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1.1.1 Gesellschaftlicher Wandel und Generationenkonflikt

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Ende bzw. in der zweiten Hälfte des 19. Jh. entwickelte sich Deutschland von einem Agrarstaat zu einem Industriestaat, in dem Fortschritt und Technik die Zauberworte (nicht nur) des Bürgertums waren (vgl. Engelhardt, 1927, S. 10) – ein System der „Erwerbsgier“ und des „Mammonismus“ (Lütkens, 1925, S. 34 f) entstand. Die Menschen, vor allem aus den ländlichen Gegenden und dem proletarischen Milieu, zog es auf der Suche nach neuer Arbeit massenhaft in die Städte, was heute allgemein unter dem Begriff „Landflucht“ (Musall, 1987, S. 29) bekannt ist. Dadurch zerfiel die traditionelle Gemeinschaft, in der die Menschen dieser Zeit zusammengelebt hatten. Gleichzeitig wuchsen die Städte rapide an; Lütkens spricht von „Verstädterung“ (1925, S. 20) und zeigte deren Auswirkung in der Gesellschaftsstruktur, besonders auf das städtische Bürgertum, das seine „tragende Rolle“ (Status), welche es bisher in den Städten inne hatte, unfreiwillig einbüßen mußte.

Trotz dieser Veränderungen hingen die bürgerlichen Schichten noch immer an den Wertvorstellungen einer Gesellschaft mit einem „überschaubaren und stabilen sozialen Zusammenhang“, natürlich zu ihren Gunsten in hierarchischer oder „ständischer Tradition“. Auf der Suche nach Erklärungen für die Modernisierungstendenzen entwickelten sie einen „Kulturpessimismus und Zivilisationshass“. Rettung vor dieser gefährlichen „Moderne“ sahen jene in den „alten Werten“ (Klönne, 1990, S. 82 f) – klassisch-humanistische Bildung (Latein, Philosophie, usw.), hierarchisierte Gesellschaftsstruktur, etc. –, die ihnen bis dahin ihre Existenz gesichert hatten. Diese kritische Einstellung hätten jene Älteren aufgrund ihrer Verhaftung in einem bestimmten gesellschaftlichen Status nicht lebenspraktisch angewandt, sondern stattdessen die gesellschaftlichen Entwicklungen hingenommen (vgl. Klönne, 2000, S. 47). Diese Haltung bzw. diese „nüchterne Welt der Väter“ hätten die „jungen Menschen“ nicht mehr verstehen können. Diese mußten sie sogar zum Haß bringen, der letztendlich zu einem Generationenkonflikt führte, oder wie Engelhardt es formuliert: „Das Problem Vater und Sohn schlug seine Wellen“ (1927, S. 11).

Mädchen und Frauen in der deutschen Jugendbewegung im Spiegel der historischen Forschung

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