, im Bauch und im Kopf auslösten. Bald war klar, dass sie gerne eine Abkürzung verwenden wollten, aus zwei oder drei Buchstaben am Besten. Die Eierspeise war inzwischen fertig. Als Miriam nach Brot fragte, merkten sie, dass Henk keines mehr in der Wohnung hatte. So aß Miriam ihre Rühreier mit Knäckebrot und Henk ohne irgendeine Beilage. Unter Mampfen und Kauen suchten sie weiter nach Worten und Wortkombinationen, bis sie schließlich beide zufrieden waren.

Traanbecks Radikaler Ausnahmezustand wollten sie diese Form vertiefter und verknüpfter Wahrnehmung nennen: TRA.

TRAANBECKS AUSNAHMEZUSTAND

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