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Kapitel 1

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Das Geschäft

Teil 2

Trotz der Hitze fröstelte ich. Mir war schlecht vor Entsetzen.

Es war nicht mal zwei Stunden her, dass direkt vor meinen Augen ein mitreisender Passagier nach der Landung in Lima beim Verlassen des Flugzeugs erschossen worden war. Sein Blut klebte immer noch auf meinem Kostüm.

Das Verhör, dem wir unterzogen wurden, war unerfreulich und unangenehm. Ich konnte nicht mehr berichten als das, was sich unmittelbar vor meinen Augen abgespielt hatte: Dem vor mir stehenden kahlköpfigen Mann war der Kopf explodiert.

Die Kontrolle des Gepäcks war mehr als gründlich. Für jeden Passagier gab es zwei Beamte, die jedes Wäschestück aus den Koffern nahmen und befingerten, und jeder Kulturbeutel wurde ausgeleert und jedes darin befindliche Teil untersucht. Dabei war der Schuss eindeutig von außerhalb der Maschine gekommen.

Mein alter Freund und Kollege Michael Wolters hatte die ganze Zeit in der Ankunftshalle gewartet. Da bisher überhaupt keiner der Passagiere zum Vorschein gekommen war, obwohl der Jumbo-Jet schon stundenlang am Boden stand, und andere Abholer berichteten, sie hätten von der Aussichtsterrasse des Flughafens her beobachtet, dass zahlreiche Polizisten das Flugzeug umringt hatten, war selbstverständlich die Neugier der Wartenden groß, zu erfahren, was los war. Ich wurde sofort umringt und ausgefragt.

Erstaunlicherweise wurde in keinem der peruanischen Medien ein Wort über den Vorfall verloren. In keiner der Zeitungen, von denen ich schon allein aus beruflicher Neugier in den Tagen nach meiner Ankunft etliche durchgeblättert habe, in keiner Fernsehsendung. Es war, als wäre der Mord am Flughafen in Lima gar nicht geschehen!

Peru gilt als eines der ärmsten Länder der Welt. Die Bodenschätze bestehen weitgehend aus Mineralien, deren Preis der Welthandel bestimmt. Der ehemals blühende Export von Fisch und Fischmehl war dank extensiver Raubfischerei anderer Nationen zum Erliegen gekommen, ebenso wie der Export von Guano. Das Abkratzen meterdicker Kotschichten von Seevögeln auf den der Küste vorgelagerten Inseln und der Verkauf des Kots als Düngemittel war mit der Überfischung der peruanischen Gewässer ebenfalls vorbei. Es gab zwar Funde von Erdöl im Amazonasbecken, aber der Bau von Pipelines über die viertausend Meter hohen Kordilleren machte jedwede Exploration unwirtschaftlich.

Ich konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, wie nahe ich einzelnen Figuren der folgenden Geschichte in den nächsten Wochen und Monaten kommen würde.

Ich war einmal kurze Zeit mit einem Peruaner verheiratet. Wir hatten uns während des Studiums kennengelernt, er war charmant, extrem höflich und stammte aus einer alteingesessenen und wohlhabenden Familie. Ich war ganz hingerissen und furchtbar verliebt.

Wir heirateten in Deutschland und reisten gemeinsam nach Lima, wo ich seine Familie kennenlernen sollte.

Ich habe in meinem Leben viele arrogante Arschlöcher getroffen.

Aber all diese Typen waren nichts im Vergleich zu der hochmütigen Familie in Lima.

Seit der ersten Ankunft Francisco Pizarros im Jahre 1525 oder 1526 wussten sie genau, wer im Laufe der Jahrhunderte wen beschlafen hatte, damit schließlich mein mir angetrauter Laurenzo hatte gezeugt werden können.

Laurenzo hatte derart viele Vornamen, dass der Pfarrer bei seiner Taufe todsicher um zusätzliches Weihwasser gebeten haben musste! Außerdem war er adlig.

Laurenzos Eltern behandelten mich mit offener Feindseligkeit, insbesondere, nachdem ich in fröhlicher Offenheit gestanden hatte, gerade einmal zu wissen, wie meine Großeltern geheißen hatten.

Die beiden Schwestern Laurenzos hingegen waren freundlich, ihre Neugier grenzenlos, und ich erzählte ihnen unbefangen von meinen Erfahrungen, bis ich dahinterkam, dass meine Berichte zum Gegenstand der Unterhaltung bei der Einnahme der Cocktails vor dem gemeinsamen Abendessen wurden.

Danach wurde auch Laurenzos Zuneigung merklich kühler.

Trotzdem, ich habe die Zeit genossen, wir sind gemeinsam und trotz des Protestes seiner Eltern wochenlang durch sein Land gereist, und dann haben wir uns einvernehmlich getrennt.

Ich passte nicht in seine Welt, und seine Welt konnte ich wegen ihrer bedrückenden Enge nicht ertragen.

Da Laurenzo und ich für unsere Ehe nicht den Segen der heiligen katholischen Kirche eingeholt hatten, war die Scheidung kein Problem.

Die Erleichterung der Familie war unübersehbar, als sie mich zum Flughafen brachten und sich mit Tränen in den Augen von mir verabschiedeten. Selbst als ich die wenigen Schritte vom Terminal zum Flugzeug ging, standen sie oben auf der Zuschauerterrasse und winkten, bis ich über die Treppe das Flugzeug betreten hatte.

Als ich wenige Augenblicke später mein Handgepäck verstaut und meinen Platz am Fenster eingenommen hatte, konnte ich erkennen, sie waren alle schon weg.

Aber kehren wir zunächst zurück nach Deutschland:

Als Journalistin hatte ich lange schon gesammelt, was an Informationen über Norbert Schmeling zu bekommen war. Was ich hatte herausfinden können, war, dass dieser Mann seine Finger in allen möglichen Geschäften hatte, bei denen Mitarbeit oder Wohlwollen der deutschen Regierung notwendig wurde.

Schmeling war kantig wie ein Aal.

Kaum irgendwo gab es Schriftstücke, die er verfasst hatte, keine Briefe von ihm an Politiker, kaum jemand hatte ihn je im direkten Gespräch mit einem Mitglied der Regierung gesehen.

Und trotzdem gehörte er zu den grauen Eminenzen, die auf die Geschicke der Bundesrepublik direkten Einfluss nahmen. Und todsicher gehörte er zu den Leuten, die bestimmten, wer für bestimmte politische Ämter kandidieren durfte. Die Vorsitzenden von mindestens zwei politischen Parteien sorgten dafür, dass ihre Landesverbände vornehmlich solche Personen für Spitzenpositionen zur Wahl stellten, die Schmelings Kreise zumindest nicht stören würden. Dabei vertrat Schmeling keinen der großen Verbände wie die Gewerkschaften oder die verschiedenen Interessenvertretungen der deutschen Wirtschaft oder Industrie.

Ich habe lange gebraucht, um herauszufinden, dass alles, was Schmeling tat, er aus purem Vergnügen an der Macht veranstaltete. Ich hatte stets den Eindruck, dass er nicht auf Geld aus war. Geld besaß er mehr als genug, wobei er für seine Einkommensverhältnisse bescheiden lebte. Er besaß keine Yacht, er besaß keine pompöse Villa an der Costa Esmeralda auf Sardinien, er reiste nicht in Privatjets oder gar mit Leibwächtern, obwohl er all dies hätte haben können.

Norbert Schmeling führte trotz seines Reichtums ein nahezu unscheinbares Leben.

Dabei war er einer der mächtigsten Männer der Republik.

Wenn er in den Medien erwähnt wurde, was selten genug vorkam, griff die Presse auf eines der zwei oder drei verfügbaren Fotos zurück, die vor Jahren einmal aus Zufall geschossen worden waren und die einen jugendlichen, erheblich schlankeren Schmeling zeigten, mit dem der damaligen Zeit entsprechenden langem Haar. Andere Bilder gab es nicht. Wie ich gehört hatte, ließ Schmeling, wenn in seiner Umgebung fotografiert wurde, was eigentlich immer nur in Restaurants der Fall sein konnte, die Filme konfiszieren, und gleichzeitig sorgte er dafür, dass der Person, die fotografiert hatte, fürderhin der Zutritt zu der entsprechenden Lokalität verweigert wurde.

Entsprechend enttäuscht war ich dann auch, als mich einer meiner Gesprächspartner in einem Berliner Restaurant darauf aufmerksam machte, dass Schmeling zwei Tische weiter beim Abendessen mit einem hohen Funktionär einer der Regierungsparteien saß.

Das sollte der berühmte Norbert Schmeling sein?

Als ich Schmeling das nächste Mal sah, saß er mit einem glatzköpfigen Mann zusammen. Die beiden wirkten wie zwei Schwuchteln, der teigige Schmeling und der Glatzkopf, der eine Spur zu elegant und leicht feminin auf mich wirkte. Beide saßen mit zusammengesteckten Köpfen über ihrem Essen und blätterten ab und an in Papieren.

Da der Gesprächspartner Schmelings vor dem Restaurant von einem Chauffeur erwartet wurde, und da es für mich kein ernsthaftes Problem darstellte, herauszufinden, auf wen das Fahrzeug zugelassen war, stieß ich auf die Deutsche Rhein-Ruhr-Stahl-AG.

Dieser Industrie-Konzern mit Aktivitäten im internationalen Kraftwerks- und Anlagenbau mochte tausend Gründe haben, einen hochrangigen Manager mit Schmeling Mittagessen zu lassen.

Ich habe selbstverständlich sofort versucht, herauszufinden, wer der Gesprächspartner Schmelings war.

Aus der Autonummer war dies nicht ersichtlich. Das Fahrzeug war auf das Unternehmen zugelassen. Dies hatte ich, noch während die beiden aßen, über mein Handy herausgefunden.

Ich habe nach dem Weggang Schmelings und des kahlköpfigen Mannes versucht, zum bewährten Mittel der Bestechung zu greifen. Trotz des hohen Betrages, den ich anbot, waren die Kellner des Restaurants nicht bereit, mir den Namen des Glatzkopfs zu nennen.

Das hat mich geärgert. Der mit der Glatze hatte die Rechnung bezahlt. Ein kurzer Blick auf den Abschnitt des Kreditkartenbelegs hätte mir schon geholfen. Jedoch blieb der Oberkellner unerbittlich.

Zuhause an meinem Computer habe ich die Website der DRRS aufgerufen.

Wie so viele Unternehmen, hatte auch die DRRS ihr Top-Management mit Fotos ihrer Vorstandsmitglieder vorgestellt, Bilder von mehr oder minder dynamisch aussehenden Herren. Der Glatzkopf war nicht dabei.

Ich hatte den Vorfall schon vergessen, als ich von einem meiner Konfidenten aus dem Kanzleramt den Tipp erhielt, Schmeling setze sich für ein Rüstungsgeschäft der DRRS mit Peru ein.

Hätte der Mann Pakistan genannt, Bangladesh, Saudi Arabien oder sogar Libyen, es hätte mich nicht sonderlich interessiert.

Aber Peru interessierte mich.

Ich begann, die Presseberichte zu verfolgen, die Peru im Zusammenhang mit Interessen der DRRS erwähnten.

Zunächst gab es nur gelegentliche Andeutungen zu dem Geschäft.

Nicht, dass es Zeitungsartikel gegeben hätte, die sich mit einem geplanten Verkauf von Kriegsschiffen befasst hätten, die kamen erst später, sondern eher in der Art, dass es hieß, eine Exportvoranfrage sei gestellt worden, oder dass die zu den DRRS gehörenden Werften in Publikationen, die sich mit Wehrtechnik befassten, erwähnt wurden im Zusammenhang mit Verkaufsbemühungen in einem lateinamerikanischen Land.

Es erschienen zunehmend in diesen Zeitschriften Anzeigen von Lieferanten von Waffensystemen, in denen die Einsatzmöglichkeit ihrer Produkte auf kleinen und wendigen Schiffen gepriesen wurde.

Aber das waren nur winzige Hinweise, die ich selbst nicht einmal zu erkennen in der Lage gewesen wäre. Ich wurde aus den Reihen meiner Informanten in verschiedenen Ministerien auch nicht gezielt auf das peruanische Projekt angesprochen. Die Andeutungen kamen eher in Form von kopfschüttelnd gemachten Kommentaren, dass versucht wurde, diesem völlig überschuldeten Land, das ohnehin am Tropf von Entwicklungshilfen hing, ein völlig unsinniges Rüstungsprojekt aufzuschwatzen.

Auf meine verwunderte Frage, ob es tatsächlich Mitglieder der Bundesregierung gäbe, die dieses Vorhaben unterstützten, wurde zumeist mit Achselzucken reagiert, oder mit Bemerkungen, dass eine heftige Lobbyarbeit eingesetzt habe, und dass Schmeling sich eingeschaltet hatte.

Nach der Ermordung des peruanischen Staatspräsidenten Eugenio Scaloni wurde einige Tage lang etwas intensiver über Peru berichtet. Aber auch diese Berichte erwähnten das Rüstungsgeschäft nicht.

Öffentlich wurde das Geschäft erst etliche Monate später, als die Unterschrift der Verträge in den Fernsehnachrichten und in verschiedenen Tageszeitungen Erwähnung fand.

Jetzt wurde ich gezielt auf das Geschäft angesprochen. Die Bundesregierung, so hörte ich, sei nicht willens, Bürgschaften für die notwendigen Kredite bereitzustellen. Aber plötzlich bekamen die mit dem Thema befassten Beamten Druck. Der Druck kam aus den Reihen zahlreicher Bundestagsabgeordneter, der Druck kam auch aus den Leitungsebenen der Ministerien, und auf einmal schien die Deckung der Kredite nicht mehr so absurd wie noch wenige Wochen zuvor. Selbst ein hoher Gewerkschaftsführer hatte sich für das Geschäft eingesetzt, jedoch gebeten, dies nicht öffentlich werden zu lassen.

Immer noch interessierte mich das Vorhaben einfach aus Sentimentalität mit diesem Land, in dem ich einmal gelebt hatte.

Aber als es schließlich zu dem bekannten Skandal kam, bin ich dort hingereist. Mit noch viel größerer Freude wäre ich gereist, hätte ich damals schon gewusst, dass auch der Mann, den ich vor so vielen Jahren geheiratet und von dem ich mich nach so kurzer Zeit wieder getrennt hatte, Conde Laurenzo Felipe Claudio Gregorio Prada y Molana de Santander y Gonzales de Santiago, in der Geschichte eine so prominente Rolle spielte!

Starnberg, Dezember 2013,

Dorothee A. Nonim

1. Rosita

Lima, Donnerstag, 2. Oktober

Die Unterschriftzeremonie war eine feierliche Angelegenheit.

Da sowohl die peruanischen Ministerien für Verteidigung als auch für Bergbau und das für Wirtschaft beteiligt waren und keinem der drei Ministerien ein Vorzug eingeräumt werden sollte, wurden die Verträge in einem Saal des Außenministeriums an der Plaza de Armas unterzeichnet. Dies machte es auch Botschafter von Heuklum einfacher, an der Feier teilzunehmen. Ins Verteidigungsministerium wäre er nur ungern gegangen.

Die Beteiligten saßen an einem riesigen antiken Konferenztisch, hinter ihnen die Kameras verschiedener Fernsehstationen und Vertreter der Zeitungen. Sobald jemand zum Federhalter griff, um seinen Namen unter eines der Vertragswerke zu setzen, flammte Blitzlichtgewitter auf.

Zu jedem Vertrag wurde von dem zuständigen Minister ein kurzes Referat gehalten, in dem der Inhalt des Vertrages zusammengefasst und der Wunsch nach langer, fruchtbarer Zusammenarbeit ausgesprochen wurde. Von deutscher Seite sprachen Botschafter von Heuklum sowie der Vorsitzende des Vorstandes der DRRS, Professor Ostendorf, der der peruanischen Regierung Dank für das in das von ihm vertretene Unternehmen gesetzte Vertrauen aussprach.

Rupert Graf sprach ganz zum Schluss.

Er wies darauf hin, dass mit der Unterschrift die Verträge zwar noch nicht in Kraft waren und dass jetzt die Konditionen für die Finanzierung ausgehandelt werden müssten, dass aber ein riesiger Schritt in die richtige Richtung unternommen worden sei. Er bat die beteiligten Parteien, die Ärmel aufzukrempeln, um zu einem zügigen Abschluss der Finanzierungsverhandlungen beizutragen. Gleichzeitig dankte er allen Personen und Institutionen für ihre bisherige Mitarbeit, und er schloss ausdrücklich seine Kollegen und Mitarbeiter in diesen Dank ein.

Am Abend gab es ein Bankett im Festsaal des Hotels Oro Verde. Auch hier wurden Ansprachen gehalten, die im Prinzip dasselbe wiederholten, was am Morgen schon gesagt worden war. Allerdings waren diesmal sämtliche Verhandlungspartner aus der Marine mit dabei, und im Anschluss an das Essen gab es ein mordsmäßiges Besäufnis derer, die bis dahin auf unterschiedlichen Seiten des Verhandlungstisches miteinander gerungen hatten.

Rupert Graf war angeheitert, als er schließlich zum Aufzug ging. Begleitet wurde er von zwei jungen Damen in Marineuniformen, mit denen er sich die letzte Stunde unterhalten und zwei Flaschen Champagner verputzt hatte.

Auch die beiden Frauen, von denen Graf nur die Vornamen Elvira und Concho wusste, waren alles andere als nüchtern.

Elvira und Concho, die er eine Weile lang mit ihrem Dienstgrad angesprochen hatte, waren Rupert Graf während der Verhandlungsrunden nicht aufgefallen. Beide kannten jedoch seinen Namen und, wie sich im Verlauf des Gespräches herausgestellt hatte, seine tragende Rolle beim Zustandekommen des Geschäftes.

In Grafs Suite zogen sich alle drei aus und gingen ohne weitere Umstände ins Bett.

Rupert Graf registrierte ihre fast kahlen Schamgegenden und die Tatsache, dass der Bauch von Concho mit Schwangerschaftsstreifen überzogen war.

Der Austausch von Zärtlichkeiten wurde nur von Zeit zu Zeit dadurch unterbrochen, dass die Frauen im Badezimmer verschwanden, um ihre Blasen zu leeren, und einmal glaubte Graf zu hören, dass eine der beiden ihren Champagner erbrach. Nichtsdestotrotz war es für Rupert Graf eine bewegte Nacht. Elvira und Concho gaben sich Mühe, den ausländischen Gast zufriedenzustellen, waren aber dabei nicht abgeneigt, sich auch umeinander zu kümmern, was Graf, der sich nach dem schweren Essen und dem vielen Alkohol und den abwechselnden Begegnungen mit den beiden Frauen ausgelaugt fühlte, dann doch wieder in Erregung versetzte. Den beiden Mädchen zuzusehen, wie sie sich gegenseitig mit den Zungen Freude schenkten, oder wie sie sich wechselseitig mit Händen und mit einer Banane aus dem im Zimmer stehenden Obstkorb, die sie gepellt und zwecks Sicherung besserer Stabilität mit einem Präservativ überzogen hatten, befriedigten, machte auch Rupert Graf wieder munter.

Es war schon nach vier Uhr morgens, als Elvira und Concho nach einem Disput, ob sie bis zum Morgen bei Graf bleiben könnten, schließlich von ihm zur Zimmertür komplimentiert wurden.

Rupert Graf schlief bis zum folgenden Mittag.

Lima, Freitag, 3. Oktober

Roxana Torreblanca hatte in den gestrigen Fernsehnachrichten mit Carla die Unterschriftzeremonie verfolgt, und beide hatten aufgeregt reagiert, wenn Ludwig Kinzel oder Rupert Grafs kahler Kopf ins Bild gekommen waren. Da Graf einer derjenigen war, die eine Ansprache gehalten hatten, war er länger und häufiger gezeigt worden.

Die Tageszeitungen berichteten ausführlich über das Ereignis; der Wortlaut sämtlicher Reden war abgedruckt. In einer Passage von Ruperts Ansprache glaubte Roxana, selbst direkt angesprochen zu werden. Rupert hatte gesagt:

„Ich bin auch dankbar für die persönlichen und menschlichen Beziehungen, die im Laufe der Verhandlungen geknüpft werden konnten. Dies hat meinen Kollegen und mir erlaubt, völlig neue Erkenntnisse über Ihr Land und seine traditionsreiche Kultur zu gewinnen. Ohne die mir entgegengebrachte Freundschaft und Zuneigung einzelner Personen, die mir und meinen Kollegen sehr geholfen haben, Denkweisen und Entscheidungswege zu verstehen, hätte dieses Geschäft nicht zum Abschluss gebracht werden können. Ich möchte meinen Dank aussprechen besonders an die, die mir außerhalb der direkten Verhandlungen die Chance gegeben haben, neue und tiefe Einblicke zu gewinnen und die mir ihre Sympathie und Unterstützung gegeben haben.“

Damit konnte nur sie gemeint sein!

Natürlich hatte Rupert tiefe Einblicke gewonnen! Ihr Gynäkologe hätte keinen tieferen Einblick in sie gewonnen haben können! Und wie elegant Rupert dies ausgedrückt hatte, so dass nur sie es verstand! Und alle Zeitungen hatten es gedruckt! Wegen dieser der Öffentlichkeit nicht verständlichen Frivolität liebte sie ihn noch mehr.

Sie musste ihn unbedingt wiedersehen!

Roxana Torreblanca nahm ihr Mobilphon und wählte die Nummer des Hotel Oro Verde.

Während des Mittagessens mit seinem Vorstand Professor Ostendorf im Restaurant des Hotels, an dem auch Kellermann von der Werft und Ludwig Kinzel teilnahmen, ließ Rupert Graf mehr oder minder unbewegt die Glückwünsche über sich ergehen, dass er dieses Geschäft ins Trockene gebracht habe.

Erst, nachdem beim Digestif mehrfach auf den Geschäftserfolg angestoßen worden war, wies Rupert Graf darauf hin, dass das eigentliche Problem noch zur Lösung anstand:

„Ich will die Euphorie nicht stören. Aber wenn die Finanzierung nicht hinhaut, haben wir nur Spesen gemacht!“

„Aber das werden Sie doch wohl hinbekommen!“ sagte Ostendorf jovial, aber mit einem plötzlichen Unterton von Schärfe in der Stimme.

„Das wird auch daran liegen, wie kompromissbereit Sie selbst sein werden, Herr Professor,“ antwortete Graf.

„Wieso? Was hat denn das mit mir zu tun?“

„Wir sollten uns darauf einrichten, dass, wenn das Geschäft überhaupt in Deckung genommen wird, wir einen erklecklichen Selbstbehalt schultern müssen. Der dürfte über das hinausgehen, was wir als Profit kalkuliert haben. Letztlich sind Sie derjenige, der diesem Risiko zustimmen muss.“

Es war förmlich greifbar, dass Professor Ostendorf dieser Gedanke keinesfalls gefiel.

„Präsident Nasini, übrigens ein sehr netter Mann, hat mir gestern versichert, dass sein Land in der Lage sei, die Kredite zu tilgen. Wieso haben Sie daran Zweifel, Herr Graf?“

„Ich habe keine Zweifel, dass Nasini alles daran setzen wird, die Schulden seines Landes zu bezahlen. Nur, bis es soweit sein wird, haben wir das Risiko in den Büchern.“

„Lässt sich das nicht anderweitig versichern?“

„Vielleicht, das kann ich erst dann sagen, wenn ich weiß, wie hoch der Selbstbehalt tatsächlich wird.“

„Ich werde, sobald ich zurück bin, mal den Bundeskanzler anrufen. Der wird sich hüten, ein Jahr vor den Wahlen einen solch großen Auftrag schießen zu lassen,“ sagte Ostendorf selbstbewusst.

„Der Kanzler wird tun, was seine Beamten ihm raten,“ antwortete Graf trocken.

„Nun seien Sie mal nicht so pessimistisch!“ sagte Ostendorf.

„Ich bin nicht pessimistisch,“ antwortete Graf. „ Ich bin realistisch.“

Kinzel und Kellermann hatten dem Dialog stumm zugehört.

„Wie glauben Sie denn, die Finanzierung hinzubekommen, Herr Graf?“

„Ich denke, das wollen Sie besser nicht wissen, Herr Professor,“ antwortete Graf.

„Was soll das heißen?“

„Nun, es gibt Möglichkeiten der Einflussnahme...“

„Keine Parteispenden!“ unterbrach Ostendorf ihn scharf. „Sie wissen, dass unser Unternehmen keine Spenden an politische Parteien gibt!“

Graf nickte.

„An Spenden für die Parteien denke ich keineswegs.“

„Na, dann ist ja gut,“ sagte Ostendorf beruhigt. „So, Herr Kinzel, wann muss ich los, um meinen Flieger zu erreichen?“

„Wir müssten in einer halben Stunde aufbrechen, Herr Professor,“ sagte Kinzel.

„Gut. Ich muss noch ein paar Sachen packen. Ich wünsche Ihnen,“ dabei nickte er Kellermann und Graf zu, „eine gute Heimreise. Guten Tag, meine Herren.“

Ohne Handschlag stapfte Ostendorf, begleitet von Kinzel, in Richtung der Hotellobby.

„Hast du das bemerkt?“ fragte Graf, als er und Kellermann, die aufgestanden waren, sich wieder setzten.

„Was?“ fragte Kellermann.

„Dass er nicht wissen will, wie ich glaube, die Hermesbürgschaft zu bekommen. Seine einzige Sorge ist, nicht in der Spenderliste des Bundestages zu erscheinen. Ostendorf kann sich immer darauf berufen, mir vor Zeugen verboten zu haben, Spenden an Parteien zu geben. Du kannst sicher sein, bevor er seine Unterhosen einpackt, wird er einen entsprechenden Vermerk verfassen. Irgendwann, wenn die Finanzierung einigermaßen sicher ist und er von mir die Bestätigung hat, wird er wirklich den Kanzler anrufen und sich bedanken. Danach wird er sagen, es sei ihm gelungen, beim Kanzler die letzten Zweifel auszuräumen. Und das beste daran ist, er wird danach wirklich glauben, die Finanzierung besorgt zu haben!“

„Und wie willst du die Finanzierung hinbekommen?“

„Das willst auch du nicht wirklich wissen!“ antwortete Rupert Graf.

Auch Liliana de Fernandez las in den Zeitungen die Berichte über die Unterschrift der Verträge.

Sie war verärgert, dass Rupert Graf trotz seiner wiederholten Besuche in Lima keinen Versuch gemacht hatte, sie wiederzusehen. Klar, sie hatten sich bei verschiedenen Gelegenheiten getroffen, aber immer war Walter dabei oder Ludwig Kinzel. Sie hatte immer gehofft, dass Rupert bei einem seiner Aufenthalte, von denen sie ja dank Walter wusste, sie einmal angerufen und um ein Treffen gebeten hätte.

Trotz ihres Ärgers wäre sie sofort zu ihm gefahren, wenn er sich nur gemeldet hätte!

Lilianas Ärger wurde nur gemildert durch die Annahme, dass Rupert Graf den Kontakt zu ihr aus Fürsorge abgebrochen hatte. Inzwischen war Liliana aufgegangen, dass sie nicht ungehört mit Rupert sprechen oder ihn ungesehen von Dritten würde treffen können. Rupert würde genauso großes Verlangen nach ihr haben wie sie nach ihm, aber er hielt sich zurück, um sie und ihre Ehe mit Walter nicht zu gefährden. Trotzdem blieb ein Rest von Verärgerung. Wäre sein Verlangen groß genug, würde er Wege finden oder zumindest suchen, um mit ihr zusammen sein zu können.

Liliana de Fernandez dachte immer noch mit Wehmut an die Nacht mit Rupert und Roxana, aber sie dachte voller Erregung an das kurze Zusammensein mit ihm in seinem Hotelzimmer.

Aber jetzt waren die Verträge unterschrieben, und es gab keinen Grund mehr für Rupert, sich von ihr fernzuhalten.

Liliana de Fernandez wusste, dass Rupert Graf im Hotel Oro Verde wohnte. Sie suchte die Nummer des Hotels aus dem Telefonbuch. Bevor sie wählte, ließ sie sich noch einmal ganz genau durch den Kopf gehen, was sie zu Rupert sagen wollte, ohne dass es kompromittierend sein könnte.

Weder Roxana Torreblanca noch Liliana de Fernandez erreichten Rupert Graf im Hotel.

Roxana hinterließ eine Nachricht, in der sie um Grafs Rückruf bat.

Liliana de Fernandez legte enttäuscht auf.

General Carlos Garcia hatte einen jungen Mitarbeiter darauf angesetzt, die Telefongespräche Grafs und der anderen an dem Geschäft Beteiligten weiterhin abzuhören. Er wusste zwar, dass dies eigentlich Aufgabe Enrique Patos war, aber dem traute er nicht über den Weg. Seit Präsident Nasini ihn als Verbindungsmann zwischen PIP und Präsidentenpalast eingesetzt hatte, machte Garcia einen großen Bogen um Pato. Ursprünglich hatte er beabsichtigt, Pato zur Rede zu stellen, ihn zu drangsalieren und aus der Geheimpolizei herauszudrängen. Aber nachdem Pato so offensichtlich eine Vertrauensposition bei Nasini genoss, hatte er sich nicht getraut.

Kurz vor Verlassen seines Büros wurde ihm noch eine Tonbandabschrift im Hotel für Graf eingegangenen Anrufe gebracht. Widerwillig, denn Garcia war in Eile, überflog er die Liste der Gespräche. Der Anruf Roxanas ärgerte ihn maßlos. Dieses Flittchen versuchte weiterhin, Kontakt zu Graf zu halten!

Der würde er noch zeigen, wo die Glocken hingen! Auch wenn die Eltern und der verdammte Bruder, der ihm nichts als Ärger eingebracht hatte, begnadigt worden waren, Roxana würde ihm nicht entgehen! Er wusste noch nicht, wie er vorgehen wollte. Ein paar Gramm Kokain in ihre Taschen geschoben, und eine spektakuläre Verhaftung, oder lieber die Anwendung von Gewalt, vielleicht eine kleine Verstümmelung. Carlos Garcia überlegte noch, und er überlegte schon seit Wochen. Manchmal träumte er nachts davon, wie er Roxana fertig machte, aber in seinen Träumen war das alles viel wirkungsvoller als am nächsten Morgen bei nüchternem Nachdenken. In seinen Träumen trat er als Rächer seiner Ehre auf, der sich im letzten Moment als überaus großzügig erwies, und in seinen Träumen war Roxana jedes mal dahingeschmolzen und ihm hingebungsvoll in die Arme gesunken.

Tatsächlich wollte dieses Flittchen jedoch nichts anderes, als sich Rupert Graf in die Arme zu werfen!

Vor sich selbst erklärte Carlos Garcia sein Zögern damit, dass Präsident Nasini ihn aufgefordert hatte, Roxana in Ruhe zu lassen.

Graf war ebenfalls unangreifbar geworden. Nasini hatte keinen Hehl daraus gemacht, mehrmals mit Graf gesprochen zu haben, und Nasinis Anwesenheit bei der gestrigen Vertragsunterschrift hatte aller Öffentlichkeit gezeigt, dass er hinter dem Geschäft stand. Ihm selbst war es nicht gelungen, Graf Fehlverhalten nachzuweisen und Graf zu erpressen. Andererseits hatte Nasini Garcia ins Vertrauen gezogen und die Aufgabe übertragen, Gelder, die Nasini erwartete, zu verschieben, und als Gegenleistung hatte Nasini ihm einen Betrag von zweihunderttausend Dollar versprochen. Das war zwar nichts im Vergleich zu dem, was er ursprünglich hatte für sich kassieren wollen, aber besser als nichts.

Über eines machte er sich keinerlei Illusionen: Nasini hatte ihn in der Hand. Und Nasini würde nicht den Bruchteil einer Sekunde zögern, ihn fallen zu lassen, wenn es ihm passte. Den Vorwurf des Landesverrates wiederbelebt zu sehen war da noch das kleinere Übel. Schlimmer war die Existenz der Fotos von dem Attentat auf Scaloni.

Der neue Job bot ihm neue Chancen. Was hier alles an Informationen zusammenlief, wer wen schmierte, auch bei inländischen Geschäften, war hochinteressant. Carlos Gracia hatte bereits ganz konkrete Vorstellungen, wen er vorladen, mit gewonnenen Erkenntnissen konfrontieren und wie er sich seine Verschwiegenheit in zähen Verhandlungen abkaufen lassen würde.

Ärgerlich war nur die Vermutung, dass Nasini dank Enrique Patos einen ähnlichen Wissensstand haben würde. Pato musste zu allen internen Konferenzen mit Garcias Mitarbeitern hinzugezogen werden, und Pato berichtete direkt an Präsident Nasini.

Er musste versuchen, Pato loszuwerden. Es müsste möglich sein, das Vertrauensverhältnis zwischen Nasini und Pato zu beeinträchtigen, wenn nicht, zu zerstören.

Auf der Heimfahrt von seinem Büro im Fond seines Wagens grübelte General Carlos Garcia darüber nach, wie er Enrique Pato in den Augen Nasinis diskreditieren könnte.

In seinem Kopf formte sich langsam eine Idee.

Aber jetzt musste er nach Hause, um sich umzuziehen, und um mit seiner Frau zum Empfang des deutschen Botschafters im Club Aleman zu gehen.

Seine neue Position ermöglichte ihm nun ebenfalls die Teilnahme an derartigen Veranstaltungen.

General Carlos Garcia hoffte inbrünstig, bei dem Empfang auf Rupert Graf zu treffen. Er würde in Uniform dorthin gehen, und Graf würde ihn in nicht übersehen können!

Der Empfang aus Anlass des Tages der Deutschen Einheit war in den Deutschen Club verlegt worden, weil dermaßen viele Gäste ihre Teilnahme zugesagt hatten, dass weder das Grundstück der Residenz des Botschafters noch das der Botschaft genügend Platz geboten hätten.

Auf den Liegewiesen um das Schwimmbecken waren Stehtische aufgebaut, das Buffet befand sich in unmittelbarer Nähe des Clubhauses. Mitten in dem Fünfundzwanzigmeterbecken schwamm ein riesiges Blumenbouqet, wobei die Blumen die Farben der Deutschen Flagge wiederzugeben schienen. Gelbe und rote Rosen zu finden, war kein Problem. Da es keine schwarzen Rosen gibt, hatte man welche in einem tiefen Rotton gewählt, der im Dunkeln schwarz wirkte, so dass der Strauß in Schwarz-Rot-Gold auf dem Wasser dümpelte.

Die Sicherheitsvorkehrungen waren eindrucksvoll.

Nur Gäste, die ihre Einladungskarte und die Kopie ihrer Zusage vorweisen konnten, wurden eingelassen. Jeder Gast musste einen Metalldetektor passieren, bevor er auf das Gelände des Clubs gelassen wurde. Dies führte zu einigen Problemen bei eingeladenen Militärs, deren Ordensspangen die Metalldetektoren zu aufgeregtem Piepen brachten. Aber auch der Schmuck der Damen führte dazu, dass in aufgebauten Kabinen eine genauere Überprüfung vorgenommen wurde.

Es gab zwei Ketten von Sicherheitsbeamten: Zunächst die Mitarbeiter der PIP, die die Einladungskarten kontrollierten und die Identität der Eingeladenen anhand derer Ausweise überprüften, und eine Handvoll Beamte des deutschen Bundesgrenzschutzes, denen die Handhabung der Geräte und die Personenüberprüfung oblag. Sämtliche Gäste unterzogen sich der Kontrolle, selbst die Mitglieder des Regierungskabinetts, manche mit ironischen Bemerkungen. Präsident Maximo Nasini als Ehrengast trat demonstrativ geradewegs in eine der Kabinen. Damit war allen klar, dass diese Überprüfung ihrer eigenen Sicherheit diente. Die Leibwächter Nasinis mit ihren Schusswaffen wurden ohne weiteres durchgelassen.

Rupert Graf, eskortiert von Ludwig und Karin Kinzel, begrüßte Vizepräsident Esteban und dessen Frau, ebenso wie Minister Bustamante und das Ehepaar Chavez. Walter Fernandez und Liliana waren ebenfalls eingeladen.

Rupert Graf schlenderte mit einem Weinglas in der Hand über den Rasen, begrüßte Personen, die er zwar kannte, im Dunkeln aber nicht genau einzuordnen vermochte, und hielt hier und dort ein Schwätzchen. Als er zu dem Pulk von Menschen vordrang, der Präsident Nasini umringte, rief Nasini, als er Graf erkannte:

„Ah, da ist ein besonders enger Freund unseres Landes, mit dem ich ein paar private Worte wechseln möchte!“ Dabei legte er mit freundschaftlicher Geste seinen Arm um Grafs Schulter. Alle Umstehenden, Botschafter von Heuklum eingeschlossen, traten diskret einige Schritte zurück.

Nasini zog Graf am Ärmel seines Jacketts zu einem Tisch, an dem drei oder vier Personen standen, die sich sofort respektvoll zurückzogen.

„Ich darf annehmen, dass jetzt endlich alles klar ist?“ fragte Nasini ohne Umschweife.

„Sämtliche Vorbereitungen sind getroffen, Exzellenz.“

„Kann noch etwas schiefgehen?“

„Ich könnte mir nicht vorstellen, was,“ sagte Graf.

Nasini hob sein Glas und prostete Graf zu.

„Wie fanden Sie meine Rede gestern?“

„Großartig, Señor Presidente. Ich bin sicher, dass Sie einen überzeugenden Beitrag zur Festigung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern geleistet haben.“

„Wird meine Ansprache im deutschen Fernsehen gezeigt?“

„Selbstverständlich, Señor Presidente. Wir hatten einen Vertreter der Deutschen Welle dabei.“

„Gut, Señor Graf. Ich verlasse mich auf Sie.“

Mit strahlendem Lächeln und einer einladenden Handbewegung ließ Nasini die Umstehenden erkennen, dass das Gespräch mit Graf beendet war. Sofort bildete sich wieder eine Menschentraube um Nasini.

Nachdem der überwiegende Teil der Gäste eingetroffen war und sich das Clubgelände ziemlich gefüllt hatte, trat Botschafter von Heuklum zu einem Podest, dessen Front die deutschen und peruanischen Farben schmückten, um seine Ansprache zu halten.

Die Gäste, die im von Fackeln erhellten Halbdunkel Konversation betrieben, wandten ihre Aufmerksamkeit dem Rednerpult zu.

Rupert Graf merkte, dass sich sanft eine Hand in die Beuge seines Armes schob. Als er aufblickte, stand Liliana de Fernandez direkt neben ihm.

„Wann sehe ich dich wieder?“ flüsterte sie drängend.

„Ich rufe dich an,“ sagte Graf und entzog ihr seinen Arm.

Er war froh, dass Botschafter von Heuklum angefangen hatte, zu sprechen.

Von Heuklum gab einen kurzen Abriss der Geschehnisse im Deutschland der Jahre 1989 und 1993, und wiederholte mehrmals, zu welchem Dank das deutsche Volk dem damaligen sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow verpflichtet sei. Nachdem von Heuklum zum dritten Mal Gorbatschow genannt hatte, sagte Graf vor sich hin:

„Wieso erwähnt er nicht Ronald Reagan oder den Papst?“

Nach dem höflichen Applaus am Ende von von Heuklums Ansprache fühlte Rupert Graf sich am Ärmel gezupft.

Neben ihm stand eine wesentlich kleinere Frau, nur ein paar Jahre jünger als er, offensichtlich in ihren besten Sonntagskleidern, ein wenig bieder, aber nicht unattraktiv, die ihn fragte:

„Was haben Sie gemeint, als Sie vorhin Mr. Reagan und den Papst erwähnten?“

Rupert Graf war überrascht. Ihm war gar nicht bewusst, dass er Spanisch gesprochen hatte. Er sagte:

„Hätte der damalige amerikanische Präsident Reagan nicht Generalsekretär Gorbatschow gegen die Wand gerüstet, wäre die deutsche Wiedervereinigung nie zustande gekommen, Señora . Und hätten wir damals nicht einen aus Polen stammenden Papst gehabt, der die Welt im damaligen Ostblock ohnehin bereits verändert hatte, wäre die Wiedervereinigung ebenfalls nicht zustande gekommen. Auch wenn Gorbatschow der Wiedervereinigung letztendlich zugestimmt hat, indem er das Regime in Ostdeutschland im Zaum hielt, hat er eigentlich nur aufgegeben, gegen den Strom zu schwimmen. Es wäre zumindest fair, die Verdienste auch der beiden anderen Männer hier zu erwähnen.“

„Das ist eine Theorie, die ich sehr faszinierend finde,“ antwortete die Frau. „Gerade, wenn sie von einem so wichtigen Mann wie Sie geäußert wird.“

„Wieso glauben Sie, ich sei wichtig?“ fragte Graf, perplex.

„Ich habe Sie gestern im Fernsehen gesehen, und vorhin miterlebt, wie unser Präsident Sie beiseite zog, um mit Ihnen zu sprechen. Ich habe Sie mit verschiedenen unserer Minister sprechen sehen. Sie müssen wichtig sein!“

„Señora , ich fürchte, Sie überschätzen mich,“ sagte Graf belustigt. „Ich bin nur eines von vielen Rädchen in einem großen Getriebe. Aber ich würde mich freuen, wenn ich Ihnen ein Getränk besorgen dürfte. Vielleicht ein Glas Champagner?“

Die Frau nickte begeistert. Graf winkte einem der Kellner, die sich mit Tabletts voller Gläser durch die Menschentrauben bewegten.

„Ein Glas Champagner für die Señora , bitte!“

„Champagner haben wir nicht im Ausschank, Señor ,“ flüsterte der Kellner.

Rupert Graf schob ihm einen Geldschein in die Hand.

„Ich bin sicher, dass Sie Champagner auftreiben,“ raunte er zurück. Der Kellner sah auf das Geld in seiner Hand und nickte eifrig.

„Sie haben dem Mann zwanzig Dollar gegeben!“ sagte die Frau entgeistert. „Den sehen Sie nie wieder!“

„Geduld, Señora . Vielleicht bin ich ja doch wichtig.“

Während des anschließenden Gespräches hatte Rupert Graf Gelegenheit, die Frau eingehender zu mustern. Sie hatte sich augenscheinlich für diesen Abend herausgeputzt. Sie trug ein Kleid, das aussah, als würde es nur zu besonderen Anlässen aus dem Schrank geholt. Die Frisur war offensichtlich erst heute hergerichtet worden. So viele Kämme steckte sich keine Frau jeden Tag ins Haar! Sie war anderthalb Köpfe kleiner als Graf, dabei stand sie auf Stöckelschuhen. Sie war geschminkt wie jemand, für den das Auftragen von Lidstrich und Rouge nicht selbstverständlich ist, der Lidstrich zu dünn, dafür eine Spur zu viel Rouge. Aber sie hatte einen munteren, beinahe frechen Blick, und reizende Grübchen in den Wangen. Rupert Graf konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt eine Frau getroffen hatte, die rundum so frisch und proper wirkte, als käme sie geradewegs aus dem Bad.

Der Kellner kam zurück, sorgfältig zwei volle Weingläser auf seinem Tablett balancierend. Das Getränk in den Gläsern perlte.

„Ich habe Weingläser genommen, Señor Graf, damit nicht alle anderen auch Champagner wollen. Es ist ein Moet et Chandon. Die Flasche habe ich für Sie beiseite gestellt.“

Rupert Graf nahm beide Gläser von dem Tablett und reichte eines der Frau. Er probierte und bedankte sich bei dem Kellner, bevor er der Frau zu prostete.

„Wie darf ich Sie nennen, Señora ?“

„Mein Name ist Rosita, Señor Graf.“

Rosita – Röschen, das passte zu ihr!

„Jeder scheint meinen Namen zu kennen, Señora Rosita.“

„Wenn jemand mit einem so nackten Kopf wie dem Ihren auf unseren Fernsehschirmen erscheint, darf ihn das nicht wundern, Señor Graf. Der Champagner ist köstlich.“

„Darf ich Sie bitten, Señora Rosita, mich Rupert zu nennen?“

„Gerne, Rupert. Und darf ich Sie bitten, sich Gedanken zu machen, wo wir beide uns lieben können?“

Rupert Graf fiel beinahe sein Glas aus der Hand. Schon dieser Ausdruck! Sich lieben. „Darüber mache ich mir bereits Gedanken, seit Sie sich neben mich gestellt haben, Rosita,“ antwortete Graf, wie er hoffte, galant und geistesgegenwärtig.

„Gut,“ sagte die Frau. „Gehen wir!“

„Wohin?“ fragte Graf.

„Sie werden doch, Rupert, mir nicht weismachen wollen, Ihnen sei in den vergangenen zwanzig Minuten kein geeigneter Ort eingefallen,“ sagte sie keck. „Das würde mich zutiefst enttäuschen!“

Rupert Graf war heilfroh, dass in diesem Augenblick der Kellner mit zwei weiteren vollen Gläsern bei ihnen erschien.

Graf zog einen weiteren Geldschein aus der Tasche seines Jacketts und drückte ihn dem Kellner in die Hand. Gleichzeitig flüsterte er dem Mann etwas zu. Der flüsterte zurück.

Strahlend wandte sich Graf der Frau zu:

„Rosita, im Clubhaus ist ein Festsaal. In dem Saal ist eine Bühne. Hinter der Bühne gibt es eine Garderobe. Ich werde dort in zehn Minuten auf Sie warten.“

Bis sich Rupert Graf hatte in die Nähe des Clubhauses durchschieben können, war er noch von verschiedenen Gruppen in Gespräche verwickelt worden.

Am anderen Ende des unbeleuchteten Raumes, den er betrat, war eine Erhöhung, die er nur mit Mühe als Bühne zu interpretieren vermochte. Zumindest hing an der Wand dahinter ein Vorhang. Mit seinem immer noch halbvollen Weinglas mit Champagner ging Rupert Graf zu einer Tür rechts des Vorhangs. Das dahinterliegende Zimmer wurde nur durch das durch ein Fenster herein leuchtende Flackern der Fackeln im Garten des Clubs erhellt.

Rosita stand dort, mit dem Rücken an ein kleines Schminkpult gelehnt, mit leicht geöffneten Beinen.

Rupert Graf sank auf die Knie und begann, ihr linkes Bein vom Knöchel aufwärts mit kleinen Küssen und mit leichten Bewegungen seiner Zunge zu liebkosen. Langsam fuhr er mit seinem Mund Rositas Unterschenkel herauf.

Ganz langsam erforschte Grafs Zunge die zarte und weiche Haut der Innenseite von Rositas linkem Oberschenkel. Sein Mund näherte sich immer mehr dem weißen Spitzenhöschen. Mit der Zunge fuhr Graf unter den Rand des Slips, wobei er Rositas Schamhaar spürte. Gleichzeitig bemerkte er voller Zufriedenheit, dass sie angenehm nach einer wohlparfümierten Seife roch.

Rosita bewegte ihr Becken, um Grafs Mund entgegenzukommen.

Rupert Graf zog seinen Kopf zurück und widmete sich Rositas rechtem Knöchel. Auch hier fuhr er langsam mit der Zunge ihr Bein herauf. Über sich hörte er den schwerer werdenden Atem der Frau.

Plötzlich zog Rosita mit einer schnellen Bewegung ihr Höschen aus. Den Rock ihres Kleides hatte sie nach oben gezogen, so dass ihr Unterkörper völlig bloß vor Grafs Gesicht lag.

Mit vorsichtigen Bewegungen seiner Zunge erforschte Rupert Graf die Falten in Rositas Schoss, und er konnte nicht mehr unterscheiden, ob die Feuchtigkeit von seinem Speichel oder Rositas Körperflüssigkeiten stammte. Um ein übriges zu tun, nahm Rupert Graf einen tiefen Schluck aus dem Glas, das er neben sich am Boden abgestellt hatte, bewegte die perlende Flüssigkeit ein paarmal im Mund hin und her, und ließ den Inhalt über Rositas Spalte rinnen. Gleichzeitig wurden die Bewegungen seiner Zunge wieder intensiver.

Er fand am oberen Ende von Rositas Scham eine winzige Erhebung, die er mit der Spitze seiner Zunge zu reizen versuchte.

Das Stöhnen Rositas über ihm vermittelte ihm das Gefühl, dass er das richtige tat.

Unvermittelt fuhr er mit der Zunge Rositas Schenkel wieder herab, bis er an ihrem Knöchel angelangt war. Dann tastete sich seine Zunge das andere Bein langsam wieder hinauf.

General Carlos Garcia stolzierte wie ein Pfau über das Gelände des Clubs. Die vergoldeten Sterne, je einer auf jeder Schulter, die ihn als General auswiesen, funkelten im Licht der Fackeln.

Eine Reihe ehemaliger Kameraden aus dem Heer hatte ihn respektvoll begrüßt und ihm Glückwünsche zu seinen neuen Aufgaben ausgesprochen.

Aus den Augenwinkeln hatte Carlos Garcia gesehen, wie Rupert Graf von Präsident Nasini begrüßt worden war, und wie gelassen Graf bei seinen Gesprächen mit den verschiedenen Ministern gewirkt hatte. Auch, wenn er selbst wiederholt versucht hatte, sich in den Weg Grafs zu schieben, hatte der ihn offensichtlich bisher nicht bemerkt. Die Glückwünsche der anderen Militärs freuten Garcia zwar, aber dennoch war er verärgert, dass Graf ihn keines Blickes gewürdigt hatte.

Zweimal hatte Garcia sich in den Kreis von Menschen gestellt, die gerade mit Graf sprachen, doch der hatte sich abgewandt, bevor Garcia auch nur ein Wort hatte von sich geben können. Insofern war er nicht unglücklich, dass seine Frau ihn nicht die ganze Zeit begleitet und dies miterlebt hatte. Irgendwann zu Anfang der Veranstaltung hatte sie sich in eine Gruppe von Ehefrauen anderer Kameraden begeben, die gemeinsam an einem der Tische gestanden hatten. Garcia war überzeugt, dort war sie bestens aufgehoben.

Nach der Ansprache des deutschen Botschafters war das Buffet eröffnet worden, und nun standen alle mit vollgeladenen Tellern an den Tischen und stopften die angebotenen Speisen in sich hinein. Nachdem der offizielle Teil des Abends nun überstanden war, wurde die Stimmung ausgelassener, wozu beitrug, dass die Kellner unablässig Getränke nachfüllten.

General Carlos Garcia hatte schon zweimal einen Nachschlag genommen. Nun sah er auf, nachdem er mit einem Stück Brot die letzten Reste der köstlichen Mayonnaise, in der Krabben serviert worden waren, aufgewischt hatte.

Direkt ihm gegenüber standen die Ehepaare Fernandez und Kinzel! Wenn die in der Nähe waren, konnte Graf nicht weit sein!

Garcias Herz schlug schneller.

Er spitzte die Ohren, um etwas von deren Unterhaltung mitzubekommen. Das war nicht leicht, weil alle vier kauten und Bemerkungen mit vollem Mund machten.

„Sehr schöne Ansprache,“ sagte Fernandez. „Und sehr höflich, dass Ihr Herr Botschafter Spanisch gesprochen hat.“

„Naja,“ antwortete Kinzel. „Eigentlich sagt er schon seit Jahren immer das Gleiche. Das muss er inzwischen sogar auch auf Spanisch können!“

„Aber Lutz!“ rief Señora de Kinzel in gespielter Empörung.

„Wo ist eigentlich Rupert abgeblieben?“ fragte Señora de Fernandez.

„Keine Ahnung,“ sagte Kinzel. „Wahrscheinlich ist er unterwegs und bezirzt irgendwelche Weiber.“

„Aber das würde Rupert doch nicht tun!“ sagte Señora de Fernandez.

„Haben Sie eine Ahnung, Liliana!“ sagte Kinzel.

Daraufhin entstand eine vielsagende Pause.

Garcia fasste sich ein Herz und sagte:

„Wenn wir schon hier zusammenstehen, möchte ich mich gerne vorstellen. Mein Name ist Garcia, General Carlos Garcia. Ich bin der neue Leiter der PIP.“

Sowohl Fernandez als auch Kinzel murmelten etwas, was bei wohlwollender Interpretation als Glückwunsch hätte ausgelegt werden können. Fernandez sagte:

„Wir sollten uns noch etwas zu Essen holen. Kommt ihr mit?“ Und zu Garcia gewandt: „Bitte entschuldigen Sie uns, Herr General!“

Von einem auf den anderen Augenblick stand General Carlos Garcia allein am Tisch.

Nur einmal hatten Rupert Graf und die Frau namens Rosita ihr Liebesspiel unterbrochen, nämlich, als sie draußen in dem Festsaal Stimmengewirr gehört hatten.

„Das ist die Stimme Nasinis,“ hatte Rosita geflüstert.

„Und das ist die Stimme Botschafter von Heuklums,“ hatte Graf flüsternd geantwortet.

Offenbar bot der deutsche Botschafter dem Präsidenten und seiner Entourage eine private Führung durch den Club.

„Sie könnten hier hineinkommen,“ hatte Rosita flüsternd gesagt.

Aber die Stimmen waren verklungen.

Rupert Graf hatte sich gewundert über die schier unerschöpfliche Energie, die in dieser kleinen Frau steckte. Er hatte befürchtet, ihr Stöhnen würde draußen auf dem Festgelände zu hören sein. Die Bewegungen ihres Unterkörpers waren von einer Heftigkeit, wie Graf sie selten erlebt hatte. Alles, was Graf anstellte, hatte zu Reaktionen geführt, die Graf vermuten ließen, diese Frau war in ihrem Leben selten richtig befriedigt worden. Natürlich hatte ihn dies misstrauisch gemacht, er hatte überlegt, ob sie ihm nur ein vorzüglich und glaubhaft inszeniertes Theater bot. Andererseits war er überzeugt, derartige Leidenschaft musste echt sein! Hätte Graf dieselben Erfahrungen in einem Bordell gemacht, hätte er selbst dort dem Freudenmädchen die Ernsthaftigkeit ihrer Leidenschaft abgenommen.

Rupert Graf war erschöpft, als Rosita schließlich mit ernüchternder Sachlichkeit ihren Schlüpfer über die Hüften zog und sagte:

„Ich muss zurück. Mein Mann wartet draußen.“

„Der Kerl ist ein Glückspilz,“ antwortete Graf.

„Der Kerl ist ein entsetzlicher Langweiler,“ sagte Rosita. Mit einem kleinen Kuss auf Grafs Nasenspitze verabschiedete sie sich.

„Warte noch ein paar Minuten, ich möchte nicht mit dir zusammen auf die Bildfläche treten.“

„Sehe ich dich wieder?“ fragte Graf.

„Das kann ich nicht sagen. Mein Mann hat eine exponierte Stellung. Ich rufe dich an.“

Während Rupert Graf seine Kleidung ordnete, sann er darüber nach, was ihn an dieser kleinen Frau fesselte.

Sie war nicht schön, aber lebhaft und wach.

Sie entsprach keineswegs dem Idealbild, das er von Frauen hatte, schlank und langbeinig. Sie hatte kurze Beine und neigte, wie er sich hatte überzeugen können, zur Üppigkeit.

Aber sie hatte alles getan, was Graf sich von einer perfekten Sexualpartnerin hätte wünschen können. Und, so hatte es den Anschein, hatte sie ihren Spaß daran.

Ihre Geilheit hatte etwas sehr natürliches.

In der Toilette des Clubhauses wusch er sich ausgiebig die Hände und spülte sich auch mit Wasser das Gesicht. Den Geschmack, den Rositas Geschlecht in seinem Mund hinterlassen hatte, konnte er nicht wegspülen.

Enrique Pato hatte versucht, Rupert Graf im Auge zu behalten.

Er hatte Graf nicht begrüßt, weil Graf ständig von anderen Menschen umgeben war.

Plötzlich war Graf verschwunden.

Pato hatte Graf zuletzt gesehen, wie er nach der Ansprache des deutschen Botschafters mit einer Frau etwas trank und dann allein zum Clubhaus schlenderte.

Enrique Pato wechselte hier und da ein paar Worte mit Leuten, die er kannte. Dadurch, dass er einen Teil seiner Jugend in Deutschland verbracht hatte und fließend Deutsch sprach, war er häufiger und regelmäßiger Gast im Deutschen Club. Er kam hierher, gelegentlich, um im Restaurant zu essen, aber öfter noch zu kulturellen Veranstaltungen, wenn Ensembles aus mittleren deutschen Städten als Gäste des Goethe-Institutes in Lima waren und es Aufführungen deutscher Theaterstücke oder Autorenlesungen gab.

Seine Eltern waren schon zeitig Mitglieder des Clubs geworden, und nach der Rückkehr aus Hamburg hatte Pato an der um die Ecke gelegenen Humboldtschule das letzte Jahr bis zum Abitur verbracht.

Während er an verschiedenen Stehtischen mit Bekannten plauderte, wanderte sein Blick umher, auf der Ausschau nach Graf. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Graf schon zu seinem Hotel gefahren sein könnte, denn die Ehepaare Fernandez und Kinzel waren noch hier, und Graf würde kaum ohne sie die Veranstaltung verlassen haben.

Plötzlich sah er, wie Präsident Maximo Nasini, begleitet von dem deutschen Botschafter und von einer größeren Menschengruppe ein paar Schritte hinter ihnen das Clubhaus verließ und wieder in den parkähnlichen Garten trat.

Nasini wandte sich zu dieser Gruppe, die aus rund acht bis zehn Personen bestand, um, und winkte jemanden zu sich, dem er freundschaftlich den Arm um die Schulter legte und den er offensichtlich dem Botschafter vorstellte.

Enrique Pato durchfuhr es eisig.

Das war sein Vater!

Klar, als ehemaliger diplomatischer Vertreter Perus in Deutschland stand sein Vater sicherlich auf der Gästeliste zur Feier des deutschen Nationalfeiertages ziemlich weit oben, und die Anwesenheit des alten Herrn war alles andere als überraschend. Aber das freundschaftliche, schon beinahe intime Getue Nasinis verblüffte Enrique Pato. Schließlich war es nur wenige Wochen her, dass Nasini gedroht hatte, Patos Vater hochgehen zu lassen!

Enrique Pato verließ den Tisch, an dem er gestanden hatte, und ging gemächlich mit seinem Glas in der Hand auf die Gruppe um Nasini zu.

Es war auch Nasini, der Enrique Pato im Halbdunkel erkannte. Pato hörte Nasinis schnarrende Stimme, die rief:

„Hola, Alfredo, da ist ja noch ein Mitglied der Familie! Herr Botschafter, darf ich Ihnen den Sohn meines ältesten Freundes vorstellen?! Der junge Mann leistet mir als Adlatus in meinem Amt unbezahlbare Dienste!“

Auf einmal befand Enrique Pato sich inmitten der Gruppe. Sein Vater umarmte ihn herzlich aber kurz, um seine Aufmerksamkeit gleich wieder Nasini zuzuwenden. Der Botschafter schüttelte ihm kräftig die Hand, und Enrique Pato begrüßte ihn auf Deutsch. Das allgemeine Interesse am Tisch wandte sich sehr schnell von Enrique Pato ab.

In der sich anschließenden Unterhaltung spielte Enriques Vater den Dolmetscher für das Gespräch zwischen Nasini und von Heuklum, der zwar Spanisch sprach, aber nicht sehr flüssig. Das Deutsch von Enriques Vater war immer noch vorzüglich.

Enrique Pato beobachtete seinen Vater wie einen Fremden. Der Kontakt zu seinen Eltern war in den letzten Jahren nicht besonders innig gewesen, und nach der Lektüre von Nasinis Dossier hatte Enrique noch mehr innere Distanz zu seinem Erzeuger empfunden. Trotz seiner inzwischen mehr als sechzig Jahre hatte der Alte sich gut gehalten, wirkte sehr gepflegt und war elegant und teuer gekleidet, allerdings nach einer Mode, die ihre besten Zeiten schon hinter sich hatte. Sein mittlerweile graues aber immer noch volles Haar war ölig am Kopf festgeklebt und endete im Genick in einer kleinen Locke, die sich über dem weißen Kragen seines gestreiften Hemdes nach außen wellte.

Das Gesicht seines Vaters glänzte vor Stolz über die Rolle, die er in dieser Gesellschaft spielen durfte.

Und Nasini hatte wieder den Arm um die Schulter seines Vaters gelegt!

Auf einmal fiel Enrique Pato eine Frage ein, die Graf ihm während des Treffens in London gestellt hatte:

„Zu wem hat Nasini genügend Vertrauen und wer spricht genügend gut Deutsch?“

Und hier hatte er die Antwort!

Sein eigener Vater!

Enrique Pato war plötzlich speiübel.

Er entschuldigte sich mit ein paar gemurmelten Erklärungen und eilte zum Clubhaus, wo er sofort in einer Kabine der Herrentoilette verschwand. Dort kotzte er alles, was er an Häppchen und Kanapees am Abend vertilgt hatte, in die Kloschüssel. Während er sich erbrach, war er verwundert über die Mengen, die da aus ihm herauskamen. Er betätigte die Spülung, klappte den Klodeckel herunter und setzte sich darauf.

Nasini hatte ihn geleimt!

Und der Alte war Teil der Intrige!

Beide hatten ihn benutzt und sich wahrscheinlich noch schiefgelacht über seine Naivität!

Sein Vater selbst war es gewesen, der Nasini dazu gebracht hatte, ihm den Abbruch der Erpressung von Liliana de Fernandez zu befehlen!

Inzwischen schloss Enrique Pato nicht einmal mehr aus, dass auch das Dossier über seinen Vater, das Nasini ihm gezeigt hatte, eine Fälschung war.

Sein Vater würde an dem Geschäft mitverdienen. Nasini würde dem Alten einen Anteil abgeben.

Enrique Pato fragte sich, wer hier wen in der Hand hatte. Zumindest wusste der Alte Bescheid über die Wege, die Nasinis Schmiergeld nehmen würde, wahrscheinlich hatte er Nasini noch Tipps gegeben.

Und ihn selbst hatten die zwei ausgetrickst, in der Gewissheit, dass Enrique alles tun würde, seinen Vater nicht zu gefährden.

Wut stieg in Enrique Pato auf. Er dachte an Charo, deren Körper in einem Fach auf dem Friedhof verweste, und an die Trauer ihrer Eltern. Er dachte an die Trauer der Verwandten von Oscar Martinez´, denn auch um ihn würde jemand trauern. Er dachte an Ramon Escuenaga und den anderen Soldaten, dessen Namen er nicht wusste. Er dachte an Garcia, der da draußen herumstolzierte, und an seinen Vater und Nasini, die sich angesichts des auf sie zukommenden unermesslichen Reichtums vor Wonne Blasen an die Hände rieben.

Es musste für Maximo Nasini ein enormer Glücksfall gewesen sein, dass Eugenio Scaloni so plötzlich und im richtigen Augenblick einem Attentat zum Opfer gefallen war, sonst wäre er nie in die Situation gekommen, an dem Geschäft dermaßen viel zu verdienen. Und wahrscheinlich hatte er sein Wissen dazu benutzt, den anderen Empfängern Teile von deren Anteilen abzupressen.

Enrique Pato hing diesem Gedanken einen Augenblick nach. Ihm fiel die schon fast kindlich anmutende Freude ein, als Nasini Minister Esteban überführt hatte.

Allein als Chef der PIP wäre ihm wohl hierdurch ein ordentlicher Batzen sicher gewesen. Aber Scaloni erhielt, wie Enrique Pato aus dem Gespräch mit Graf wusste, noch viel mehr! Und diesen Anteil konnte er nur fordern, weil er das Präsidentenamt übernommen hatte.

Enrique Pato versuchte, den Gedanken aus seinem Kopf zu drängen.

Er hatte einmal in einem Seminar erlebt, wie der Dozent gesagt hatte:

„Denken Sie an was Sie wollen, nur nicht an die Farbe Gelb!“

Alle Teilnehmer hatten, wie sie anschließend zugeben mussten, an nichts anderes als die Farbe Gelb gedacht!

Jetzt dachte Enrique Pato, obwohl er verzweifelt versuchte, dieser Möglichkeit nicht den geringsten Teil einer Wahrscheinlichkeit zuzugestehen, an nichts anderes als:

Nasini hat Scaloni beseitigen lassen!

Enrique Pato versuchte vergeblich, das Zittern seiner Hände zu unterdrücken.

Die Ermordung Scalonis konnte ein für Nasini äußerst glücklicher Zufall gewesen sein.

Die Ernennung Nasinis zum Präsidenten wäre ein weiterer äußerst glücklicher Zufall gewesen.

Aber wieso waren dann alle Enrique Pato bekannten Protagonisten des Geschäftes einschließlich des sich ständig wie ein Idiot aufführenden Carlos Garcia befördert worden?

Nasini hatte das Geschäft gewollt und hatte sich dafür die Mithilfe der Anderen erkauft oder erpresst.

Und draußen im Park standen Nasini und sein Vater und beide stellten ihre herzliche Freundschaft zur Schau!

Wen könnte Nasini benutzt haben, auf Scaloni zu schießen?

Enrique Pato war sicher, dass Nasini keine Probleme gehabt haben würde, einen niederen Polizisten seiner Organisation zu einer solchen Tat zu überreden. Aber das wäre einerseits zu einfach und andererseits zu gefährlich für Nasini. Nein, es musste jemand sein, der sein Schweigen anschließend nicht brechen konnte, weil Nasini ihn in der Hand hatte. Und es musste jemand sein, der aus Angst vor Nasini zitterte, aber andererseits geschult genug war, mit einer Pistole umzugehen und einen gezielten Schuss abzufeuern. Der naiv genug war, von vornherein daran zu glauben, unbehelligt zu bleiben. Der aber auch wieder kaltblütig genug war, sich anschließend unerkannt und unbemerkt aus dem Staube zu machen!

Enrique Pato musste daran denken, dass er selbst es gewesen war, der Nasini Garcia wie auf einem Silbertablett serviert hatte. Nasini hatte Garcias Kopf gerettet, als dem eine Anklage wegen Landesverrats drohte. Und Nasini schützte Garcia, obwohl er wusste, dass Garcia einen Mord begangen hatte.

Für Enrique Pato fügte sich Teil für Teil wie bei einem Puzzle alles zusammen.

Aber für seine Theorie gab es nicht den geringsten Beweis.

Gut, Garcia konnte zur Not der Mord an Oscar Martinez nachgewiesen werden.

Aber wer würde sich bereit finden, eine Aussage gegen Nasini zu machen? Was gab es an Beweisen gegen Nasini?

Trotz seiner Übelkeit bemühte sich Enrique Pato, klare Gedanken in seinem Kopf zu entwickeln. Wen konnte er befragen? Wen unter Druck setzen? Wem etwas nachweisen?

Er hörte, wie jemand draußen ein Urinal benutzte und sich anschließend umständlich die Hände wusch. Enrique Pato stand von dem Klodeckel auf, betätigte die Spülung und trat aus der Kabine.

Rupert Graf stand gebeugt vor einem der Waschbecken und spülte sich gerade Wasser ins Gesicht.

„Ist Ihnen übel, Herr Graf?“ fragte Pato auf Deutsch.

Graf erkannte ihn im Spiegel.

„Ganz im Gegenteil, junger Freund, ganz im Gegenteil,“ antwortete Graf.

Gemeinsam traten sie auf die Stufen, die aus dem Clubhaus hinab in den Garten führten.

Graf spähte über die Menge, die dort versammelt stand. Es schienen inzwischen noch mehr Menschen gekommen zu sein, die sich an den Buffets und an den Bars drängten. Da die Peruaner gerne spät ausgehen, verwunderte es Graf nicht, dass viele nicht zum Beginn des Empfangs sondern erst zu dessen auf der Einladung angegebenen Ende gekommen waren. Graf entdeckte die Kinzels und die Fernandez und nahm Pato mit zu deren Tisch.

Auf dem Weg dorthin musste er an dem Tisch vorbei, an dem gerade Präsident Nasini dabei war, sich zu verabschieden. Nasini, augenscheinlich nicht mehr ganz nüchtern, winkte Graf zu sich und rief:

„Hier ist ein Mann, der unermesslich viel für die Beziehungen zwischen unseren Ländern getan hat!“

Man prostete Graf zu. Ein Kellner kam eilfertig und gab Graf ein gefülltes Weißweinglas. Stumm prostete Graf zurück.

Als sie endlich bei den Paaren Kinzel und Fernandez angelangt waren, stellte Graf, ohne dessen Namen zu nennen, Enrique Pato als einen ´lieben Freund` vor.

Liliana de Fernandez, die neben Graf stand, wurde sichtlich unruhig.

Erst nach einer Weile gelang es ihr, Rupert Graf ins Ohr zu flüstern:

„Das ist der Mann, der mich erpresst hat!“

„Ich weiß,“ antwortete Graf. „Trotzdem, er ist mir ein lieber Freund.“

General Carlos Garcia hatte schließlich die Gruppe wiedergefunden, in der auch seine Frau stand.

Er fühlte sich unglaublich wichtig, und er war überzeugt, dass alle Damen ihm verführerische Blicke zuwarfen.

Noch mehr freute ihn der offensichtliche Neid in den Augen seiner früheren Kameraden aus dem Heer, die inzwischen alle mindestens einen Rang unter ihm waren.

General Carlos Garcia war in allerbester Laune. Da ihn die Getränke nichts kosteten, wies er herrisch einen Kellner an, nachzuschenken, was ihm die augenscheinliche Sympathie und Bewunderung der Übrigen einbrachte.

Wenige Schritte neben ihnen wurde gerade Präsident Maximo Nasini verabschiedet, was ziemlichen Aufruhr verursachte. Mehr als das halbe Kabinett stand um Nasini herum, der zahlreiche Hände schüttelte, als ob er auf eine mehrwöchige Auslandsreise gehen würde. Zudem war Nasini plötzlich von mehreren Leibwächtern in Zivilkleidung umgeben, die trotz der Dunkelheit Sonnenbrillen trugen und finster die Menge musterten.

General Carlos Garcia ärgerte sich maßlos, als er sah, wie Nasini sich mit Handschlag von Graf verabschiedete. Was ihn noch mehr ärgerte, war, dass nicht Graf zu Nasini sondern Nasini auf Graf zu getreten war, um ihm herzlich die Hand zu schütteln. Und Garcias Ärger stieg, als er erkannte, dass es sich bei dem jungen Mann in der Gruppe um Graf, den Nasini kurz umarmte, um Enrique Pato handelte.

Ihn selber würdigte Nasini keines Blickes.

Die Gäste bildeten eine Gasse, durch die sich Präsident Nasini mit seiner Entourage in Richtung Ausgang schob. Vereinzelt wurde Beifall geklatscht, als Nasini vorbeiging.

Liebend gerne hätte Garcia eine Bemerkung dahingehend gemacht, dass Nasini ohne ihn nicht Präsident geworden wäre.

Als Garcias Blick zurück an den Tisch um Rupert Graf wanderte, durchfuhr ihn jäh ein Anflug von Eifersucht. Da stand der Kerl, der ihm Roxana weggenommen hatte, umgeben von seinen Helfern, und gleich mehrere Kellner schwirrten um ihn herum und versorgten ihn und die Gruppe mit Getränken. Garcia konnte nicht anders als sich vorzustellen, wie Graf mit Roxana gevögelt und wie Roxana sich ihm hingegeben hatte. Hätte sie Graf nicht erregender gefunden als ihn selbst, hätte sie ihn nicht fallen gelassen!

Jetzt kam auch noch der deutsche Botschafter zurück, der Nasini bis zum Ausgang begleitet hatte, und stellte sich an Grafs Tisch. General Garcia konnte hören, wie von Heuklum begeistert zu Graf sagte:

„Das war das erste Mal, dass ein Präsident Perus unserem Empfang beigewohnt hat. Das ist nur auf Ihr Geschäft und auf die hierdurch entstandenen intensiven wirtschaftlichen und politischen Bindungen zurückzuführen!“

Die Antwort Grafs konnte Garcia nicht verstehen.

Jetzt, wo auch noch der Botschafter an Grafs Tisch stand, schienen alle Kellner sich nur noch um die an diesem Tisch Versammelten zu kümmern. Weitere Getränke wurden gebracht, und Platten mit Kanapees und Häppchen. Lautes Gelächter erklang.

Nach und nach kamen neben Vizepräsident Esteban und Verteidigungsminister Chavez mit ihren Frauen mehr und mehr politische Prominente zu Grafs Tisch.

Mehrere Tische wurden zusammengeschoben, wodurch sich der Kreis vergrößerte. Stimmengewirr und Gelächter wurden lauter.

„Wer ist der Herr da drüben mit dem kahlen Kopf, von dem Präsident Nasini sich verabschiedet hat?“ fragte eine Frau an Garcias Seite.

„Ich weiß es nicht“, sagte Garcia in bitterem Ton.

„Ich dachte, als Chef der Geheimpolizei wüssten Sie alles!“ sagte die Frau kichernd, was Garcia ärgerte. „Aber fragen Sie mal Ihre Frau. Die weiß es bestimmt. Die hat sich nämlich vorhin intensiv mit dem Mann unterhalten.“

Garcia warf ihr einen überraschten Blick zu.

Noch überraschter war er, als er sah, wie ein Kellner mit einem einzigen Glas auf einem Tablett auf Rosita zu trat und es ihr anbot. Was der Kellner sagte, konnte Garcia nicht hören. Er sah aber, wie Rosita das Glas nahm und sich umwandte. Garcia folgte ihrem Blick.

Plötzlich begriff er, dass sie offensichtlich Graf ansah, der sein eigenes Glas hob, und wie beide einander anlächelten und sich zutranken.

Vor Wut und Eifersucht wurde ihm beinahe schwindlig.

Sein erster Impuls war, Rosita zu ohrfeigen!

Dann wurde er auf einmal ganz kühl. Gut, es mochte sein, dass Rosita sich mit Graf unterhalten hatte. Auf einem Empfang mit so vielen Leuten war ein solcher Zufall nicht auszuschließen. Aber Rosita würde sich niemals trauen, in seiner Gegenwart oder seiner Abwesenheit mit einem anderen Mann zu flirten, da war Garcia sicher. Schließlich war sie die Mutter seiner Kinder!

Er beschloss, auch wenn ihm dies eine Menge Selbstbeherrschung abverlangte, Rosita nicht auf diesen Vorfall anzusprechen. Er wollte Graf nicht noch wichtiger erscheinen lassen, wichtiger, als der sich ohnehin schon zu fühlen schien.

Erst in ein paar Tagen wollte Garcia Rosita fragen, wer der kahlköpfige Mann gewesen war, dem sie hier zugeprostet hatte. Auf ihre Antwort war er jetzt schon gespannt.

Verteidigungsminister Admiral Rogerio Chavez war nur widerwillig zu diesem Empfang gekommen. Empfänge dieser Art waren nicht seine Sache. Aber da erst gestern die Verträge für seine Marineschiffe unterzeichnet worden waren, hatte Chavez es für seine Pflicht gehalten, sich heute hier sehen zu lassen.

Insgeheim genoss Chavez, dass er gekommen war. Die Gesellschaft war ausgelassen und fröhlich, insbesondere, nachdem Präsident Nasini sich zurückgezogen hatte.

In der Runde um Graf, den er jetzt zum ersten Mal als gesellig kennenlernte, und dem deutschen Botschafter, der, offenbar ebenfalls erleichtert nach dem Abzug des Präsidenten, fröhliche Anekdoten erzählte, war es ausgesprochen lustig. Es wurde viel gelacht, und der Kreis hatte sich immer weiter vergrößert.

Zur guten Laune der Gruppe trug sicherlich auch bei, dass die Gläser nicht leer wurden, weil die Kellner immer wieder nachschenkten.

Minister Rogerio Chavez hatte schon eine ganze Weile gerätselt, woher er den jungen Mann kannte, der direkt neben Graf stand, bis ihm siedend heiß einfiel, dass dies der Bursche der PIP war, mit dem er vor etlichen Wochen auf dem Sportplatz gesprochen hatte. Nur, diesmal trug der Kerl einen Anzug und eine Krawatte und war ordentlich gekämmt!

Chavez musste daran denken, dass er sich die Akte Garcia hatte kommen lassen, die abrupt damit endete, dass aufgrund der Intervention des obersten Leiters der PIP, damals noch General Maximo Nasini, der Vorwurf des Landesverrats gegen Garcia aufgehoben und Garcia freigelassen worden war. Sein Vorgänger, Urraca, hatte über das Telefonat mit Nasini eine Aktennotiz angefertigt.

Wenn er daran dachte, wie Garcia und dieser Franzose, - wie hieß der noch? De la Ferretiere! -, ihn beinahe Kopf und Kragen gekostet hatten! Graf und dieser junge Bursche hatten nicht nur das Geschäft, sondern auch ihn gerettet.

Minister Chavez schob sich näher an den jungen Mann heran. Das dauerte eine Weile und mehrere Runden Wein.

Schließlich kam Chavez neben dem jungen Mann zu stehen.

„Sie hatten recht,“ sagte er. „Nasini persönlich hat für die Freilassung Garcias gesorgt. Eine Kopie des Memorandums können Sie sich bei mir abholen. Zug um Zug. Morgen, am selben Ort wie beim letzten Mal.“

Lima, 4. Oktober

Es war bereits ein Uhr morgens, als Roxana Torreblanca vom Piepen ihres Mobiltelefons aus dem Schlaf gerissen wurde.

Als sie sich meldete, war Rupert am anderen Ende der Leitung.

Ohne ein Wort der Entschuldigung für den späten Anruf sagte er:

„Du hast mich mehrmals angerufen, aber ich hatte nicht Zeit, mich früher zu melden. Was kann ich für dich tun?“

Roxana, deren Herz wild klopfte, nicht nur, weil sie erschrocken war über den nächtlichen Anruf, sondern auch, weil Rupert sie endlich erreicht hatte, fragte nur:

„Kann ich dich sehen?“

„Wann?“

„Wann immer du willst.“

„Ich reise morgen ab.“

„Was wäre, wenn ich mich jetzt auf den Weg machte? Ich könnte in einer halben Stunde bei dir sein.“

Sie merkte das Zögern in seiner Stimme.

„Bitte!“ sagte sie drängend.

„Gut. Ich warte in der Hotelbar auf dich.“

Die Verbindung war unterbrochen.

Roxana Torreblanca kleidete sich mit fliegenden Händen an und zog sich einen Lidstrich.

Als sie exakt eine halbe Stunde später im Hotel ankam, saß Rupert Graf allein in einer dunklen Ecke der Bar, die Beine von sich gestreckt, vor sich ein Glas Weißwein.

Als Roxana auf ihn zu trat, stand er auf, um sie zu begrüßen.

Roxana sah, dass er müde wirkte.

„Möchtest du ein Glas Champagner?“ fragte Graf, als sie sich gesetzt hatten.

Roxana nickte. Rupert Graf winkte einem Kellner, der die Bestellung aufnahm.

„Was kann ich für dich tun?“ fragte Graf wiederum.

„Ich würde dir gerne einiges erklären, Rupert,“ antwortete Roxana. „Ich weiß, dass ich dich enttäuscht habe, aber ich habe dies nicht freiwillig getan. Ich bin gezwungen worden.“

„Ich weiß,“ sagte Rupert nur. „Garcia.“

„Ich möchte dich um Verzeihung bitten.“

Roxana sah, dass diese Bemerkung Rupert Graf verunsicherte.

„Warum willst du mich für etwas um Verzeihung bitten, wofür du selber nichts kannst?“ fragte er verwundert.

„Weil ich dich liebe,“ antwortete Roxana leise. „Ich bitte dich um Verzeihung dafür, dass ich mich überhaupt mit einem Typ wie Garcia eingelassen habe.“

„Damals wusstest du nicht einmal von meiner Existenz,“ entgegnete Graf, noch mehr verwundert.

„Gerade deshalb. Ich hatte immer davon geträumt, einen Mann wie dich kennenzulernen. Trotzdem habe ich mich auf Garcia eingelassen. Ich hätte Geduld haben sollen.“

Rupert Graf wirkte erleichtert, als der Kellner kam und Roxanas Getränk servierte.

Rupert Graf erhob sein Glas und trank ihr zu.

„Ohne Garcia hättest du niemals von meiner Existenz erfahren,“ sagte er trocken und grinste. „Es gibt nichts, was ich dir verzeihen müsste.“ Er nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Ich habe gehört, dein Bruder und deine Eltern sind frei?“ fragte er.

„Ja. Anamaria Figueredo hatte sich bei Präsident Scaloni für sie eingesetzt, und er hat sie begnadigt. Es muss eine seiner letzten Amtshandlungen gewesen sein. Ich war sehr traurig, als ich von seiner Ermordung erfuhr.“

„Auf Scaloni und Anamaria,“ sagte Graf und hob erneut sein Glas.

„Garcia hat bis zuletzt versucht, die Freilassung meiner Eltern zu verhindern. Selbst in Arequipa hat er nach mir suchen lassen.“ Plötzlich fühlte Roxana, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten. „Ich verstehe nicht, dass niemand Garcia das Handwerk legt.“

„Er war bereits wegen Verrats verhaftet, soweit ich weiß,“ sagte Graf. „Euer neuer Präsident Nasini hat ihn wieder freigelassen.“

„Wieso?“

Graf zuckte mit den Schultern.

„Die Wege des Schicksals sind oft verworren, und ab und zu fehlen auch noch Kanaldeckel,“ antwortete er nur. „Was war mit deiner Schwangerschaft?“

„Ich habe das Kind bei einem Autounfall in Arequipa verloren.“

„Das tut mir leid!“ sagte Rupert Graf spontan, und Roxana war überzeugt, dass er das ehrlich meinte.

„Der Unfall hat mir eine Entscheidung abgenommen, die ich alleine nicht in der Lage gewesen wäre, zu fällen,“ antwortete Roxana. „Es war entsetzlich, ein Kind von Garcia auszutragen, das bei einer Vergewaltigung gezeugt worden war. Andererseits hätte ich mich niemals zu einer Abtreibung durchringen können. So war es wohl das beste.“

Rupert Graf sah sie eine Weile stumm an, und seine nächste Bemerkung ließ Roxanas Augen sich erneut mit Tränen füllen:

„Das kleine Wesen konnte schließlich nichts dazu, unter welchen Umständen es angefertigt worden war.“

Roxana Torreblanca nahm schnell einen Schluck Champagner, bevor Rupert Graf ihre Rührung feststellen konnte.

„Ich bin froh, dass meine Eltern und mein Bruder frei sind. Außerdem wird mein Bruder Vater. Die Tochter des Indios, der ihn aufgenommen hat, erwartet ein Baby. Meine Eltern sind hin- und hergerissen zwischen Entrüstung und Stolz. Mein Bruder ist erst neunzehn.“

„Ihr scheint ein recht fruchtbarer Verein zu sein!“ rief Rupert Graf fröhlich und hob erneut sein Glas. „Dann ist ja zumindest der Fortbestand der Familie Torreblanca gesichert!“

„Warum freut dich das so?“ wollte Roxana wissen.

„Na, damit ist wenigstens einer da, um die Schulden abzuarbeiten, die euer Land aufnimmt, damit mein Vertrag bezahlt werden kann!“

Roxana musste lachen. Doch dann fragte sie, wieder sehr ernst:

„Was fällt dir wegen Garcia ein?“

„Was soll mir zu dem Kerl einfallen?“ fragte Graf zurück.

„Wie kann man ihn überführen?“

„Zeig ihn an! Vergewaltigung, Amtsmissbrauch, was weiß ich, was es in eurem Land an Straftatbeständen gibt. Ich gebe dir nicht allzu viele Chancen. An deiner Stelle, wenn du ihn wirklich fertigmachen willst, gewinne sein Vertrauen zurück und lass dir erzählen, was er alles angestellt hat. Nimm es auf Band auf. Hinterlässt er Nachrichten auf deinem Handy? Überspiel´ die auf einen PC und sammele sie! Kennst du einen Menschen namens Enrique Pato?“

Roxana spürte, wie ihre Ohren heiß anliefen. Gott sei Dank trug sie ihr Haar offen! Graf fuhr fort:

„Wenn du ihn nicht kennst, stelle ich gern den Kontakt her. Er zumindest scheint dich zu kennen. Auch Pato hat ein Hühnchen mit Garcia zu rupfen. Tut euch zusammen! Macht ihn gemeinsam fertig!“

„Wie? Kannst du uns dabei helfen?“ Roxana hoffte, sie hätte damit offengelassen, ob sie Pato kannte.

„Garcia ist mir nur im Zusammenhang mit dir bewusst geworden. Während meiner Verhandlungen hier war er lästig, weil er oft irgendwo herumlungerte. Ich habe nie mit ihm gesprochen. Ich wüsste beim besten Willen nicht, wie ich euch helfen könnte!“

Einen Moment lang blickten sie einander stumm an.

„Rupert, ich bin eigentlich nicht hergekommen, um mit dir über Garcia zu sprechen. Darf ich die Nacht über hierbleiben?“

„Ich bin sehr müde. Die letzten Tage waren anstrengend. Ich fürchte, du wirst enttäuscht sein.“

„Ich wäre froh, wenn ich einfach bei dir liegen dürfte.“ Sie sah ihn hoffnungsvoll an.

„Gut,“ sagte Rupert Graf. „Ich zahle eben die Rechnung. Aber beschwere dich nicht, wenn ich schlafe wie ein Stein.“

„Du riechst wie Garcia,“ murmelte Roxana eine halbe Stunde später, als sie sich im Bett an seinen Rücken schmiegte.

„Wieso das?“ fragte Graf verwundert.

„Er roch immer nach einer bestimmten Seife oder einem bestimmten Parfum. Es ist jedoch ein eher weiblicher Duft. Ich glaube, seine Frau benutzt diese Seife, und er riecht danach.“

Rupert Graf schnüffelte an sich herum.

„Ich rieche nichts. Doch da ich weder mit Garcia noch mit seiner Frau je etwas zu tun hatte, kann das nur das Duschgel hier im Hotel sein. Ich habe, bevor du kamst, noch eine Dusche genommen. Oder soll ich nachsehen, ob er sich im Kleiderschrank versteckt hat? Soweit ich mich erinnere, ist er klein genug, um in einer Schublade Platz zu finden.“

Roxana musste kichern.

„Wenn, dann sollten wir ihn dort einschließen und verhungern lassen.“

Lima, 4. Oktober

Enrique Pato besaß inzwischen zwei Büros.

Eines hatte er im Gebäude der PIP, das andere im Präsidentenpalast an der Plaza de Armas. Auch wenn dort seine Ausstattung erheblich besser war als bei der PIP, hielt er sich lieber an seiner alten Arbeitsstätte auf. Einer der Hauptgründe hierfür war, dass dort sein Computer stand, den er fast so liebte, wie er eine Frau hätte lieben können. Üblicherweise ging er morgens in das PIP-Gebäude, verbrachte den Nachmittag im Palast, und fuhr abends in sein Büro in der PIP zurück, um seinen Rechner noch einmal abzufragen.

Im Palast hatte er nicht viel zu tun. Alle paar Tage musste er Nasini Bericht erstatten, aber dafür hätte er nicht das Büro dort benötigt.

Heute hatte Enrique Pato gleich mehrere Gründe, sich zu wundern.

Der erste Grund war ein Anruf Roxana Torreblancas, die um ein Treffen mit ihm bat. Sie verabredeten sich für den folgenden Montag zum Mittagessen.

Ebenso überrascht war er, als er den Anruf der Mutter von Charo Velasques erhielt, die sagte, sie würde sich sehr freuen, wenn er sie und Charos Vater einmal besuchen wollte. Beide seien sie sehr dankbar dafür, dass er Charo hatte so gut medizinisch betreuen lassen, auch wenn das Leben ihrer Tochter nicht hatte gerettet werden können. Auf jeden Fall wollten sie sich bei ihm bedanken und ihn zu einem Abendessen einladen.

Was Enrique Pato jedoch völlig verblüffte, war ein Anruf, geführt aus dem Haus von General Carlos Garcia.

Enrique Pato hatte, nachdem ihm Garcia damals ständig in die Quere gekommen war, dessen Privatanschluss an sein Abhörsystem angeschlossen. Niemals waren jedoch von diesem Anschluss Telefonate geführt worden, die auffällig gewesen wären. Das Telefon wurde mehr von den Kindern und von der Frau Garcias benutzt. Um die Kontrolle zu vereinfachen, hatte Pato eine Reihe von Begriffen in den Computer eingegeben, die dafür sorgten, dass lediglich das Gespräch aufgezeichnet wurde, in dem eines dieser Worte genannt worden war. Dies geschah jedoch so gut wie nie. Zweimal war in Gesprächen einer der Suchbegriffe gefallen, aber das war schierer Zufall und hatte mit dem eigentlichen Anlass nichts zu tun gehabt. Ein Mal war der Name Roxanas gefallen, als die Frau Garcias gegenüber einer Freundin erwähnt hatte, sie vermute, ihr Mann sei so schlecht gelaunt, weil seine Gespielin ihn rausgeschmissen habe. Auf die Frage der Freundin an Garcias Frau, ob sie denn wisse, wer diese Liebschaft war, hatte Garcias Frau geantwortet: „Ich vermute, es ist seine Mitarbeiterin Roxana Torreblanca. Er hat sie mehrmals mit zu Veranstaltungen genommen.“

Bei der Nennung des Namens Roxana hatte der Rechner sich eingeschaltet.

Nachdem Garcias störende Rolle bei den Bemühungen um das Geschäft geringer geworden und nach der Festsetzung gemeinsam mit dem französischen Attaché völlig zum Erliegen gekommen war, hatte Enrique Pato schon ein paar mal daran gedacht, die Überwachung von Garcias Telefon gänzlich einzustellen. Nur, er hatte dies dann wieder vergessen. Da aber Garcia ohnehin in Kürze eine Dienstwohnung bekommen sollte, hätte sich dieses Problem von selbst erledigt.

Der Rechner hatte das heutige Gespräch automatisch aufgezeichnet und, dank des Sprachcomputers, bereits in ein jetzt auf Patos Tisch liegendes Protokoll ausgedruckt. Der Computer, immerhin nur eine Maschine, war in der Lage, das gesprochene Wort niederzuschreiben, und hierbei den Anrufer und den Angerufenen zu unterscheiden. Jeder Satz des Anrufers war zu Beginn mit einem großen F für Frage versehen, jeder Satz des Angerufenen mit einem A für Antwort. Außerdem druckte der Rechner die Nummer aus, die Garcias Wohnung angewählt hatte oder die von Garcias Wohnung aus angewählt worden war. Als besondere Draufgabe nannte der Rechner zudem noch den zu der Nummer gehörenden Namen des Anschlusses, soweit dieser dem Computer aus anderen überwachten Telefonaten bekannt war oder wenn Name und Nummer in der riesigen Zentraldatei der Anschlüsse, auf die Patos Rechner Zugriff hatte, gespeichert war.

Der oder die Begriffe, auf deren Nennung hin der Rechner das Gespräch mitgeschnitten hatte, waren in dem Protokoll rot und fett ausgedruckt, damit der Leser sofort sehen konnte, warum sich der Computer eingeschaltet hatte.

In dem Telefonat war mehrfach der Name Graf gefallen.

Enrique Pato starrte auf den Computerausdruck.

Das Telefonat war heute Vormittag um 10.53 Uhr aus Garcias Haus geführt worden.

Die angewählte Nummer war als die des Hotels Oro Verde identifiziert.

A: „Hotel Oro Verde, guten Tag. Womit kann ich Ihnen helfen?“

F: „Guten Tag. Verbinden Sie mich bitte mit dem Zimmer von Señor Graf.“

A: „Einen Augenblick bitte.“

- - - - - - - - - - -

A: „Señor Graf meldet sich nicht. Möchten Sie eine Nachricht hinterlassen?“

F: „Señor Graf wohnt aber noch bei Ihnen? Soweit ich weiß, will er heute abreisen.“

A: „Señor Graf hat sein Zimmer noch nicht aufgegeben. Er hat einen `Late Check-Out`, dass heißt, er wird noch bis zum späten Nachmittag hier sein.“

F: „Dann möchte ich eine Nachricht hinterlassen. Notieren Sie bitte? Herzliche Grüße von der neuen Bekanntschaft von gestern Abend. Ich rufe wieder an.“

1 A: „Das habe ich. Welchen Namen darf ich angeben?“

F: „Keinen. Die Nachricht wird Señor Graf schon verstehen.“

A: „Gut. Vielen Dank. Señor Graf wird die Nachricht erhalten, sobald er wieder auf seinem Zimmer ist.“

F: „Ich danke Ihnen. Guten Tag.“

A: „ Guten Tag.“

Wieso, zum Teufel rief Garcia Graf an? Sollte sich Graf jetzt mit Garcia angefreundet haben?

Enrique Pato war völlig perplex. Das musste er nicht nur lesen, das musste er hören!

Enrique Pato musste eine Weile suchen, bis er die richtige Bandaufnahme fand. Er setzte seinen Kopfhörer auf, das Protokoll vor sich.

Plötzlich, nach einem Moment der Überraschung, musste Pato bis an beide Ohren grinsen. Das war zu schön, um wahr zu sein! Das musste er sich nochmal anhören!

Enrique Pato liefen Tränen aus den Augen, und er schlug sich mit beiden Händen auf die Oberschenkel, so lachte er!

Für heute Vormittag war Enrique Pato mit Minister Chavez verabredet.

Chavez hatte ihn bei dem Empfang letzte Nacht aufgefordert, ihn wiederum auf dem Sportplatz des Marinehauptquartiers zu treffen.

Angesichts der seinerzeitigen Bemerkung Nasinis wollte Enrique Pato heute jedoch vorsichtiger sein.

Er verließ sein Büro durch den Hauptausgang und ging gemächlich zu seinem Wagen.

Dann fuhr er, ohne dass er hätte entdecken können, ob ihm jemand folgte, zur Tiefgarage des Sheraton Hotels. Er fand einen Parkplatz direkt neben dem Treppenhaus und rannte zwei Etagen aufwärts, flitzte durch die Eingangstür, rannte bis zur Plaza Almirante Grau, wo er eines der Taxis anhielt, das ihn zur Plaza de Armas fuhr.

Er ging geradewegs in die Kathedrale und stellte sich neben den verglasten Sarg Pizarros, gleich rechts neben dem Eingang. Von hier aus konnte er beobachten, wer nach ihm die Kathedrale betrat. Um diese Zeit kamen nur Leute, die aussahen, als seien sie amerikanische oder europäische Touristen. Enrique Pato achtete besonders auf Menschen, die keine Kamera trugen. Hier wartete er zehn Minuten.

Gemächlich schlenderte er dann durch das Hauptschiff zum Altar, stieg wie selbstverständlich über das Seil, das den Altarraum absperrte, und ging nach rechts durch die Tür, die zur Sakristei führte. Hinter der Tür presste er sich gegen die Wand, um zu lauschen. Das Einzige, was er hörte, war das Gemurmel der Touristen draußen.

Nach wenigen Minuten öffnete sich die Tür mit leisem Quietschen. Gedämpftes Licht aus der Kirche fiel für einen kurzen Augenblick in den dunklen Gang.

Ein Mann in Straßenkleidung war eingetreten.

Enrique Pato hatte den Vorteil, dass sich seine Augen bereits an das Dämmerlicht gewöhnt hatten und er so erkennen konnte, wie der Mann sich suchend umschaute.

Enrique Pato schlug ihm kurz und kräftig mit der Handkante direkt unter das Kinn.

Der Mann fiel um wie ein nasser Sack.

Hastig tastete Enrique Pato ihn ab. Der Kerl trug eine Pistole in einem Halfter unter der Schulter. Zumindest war er kein Küster!

Der Mann hatte keine Brieftasche bei sich, und Enrique Pato hatte nicht die Zeit, sämtliche Taschen zu durchsuchen.

Er schlüpfte durch die nächstgelegene Tür.

In offenen Schränken hingen die Gewänder der Ministranten. Es war immer noch genau so, wie Enrique Pato es aus seiner Zeit als Messdiener in Erinnerung hatte. Selbst der muffige Geruch nach Staub und Mottenpulver schien unverändert in dem Raum zu hängen.

Enrique Pato ging in den angrenzenden Raum, in dem sich die Priester und Kaplane vor den Gottesdiensten umzukleiden pflegten. Er fand einen schwarzen Talar, den er sich nur um die Schultern zu legen brauchte. Außerdem fand er eine Auswahl an Baretts, von denen er sich eines auf den Kopf drückte.

Leider gab es keinen Spiegel, in dem er sich hätte bewundern können.

Er schlüpfte durch den dunklen Gang, in dem der schwer atmende Mann lag. Enrique Pato versetzte ihm noch einen Tritt in die Rippen, was ein lautes Aufstöhnen zur Folge hatte, und ging in den Innenraum der Kathedrale zurück.

Vor einem der Seitenaltäre sank er auf eine Kniebank, beobachtete aber aus den Augenwinkeln vorsichtig seine Umgebung. Dann ging er gemessenen Schrittes in Richtung Ausgang. Hinter einer der dicken Säulen, die in den vergangenen Jahrhunderten trotz zahlloser Erdbeben den Einsturz der Kathedrale verhindert hatten, ließ er seinen Talar fallen und zog sich das Barett vom Kopf.

Er verließ die Kirche und ging gemächlichen Schrittes zum Hotel Crillon und dort durch die Lobby zu den Aufzügen. Während er wartete, ließ er seinen Blick unauffällig über die Menschen schweifen, die nach ihm die Hotelhalle betreten hatten.

Die Türen der Aufzugkabine öffneten sich vor ihm.

Höflich trat er zurück, um den übrigen Wartenden den Vortritt zu lassen. Er tat so, als wolle er ebenfalls in den Aufzug steigen, machte aber plötzlich einen Schritt rückwärts, und die Schiebetüren des Aufzugs schlossen sich direkt vor ihm.

Das Letzte, was er sah bevor die Türen sich schlossen, war das überraschte Gesicht eines Mannes in einem dunklen Anzug.

Aus den Kursen der PIP wusste Enrique Pato, es waren immer mindestens vier.

Vier Personen überwachten gemeinsam eine Person. Von den Vieren würde einer rechts, der andere links vor dem zu Bewachenden herlaufen, die beiden anderen rechts und links hinter ihm.

Zwei war er los!

Der, den er im Aufzug erkannt hatte, würde ihm nicht mehr folgen.

Schnellen Schrittes ging er zum Ausgang des Hotels.

Ein, der großkarierten Kleidung nach, amerikanisches Touristenpaar war gerade im Begriff, in ein Taxi zu steigen. Höflich hielt der Hotelportier die Wagentür auf.

Grob schob Enrique Pato den Mann, einen bereits älteren Herrn, beiseite, und sagte:

„Ich habe es eilig!“ und zog die Tür hinter sich zu.

Der Fahrer schaute sich verblüfft um. Pato zeigte ihm kurz die Marke der PIP, woraufhin der Mann jedwede Bemerkung, die er auf der Zunge gehabt haben mochte, herunter schluckte.

„Fahren Sie los! Schnell!“ herrschte er den Fahrer an.

Mit kreischenden Reifen fädelte sich das Taxi in den Verkehr ein.

„Wohin?“ fragte der Fahrer.

„Erst mal über die Ampel. Los, geben Sie Gas!“

Durch das Rückfenster versuchte Enrique Pato herauszufinden, ob noch ein anderer Wagen über die Kreuzung fuhr, obwohl der Querverkehr bereits grünes Licht hatte.

„Fahren Sie auf die Avenida Argentina. Ich sage Ihnen, wo sie halten sollen!“

Nasini ließ ihn beschatten!

Er hatte sich schon mehrmals gewundert, woher Nasini so gut über seine Bewegungen informiert gewesen war. Er hatte sich jedoch nicht vorgestellt, dass gleich ein ganzes Team auf ihn angesetzt war.

Enrique Pato musste daran denken, welches Wehgeschrei Nasini, damals noch als Chef der PIP, jedes mal angestimmt hatte, wenn Pato ein paar Leute zur Personenüberwachung haben wollte. Nasini hatte getan, als ob er die Kosten aus der eigenen Tasche bezahlen müsste.

Hätte Nasini nicht selbst darauf hingewiesen, dass er von Patos Treffen mit de la Silva und Chavez wusste, wäre Pato nicht im Traum auf die Idee gekommen, dass er überwacht wurde.

Aber klar, es ging um viel Geld, und noch hatte Nasini den Höhepunkt seiner Macht nicht erreicht. Dazu brauchte er das Geld von Graf.

Und damit ihn nicht jetzt noch jemand aufhielt, wurde sicherlich nicht an Kosten gespart.

Enrique Pato fragte sich, wer diese Aktionen koordinierte. Als Staatschef dürfte Maximo Nasini hierfür keine Zeit haben.

Garcia?

Garcia war zu dumm und tölpelhaft für so etwas!

Warum holte Nasini ihn selbst an seine Seite, als angebliches Bindeglied des Palastes zur PIP, wenn er parallele Überwachungsaktionen fuhr?

Wer hatte genügend Kenntnis über die Arbeitsweise der PIP, wer die Autorität, die Akribie, die solche Aktionen erforderten?

Es musste jemand sein, der Nasinis unerschütterliches Vertrauen besaß.

Enrique Pato musste an seinen Vater denken, wie er gestern Nacht Arm in Arm mit Nasini zusammengestanden hatte.

Von seiner Pfiffigkeit her, und, wie Enrique Pato aus dem ihm vorgelegten Dossier wusste, ausgestattet mit genügend krimineller Energie, könnte sein Vater durchaus im Hintergrund die Strippen ziehen.

Zeit hätte er mehr als genug! Er hatte nach seiner Pensionierung ein winziges Büro in der Altstadt Limas gemietet, wo er, wie Enrique Pato im Verein mit seiner Mutter bisher vermutet hatte, in Ruhe seine Zeitungen zu lesen und seine Verabredungen zum Golf zu treffen pflegte. Außerdem erledigte er dort mit Hilfe einer Halbtagessekretärin seine Korrespondenz.

Wieder musste Enrique Pato daran denken, dass sein Vater offensichtlich eine Rolle gespielt hatte, als es darum ging, ihn davon abzubringen, Liliana de Fernandez zum Reden zu bringen.

Enrique Pato beschloss, den Telefonanschluss dieses Büros auf seine Überwachungsliste zu setzen.

Der Gedanke, dass sein eigener Vater ihn für seine und Nasinis Machenschaften missbrauchen könnte, machte Enrique Pato regelrecht wütend.

Entweder hielt der Alte ihn für dumm, was Enrique Pato beleidigend fand, oder er war dermaßen geldgeil, dass ihm die Familie egal war. Beides war Enrique Pato nicht bereit, widerspruchslos hinzunehmen.

Aber außer dem damaligen Anruf bei Nasini hatte er nicht den geringsten Beweis, dass sein Vater wirklich in der Geschichte mit drinsteckte!

Er hatte nur einen Verdacht, hervorgerufen durch das in aller Öffentlichkeit zur Schau gestellte freundschaftliche Gebaren der beiden alten Knaben.

Nachdem er sich immer wieder durch das Rückfenster des Taxis, das seine besten Jahre zur Kindergartenzeit Patos gehabt haben musste, vergewissert hatte, dass ihnen kein Wagen folgte, bat er den Fahrer, ihn zum Sportplatz am Marinehauptquartier zu bringen.

Wie beim letzten Mal sah er Minister Chavez seine Joggingrunden um den Platz ziehen.

Enrique Pato war äußerst gespannt, was Chavez ihm offenbaren würde.

Rupert Graf saß derweil ausgeruht und entspannt mit Roxana Torreblanca im Wohnzimmer seiner Suite im Hotel.

Gestern Abend war er eingeschlafen wie ein Stein, und sollte Roxana versucht haben, ihn munter zu machen, war ihm das völlig entgangen.

Am Morgen jedoch hatten sie sich miteinander beschäftigt, und es war so, als hätte zwischen diesem und dem letzten Zusammensein nicht ein Zeitraum von mehr als einem halben Jahr gelegen.

Beide hatten gewusst, was dem anderen Spaß machte, und es waren zwei durchaus unterhaltsame Stunden.

Ministro Admiral Rogerio Chavez kam schwitzend und außer Atem auf Enrique Pato zu.

Enrique Pato wischte sich heimlich die Hand, mit der er Chavez begrüßt hatte, am Hosenbein ab.

Chavez forderte einen seiner Leibwächter auf, ihm seinen Aktenkoffer zu bringen.

Sie setzten sich auf eine Bank vor dem Gebäude mit den Umkleidekabinen.

Chavez musste den Leibwächter, der den Koffer gebracht hatte, noch bitten, ihm auch seine Brille zu bringen.

Er hantierte umständlich an den Zahlenschlössern des Koffers, wobei der neben ihm sitzende Enrique Pato die von Chavez eingestellte Kombination problemlos mitbekam und sich merkte.

„Wie ich gestern Abend schon gesagt habe, hat Nasini persönlich dafür gesorgt, dass Garcia nach seiner Festsetzung wegen Verrats freigelassen wurde. Mein Vorgänger General Urraca, den Nasini als höchsten Vorgesetzten Garcias angesprochen hatte, war höchst verärgert über Nasinis Intervention und hat über das Gespräch einen Aktenvermerk angefertigt. Sie hatten recht. Es gibt in meinem Ministerium eine Akte über diesen Vorgang. Die Akte ist als „Streng Geheim“ eingestuft. Als einem Mitarbeiter der PIP hätte ich kein Problem, Ihnen eine Kopie zu geben.“

Chavez ließ mit lautem Knacken die Schlösser des Aktenkoffers aufspringen und klappte den Deckel hoch. Obenauf lag auf weiteren Papieren ein großer verschlossener Umschlag.

„Das Problem, das ich habe, ist,“ fuhr er fort, „dass ich nicht weiß, wie weit ich Ihnen trauen kann.“

Er sah Enrique Pato von der Seite an.

„Ich darf annehmen, dass es sich bei dem älteren Herrn Ihres Namens, mit dem Nasini gestern Abend so herzlich zusammenstand, um Ihren Vater handelt?“

Enrique Pato nickte stumm.

„Wenn ich also bereit bin, mich Ihnen gegenüber dermaßen zu exponieren, dass es mich Kopf und Kragen kosten kann, was haben Sie mir im Gegenzug anzubieten, junger Mann?“

Enrique Pato kramte in der Seitentasche seines Jacketts und zog einen Discman hervor.

„Ich habe, Señor Ministro, hier die Aufzeichnung eines Gespräches, das ich vor einiger Zeit mit Polizeisergeant de la Silva geführt habe. Ferner ist auf diesem Band die Aufzeichnung eines Gespräches, das ich vor einem dreiviertel Jahr im Militärhospital in Arequipa mit dem allerdings inzwischen ermordeten Soldaten Ramon Escuenaga geführt habe. Auch über ihn muss es eine Akte geben. Danach folgt meine persönliche Erklärung, dass Präsident Nasini, damals noch Chef der PIP, mich aufgefordert hat, hiervon keine Kopie zu ziehen und ihm die Originalaufnahme zu überlassen.“

Er gab Chavez das Gerät.

„Bitte hören Sie sich die Aufnahmen an. Mehr kann ich Ihnen nicht bieten. Die CD können Sie im Austausch gegen das Memo behalten. Damit haben Sie m i c h in der Hand.“ Mit verlegenem Grinsen fügte er hinzu: „Nur den Discman hätte ich gerne wieder. Der gehört nämlich mir und nicht der PIP.“

Als Rupert Graf zum Mittagessen mit Roxana aus dem Aufzug trat, kam ein Page und drückte ihm einen Umschlag in die Hand.

Rupert Graf las die kurze Nachricht Rositas. Er musste grinsen.

Der nächste Anruf Rositas kam eine Stunde später.

Graf und Roxana waren gerade in seine Suite zurückgekommen und Graf war dabei, im Schlafzimmer zu packen. Roxana saß nebenan im Wohnraum.

Als er sich meldete, fragte sie nur:

„Weißt du, wer spricht?“

„Ja.“

„Kann ich dich sehen, bevor du abreist?“

Rupert Graf zögerte. Lutz Kinzel wollte ihn zum Flughafen fahren. Außerdem müsste er vorher Roxana loswerden.

„Das wird eng,“ sagte Graf.

„Wie eng?“

„Um Drei werde ich abgeholt. Ich weiß nicht, ob sich das lohnt.“

„Ich komme. In zwanzig Minuten kann ich dort sein.“

„Mein Treffen vorher könnte länger dauern..“

„Ich komme trotzdem. Dann warte ich eben.“

Bevor Rupert Graf noch etwas sagen konnte, hatte sie aufgelegt.

Er atmete tief durch.

Das würden noch bewegend bis zu seiner Abreise!

Rupert Graf war gerade im Begriff, sein Zimmer zu verlassen, um mit Roxana in die Lobby zu fahren, als das Telefon klingelte.

Liliana de Fernandez war am anderen Ende.

Graf gab Roxana ein Zeichen, sie möge vorausgehen.

„Warum gehst du mir aus dem Weg?“ fragte Liliana.

„Ich gehe dir keineswegs aus dem Weg. Erst gestern habe ich dich gesehen.“

„Du weißt, was ich meine.“ Ihr Ton war anklagend und aggressiv.

„Liliana, jeder meiner Schritte hier wird überwacht. Ich möchte weder deine Ehe noch mein Verhältnis zu Walter aufs Spiel setzen. Du selbst hast mir erzählt, dass man versucht hat, dich zu erpressen.“

„Das ist ausgestanden.“

„Es könnte wieder losgehen.“

„Ich will dich sehen.“ Rupert Graf konnte nachgerade spüren, wie Liliana mit dem Fuß aufstampfte.

„Ich fliege heute ab.“

„Dann komme ich zum Flughafen. Ich will dich sehen!“

„Das ist keine gute Idee. Ludwig Kinzel wäre mehr als verwundert. Er bringt mich hin.“

Einen Augenblick lang war es still in der Leitung.

„Wann kommst du wieder?“

„Keine Ahnung. Vielleicht in drei, vier Wochen.“

„Können wir uns in Europa sehen? Ich könnte kommen.“

„Liliana, du hast keine Ahnung von der Enge in meinem Terminkalender. Ich muss nach Fernost, nach Australien, übernächste Woche habe ich Termine in Buenos Aires.“

„Dann komme ich dahin.“

„Liliana, sei vernünftig! Ich hätte wahrscheinlich bestenfalls eine Stunde Zeit für dich.“

Pause.

„Du hast eine neue Freundin hier in Lima, nicht wahr?“

„Unfug.“

„Wer war dann die Frau, mit der du dich gestern Abend verdrückt hast? Ich habe euch genau gesehen. Du warst ziemlich zerzaust, als du wiederkamst.“ Lilianas Ton wurde schärfer.

„Ich habe keine Ahnung, von was du sprichst.“

Plötzlich hörte es sich so an, als ob Liliana schluchzte. Dann:

„Du bist ein gemeiner Schuft!“

„Liliana, sei vernünftig. Wenn ich das nächste mal hier bin, habe ich Zeit für dich.“

„Versprochen?“

„Versprochen!“

„Danke. Ich wünsche dir eine gute Reise, Rupert.“

Rupert Graf knallte den Hörer auf die Gabel.

Als er wenige Minuten später aus dem Aufzug trat, wartete Roxana auf ihn.

„Geschäfte!“ sagte Graf seufzend.

Roxana sah ihn mitfühlend an.

„Du arbeitest zu viel“

„Das hat meine frühere Frau auch immer gesagt.“

Graf überlegte, wie er sie möglichst schnell nach Hause schicken könnte, bevor Rosita eintraf.

Es folgte auch prompt der Disput:

„Ich begleite dich zum Flughafen.“

„Lutz Kinzel wird mich fahren.“

„Dann komme ich mit. Der kennt mich doch. Er hat ein Verhältnis mit meiner besten Freundin.“

Was schließlich half, war die Aussage Grafs, er habe mit Kinzel noch geschäftliche Dinge zu besprechen, und nur um mit Roxana zusammen sein zu können, habe er die für den Vormittag vereinbarte Besprechung auf die Fahrt zum Flughafen verschoben.

Damit konnte er zwar nicht verhindern, dass Roxana maulte, aber schließlich gab sie Ruhe.

Er war regelrecht erleichtert, als er sie zum Ausgang des Hotels begleitete.

Vor der Drehtür sank sie ihm noch einmal hingebungsvoll in die Arme. Der Kuss, den sie ihm gab, schien nicht enden zu wollen.

„Ich bin so froh, dass wir wieder zusammen sind,“ sagte sie, als sie ihn schließlich losließ.

Er beobachtete, wie Roxana durch die Drehtür glitt.

Als er sich umdrehte, um zum Aufzug zu gehen, fiel sein Blick auf Rosita, die in der ersten Reihe der in der Lobby aufgestellten Sessel saß und ihn mit unbewegtem Gesicht ansah.

Enrique Pato fuhr nach seinem Gespräch mit Ministro Chavez zunächst in sein Büro im Gebäude der PIP, weil er das von Chavez erhaltene Memorandum noch ein weiteres Mal in Ruhe lesen, vor allem aber, weil er es nicht mit in den Präsidentenpalast nehmen wollte.

Zunächst ließ er sich jedoch von einem Taxi zum Sheraton Hotel fahren, wo sein Auto stand.

Als er seinen Wagen aus der Garagenausfahrt lenkte und sich in den Verkehr einfädelte, stellte er fest, dass ihm mindestens zwei Autos folgten.

Die Geier waren also wieder da.

Er bog auf den Parkplatz vor seinem Büro ein und wartete einen Moment, bis er im Rückspiegel beide Autos vorbeifahren sah.

Das Papier war reines Dynamit.

Der Vorgänger von Chavez im Amt des Verteidigungsministers, General Urraca, hatte sein Gespräch mit Nasini so ausführlich niedergeschrieben, als ob es ein direktes Gesprächsprotokoll gewesen wäre.

Urraca hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er keineswegs damit einverstanden war, einen Offizier, beschuldigt und durch die Fakten so gut wie der Spionage überführt, freizulassen.

Die von Nasini, der ihm im militärischen Rang gleichstand, aber als Chef der Geheimpolizei direkt dem Präsidenten Bericht zu erstatten pflegte, angeführten Gründe hatte Urraca keineswegs für genügend stichhaltig empfunden, um Garcias Freilassung zu rechtfertigen. Dies hatte er, laut dem Pato vorliegenden Protokoll, klar zu verstehen gegeben.

„Kein Wunder, dass Nasini ihn sofort gefeuert hat!“ murmelte Enrique Pato vor sich hin.

Aus einem Telefonverzeichnis der ansonsten geheim gehaltenen privaten Telefonnummern von Regierungsmitgliedern suchte er sich die Nummer Urracas heraus.

Er überlegte, ob er Urraca von seinem Büro aus anrufen sollte. Sein eigenes Telefon hatte einen Zerhacker, niemand würde hier mithören können, was er mit Urraca besprach.

Da Enrique Pato jedoch davon ausging, dass zumindest feststellbar sein würde, dass er Urraca angerufen hätte und weiterhin nicht ausschließen wollte, dass Urracas Anschluss abgehört würde, zog er es vor, anders vorzugehen.

Dann überprüfte er seinen Computer.

Mit heller Freude las er den Mitschnitt des zweiten Anrufs aus dem Hause General Garcias in Grafs Hotel. Sein Rechner hatte sich wiederum eingeschaltet, als gebeten worden war, mit Grafs Zimmer verbunden zu werden.

Enrique Pato konnte sich vorstellen, wie das gelaufen war. Graf lernt eine Frau kennen, sie reden sich, wie hier im Lande üblich, mit Vornamen an, und Graf flirtet mit ihr ohne zu wissen, wer sie ist. Und jetzt hatte er sie am Hals! Ausgerechnet die Frau Garcias!

Mit gleichem Vergnügen las er das Gesprächsprotokoll des Anrufes von Liliana de Fernandez.

In einem Roman eines brasilianischen Schriftstellers hatte Enrique Pato einmal gelesen:

„Ein Mann kann nicht alle Frauen auf dieser Welt beschlafen. Er muss es aber unbedingt versuchen!“

Rupert Graf schien nach dieser Devise zu leben!

Es wurmte Enrique Pato immer noch, dass Nasini ihm damals abrupt befohlen hatte, Liliana de Fernandez in Frieden zu lassen. Er war überzeugt, dass er sie hätte kleinkriegen können. Gerade, weil er sie ob ihrer Arroganz nicht mochte, hatte es ihm besonderen Spaß gemacht, Liliana de Fernandez unter Druck zu setzen.

Er freute sich, wie Graf sie abgewimmelt hatte.

Enrique Pato fragte sich, wie sicher sein Safe war.

Es war ein teures aus den USA importiertes Gerät.

Jemand hatte sich eine goldene Nase verdient, als es ihm gelungen war, diese Panzerschränke an die Regierung zu verkaufen, die sie bei allen Stellen aufbaute, die etwas Vertrauliches wegzuschließen hatten. Allein in der PIP hatte Pato mindestens hundert von diesen Dingern in Büros stehen sehen.

Der Importeur würde über Fachleute verfügen, die selbst im Falle des Verlustes der für die Öffnung einzugebenden Zahlenkombination in der Lage waren, die Schränke zu öffnen.

Enrique Pato war sicher, dass Nasini als ehemaliger Chef der Geheimpolizei einzelne dieser Fachleute kannte!

Wahrscheinlich war Urracas Gesprächsnotiz woanders besser aufgehoben.

Enrique Pato dachte nach.

Er nahm einen der großen Briefumschläge, wie sie für hausinterne Mitteilungen benutzt wurden, und schrieb seinen Namen und seine Zimmernummer darauf.

Beim Verlassen seines Büros würde er den Umschlag in einen der auf den Etagen stehenden Postkörbe werfen.

Der Umschlag würde mit der übrigen Post abgeholt und zunächst in die Postzentrale im Hauptgebäude der PIP gebracht werden. Dort würde die externe und die interne Post sortiert und die interne Post für die Verteilung am folgenden Morgen bereitgelegt werden.

Morgen um neun hätte er den Umschlag zurück.

Bevor Enrique Pato sein Büro verließ, um zum Präsidentenpalast zu fahren, stellte er den Drehknopf für die Eingabe der Zahlenkombination des Safes so, dass die fünfundsechzig oben stand.

Der Safe war in einem Wandschrank untergebracht, so dass das Reinigungspersonal nicht versehentlich den Knopf würde berühren können. Um ein übriges zu tun, klemmte er ein winziges Papierschnitzel unter die Tür des Wandschrankes, bevor er sie verschloss.

Roxana Torreblanca war schon fast bei ihrem Volkswagen auf dem Parkplatz des Hotels, als ihr einfiel, wer die Frau war, die in der Lobby gesessen und ihrer Verabschiedung von Rupert so interessiert zugesehen hatte. Roxana hatte dies über Ruperts Schulter hinweg erkennen können.

Das Photo dieser Frau hatte sie mehrere Jahre lang auf Carlos Garcias Büroschreibtisch stehen sehen, in einem großen versilberten Rahmen!

Während Roxana Torreblanca die Fensterscheiben in den Türen ihres alten Volkswagens herunter kurbelte und neben dem Wagen wartete, dass die im Inneren gestaute Hitze entwich, grübelte sie darüber nach, was Rosita de Garcia hier im Hotel tun mochte.

Garcia wohnte, wie Roxana wusste, im Stadtteil San Isidro, wenige Kilometer weg von hier.

Warum sollte sich seine Frau nicht hier, in einem eleganten Hotel, mit ihren Freundinnen treffen?

Während Roxana Torreblanca die Scheibe in der Beifahrertür wieder nach oben drehte, damit nicht an einer roten Ampel jemand den Sicherheitsverschluss der Tür hochziehen und sich zu ihr in den Wagen schwingen könnte, dachte sie darüber nach, dass jetzt eigentlich der ideale Zeitpunkt wäre, Garcias Frau über sein jahrelanges und inzwischen beendetes Verhältnis zu ihr selbst aufzuklären.

Sie wusste, dass Garcia Heidenangst vor seiner Frau hatte. Auch wenn er im Büro ein großes Maul riskierte, war er zu Hause zahm wie ein Lamm! Sie hatte ein paarmal mitbekommen, wenn er Telefonate mit seiner Frau führte. Die Schärfe in ihrer Stimme war selbst durch den krampfhaft an sein Ohr gepressten Hörer zu hören gewesen. Bei seiner Frau kuschte er.

Entschlossen drehte sie die Scheibe ganz nach oben, auch die auf der Fahrerseite, verschloss die Türen und ging zum Hotel zurück.

Bevor sie in die Drehtür trat, atmete sie noch einmal tief ein.

Doch Rosita de Garcia war nirgendwo zu sehen.

Der Angestellte hinter der Rezeption musterte sie mit ausdruckslosem Blick.

Roxana Torreblanca hatte nicht den Mut, ihn zu fragen, wo die Dame, die hier vor wenigen Augenblicken noch gesessen hatte, geblieben war.

Sie unterdrückte den Impuls, noch mal an Ruperts Zimmertür zu klopfen, um sich ein weiteres Mal von ihm zu verabschieden. Er hatte bestimmt noch zu arbeiten. Sie hatte auch keine Lust, Ludwig Kinzel in die Arme zu laufen, der jeden Moment kommen musste, um Rupert abzuholen.

Roxana Torreblanca verließ das Hotel, stieg in ihren immer noch heißen Volkswagen Käfer und fuhr nach Hause.

Unterwegs dachte sie darüber nach, wie schön es war, dass sie Rupert wieder hatte Das war viel wichtiger, als Garcias Frau Geschichten über ihren Mann zu erzählen!

Und warum sollte sie die arme Frau unglücklich machen?

Roxana lachte laut auf bei dem Gedanken, dass die Ehe mit Carlos Garcia schon Unglück genug sein musste!

Ohne ein Wort stiefelte Rosita neben Rupert Graf her durch den Gang zu Grafs Hotelzimmer.

Im Aufzug hatte er ihr einen Kuss auf die Wange gegeben, aber sie hatte nicht reagiert.

Mit forschendem Blick lief sie durch das Wohnzimmer, zog kurz die Vorhänge auseinander und warf einen Blick auf den Balkon, dann ging sie durch die geöffnete Tür ins Schlafzimmer und guckte auch in das daneben gelegene Bad. Zurück im Schlafraum, ließ sie sich rücklings auf das mit einer Tagesdecke überzogene Bett fallen.

Mit einer Handbewegung winkte sie Rupert Graf zu sich.

Als er nur noch einen Schritt vom Bett entfernt stand, schob sie ihren Rock nach oben und öffnete die Beine.

Sie trug keine Unterwäsche.

Das erste Wort, das sie sagte, war:

„Komm!“

Das war nun sehr direkt! Rupert Graf setzte sich auf die Bettkante.

„Ich muss gleich los,“ sagte er.

„Du hast gesagt, du müsstest um drei Uhr los,“ antwortete sie. „Komm!“

Graf streichelte, auf der Bettkante sitzend, sanft über die Innenseite ihres rechten Beines.

Nach dem Zusammensein gestern mit Rosita und heute früh mit Roxana war ihm nicht danach, schon wieder im Bett zu landen.

Wieder fühlte er die Zartheit der Haut auf der Innenseite ihres Oberschenkels.

Er spürte auf seinem Handrücken die Hitze, die von ihrer Scham ausging.

Während er langsam seine Hand wieder abwärts zu ihrer Kniekehle wandern ließ, merkte er, dass Rosita an sich herum nestelte Als er den Kopf umwandte, war sie dabei, die Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen.

Wieder strich er mit der Hand langsam nach oben. Dann fuhr er, ohne ihre Scham zu berühren, das linke Bein bis zum Knie hinab und dann wieder hinauf.

Mit dem Handrücken berührte er wie zufällig ihre Schamlippen, die aus dem Haarbüschel heraus guckten Rosita stöhnte leise auf. Dann ließ er seine Hand ihr rechtes Bein ein Stückchen herabgleiten, dann wieder hinauf. Wieder berührte er sanft ihr Fleisch. Rosita zog mit lauten Zischen die Luft ein.

Rupert Graf wiederholte dieses Spiel einige Male.

Plötzlich, als er wieder gerade um ihre Scham herum streicheln wollte, spürte er, wie sie seine Hand nahm und fest auf die warme Öffnung presste. Zudem drückte sie seinen Mittelfinger in sich hinein. Ein kleiner spitzer Schrei kam aus ihrem Mund.

Rupert Graf zog vorsichtig und gegen den Druck ihrer Hand seinen Finger zurück. Sie drückte den Finger wieder hinein.

Gebeugt auf der Bettkante sitzend, den Rücken ihrem Oberkörper zugewandt, beobachtete er das Spiel seiner und ihrer Hand.

General PIP Carlos Garcia war gegen vierzehn Uhr zufrieden und gesättigt von einem Essen in sein Büro gekommen, zu dem er und eine Reihe von Mitarbeitern der Einkaufsabteilung der PIP von dem Anbieter einer amerikanischen Computersoftware eingeladen worden waren.

Den ganzen Vormittag hatte er endlose Vorträge über die Vorteile eines Systems anhören müssen, von dessen Funktionsweise er soviel verstand wie von der Funktionsweise einer Atombombe.

Aber das Essen war gut, wenn auch für sein Empfinden ein wenig früh.

Er sah oberflächlich durch seine Post, dann besah er sich die eingegangenen On-Line-Mitteilungen.

Als Chef der PIP war er in Abhöraktionen nicht mehr direkt eingebunden. Trotzdem hatte er einen zweiten Rechner in seinem Büro, auf den Überwachungsmaßnahmen übertragen werden konnten.

Die Anzahl der laufenden Aktionen, über die er sich noch unterrichten ließ, war auf einige wenige Fälle geschrumpft.

Insofern hatte der Drucker auch nur wenige Seiten Papier mit Gesprächsprotokollen ausgespuckt.

Zerstreut überflog er die bedruckten Blätter.

Dann erstarrte er.

Er hatte den Ausdruck des ersten Anrufs aus seiner Privatwohnung im Hotel Oro Verde vor sich.

Das erste, was ihm durch den Kopf fuhr war, dass jemand versuchte, ihn aufs Kreuz zu legen. Jemand versuchte, eine Verbindung zwischen ihm und Graf herzustellen, um ihn in Nasinis Augen zu kompromittieren!

General Carlos Garcia setzte die an den Rechner angeschlossenen Kopfhörer auf und suchte nach dem Tonmitschnitt des Gespräches.

Als er die Stimme seiner Frau erkannte, wurde er leichenblass.

Das konnte nicht sein!

Mit der Männern eigenen Art der Verdrängung des Offensichtlichen, wenn sie ihre Partnerin bei etwas Ungewöhnlichem ertappen, überlegte er, dass Rosita Graf gestern Abend kennengelernt und sich mit ihm auf einen Kaffee verabredet haben müsse, ohne dass dies etwas bedeuten musste.

Wie hatte diese dumme Pute gestern Abend gesagt? Rosita hatte sich mit Graf unterhalten! Das musste nichts heißen. Garcia wusste, wie sehr Rosita danach gierte, Menschen aus anderen Ländern kennenzulernen und ihre Kenntnisse über europäische Kulturen zu erweitern. Aber sie hatte gesagt, sie werde nochmal anrufen!

Mit fliegenden Fingern sah General Carlos Garcia die übrigen Protokolle durch.

Diesmal bestand kein Zweifel!

Rosita und Graf hatten sich geduzt!

Er suchte auch diese Tonaufnahme. Er spürte förmlich das Drängen in Rositas Stimme, Graf zu sehen.

Schweiß stand auf seiner Stirn.

Rosita! Rosita, mit der er seit siebzehn Jahren verheiratet war! Rosita, die Mutter seiner Kinder, eine Hure! Rosita, die sich ausgerechnet Graf an den Hals warf, dem Mann, den er hasste wie die Pest!

General Carlos Garcia schüttelte den Kopf, um seine Gedanken unter Kontrolle zu bekommen.

Er hörte sich die kurze Aufnahme ein zweites Mal an.

Sie wollte gegen halb drei in Grafs Hotel sein, Graf wollte das Hotel um kurz nach drei verlassen.

Er sah auf seine Armbanduhr. Es war genau halb drei. „Señora Eriberta!“ schrie er. „Meinen Wagen! Sofort!“

Mit eiligen Schritten rannte General Carlos Garcia aus seinem Büro. Vielleicht konnte er noch das Schlimmste verhindern!

Mit einer Kraft, die Rupert Graf dieser kleinen Frau nicht zugetraut hätte, drückte sie mit ihrer freien linken Hand plötzlich seinen Kopf nach unten, so dass sein Mund direkt auf ihrem Fleisch landete.

Seine Zunge machte dort weiter, wo zuvor seine und ihre Finger gewesen waren.

Er hörte Rosita, die weiterhin seinen Kopf fest auf ihren Unterleib drückte, leise stöhnen.

Der Druck ihrer Hand auf seinen Kopf ließ nach, wobei Graf nicht mal spürte, als sie ihre Hand schließlich wegnahm. Dafür drückte sie jetzt von unten ihr Becken gegen seinen Mund.

Er merkte, wie ihre Hand sich auf seinen Oberschenkel schob und suchend seine Körpermitte ertastete, zögerte, und schließlich ruhig liegenblieb.

Er war kein bisschen erregt.

Trotzdem fuhr er fort, sie sanft mit seiner Zunge zu bearbeiten.

Ihr Stöhnen, das einen Augenblick lang aufgehört hatte, wurde wieder lauter. Graf merkte, dass sie mit ihrer rechten Hand irgend etwas tat.

Er hob seinen Kopf und sah zu ihr auf.

Was er sah, erregte ihn dann doch.

Mit geschlossenen Augen und versonnenem Gesicht leckte Rosita die Spitze ihrer rechten Brust, die sie mit ihrer Hand gegen ihren Mund presste.

Als sie spürte, dass sich jetzt auch bei ihm etwas regte, nestelte sie mit ihrer linken Hand seine Gürtelschnalle, den Knopf darunter und den Reißverschluss seiner Hose auf.

Mit festen Fingern fand sie den Bund seiner Unterhosen und zog ihn nach unten.

Ihre Umklammerung seines Geschlechts war dicht an der Schmerzgrenze.

Gleichzeitig nahm die Heftigkeit der Bewegungen ihres Beckens zu, ebenso die Frequenz und Lautstärke ihrer Schreie, die plötzlich in ein langgezogenes Stöhnen übergingen.

Für einige Augenblicke schien sie sich völlig zu entspannen.

Dann zog sie Rupert Graf neben sich auf das Bett. Kaum, dass er neben ihr lag, drehte sie ihn auf den Rücken und schwang sich auf ihn.

Mit einer Heftigkeit, die Rupert Graf befürchten ließ, sie werde ihm einen seiner edelsten Körperteile entwurzeln, wobei ihre freigelegte rechte Brust vor seinem Kopf baumelte, schien sie sich auf einen weiteren Höhepunkt hinzuarbeiten.

Rupert Graf, sonst immer bemüht, das Tempo zu bestimmen, war hier ohne Chance. Es war kein Entschluss, es war schiere Einsicht, die Frau über ihm sich austoben zu lassen.

Als sie schließlich auf ihm zusammenfiel und ihren schnell gehenden Atem in sein Ohr blies, versuchte er, zärtlich ihren Rücken zu streicheln.

Durch sein Jackett, das er immer noch trug, spürte er die Schnelligkeit ihres Herzschlags.

Das ganze war so schnell gegangen, dass Rupert Graf weit davon entfernt war, einen eigenen Höhepunkt zu genießen. Er schielte mit einem Seitenblick zu dem auf dem Nachttisch stehenden Radiowecker.

Fünf nach halb drei.

Er kam sich albern vor, mit bis zu den Knien herabgezogenen Hosen, beschuhten Füßen, und zerknittertem Jackett und Hemd.

Rosita stieg von ihm herab und entledigte sich mit einer blitzschnellen Bewegung ihres Rocks.

Dann hockte sie sich erneut auf ihn, diesmal auf ihren Fersen sitzend, sich mit den Händen hinter ihrem Rücken abstützend. Mit kreisenden Bewegungen ihres Beckens und der warmen Umklammerung von Grafs Reproduktionswerkzeug belebte sie Grafs schon im Schwinden begriffene Lebensgeister aufs neue.

Ohne ein Wort oder eine Geste der Vorwarnung sprang sie plötzlich hoch, rutschte auf den Knien ans Fußende des Bettes und behandelte Graf mit ihrem Mund. Auch jetzt war der Griff ihrer Hand schmerzhaft fest.

Als sie Grafs Höhepunkt kommen spürte, zog sie ihren Mund weg.

Rupert Graf sah überrascht zu ihr hinab.

Mit der faszinierten Zufriedenheit einer Katze, die mit einer Maus spielt, sah sie dem Erguss Grafs zu. Dann nahm sie mit einem Finger etwas von Grafs Flüssigkeit und leckte sie genüsslich ab. Erst dann sah sie Graf an.

Der erste vollständige Satz, den sie seit dem Treffen in der Hotelhalle von sich gab, war:

„Wer war die andere Frau vorhin?“

Rupert Graf zog sich noch im Liegen seine Hosen hoch.

Die Uhr zeigte zehn vor drei.

„Eine Bekannte,“ sagte er. Er überlegte, dass es angebracht war, vor der Abreise noch schnell zu duschen. Außerdem musste er sein Polohemd wechseln, das gelitten hatte.

Rosita stand ebenfalls auf und zog ihren Rock an. Aus ihrer Handtasche zog sie einen Slip, den sie sich überstreifte.

„Du hast viele Freundinnen hier, nicht wahr?“ fragte sie.

„Man lernt einige Leute kennen,“ antwortete er. „Das bleibt nicht aus, wenn man sich längere Zeit an einem Ort aufhält.“

Er ging ins Bad, warf sein Jackett über den Rand der Badewanne, streifte sein Hemd über den Kopf und schlüpfte aus seinen Hosen und Schuhen.

Rosita, die ihm gefolgt war und sich vor dem Spiegel Frisur und Kleidung ordnete, sah ihm im Spiegel zu, wie er in die Duschkabine trat.

„Das ist das erste Mal, dass ich dich nackt sehe,“ rief sie ihm über das Rauschen des Wassers zu. „Für dein Alter hast du eine gute Figur!“

Rupert Graf überlegte, ob er dies als Kompliment oder als Unverschämtheit verstehen sollte.

Graf kam nach wenigen Minuten aus der Dusche und trocknete sich ab.

Wie an den Geräuschen zu hören war, hatte Rosita die Toilette benutzt.

Er zog seine Hosen wieder an und seine Slipper, und suchte sich aus seinem Gepäck ein frisches Hemd. Zu seinem Leidwesen gab es nur noch ein dunkelrotes Polohemd, das er nicht passend zu seinem schwarzen Aufzug fand.

„Ich kenne die Frau,“ hörte er Rosita hinter sich sagen.

Überrascht sah er auf.

„Sie hat mit meinem Mann zusammengearbeitet. Sie hatten sie ein Verhältnis. Er hatte eine Zeitlang ein Foto von ihr in seiner Brieftasche.“

General Carlos Garcia verfluchte den Verkehr, seinen Fahrer und die Tatsache, dass sein Wagen nicht mit Blaulicht ausgestattet war, das ihm zwar nicht völlig freie Fahrt, aber doch schnelleres Durchkommen ermöglicht hätte.

Der Fahrer, dieser Idiot, schaffte es, jedes mal an einer Ampel anzukommen, wenn diese gerade auf Rot umsprang. Unter normalen Umständen hätte die Fahrt von Garcias Büro zum Hotel Oro Verde nicht länger als zwanzig Minuten dauern dürfen. Da jedoch der Verkehr auf der Avenida Arequipa dermaßen dicht war, dass sie sich nur im Schritttempo vorwärts bewegten, forderte Garcia den Fahrer auf, die Seitenstraßen zu nehmen. Hier ging es zwar zügig bis ans Ende des nächsten Blocks, dafür waren die Ampelphasen länger auf Rot geschaltet.

General Garcia sah von seinem Platz im Fond auf die Uhr im Armaturenbrett.

Zehn vor drei!

„Wer ist dein Mann?“ fragte Rupert Graf.

„Ein Langweiler. Das habe ich dir doch schon gesagt. Er tut irgend etwas, das er für furchtbar wichtig hält, in einer unserer Behörden.“

Rosita zog sich in aller Ruhe die Augenbrauen mit einem Stift nach.

Graf, inzwischen fertig angezogen, sein Gepäck wieder verschlossen, war bereit, das Zimmer zu verlassen. Er musste noch seine Rechnung an der Rezeption begleichen, was immer mit Verzögerungen verbunden war.

Rosita schien alle Zeit der Welt zu haben!

Seelenruhig suchte sie ihre Kosmetika zusammen und packte sie in ihre Handtasche.

Mit strahlendem Lächeln wandte sie sich Graf zu und sagte:

„Das hat mir sehr gut getan vorhin, Señor Graf. Ich würde mich freuen, wenn du mich wissen ließest, wann du das nächste Mal hier bist.“

„Wie?“ fragte Graf. „Ich weiß nur deinen Vornamen.“

General Carlos Garcia war drauf und dran, aus dem Auto zu springen und den Rest des Weges zum Hotel zu Fuß zu laufen. Im Augenblick rangierte vor ihnen ein Lastwagen, um sich aus einer Toreinfahrt in den Verkehr in der engen Straße einzufädeln. Das Lenkgestänge war bereits dermaßen ausgeleiert, dass die Vorderräder nur geringfügig einschlugen. Der Zustand des Wagen hätte ihn in einem zivilisierten Land längst auf einem Schrottplatz landen lassen!

Durch die begrenzte Lenkfähigkeit des Fahrzeuges musste der Fahrer mehrmals vor- und zurücksetzen, bis er seinen Laster endlich in Fahrtrichtung hatte.

Als der LKW schließlich anfuhr, stieß der Auspuff dichte schwarze Rauchwolken aus, deren Intensität in keiner Weise dem Schneckentempo entsprach, in dem er sich bewegte.

An der nächsten Kreuzung war Rot. Der Lastwagen, ohne in der Lage zu sein, Zeichen zu geben, da ihm sämtliche Rücklichter fehlten, rangierte wiederum vor und zurück, bis er nach rechts abbiegen konnte.

Als Garcias Wagen die Kreuzung erreicht hatte, war die Ampel erneut auf Rot umgesprungen. Die Uhr am Armaturenbrett zeigte genau auf drei.

Rupert Graf sah zu, wie Rosita ihre Telefonnummer auf das oberste Blatt des Notizblöckchens schrieb, das neben dem Telefon auf dem Nachttisch lag. Den Zettel steckte er sich in die Jackentasche. Dann riss er auch die zwei nächsten Blätter ab und zerriss sie in kleine Schnitzel, bevor er sie in den Papierkorb warf.

Rupert Graf ging noch einmal durch Schlaf- und Wohnraum, um sich zu vergewissern, dass er nichts vergessen hatte.

Gemeinsam verließen sie das Zimmer und gingen zum Aufzug, Graf seinen kleinen Rollenkoffer mit der darauf abgesetzten Reisetasche hinter sich herziehend.

„Deine Zimmer sind fast so groß wie unsere gesamte Wohnung,“ stellte Rosita fest.

Im Aufzug sagte Graf:

„Es ist sicherlich das beste, wenn wir uns hier schon verabschieden. Wer weiß, wer alles unten in der Halle ist.“

„Rechnest du mit deiner kleinen Freundin?“

„Vielleicht ist ja auch dein Mann dort.“

Trotz ihrer Stöckelschuhe musste sich Rosita strecken, um Graf zu küssen. Er spürte ihre Zunge in seinem Mund.

„Es war sehr schön mit dir,“ sagte er, als sie von ihm abließ.

Die Aufzugtür öffnete sich.

Er ließ ihr den Vortritt.

„Frag´ mich mal!“ sagte sie und wandte sich Richtung Ausgang.

Während er zur Rezeption ging, sah er ihr nach, wie sie ohne sich umzudrehen mit festem Schritt durch die Drehtür verschwand.

Was für eine Frau!

DAS GESCHÄFT - TEIL 2

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