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Kapitel 2.

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Erkenntnisse

General Carlos Garcia betrat das Hotel nur wenige Minuten später. Er sah Graf, den er von hinten an seinem kahlrasierten Schädel sofort erkannte, mit Kinzel an der Rezeption stehen. Hinter der Theke standen gleich mehrere Angestellte, die sich um Graf kümmerten.

Rosita war nirgendwo zu sehen.

Garcia beobachtete, wie Graf einen Stapel Papiere, offenbar die Hotelrechnung in seine Reisetasche steckte, wie Graf einem der Männer hinter der Rezeption einen Geldschein in die Hand drückte und wie der sich von Graf mit nicht enden wollendem Handschlag verabschiedete.

Ein Page kam, um Grafs Gepäck zu übernehmen, und Graf, Kinzel und der Page marschierten im Gänsemarsch zum Ausgang.

Der Portier riss die Tür neben der Drehtür auf, so dass alle drei, ohne den Schritt zu verlangsamen, das Hotel verlassen konnten.

Garcia wartete noch einen Moment.

Dann ging er zur Rezeption und bat, den Manager des Hotels sprechen zu können.

Aus einer Tür in der holzvertäfelten Wand trat kurze Zeit danach der Mann, der Grafs Hand geschüttelt hatte.

Garcia, obwohl sein Foto in den vergangenen Wochen mehrmals in den Medien erschienen war, musste feststellen, dass der Mann ihn nicht erkannte. Garcia schob dies auf die Zivilkleidung, die er trug.

Er hielt dem Manager des Hotels seinen Ausweis der PIP unter die Nase und sagte:

„Ich will das Zimmer sehen, in dem Señor Graf gewohnt hat!“

Angesichts des Ausweises machte der Manager keine Schwierigkeiten. Er sprach kurz mit einem der anderen Angestellten hinter der Rezeption, der ihm daraufhin eine Plastikkarte aushändigte.

Im Aufzug fuhren sie in den dritten Stock.

Zu zweit gingen sie den gedämpft beleuchteten Flur bis ans Ende.

„Señor Graf wohnt immer, wenn er hier ist, in dieser Suite.“

Der Hotelmanager steckte die Karte in eine auf der Tür angebrachte Apparatur, und General Carlos Garcia stand in dem Raum, den Graf kurz zuvor verlassen haben musste.

Das Zimmer sah völlig unbewohnt aus.

General Carlos Garcia hatte niemals Polizeiarbeit lernen müssen. In der Armee hatte er Schießen gelernt, und bis zu seiner Versetzung in die PIP ging er gerne zum Schießtraining, das die Armee ihren Offizieren anbot. Er hatte auch irgendwann einmal Selbstverteidigung gelernt. Aber von Polizeiarbeit verstand er soviel wie davon, eine Kuh zu melken. Er wusste nur, schwierig konnte es nicht sein!

Um nicht den Anschein zu erwecken, er wüsste nicht, was er tun solle, inspizierte General Carlos Garcia den Wohnraum. Die Aschenbecher waren sauber, in den Papierkörben kein Müll. Er guckte sogar in die Minibar, die in einem Schrank untergebracht war.

Dann ging er in das angrenzende Schlafzimmer.

Das Bett war mit einer Decke überzogen. Garcia schaute in die Schränke und in die Schubladen der Kommoden.

Im Bad hingen frische Handtücher über den Stangen aus glänzendem Chrom.

Das Waschbecken war trocken.

Nichts wies darauf hin, dass dieser Raum noch vor wenigen Minuten bewohnt gewesen sein musste.

Stumm beendete Garcia seinen Rundgang.

Eine solche Eleganz wünschte General Carlos Garcia sich für seine neue Dienstwohnung!

Mit einem kurzen Nicken verließ er den Raum und ging, ohne sich nach dem Hotelangestellten umzusehen, zum Aufzug.

Immerhin, in Grafs Zimmer konnte Rosita nicht gewesen sein!

Im Aufzug fragte er den Mann:

„Wo hat sich Señor Graf die letzte Stunde aufgehalten?“

„Nun Señor , wir pflegen unsere Gäste nicht zu beobachten. Anhand der Rechnungen habe ich jedoch gesehen, dass Señor Graf im Restaurant im Untergeschoss zu Mittag gegessen hat. Ich nehme an, dass er danach auf Señor Kinzel gewartet hat.“

„War es eine Rechnung für ein oder zwei Essen?“ wollte Garcia wissen.

„Der Höhe der Rechnung nach für zwei.“

Hatte Graf Rosita zum Essen eingeladen? Nun gut, das mochte unverfänglich gewesen sein. General Carlos Garcia war, wenn auch keineswegs zufrieden, zumindest erleichtert.

Ohne ein Wort des Dankes an den Manager verließ er den Aufzug und ging zur Ausgangstür.

Bevor er die Drehtür betrat, sah er sich noch einmal um.

Er würde, auch wenn Nasini ihm strengstens verboten hatte, sich mit Grafs Geschäft zu befassen, veranlassen, dass in Grafs Zimmer eine Abhöranlage installiert würde.

Dann fiel ihm doch noch etwas ein.

Er ging zur Rezeption zurück, wo der Mann, der ihn begleitet hatte, gerade im Begriff war, in seinem Büro zu verschwinden.

„Ich möchte die Rechnung von Señor Grafs Zimmer sehen!“

„Wir sind nicht befugt, diese Unterlagen herauszugeben, Señor .“

General Carlos Garcia zog noch einmal seinen Ausweis hervor. In scharfem Ton zischte er den Kerl an:

„Wenn ich nicht sofort die Rechnung Grafs zu sehen bekomme, mein Freundchen, haben Sie die nächsten Wochen hier jeden Tag eine Razzia! Ich nehme an, dass wir uns nach spätesten drei Wochen nur noch auf wenige Zimmer zu konzentrieren haben, weil Ihnen die Gäste wegbleiben.“

Missmutig zog der Hotelmanager einen Stapel Papiere aus einer Schublade und reichte sie Garcia über die Theke.

Die Gesamtsumme war gewaltig! Gracia überflog die einzelnen Posten. Bewirtungen in den Restaurants, in der Bar, Zimmerservice und Telefon. Wie er sah, war ein Riesenbetrag für eine Veranstaltung auf der Rechnung. Das musste das Abendessen anlässlich der Vertragsunterschrift gewesen sein! Das allein hatte soviel gekostet wie Garcia in zwei Jahren verdiente!

Gracia suchte nach der Aufstellung der Telefonrechnungen. Sämtliche aus Grafs Zimmer geführten Telefonate waren mit der angerufenen Nummer und der genauen Zeitangabe ausgedruckt.

Allein die Telefonkosten waren so hoch wie sein Monatsgehalt!

General Carlos Garcia interessierten nicht die von Graf geführten Ferngespräche, auch wenn er registrierte, dass Graf nicht nur in Deutschland, sondern in der halben Welt angerufen haben musste.

An lokalen Nummern war mehrmals das Büro der DRRS angeführt, die Nummer kannte Garcia aus dem Kopf!

Gestern Nacht hatte Graf die Nummer von Roxanas Handy angerufen, auch diese Nummer war ihm bekannt. Wut stieg in ihm auf.

Seine eigene Rufnummer, und danach hatte Garcia gesucht, erschien nirgendwo.

Er war schon im Begriff, die Rechnungsunterlagen zurückzugeben, als ihm noch etwas auffiel.

Die Zimmernummer stimmte nicht mit der des Raumes überein, in den man ihn vorhin geführt hatte!

Die Zahl auf der Zimmertür hatte mit einer Drei angefangen, aber hier stand eindeutig eine Zwei!

Und ebenso eindeutig waren sie in das dritte Stockwerk gefahren!

General Carlos Garcia bekam vor lauter Wut kaum noch Luft. Er spürte, wie sein Kopf rot anlief.

„Ich will sofort dieses Zimmer sehen!“ brüllte er so laut, dass einzelne Gäste in seinem Rücken erschrocken zu ihm herüber sahen. „Sofort!“

Der Hotelmanager kam wie ein Wiesel um die Theke herum geschossen.

„Entschuldigen Sie bitte, General Garcia, das war mein Fehler. Ich habe mich in der Etage geirrt.“

Roxana Torreblanca, in dem Bedürfnis, ihr zurückgewonnenes Glück mit jemandem zu teilen, beschloss spontan, Anamaria Figueredo einen Besuch abzustatten.

Da sie nicht wieder Blumen mitbringen wollte, kaufte sie unterwegs ein Buch, von dem sie glaubte, damit Anamaria eine Freude zu machen.

Vor Anamarias Haus stand jetzt nur noch ein einzelner Polizist. Der meldete sie über sein Funkgerät im Haus an.

Sie wurde sofort vorgelassen.

Anamaria, die sie herzlich umarmte, schien um Jahre gealtert. Als sie vor Roxana in den Wohnraum ging, in dem damals Präsident Scaloni und Minister Bustamante gesessen hatten, sah Roxana, dass Anamaria ihre Schultern hängen ließ.

Ein Bediensteter, der aussah, wie Roxana sich immer den Inhaber eines Bestattungsinstitutes vorgestellt hatte, kam in den Raum und fragte, was er an Getränken bringen könnte.

Kaum war er weg, sagte Anamaria:

„Ich lebe unter ständiger Überwachung. Bestimmt ist das auch einer von Nasinis Lakaien. Seien Sie vorsichtig. Ich bin sicher, jedes Wort, das wir sagen, wird mitgehört.“

„Warum gehen Sie nicht aus?“ fragte Roxana.

„Ich stehe unter Hausarrest. Zwar sagt mir niemand, warum, aber ich darf das Haus nicht verlassen. Ich nehme an, Nasini will verhindern, dass ich mich öffentlich äußere.“

„Wieso sollte er das tun?“ fragte Roxana überrascht.

„Weil er sich fürchtet,“ antwortete Anamaria. „Er ist ein schwacher Mann.“

„Wovor?“

Roxana war zutiefst verwundert.

„Davor, dass ich der Öffentlichkeit sagen könnte, wer die meisten Vorteile von Eugenios plötzlichem Tod hat. Nasini weiß nicht, wie viel ich weiß.“

„Über was?“

Anamaria antwortete nicht. Erst nach einer langen Pause sagte sie:

„Ich will Sie da nicht hinein ziehen. Es ist zu gefährlich.“

Wieder machte sie eine Pause, die noch dadurch verlängert wurde, dass der Hausdiener ihre Getränke brachte.

Sie sahen beide stumm zu, wie der Mann die Teetassen vor ihnen absetzte, eine Schale mit Keksen dazu stellte, und schließlich Tee in ihre Tassen goss.

„Danke, Miguel, Sie können jetzt gehen,“ sagte Anamaria.

Sie warteten, bis der Mann die Tür zum Flur lautlos hinter sich zugezogen hatte.

Anamaria schien nicht auf das Gespräch zurückkommen zu wollen.

Dies erlaubte Roxana endlich, sich ausführlich für Anamarias Einschaltung zu bedanken, die zur Begnadigung ihrer Eltern und der Amnestie für ihren Bruder geführt hatte. Mit Tränen der Dankbarkeit berichtete sie in allen Einzelheiten von den Abenteuern anlässlich ihres Aufenthaltes in Arequipa, und wie sie ihre Familie wiedergefunden hatte.

Garcia stolperte beinahe im Laufschritt zu den Aufzügen.

Im zweiten Stock angekommen, rannte er durch den Flur, bis er den Eingang zur Suite erreicht hatte.

Die Tür stand offen.

Als er in den Raum stürmte, sah er in die überraschten Gesichter von zwei Zimmermädchen, die gerade dabei waren, ihre Gerätschaften zusammenzuräumen.

Die Suite sah genauso aus wie die, die er zehn Minuten zuvor besichtigt hatte! Und sie war genauso aufgeräumt!

Lediglich ein schwacher Geruch erinnerte ihn an etwas, das ihm bekannt vorkam.

Auf dem Wägelchen, das die Zimmermädchen bei sich hatten, war ein Korb mit gebrauchten Handtüchern und ein weiterer mit frischen. An einer Seite der Karre hing ein fast leerer Müllbeutel.

Garcia schaute dort hinein.

Neben ein paar Kronkorken sah er eine Handvoll Papierschnipsel.

Er fischte die Papierschnipsel aus dem Müllbeutel und sah sie sich näher an.

Sie waren leer! Außer dem aufgedruckten Emblem und Namen des Hotels am oberen Rand waren unten lediglich die Anschrift und die Telefon- und Faxnummern aufgeführt.

Garcia steckte die Schnipsel ein.

Er sah sich um.

Die Suite hatte vier Telefonapparate, zwei im Wohnraum und je eines auf jeder Seite des großen Doppelbettes. Neben jedem der Telefone lag ein Notizblöckchen.

Von einem dieser Blöcke stammten die Papierschnitzel.

Warum sollte Graf zwei leere Blätter abgerissen und weggeworfen haben?

General Carlos Garcia steckte alle vier Notizblöcke ein.

Im Badezimmer fand er noch einen fünften Telefonapparat, aber ohne Notizblock.

Auch, wenn es ihm widerstrebte, fragte er die Zimmermädchen:

„War das Bett benutzt?“

Beide jungen Frauen guckten den Manager des Hotels, der Garcia stumm beobachtet hatte, an. Der nickte. Eine der beiden sagte:

„Das Zimmer war am Morgen bereits vollständig gemacht worden, Señor , auch das Bett. Vorhin war das Bett unbenutzt. Es sah aber so aus, als habe Señor Graf etwas Schweres auf dem Bett abgesetzt. Die Tagesdecke war zerknautscht. Und Señor Graf hat noch mal geduscht.“

„Es ist nicht ungewöhnlich, General, dass die Gäste beim Packen ihre Koffer auf die Betten legen. Das ist zwar für uns ärgerlich, aber für die Gäste offenbar bequemer,“ sagte der Manager.

„Halten Sie den Mund!“ fuhr Garcia ihn an. „Wie viele Handtücher waren benutzt?“ fragte er die Mädchen.

„Ein Badetuch und ein kleines neben dem Waschbecken.“

Garcia ging in das Badezimmer und inspizierte es, so genau er konnte. Es sah aus, wie das Bad, das er vor zehn Minuten ein Stockwerk höher gesehen hatte.

Er kam zurück in den Schlafraum und sah das Bett an.

Konnte es sein, dass Rosita hier vorhin noch mit Graf gelegen hatte? Sein Herz krampfte sich bei diesem Gedanken zusammen.

Auch wenn es ihm fast den Magen umdrehte, untersuchte er doch die Tagesdecke auf dem Bett in Hüfthöhe auf verräterische Flecken.

Er war so erleichtert, als er nichts fand, dass er sich fast in die Hosen gemacht hätte!

Ohne ein Wort verließ er die Suite.

Er hatte keinerlei Beweis für Rositas Anwesenheit hier gefunden.

Dennoch würde er Rosita auf ihren Besuch bei Graf ansprechen.

Roxana Torreblanca sah, dass auch Anamaria feuchte Augen hatte, als sie von der Freilassung ihrer Eltern aus dem Gefängnis und von deren Hilflosigkeit in der neugewonnenen Freiheit erzählte.

Ein paarmal hatte Anamaria sie unterbrochen, um Fragen zu stellen.

Es half Roxana, dass Anamaria ihre Hand hielt.

Roxana hatte zwar Anamaria schon einmal sämtliche Geschehnisse geschildert, die sich zugetragen hatten, seit sie Rupert Graf getroffen und kennengelernt hatte.

Da aber Anamaria auf verschiedene Punkte ihres damaligen Berichtes zurückgekommen war, war Roxana froh, auch hierüber noch einmal sprechen zu können.

Anamaria ließ sich insbesondere die Aktivitäten Garcias in allen Roxana bekannten Einzelheiten beschreiben.

Roxana schämte sich zu sehr, als dass sie hätte berichten können, wie Garcia sie sexuell missbraucht hatte.

Sie beschränkte sich darauf, unter Tränen zu sagen:

„Er hat mich oft gezwungen, ihm zu Willen zu sein.“

Sie erwähnte aber auch:

„Von einem auf den anderen Tag hat er mich in Ruhe gelassen. Trotzdem muss er genau gewusst haben, was ich tat oder mit wem ich sprach. Noch nach der Begnadigung meiner Eltern hat er mir telefonisch gedroht.“

Roxana musste daran denken, dass Anamaria eingangs gesagt hatte, sie vermute, ihr Haus werde abgehört.

Sie hoffte inständig, dass Carlos Garcia derjenige wäre, der zu hören bekam, was sie über ihn zu sagen hatte.

Dies machte es ihr leicht, sich alles von der Seele zu reden und kein gutes Haar an ihm zu lassen.

Sie beschrieb einen kurzgewachsenen Mann voller Minderwertigkeitskomplexe, herrisch gegenüber Mitarbeitern, aber feige gegenüber Vorgesetzten, der skrupellos seine Macht ausübte, einen Erpresser, nur stark gegenüber Schwächeren, aber ängstlich vor seiner eigenen Frau.

„Ein Pinscher!“ sagte sie zum Schluss.

Anamaria musste lachen, weil Roxana sich so in Wut geredet hatte. Dann wurde sie plötzlich ernst.

„Immerhin hat Nasini ihn zu seinem Nachfolger ernannt. Warum bloß?“ fragte sie nachdenklich.

General Carlos Garcia sah ratlos auf die Papierfetzen, die auf seiner Schreibtischplatte lagen.

Da beide Blätter offenbar gleichzeitig zerrissen worden waren, konnte er zunächst nicht feststellen, welches Blatt oben und welches unten gelegen hatte. An ein paar Stellen klebten die beiden Blätter allerdings noch zusammen.

Es war wie ein Puzzle, nur dass das Bild fehlte.

Er nahm sich einen der Notizblöcke, die er eingesteckt hatte, und untersuchte das Papier genauer. Die Vorderseite wies eine glattere Struktur auf als die Rückseite. Das war schon mal was!

Er legte die oberen und unteren Ränder zusammen. Oben stand der Name des Hotels, unten dessen Adresse.

Stück für Stück fügte er Schnipsel an Schnipsel.

Er fragte Señora Eriberta, ob sie eine Lupe besitze.

So etwas hatte die Kuh natürlich nicht!

Er forderte sie auf, eine zu besorgen.

Es dauerte eine halbe Stunde, bis sie eine Lupe aufgetrieben hatte. Interessiert schaute sie auf die Papierfetzen auf seiner ansonsten leergeräumten Tischplatte.

„Nun gehen Sie schon! Gehen Sie! Gehen Sie!“ fuhr Garcia sie an.

Sorgfältig untersuchte Garcia Papierfetzen für Papierfetzen.

Ungefähr da, wo die Mitte der Zettel gewesen sein musste, entdeckte er leichte Vertiefungen.

Anhand der Stärke der Vertiefungen konnte er jetzt sogar feststellen, welches Blatt das oberere gewesen sein musste.

Über die Wechselsprechanlage forderte er Señora Eriberta auf, Klebstoff zu bringen.

Wieder musterte sie neugierig die Papierfetzen vor ihm.

Als sie endlich draußen war, klebte Garcia die Schnipsel, die er als die unteren identifiziert hatte, dicht an dicht auf einen Briefbogen seiner Behörde.

Dann fuhr er leicht mit einem schräg gestellten Bleistift über die Vertiefungen, die er entdeckt hatte.

Sehr schwach schien eine Zahl zum Vorschein zu kommen.

Ermutigt von diesem Ergebnis, klebte er die Schnipsel des oberen Blattes auf einen weiteren Bogen und wiederholte die Prozedur, leicht mit dem Bleistift darüber zu fahren.

Das Papier färbte sich dunkel und ließ die Stellen, an denen ein Stift die Zettel eingedrückt hatte, hell.

Jetzt konnte General Carlos lesen, was auf dem Zettel stand, aber das Ergebnis machte ihn nicht froh.

In der Handschrift seiner Frau Rosita las er die Telefonnummer seines Zuhauses.

Rosita war in Grafs Zimmer gewesen!

Er nahm sich die vier Notizblöcke vor, die er eingesteckt hatte, und unterzog sie derselben Behandlung mit dem Bleistift. Auf einem der Blöcke schien die gleiche Zahl zu stehen, aber es gehörte schon viel guter Wille dazu, dies anzunehmen.

Das Dumme war nur, er wusste nicht mehr, ob dies einer der Blöcke aus dem Wohnraum oder aus dem Schlafzimmer Grafs gewesen war.

Der Kloß in Garcias Hals wurde immer dicker. Er war bereit, das Beste von Rosita anzunehmen, aber, was zum Teufel, hatte sie in Grafs Zimmer zu suchen gehabt?!

Den Tränen nahe schrie er:

„Señora Eriberta! Meinen Wagen!“

Während der Fahrt nach Hause überlegte er, was er tun sollte.

Es war keinesfalls so, als ob General Carlos Garcia seine Frau Rosita abgöttisch geliebt hätte.

Kennengelernt hatte er sie als Student, und damals waren sie so etwas wie verliebt ineinander gewesen.

Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hatten gestimmt, er nach seinem fast abgeschlossenen Studium zu den Streitkräften verpflichtet, sie aus einer Familie, die über die letzten Generationen zwei Gymnasiallehrer und zwischendurch einen richtigen Professor hervorgebracht hatte.

Als seine älteste Tochter geboren wurde, war Garcia noch zutiefst gerührt gewesen. Die Geburt der zweiten Tochter war eine Enttäuschung, die er nur schwer verbergen konnte. Bei der Geburt der dritten Tochter war er schier verzweifelt, wenn er an die Kosten dachte, die ihn die Ausrichtung von drei Hochzeiten eines Tages kosten würde.

Als Rosita wieder schwanger geworden war, hatte er sich innerlich auf ein viertes Mädchen eingerichtet.

Und dann war es ein Sohn!

Nachdem Garcia sich im Militärhospital vergewissert hatte, dass Rosita diesmal seinen Wunsch nach einem Stammhalter erfüllt hatte, war er nächtelang mit Kumpanen, die sich gerne von ihm freihalten ließen, durch die Bars von Lima gezogen.

Irgendwann hatte man ihn gefragt, wem das Kind ähnlich sähe, ihm oder seiner Frau, und Garcia musste zugeben, ins Gesicht hatte er dem Knaben noch gar nicht geguckt.

Die intimen Begegnungen mit Rosita waren immer nur kurz, und sie hatte ihn unverhohlen darauf hingewiesen, dass es für sie jedes mal die Erfüllung einer Pflicht war, sich ihm zu öffnen.

Sie schliefen zwar in einem Zimmer und in einem Bett, aber wenn er nach Hause kam, war Rosita meist schon im Tiefschlaf, oder sie litt unter Kopfschmerzen, oder der Tag war zu anstrengend gewesen. Morgens, wenn er mit einer Erektion aufwachte und hoffnungsfroh Rositas Hand zu sich herüber zog, mussten die Kinder angezogen, deren Frühstück gemacht und dafür gesorgt werden, dass sie rechtzeitig den Schulbus erreichten. Zudem schienen ihre Monatsbeschwerden immer mindestens vierzehn Tage zu dauern.

Er ging in Bordelle, wo er gut behandelt wurde, wo die Mädchen sich freuten, wenn er zu Besuch kam, und zuhause ließ er Rosita in Frieden. Er hatte die Frauen nicht gezählt, aber es mussten mehr als hundert gewesen sein, die sich ihm gerne hingegeben hatten.

Dann hatte sich durch einen glücklichen Umstand das Arrangement mit Roxana ergeben, und Garcia war glücklich, denn er sparte einen Haufen Geld, das er bisher für Freudenmädchen ausgegeben hatte, und für seine Freuden mit Roxana kam letztendlich seine Behörde auf.

Trotzdem, Rosita war seine Frau und somit sein Eigentum!

Auch Roxana hatte er als sein persönliches Eigentum betrachtet, bis sie ihm entglitten war. Und er selbst hatte sie auf Graf angesetzt! Nicht im entferntesten wäre er auf die Idee gekommen, dass sie Graf, den er an diesem unseligen Tag zum ersten Mal gesehen hatte, ihm vorziehen könnte!

Der Verlust Roxanas hatte ihn tief getroffen.

Trotzdem wäre das nichts im Vergleich mit der Möglichkeit, dass Rosita sich dem Lackaffen Graf hingegeben haben könnte.

General Carlos Garcia war erfüllt von einem süßen Schmerz, als er sich vorstellte, wie er gleich Rosita mit den ihm bekannten Tatsachen konfrontieren würde.

Sie würde alles bestreiten, dann würde sie unter der Last seiner Kenntnis zusammenbrechen!

Sie würde heulen, sie würde schwören, nichts sei gewesen!

Vor seinem inneren Auge genoss er die Situation, wie er ihr stumm das Blatt mit den aufgeklebten Papierschnipseln aus Graf Zimmer mit der Telefonnummer ihrer gemeinsamen Wohnung hinwerfen würde. Sie würde zusammenbrechen, gestehen, dass sie bei Graf war, und ihn heulend um Verzeihung bitten. Um Verzeihung dafür, dass sie gestern einen ihr interessant erscheinenden Ausländer kennengelernt und sich heute noch mal mit ihm in aller Harmlosigkeit getroffen habe, um, ja um was, zum Teufel?!

Festzustellen, dass der ein Idiot war?

Zu fragen, ob ihre älteste Tochter Carmen ein Praktikum in Grafs Unternehmen machen könnte? Das sähe ihr ähnlich!

Sich mit Graf über Goethe und Schiller zu unterhalten?

Selbst das war Rosita zuzutrauen!

Trotzdem, endlich wäre er einmal in der Lage, ihre gewohnte Überheblichkeit zu brechen.

Als sein Wagen in die Straße bog, in der er wohnte, war General Carlos Garcia gespannt auf die Erklärungen, die seine Frau ihm in wenigen Augenblicken geben würde.

Er atmete tief durch, als er ins Haus trat.

Rosita saß im Wohnraum und blätterte in einer Zeitschrift. Überrascht, dass er um diese ungewöhnliche Zeit nach Hause kam, sah sie auf.

Roxana Torreblanca hatte auf Anamarias Frage auch keine Antwort.

Sie kannte Nasini nur aus den Medien, und bis vor wenigen Wochen hatte sie nicht einmal von seiner Existenz gewusst.

Vielleicht war er ein Typ wie Garcia, und dann passten die zwei sicherlich zusammen wie der Deckel zum Topf.

Roxana hatte nur eine blasse Vorstellung davon, welche Qualifikation eine Persönlichkeit haben sollte, die die Leitung einer Behörde wie die PIP übernahm.

Sie war allerdings überzeugt, dass Garcia weit davon entfernt war, diese Qualifikation zu besitzen.

Nun war sie realistisch genug zu wissen, dass viele Behörden von Menschen geleitet wurden, deren Qualifikationen fragwürdig waren.

In den meisten Fällen bestand die Qualifikation darin, dass diese Personen Freunde oder Verwandte hatten, von denen sie in ihre Positionen gehievt worden waren.

Aber wäre Garcia ein Verwandter von Nasini, hätte er sich schon früher damit gebrüstet. Es überstieg Roxanas Vorstellungskraft, dass Garcia in der Lage gewesen sein könnte, über eine verwandtschaftliche Beziehung zu dem damaligen Leiter der PIP Schweigen zu bewahren. Wenn er mal zu Treffen mit höherrangigen Offizieren eingeladen gewesen war, hatte er stundenlang davon erzählen können, selbst wenn diese Treffen nur von kurzer Dauer gewesen waren.

Und Freundschaft?

Könnte Garcia tatsächlich mit Nasini befreundet sein?

Auch hieraus hätte Garcia todsicher versucht, Kapital zu schlagen!

Wenn, dann konnte diese Freundschaft erst entstanden sein, nachdem Roxana aus dem Verteidigungsministerium ausgeschieden war!

Dies sagte sie Anamaria.

„Sie meinen, Garcia, der die Aufgabe hatte, sich im Militärischen Geheimdienst damit zu beschäftigen, Ihren Freund Graf auszuspionieren, habe sich erst später mit Nasini zusammengetan?“ fragte Anamaria. „Wann?“

„Frühestens, nachdem ich weg war. Ich weiß allerdings von Enrique Pato, dass die PIP Garcia einmal festgesetzt hat. Und von einer früheren Kollegin weiß ich, dass Garcia einmal mehrere Tage nicht im Büro erschienen ist und niemand wusste, wo er steckte. Es habe geheißen, er sei verhaftet worden. Dann tauchte er wieder auf und war rotzfrech wie eh und je.“

„Also ungefähr zu dem Zeitpunkt, als Eugenio ermordet wurde?“

Roxana schüttelte den Kopf.

„Vorher. Etliche Wochen vorher. Dann, zwei Tage nach dem Attentat auf Präsident Scaloni, hörte ich in den Fernsehnachrichten, dass Nasini ihn zu seinem Nachfolger bei der PIP gemacht habe.“

„Seltsam, nicht wahr? Sehr seltsam,“ murmelte Anamaria. „Wie könnte man herausfinden, warum?“

Roxana hatte eine Idee. Aber Anamaria hatte gesagt, ihr Haus würde abgehört.

Roxana hatte nicht die Absicht, sich oder Anamaria oder Dritte in Gefahr zu bringen.

Bei einem ihrer ersten Treffen mit Rupert, als sie ihm zum ersten mal von Garcia erzählt hatte, war ihr aufgefallen, dass er den Fernsehapparat angestellt hatte. Da sie dies damals als störend empfand, hatte sie ihn später einmal nach dem Grund gefragt.

Rupert hatte erklärt, dadurch könne man das Abhören von Räumen schwierig, wenn nicht sogar unmöglich machen.

In einer Ecke des Wohnraums stand ein Fernsehgerät.

Roxana bat Anamaria, den Apparat anknipsen zu dürfen.

„Natürlich,“ sagte Anamaria verwundert.

Erst als das Gerät lief, setzte Roxana Anamaria ihre Idee auseinander.

„Wo warst du heute Mittag zwischen zwei und drei Uhr?“ fragte Garcia.

„Was geht dich das an?“ fragte Rosita zurück. „Ich frage dich auch nicht, wo du um diese Zeit warst. Es interessiert mich im übrigen auch nicht!“

„Du bist im Hotel Oro Verde gesehen worden,“ sagte er.

„Ja und?“

Zu Garcias Enttäuschung bestritt sie das nicht einmal!

„Ich möchte wissen, was du dort zu tun hattest.“

„Ich habe mich mit jemandem getroffen. Füllt dich deine neue Position so wenig aus, dass du aus lauter Langeweile jetzt mir nachspionierst?“

Ihr Ton war patzig und aggressiv. Er musste es anders anfangen!

„Gestern Abend auf dem Empfang hast du dich mit einem Deutschen unterhalten. Weißt du, wer das war?“

„Ja sicher! Señor Graf. Das ist der, der dir deine Freundin Roxana ausgespannt hat.“

Diese Bemerkung ließ ihn verblüfft den Mund auf- und zuklappen.

„Hat er dir das erzählt?“ fragte er, völlig aus dem Konzept gebracht.

„Mit keinem Wort! Er weiß nicht mal, dass ich mit dir verheiratet bin! Von deinem Verhältnis zu Roxana Torreblanca habe ich all die Jahre gewusst. Für wie dumm hältst du mich eigentlich? Ich wusste auch, wann es zu Ende war. Ich bin sogar angerufen worden. Ich habe den Mund gehalten, der Kinder wegen.“

Hätte er nicht schon gesessen, es hätte ihm die Beine weggezogen. Bis jetzt war er überzeugt gewesen, dass seine Beziehung zu Roxana unentdeckt geblieben war. In herablassendem Ton fuhr Rosita fort:

„Aber heute Mittag im Oro Verde habe ich beobachten können, mit welch hingebungsvoller Zärtlichkeit sich deine frühere Geliebte von Señor Graf verabschiedet hat. Es war richtig rührend! Das halbe Hotel hat der Knutscherei zugeguckt. Mich hat nur gewundert, dass niemand applaudiert hat!“

General Carlos Garcia war sicher, sie wusste, wie sehr sie ihn verletzte!

Obwohl sie ganz ruhig gesprochen hatte, war jeder Satz für ihn wie ein Peitschenhieb. Aber es kam noch schlimmer:

„Ich muss allerdings sagen, ich habe sehr bedauert, als dein Verhältnis zu Roxana in die Brüche ging, weil ich befürchten musste, dass du mir nun wieder alle möglichen Krankheiten ins Haus schleppst. Es war zunächst peinlich und dann ausgesprochen lästig, alle naslang meinen Gynäkologen zu bitten, die Pilzerkrankungen zu behandeln, die du von deinen Besuchen bei Freudenmädchen mitgebracht hast. Deine Roxana hielt sich wenigstens sauber!“

„Das hast du alles gewusst?“ stammelte er mehr als er fragte. Alles Blut war aus seinem Gesicht gewichen.

„Ja, Carlos, das habe ich alles gewusst. Aber ich habe geschwiegen. Jahrelang. Ich habe geschwiegen, weil es sonst das unvermeidliche und sofortige Ende unserer Ehe bedeutet hätte. Die Kinder hätten unter einer Trennung gelitten. Und die Kinder können nichts für dein Verhalten!“

Rosita de Garcia stand auf. Mit vor Wut blitzenden Augen sah sie auf ihn herab. Er wusste, jetzt kam noch etwas, und unwillkürlich duckte er sich.

Doch sie sagte nur:

„Und deshalb, Carlos, verbitte ich mir ein für alle Mal jegliche Fragen deinerseits, warum ich wann oder wo mit wem gesprochen habe.“ Sie holte Luft, als wolle sie zu einer weiteren Bemerkung ansetzen, doch dann atmete sie aus und verließ mit schnellen Schritten den Wohnraum.

Zusammengesunken blieb General Carlos Garcia in seinem Sessel sitzen.

Am Tag seiner Ankunft wurde Rupert Graf zu Professor Ostendorf gerufen.

Unverzüglich. Ein Grund für das Gespräch wurde nicht genannt.

Seufzend fuhr Graf mit dem Pasternoster in die Vorstandsetage.

Er wurde von Frau Müller-Resen gebeten, in einem separaten Besprechungsraum zu warten.

Ostendorf erschien nach wenigen Minuten.

„Haben Sie ein Mobiltelefon bei sich, Herr Graf?“

„Nein!“ antwortete Graf verwundert.

„Dann ist ja gut. Ihre Bemerkungen vor meiner Abreise in Lima sind mir nicht aus dem Kopf gegangen. Diese Provisionen, die Sie im Zusammenhang mit diesem Geschäft zahlen, sind doch wohl keine Schmiergelder?“

„Unser Unternehmen zahlt keine Schmiergelder!“ antwortete Graf fest. Er schloss nicht aus, dass dieses Gespräch aufgezeichnet wurde. „Wir zahlen Honorare für erbrachte Leistungen, oder für für Leistungen, die im Laufe der Auftragsabwicklung noch zu erbringen sein werden. Für die kalkulatorische Vorkehrungen getroffen worden sind. Leistungen, die nachweisbar sind.“

„Keine Zahlungen an Amtsträger?“ bohrte Ostendorf nach.

„Ich mache mich doch nicht strafbar!“ antwortete Graf. „ Es gibt ein paar Unternehmen, die uns beraten haben. In Fragen der Systemintegration. In Fragen der Logistik. In Fragen der Instandhaltung. In erster Linie Firmen aus den USA. Internationale Experten in diesem sensiblen Bereich. Sicherheitsklassifiziert!“

Graf konnte von Ostendorf ansehen, dass der keine Ahnung hatte, von was er sprach.

„Wie hoch ist die Gesamtsumme?“ fragte Ostendorf.

„Achtundsiebzig Millionen. Rund zehn Prozent des Auftragswertes.“

„Lässt sich das alles sauber begründen?“ fragte von Ostendorf.

Einen Augenblick lang war Rupert Graf versucht, anzunehmen, dieses Gespräch würde doch nicht aufgezeichnet. Trotzdem blieb er auf der Hut.

„Absolut! Wir zahlen nur für Leistungen. Das sind keine Schmiergelder!“

„Ich verlange ein Rechtsgutachten,“ antwortete Ostendorf. „Suchen Sie sich einen Rechtsberater außerhalb des Unternehmens. Einen Strafverteidiger. Der soll sämtliche Provisionsverträge bewerten, ob sie strafrechtlich relevant sein können. Mit diesem Gutachten gehen Sie zu unserem Betriebsfinanzamt und besorgen sich eine verbindliche Unbedenklichkeitserklärung! Das Finanzamt soll Ihnen bestätigen, dass sämtliche Zahlungen legal und steuerlich absetzbar sind. Ohne eine solche Bestätigung werden Sie den Vertrag nicht in Kraft setzen!“

Graf fragte:

„Nur damit ich Sie richtig verstehe, Herr Professor, ohne eine solche Bestätigung verzichten wir auf das Geschäft?“

„Sehen Sie zu, dass Sie dem Finanzamt die Informationen geben, die es benötigt!“ antwortete Ostendorf. „Besorgen Sie die Verbindliche Erklärung! Ich bin sicher, Sie schaffen das!“

Berlin, Dienstag, 14. Oktober

Rupert Graf und Norbert Schmeling saßen in einer Ecke des Restaurants Quarré im Adlon Hotel.

Die Küche war edel, aber Graf befürchtete, dass Schmeling sich aufgrund der geringen Größe der Portionen durch sämtliche Gänge futtern würde.

So war es dann auch.

Bevor die Vorspeise serviert werden konnte, hatte Schmeling schon zwei Brotkörbchen leergegessen.

„Also, der Wirtschaftsminister macht mit,“ sagte Schmeling, wobei offen blieb, ob er den Minister persönlich oder nur das Ressort meinte. „Die Anzahl der Arbeitsplätze, die gesichert werden können, überzeugt. Es war ein schlauer Schachzug von Ihnen, dass das Geschäft jetzt auch noch den Ausbau der Minenindustrie in diesem Peru fördert. Probleme macht der Finanzminister.“

Genüsslich lutsche er seine Austern aus. Mit der Bemerkung, die seien hier erfahrungsgemäß ziemlich klein, hatte er sicherheitshalber zwölf bestellt statt der sechs, die auf der Karte standen.

Graf hörte stumm zu.

„Der Finanzminister,“ fuhr Schmeling fort, „hat das Problem, dass er das Risiko des Zahlungsausfalls in den kommenden Bundeshaushalt einstellen muss, auch wenn das Risiko erst in vier, fünf Jahren eintritt. So will es das Haushaltsgesetz. Aber Sie wissen, Sparen ist angesagt. Jedes Jahr wird versucht, die Neuverschuldung runterzufahren. Ich habe ihn gefragt, ob er lieber das Geld für die Arbeitslosen, die es geben wird, wenn Ihr Vertrag nicht in Kraft tritt, in den Haushalt aufnehmen wolle.“ Wieder griff er zu einer Auster, löste sie vorsichtig mit der kleinen Gabel aus der Schale und zog unter lautem Schlürfen das glitschige Tier nebst der Flüssigkeit in sich hinein.

„Will er nicht! Ich habe ihm gesagt, ich würde dafür sorgen, dass die Presse über die Regierung und ihn im besonderen herfällt, wenn dieser Auftrag verloren geht. Gerade deshalb ist es gut, dass die zivile Komponente ähnlich groß ist wie die militärische. Schließlich haben wir demnächst Wahlen.“

Als der Ober kam, um die Vorspeisenteller abzuräumen, sagte Schmeling:

„Bevor Sie die Suppe bringen, geben Sie mir doch bitte noch sechs Austern!“

Zufrieden grinste er Graf an.

„Er hat natürlich Bammel vor seinen Beamten. Es gibt da ein paar unglückliche Vorlagen aus den verschiedenen Abteilungen. Offenbar ist dieses Peru hochverschuldet, und die Kerle stellen Schätzungen an über die Wahrscheinlichkeit der Nichtrückzahlung der aufgenommenen Kredite. Krämerseelen! Sie müssen mir ein Papier schreiben, aus dem hervorgeht, warum Sie diese Befürchtungen nicht teilen.“

Rupert Graf sah zu, wie Schmeling mit sichtlichem Appetit in Windeseile eine weitere Portion Austern vertilgte.

„Dann gibt es noch ein Problem. Das betrifft den Minister der Finanzen gleichermaßen wie den des Äußeren. Da sind irgendwelche Verbalnoten aus England und Frankreich eingegangen. Ich glaube, auch aus Spanien. Die protestieren dagegen, dass Deutschland diesem Peru weitere Kredite einräumen will, bevor Peru die Bezahlung seiner Schulden bei diesen Staaten sichergestellt hat. Ich habe Ihnen die Kopien mitgebracht.“

Während Graf die Unterlagen überflog, fragte Schmeling:

„Das sind doch wohl abgeschlagene Konkurrenten von Ihnen?“

Graf nickte.

„Gut,“ sagte Schmeling. „Bringen Sie mir einen Nachweis, dass diese Länder sich ebenfalls um das Geschäft bemüht und den Wettbewerb gegen Sie verloren haben. Damit wäre die Glaubwürdigkeit dieser Proteste vom Tisch und wir sind aus dem Schneider!“

„Das ist nicht ganz so einfach,“ sagte Graf.

„Wieso? Sie haben doch gewonnen!“

„Ja, aber es hat keinen offenen Wettbewerb gegeben. Wir haben die Sache ohne Ausschreibung an Land gezogen.“

„Mhm, meine Suppe!“ rief Schmeling begeistert.

Graf, der auf den Consommé verzichtete, berichtete, dass es nur verdeckte Bemühungen seiner Konkurrenten gegeben hatte, in das Geschäft zu kommen. Als er die Szene auf dem Friedhof in Lima beschrieb, bei der der französische Verteidigungsattaché festgenommen und später des Landes verwiesen worden war, weil er Graf und den peruanischen Marinechef bei einem Gespräch gefilmt hatte, verschluckte sich Schmeling und musste husten.

„Perfide!“ sagte Schmeling mit Tränen in den Augen, die er sich mit der Serviette abwischte. „Das sieht den Froschfressern ähnlich! Heimtückische Bande!“

Verblüfft sah Graf, dass Schmelings Consomméschüsselchen schon leer war.

Schmeling war todernst:

„Das kann schwierig werden. Es wäre besser gewesen, Sie wären als Sieger aus einem internationalen Wettbewerb hervorgegangen! Damit hätten wir alle Argumente abschmettern können. Gab es überhaupt keine Konkurrenz?“

„Doch,“ sagte Graf. „Die Italiener haben einen halbherzigen Versuch gemacht. Den habe ich aber aushebeln können. Auch Frankreich hat mal so etwas wie eine unaufgeforderte Offerte abgegeben, das war aber eher ein besserer Prospekt mit einem Richtpreis. Allerdings hat der französische Botschafter dagegen protestiert, dass die Industrie seines Landes nicht mitmachen durfte.“

„Besorgen Sie mir, was an Dokumentation dazu aufgetrieben werden kann!“

„Wenn wir eine Wettbewerbssituation darstellen, laufe ich Gefahr, dass mir vorgeworfen wird, ich hätte mit meinen Provisionszahlungen und Beraterhonoraren einen unlauteren Vorteil erschlichen. Internationales Bestechungsgesetz! Das sollten wir nicht riskieren.“

„ Soweit ich weiß, hat Italien sich dem französischen Protest nicht angeschlossen.“

„Warum muss uns dieser Protest interessieren?“ fragte Graf. Beide Staaten haben in den vergangenen Jahren Rüstungsgüter an Peru verkauft und sich einen Dreck um die bereits bestehende Verschuldung geschert.“

„Können Sie mir darüber was zusammenstellen?“

„Kein Problem.“

„Gut. Her damit! Was ist mit den USA?“

„Was soll damit sein?“

„Müssen wir mit Einspruch aus Washington rechnen?“

„Warum fragen Sie?“

Der Ober kam, begleitet von zwei Kellnern, die das Hauptgericht brachten. Als die Silberdeckel von den Tellern gehoben wurden, schnupperte Schmeling und rief: „Ah, wie gut!“ und sagte dann mit einem Blick auf Grafs Teller:

„Ihr Fisch sieht besser aus als mein Lamm.“

Graf, in der sicheren Annahme, Schmeling würde diese aus schierer Höflichkeit gemachte Offerte zurückweisen, bot an, die Teller zu tauschen.

Schmeling sagte: „Prima. Geben Sie her!“

Unter der Aufsicht des Obers wechselten die Kellner die Bestecke. Graf hasste Lamm!

Graf ließ sich ein Glas Barolo geben. Schmeling blieb bei diesem von ihm ausgesuchten Wein, auch wenn er Fisch aß.

„Die Weltbank sitzt in Washington,“ sagte Schmeling übergangslos. „Ihr Peru ist bis über beide Ohren dort verschuldet. Haben Sie genügend amerikanische Systeme an Bord, um eventuell von dort Unterstützung zu bekommen?“

„Bisher ist für die Schiffe nur leichte Bewaffnung vorgesehen. Ich beabsichtige, in Washington nachzufragen, ob man interessiert ist, ein paar Systeme zu liefern. Wertmäßig wird das jedoch nicht viel.“

„Sprechen Sie mit den Amis. Sicher ist sicher. Sie wissen selbst, dass es hier immer gut ankommt, wenn gesagt werden kann, es handele sich um ein deutsch-amerikanisches Gemeinschaftsprogramm! Was ist das mit diesen Erzkäufen?“

Graf setzte Schmeling auseinander, wie die teilweise Besicherung des Geschäftes durch die Abtretung von Zahlungsverpflichtungen dritter Parteien an die kreditgebenden Banken geplant war.

Schmeling hörte weitgehend stumm zu und aß mit sichtlichem Genuss Grafs Seezungenröllchen. Nur einmal sagte er: „Sehr lecker, der Fisch, ganz ausgezeichnet! Den hätte ich mir gleich bestellen sollen!“

Während Schmeling sich über die Crêpe Suzette hermachte – Graf hatte sich nur einen Espresso bestellt -, legten sie fest, welche Abgeordneten erneut angesprochen werden mussten. Graf erwähnte, dass er im Laufe des Nachmittags im Abgeordnetenhaus noch Termine haben würde.

„Sehr gut!“ rief Schmeling, wobei für Graf nicht erkennbar war, ob er sein Dessert oder die Gespräche Grafs meinte.

Als Schmeling den Teller von sich schob, sagte er:

„Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Ich erwarte natürlich meine zwei Prozent auf das Gesamtgeschäft.“

„Wieso?“ fragte Graf. „Die Hermesbürgschaft brauche ich für den militärischen Teil.“

„Zwei Prozent auf alles. Schließlich machen Sie das andere Geschäft mit den Minenausrüstungen nur, wenn der militärische Teil klappt. Zwei Prozent!“

„Das ist nicht fair,“ sagte Graf. „Zwei Prozent auf den deutschen Anteil bei den Schiffen sind OK. Für die Mine und den Hafen kann ich Ihnen nichts geben.“

„Zwei Prozent auf alles. Sie können ja gerne versuchen, ohne mich zurechtzukommen.“ Schmelings Ton wurde aggressiv. Er machte Anstalten, aufzustehen.

„Jetzt mal ganz in Ruhe,“ sagte Graf. „Wir haben hier zwei separate Geschäfte. Ein Ministerium in Peru bestellt die Schiffe, ein anderes bestellt Ausrüstungen für die Minenexploration und für den Ausbau eines Hafens. Für die Schiffe habe ich Ihre Hilfe erbeten, und hierfür haben wir zwei Prozent Vergütung ausgemacht. Die Absprache steht. Die Geschichte mit der Mine machen wir nur, um dadurch das finanzielle Risiko zu verringern, um also auch Ihnen die Arbeit zu erleichtern. Dafür kann ich Ihnen kein Geld geben.“

„Dann machen Sie es ohne mich! Meine Freunde wissen, hier geht es um ein Geschäft von achthundert Millionen Dollar. Ich gehe doch jetzt nicht hin und sage, tut mir leid, es ist nur halb so groß. Die achthundert Millionen haben in sämtlichen Zeitungen gestanden. Ich werde doch unglaubwürdig! Dann ziehe ich mich lieber zurück, sage das meinen Freunden, und Sie machen das allein. Ich bin dann nicht dabei. Vielleicht schaffen Sie es ja allein.“

Rupert Graf wusste genau, wenn Schmeling seinen Freunden signalisierte, er sei aus dem Geschäft ausgetreten, würden die Chancen für die Hermesbürgschaft gegen Null tendieren. Dass Schmeling seine zwei Prozent vom Gesamtumsatz verlangen würde, war Graf schon seit langem klar. Trotzdem wollte er nicht kampflos aufgeben.

„Herr Schmeling, wir reden über zehn Millionen Dollar allein aus dem Schiffsgeschäft!“

„Herr Graf, wir reden darüber, dass meine Freunde Verdacht schöpfen, ich sacke sechzehn Millionen Dollar ein und haue sie übers Ohr! Die wissen von einem Geschäft über achthundert Millionen, und die wissen von meinen zwei Prozent. Ihre übrigen Feinheiten interessieren die nicht. Die würden die auch nicht verstehen. Ich werde doch nicht wegen lächerlicher sechs Millionen meine Vertrauensposition aufs Spiel setzen. Ich ziehe mich zurück und verzichte auf Ihr Geld. Machen Sie es allein! Wir werden ja sehen, wie weit Sie kommen!“

Rupert Graf wusste, dass Schmeling angesichts seiner Vermögenslage nicht auf den Anteil an dem Geschäft angewiesen war. Und Gespräche dieser Art hatte er mit Schmeling schon häufiger geführt.

„Die achthundert Millionen, die in den Zeitungen erwähnt wurden, sind ohnehin falsch,“ sagte Graf. „Es ist eine ungefähre Größenordnung Wenn wir, wie von Ihnen eben noch vorgeschlagen, amerikanische Ausrüstungen an Bord nehmen, läuft der Wert dafür nicht durch unsere Bücher. Die Amerikaner berechnen direkt an Peru, und wir kriegen die Klamotten zugeschickt, damit wir sie in die Schiffe einbauen. Bei den Minenausrüstungen sieht das ähnlich aus. Auch hier wurde ein Gesamtrahmen festgelegt. Wenn in Peru Hafenanlagen ausgebaut werden, wird das durch lokale Firmen gemacht. Die Kosten hierfür laufen nicht durch unseren Umsatz. Wir liefern lediglich Ausrüstungen wie Kräne, Verladeanlagen. Der genaue Wert steht nicht mal fest. Ich kann Ihnen unmöglich eine Zusage über eine Bezugsgröße geben, die ich selbst nicht kenne.“

Schmeling rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.

„Also, was bieten Sie mir an?“

„Ich biete Ihnen Ihre zwei Prozent für das Marinegeschäft. Die Hermesbürgschaft wird wahrscheinlich nur über sechzig, fünfundsechzig Prozent des Kreditvolumens gegeben. Trotzdem biete ich Ihnen an, den Gesamtwert des Auftrages als Basis für Ihr Honorar zugrunde zu legen.“

„Sie kriegen ja schließlich auch die Bürgschaft!“ fiel ihm Schmeling patzig ins Wort. „Was kriege ich für das Minengeschäft?“

„Hier müssen Sie berücksichtigen, dass wir bei dem Hafenausbau und den Ausrüstungen für die Minen wirtschaftlichen Zwängen unterliegen. Bei den Marineschiffen fragt kein Mensch nach der Wirtschaftlichkeit, weil die nicht berechenbar ist. Bei Minen- und Hafenausbauten ist das anders. Die müssen wirtschaftlich sein. Hier muss nachgewiesen werden, dass die Investitionen dazu führen, dass mehr Erz billiger gefördert und verladen werden kann, dass sich das Ganze rentiert. Kein Mensch investiert in etwas, was ihm keinen Vorteil bringt! Außerdem sind die Preise für die Ausrüstungen transparent.“

„Was heißt das?“ fragte Schmeling.

„Das heißt, dass, egal wo auf der Welt, der Käufer in einen Katalog der Hersteller guckt und anhand von Preislisten feststellt, was ein Tieflader oder ein Kran mit bestimmter Kapazität kostet. Ich kann diese Preise nicht einfach erhöhen, um zusätzliche Provisionen einzurechnen.“

„Was kriege ich für dieses Geschäft?“

„Ein Prozent auf den Umfang, der zum Schluss wirklich bei uns bestellt wird. Und das auch nur, weil wir uns schon so lange kennen.“

„Das passt mir gar nicht,“ maulte Schmeling. „Das kapieren meine Freunde nie!“

„Herr Schmeling, seien wir realistisch. Ich kann nicht das Risiko eingehen, dass Sie demnächst in der Zeitung lesen, unser Laden baut in Peru ein Kraftwerk, und Sie kommen angelaufen und sagen, das ist ein Folgegeschäft zu den Marineschiffen, da will ich eine Provision. Anspruch haben Sie auf zwei Prozent des Schiffsgeschäftes. Wenn ich Ihnen jetzt noch einen Prozentpunkt für das andere Geschäft biete, ist das schieres Entgegenkommen. Weiter kann ich nicht gehen.“

„Sie sind ein furchtbar sturer Brocken, Herr Graf.“

„Ich selbst finde mich ausgesprochen entgegenkommend.“

Sie sahen sich an. Schließlich sagte Schmeling:

„Das verstehen meine Freunde nie! Das sind Politiker, keine Kaufleute. Die rechnen mit einem bestimmten Betrag, und wenn ich sage, es wird viel weniger, dann verlieren die das Interesse und wenden sich anderen Dingen zu. Wir dürfen nicht vergessen, dass Ihre Geschichte ausgesprochen schwierig ist, gerade nach den Protesten von unseren Nachbarn. Sehr schwierig! Denken Sie noch mal drüber nach!“

„Ein Prozent, Herr Schmeling. Mehr ist nicht drin.“

„Ich muss das besprechen. Ich rufe Sie an.“

Im Aufstehen fischte Schmeling sich die letzten Pralinees von dem Silbertablett, das man Graf zu seinem Espresso hingestellt hatte.

Während Rupert Graf auf die Rechnung wartete, konnte er durchs Fenster sehen, wie Schmeling sich in seinen von einem Pagen vorgefahrenen Porsche zwängte.

Er war zuversichtlich, soeben drei Millionen für sein Unternehmen gespart zu haben.

Enrique Pato hatte sich inzwischen daran gewöhnt, unter Beobachtung zu stehen.

Solange er seinen gewöhnlichen Tätigkeiten nachging, störte es ihn nicht, dass er ständig unauffällige Begleiter hatte. Er unternahm auch keine Versuche mehr, sie abzuschütteln.

Er bekam erst eine Woche nach dem Vorfall in der Kathedrale Gelegenheit, mit Präsident Nasini zu sprechen.

Bei dem Treffen wies Pato darauf hin, Nasini müsse etwas gegen die steigende Kriminalität tun. Er erzählte, dass ihm ein paar Figuren aufgefallen waren, die ihm folgten und ihn am helllichten Tag um seine Brieftasche hätten erleichtern wollen. Es sei ihm gelungen, die Burschen abzuhängen.

Nasinis sagte nichts dazu, hatte aber einen Mordsspaß, als Pato ihm berichtete, dass Rupert Graf, offensichtlich ohne zu wissen, um wen es sich handelte, die Frau von Garcia beschlafen habe.

Nasini lachte, bis ihm die Tränen aus den Augen liefen.

Nasini lachte noch mehr, als er hörte, es gäbe auch ein Tondokument darüber, wie Garcia kurze Zeit später in Grafs Zimmer herumgestöbert habe. Es war Zufall, dass zu dem Zeitpunkt das Mikrophon in der Suite noch nicht abgeschaltet war.

„Du sagst, er ist wirklich wenige Minuten nach dem Abzug der zwei Liebenden im Hotel aufgetaucht und hat in dem Zimmer herumgeschnüffelt? Was hat er gesagt?“

„Er hat gefragt, ob das Bett zerknautscht war.“

Nasini konnte sich nicht einkriegen vor Wonne.

„Und dann?“

„Dann hat er in seinem Büro Papierschnipsel untersucht. Señora Eriberta hat mir erzählt, er sei mehr als eine Stunde damit beschäftigt gewesen. Danach ist er wie ein geölter Blitz nach Hause gesaust.“

„Wie ist er seiner Alten auf die Schliche gekommen?“

„Er hört sein eigenes Telefon ab!“

Erneuter Lachanfall Nasinis. Es dauerte einen Moment, bis er wieder sprechen konnte:

„Traut er sich selbst nicht, oder was ist los mit dem Kerl?“

„Er hat wahrscheinlich herausgefunden, dass ich sein Telefon abhöre, und will wissen, warum.“

„Hat er seine Alte wenigstens sofort rausgeschmissen?“

„Im Gegenteil. Nach einer Stunde hat er das Haus verlassen und einen Riesenblumenstrauß gekauft. Mein Informant sagte, der Strauß sei so groß gewesen, dass man Garcia darunter kaum noch sah. Es hätte ausgesehen, als wandele ein Blumenstrauß durch die Straße. Damit ist er dann wieder nach Hause.“

Nasini lachte, bis er einen Hustenanfall bekam. Mit einem Taschentuch trocknete er seine Tränen.

Von einem auf den anderen Augenblick wurde er todernst.

„Die Torreblanca hat Anamaria Figueredo besucht. Da scheint sich was zusammenzubrauen. Mir passt es nicht, wenn diese Weiber zusammenglucken.“

Pato sah Nasini überrascht an. Woher wusste Nasini das?

Er beschloss, mit der Stange im Nebel zu stochern:

„Ich nehme an, das Haus der Figueredo wird überwacht?“

„Klar!“ sagte Nasini trocken.

„Dann muss doch jemand wissen, was die beiden besprochen haben.“

„Bis zu einem gewissen Punkt. Dann haben sie einen Fernseher angeknipst. CNN.“

„Bitte was?“ fragte Pato.

„Cable News Network, CNN. Man konnte nur den amerikanischen Sender CNN hören.“

Enrique Pato hatte Mühe, sein Grinsen zu unterdrücken. Offensichtlich hatte Nasini selbst das Band abgehört. Er fragte:

„Kann ich das Band mal haben?“

„Ist bereits gelöscht.“

„Darf ich wissen, um was es bei der Unterhaltung der beiden ging?“

„Die Figueredo ist über mich hergezogen und die Torreblanca über Garcia. Beide wundern sich, warum ich Garcia befördert habe.“

„Das wundert viele Leute, mich selbst auch,“ sagte Pato.

Nasini sah ihn scharf an. Ebenso scharf sagte er:

„Ich habe dir schon mal gesagt, ich brauche Garcia noch!“

Enrique Pato schluckte die Bemerkung, die er auf der Zunge hatte, hinunter.

„Wusstest du, dass Scaloni die gesamte Sippe der Torreblanca hat begnadigen lassen?“ fragte Nasini.

„Inzwischen weiß ich es,“ antwortete Pato. Nasini sah ihn fragend an.

„Ich höre weiterhin ihr Handy ab. Sie hat mindestens hundert Leute deshalb angerufen. Garcia hat alles versucht, die Begnadigungsurkunde verschwinden zu lassen und die Freilassung zu verhindern.“

„Kann mir aus der Geschichte ein Nachteil erwachsen?“ fragte Nasini.

„Wieso? Es war Garcia, der den Bruder damals hat verhaften lassen. Offiziell wusstest du doch von nichts.“

„Gut. Du wirst mich unterrichten, wenn du auf etwas stößt, was von Interesse für mich ist."

Pato nickte.

Mit einer Handbewegung gab Nasini zu verstehen, die Audienz sei beendet.

Bevor Enrique Pato zu Roxana Torreblanca fuhr, hängte er seine Bewacher ab. Da er die Arbeitsweise kannte, war es nicht mal schwierig. Die Männer, die ihn verfolgten, konnten nicht in den Innenhof des Präsidentenpalastes an der Plaza de Armas fahren. Sie hätten sich zwar ausweisen können und Zufahrtserlaubnis erhalten, aber was dann? Sie hätten nicht einfach im Palast herumlungern oder in ihren Fahrzeugen sitzen bleiben können.

Also waren ihre Autos an den Ecken des Platzes stationiert. So konnten sie sehen, ob Patos Wagen durch die Ausfahrt den Palast verließ und welche Richtung er einschlug, und ihm folgen.

Nur, heute Abend bat Pato einen seiner Mitarbeiter, sein Auto zu seinem Büro der PIP zu fahren.

Der junge Mann, stolz, seinem neuen Chef, der das Vertrauen des Präsidenten genoss, einen Gefallen erweisen zu können, war sofort einverstanden.

Pato selbst nahm ein Taxi.

Auf der Fahrt hatte er Zeit, nachzudenken.

Sein Büro war bisher nicht durchsucht worden. Er hatte sehen können, dass weder die Tür des Schrankes, in dem sein Safe stand, noch der Safe selbst angefasst worden waren.

Trotzdem hatte er das von Chavez erhaltene Memorandum Urracas am nächsten Montag in das Schließfach einer Bank gelegt.

Über das Treffen Roxana Torreblancas mit Anamaria Figueredo hatte er Bescheid gewusst, weil Roxana ihm im Restaurant Haiti in Miraflores davon erzählt hatte.

Dort war es so laut, dass Pato nicht befürchten musste, ihr Gespräch könnte belauscht werden.

Roxana hatte gesagt, Anamaria sei überzeugt, dass Präsident Eugenio Scaloni nicht vom Leuchtenden Pfad ermordet worden war, sondern dass das Attentat auf jemanden hinweise, der persönliche Vorteile aus Scalonis Tod ziehen wollte.

Sie waren alle ihnen bekannten Personen durchgegangen, die nach Scalonis Tod befördert worden waren.

Den größten Vorteil hatte Nasini!

Zudem war viel zu schnell der angebliche Mörder gefasst worden und bequemerweise sogleich zu Tode gekommen.

Nun war für Anamaria Figueredo klar, dass Nasini, und davon war sie nicht mehr abzubringen, dahintersteckte, er aber nicht selbst auf Scaloni geschossen haben würde.

Gemeinsam hatten Anamaria und Roxana gemutmaßt, ob Nasini hätte wagen können, einen Mörder anzuheuern. Sicher gab es genügend Gestalten in Lima, die für eine Handvoll Dollars ganze Familiendynastien ausrotten würden. Wenn es sich aber abgespielt hatte, wie Anamaria vermutete, konnte der Mörder nur jemand sein, bei dem Nasini nicht befürchten musste, dass irgendwann die Sache aufflöge.

Anamaria hatte gesagt, man müsse nach der Person suchen, die Nasinis Vertrauen besaß.

Roxana hätte zu gerne Enrique Pato zu Anamaria mitgenommen, was aber nicht ging, weil Anamarias Haus unter Überwachung stand.

Die Überprüfung der Telefone des Büros seines Vaters hatte bisher nichts ergeben. Der Alte telefonierte zwar, aber nur mit seinem Finanzberater, mit seinem Club und mit irgendwelchen alten Freunden, deren Namen Enrique Pato nichts sagten. Trotzdem hielt er die Überwachung aufrecht.

Um kurz nach acht war er bei Roxanas Haus. Er vergewisserte sich, dass in keinem der in der Straße geparkten Autos jemand saß, bevor er an Roxanas Tür läutete.

Roxana wartete bereits auf ihn.

Gemeinsam liefen sie bis zur nächsten Durchgangsstraße, wo sie ein Taxi nahmen und sich wieder zum Haiti fahren ließen.

Erst dort rückte Enrique Pato mit der Sprache heraus.

Er berichtete Roxana, was er über Carlos Garcia wusste.

Roxana wurde leichenblass, als sie erfuhr, dass Garcia der Mörder von Oscar Martinez, dem Fahrer von Señor Kinzel war. Sie erinnerte sich nur zu gut an diesen Abend. Da sie in der darauffolgenden Nacht im Verteidigungsministerium eingesperrt gewesen war, hatte sie erst Tage später durch ihre Freundin Carla von dem Mord erfahren.

Es dauerte eine Weile, bis ihr Gesicht wieder Farbe annahm.

Der Gedanke, beinahe das Kind eines Mörders ausgetragen zu haben, drehte ihr den Magen um.

Enrique Pato erzählte dann, wie er Garcia hatte festnehmen und verhören lassen, als Roxanas Bruder so plötzlich aus dem Gefängnis in Arequipa verschwunden war. Er musste aber auch zugeben, dass das Protokoll des Verhörs sich im Besitz von Nasini befand.

Er berichtete von der Szene auf dem Friedhof und wie Garcia erneut in Haft genommen worden war. Soweit er hatte nachvollziehen können, hatte sich, obwohl Garcia damals als des Verrats beschuldigter Angehöriger der Streitkräfte der Militärgerichtsbarkeit unterworfen war, Nasini eingeschaltet und das Verhör übernommen. Im Verteidigungsministerium gab es lediglich ein Protokoll, das besagte, der Fall sei in die Verantwortlichkeit der PIP übergegangen.

In der PIP jedoch war keine offizielle Akte zu finden, die diesen Sachverhalt bestätigt hätte.

Das konnte nur bedeuten, dass Nasini persönlich auch diese Akte unter Verschluss hielt.

Roxana fragte plötzlich:

„Was war mit Ramon Escuenaga? Sie selbst haben doch mit ihm gesprochen!“

Mit hochroten Ohren gab Enrique Pato zu, dass er den inzwischen getöteten Escuenaga im Krankenhaus in Arequipa besucht und befragt hatte. Das Band mit der Originalaufnahme des Gespräches, in dem Escuenaga gesagt hatte, wie es zur Verhaftung von Roxanas Bruder Gabriel und der Verschleppung zu den Indios gekommen war, war ebenfalls im Besitz von Nasini.

Pato erwähnte allerdings, dass er hiervon Kopien besaß.

„Und auch dahinter hat Garcia gesteckt,“ sagte Roxana mehr, als sie fragte.

Pato nickte.

„Und Nasini wusste das alles?“ Diesmal war es eine Frage.

Pato nickte wieder.

„Und trotzdem lässt er Garcia frei herumlaufen und befördert ihn noch?!“

„Ja,“ sagte Pato.

Eine ganze Weile sahen sie sich stumm an. Es war Roxana, die zuerst das Schweigen unterbrach und fragte:

„Warum?“

„Er wollte Präsident werden.“

„Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“

„Nasini hätte nicht die geringste Chance auf das Präsidentenamt gehabt, wenn er sich zur Wahl gestellt hätte. Er konnte nur durch einen Überraschungscoup in dieses Amt kommen. Ich nehme an, ohne dass ich das beweisen könnte, er hat sich nach dem Tod Scalonis die Leute vorgeknöpft, die in dieser Notsituation einen neuen Präsidenten bestimmen mussten. Da er über ein ausgeklügeltes Informationssystem verfügt, hat er wahrscheinlich genau diese Personen unter Druck gesetzt. Es ist anzunehmen, dass jeder von denen Dreck am Stecken hat, hier eine Freundin, dort ein wenig Korruption, was auch immer. Nun wird, wie Sie wissen, der Präsident nicht vom Volk, sondern vom Parlament gewählt. Nasini muss also demnächst Parlamentswahlen einberufen und hoffen, dass das Parlament dann ihn zum Präsidenten wählt. Nasini ist aber nicht der Mann, der die Dinge dem Zufall überlässt. Ich vermute, er kauft sich die Stimmen der Abgeordneten. Dazu braucht er Geld. Zu diesem Geld verhilft ihm Ihr Freund Graf.“

Er konnte sehen, wie das Blut aus Roxanas Gesicht wich.

„Was hat Rupert damit zu tun?“ fragte sie beinahe tonlos.

„Er zahlt Nasini eine satte Provision.“

„Rupert weiß das alles?“ Roxana war fassungslos.

„Ich habe keine Ahnung, was er tatsächlich weiß. Ich bin überzeugt, dass er nicht im entferntesten die Vermutungen hat, die wir zwei hier anstellen. Was ich weiß, ist, dass er Nasini eine Provision bezahlt dafür, dass sein Geschäft zustande kommt.“

„Wenn Scaloni nicht ermordet worden wäre, wer hätte dann das Geld bekommen? Scaloni?“

„Ja klar,“ sagte Pato. „Da gab es schon eine Absprache.“

Langsam kehrte die Farbe in Roxanas Gesicht zurück.

„Rupert hat also nichts mit der Ermordung Scalonis zu tun?“ fragte sie, um sicher zu gehen.

„Bestimmt nicht. Er zahlt nur Schmiergeld. An wen, ist ihm piepegal, solange er das Geschäft abschließen kann.“

Erleichtert atmete Roxana aus.

„Sie sagen selbst, es sind nur Vermutungen, Theorien. Gibt es Beweise?“

„Nur das, was Garcia nachgewiesen werden kann. Aber diese Beweise hält Nasini unter Verschluss.“

„Und nun?“ fragte Roxana. „Das alles haben Sie mir doch nicht erzählt aus Gründen der Konversation. Was soll ich mit diesem Wissen?“

„Es gibt eine Reihe von Gründen, Roxana.“ Enrique Pato holte tief Luft. „Sie haben über Rupert Graf Zugang zu einer Reihe von Personen, mit denen ich nicht sprechen kann, oder mit denen ein Gespräch zu auffällig wäre. Graf selbst, Kinzel, Fernandez, Bustamante. Mir würde keiner von denen über den Weg trauen, Ihnen schon. lassen Sie Bemerkungen fallen, wie glücklich sich alles für Nasini gefügt hat und achten Sie auf die Reaktionen. Außerdem bitte ich Sie, zu dem früheren Verteidigungsminister Urraca zu gehen.“

„Den kenne ich gar nicht!“ warf Roxana ein.

„Ich weiß, aber wenn eine hübsche junge Dame wie Sie an seiner Tür klingelt, wird er Sie einlassen.“

„Warum gehen Sie nicht selbst? Warum ziehen Sie mich da hinein?“

„Ich stehe selbst unter Beobachtung. Wenn ich bei Urraca auftauchte, würde Nasini das noch innerhalb derselben Stunde wissen.“

Roxana sah sich erschrocken um.

Sie werden beobachtet? Was ist hier eigentlich los? Bespitzelt hier jeder jeden?“

„Roxana, es geht um Macht und sehr viel Geld. Wir können nicht vorsichtig genug sein. Gehen Sie zu Urraca und sagen ihm, Sie wüssten, dass er für die kommende Woche eine Reise nach Iquitos plant. Er stammt von dort und besitzt dort ein Haus. Sein Haus in Lima wird abgehört, da kann ich nicht mit ihm sprechen. Sagen Sie ihm weiter, er möge heute in einer Woche im Hotel de Turistas in Iquitos zu Abend essen. Dort würde er angesprochen. Er wird wissen wollen, was das alles soll. Sagen Sie ihm, es ginge um sein Memo über Garcia.“

„Und dann?“

„Dann gehen Sie wieder.“

„Sie glauben, er lässt sich darauf ein?“

„Geben Sie ihm diese CD. Dann wird er kommen.“

„Was ist da drauf?“

„Mein Gespräch mit Ramon Escuenaga. Waren Sie schon mal in Iquitos?“

Roxana schüttelte den Kopf.

„Kommen Sie mit. Eine interessante Stadt.“

„Was noch?“

„Nasini weiß von Ihrem Gespräch mit Anamaria. Er ist nervös. Wer von Ihnen beiden war so schlau, den Fernseher anzuknipsen?“

Roxana zeigte auf sich.

„Ich nehme an, Señor Graf lässt grüßen,“ sagte er grinsend. „Nasini hat nur mitbekommen, was gesagt wurde, bevor der Fernseher anging. Ich bin jedoch überzeugt, dass er jetzt Maßnahmen ergreift, die es ihm erlauben, trotz laufenden Fernsehers mitzubekommen, was gesprochen wird. Wenn es was Kritisches mit Anamaria auszutauschen gibt, schreiben Sie es besser auf!“

Roxana sah sich verstohlen um.

„Wieso glauben Sie, dieser Platz hier ist sicher?“

„In dem Getöse hier ist es unmöglich, ein einzelnes Gespräch herauszufiltern. Das habe ich oft genug selbst erfolglos versucht, glauben Sie mir!“

„Und Ihre Bewacher?“

„Habe ich abgehängt. Ich weiß aber nicht, wie oft mir das noch gelingt. Auch die lernen dazu.“

„Warum das alles?“ fragte sie. „Wollen Sie Nasini ans Messer liefern?“

„Nasini ist mir egal. Garcia hat meine Freundin auf dem Gewissen. Und Garcia wird diese Geschichte nicht überleben.“

Roxana Torreblanca erschrak, als sie die Härte in Enrique Patos Gesicht sah.

Und gleichzeitig sah es aus, als kämpfe er gegen seine Tränen an.

20. Oktober

Rupert Graf landete am Nachmittag in Washington Dulles, wo der örtliche Vertreter seines Unternehmens, Henry Morton Stanley, ihn erwartete.

Am folgenden Morgen fuhren sie zum Pentagon, wo die Prozedur an der Sicherheitskontrolle zehn Minuten in Anspruch nahm. Eine Sekretärin holte sie ab und führte sie durch ewig lange Gänge und über knarrende hölzerne Rolltreppen in ein Büro im dritten Stock. Hier saß die Leitung der Defence Security Assistance Agency, die Stelle des amerikanischen Verteidigungsministeriums, in der die Geldmittel für die Verteidigungshilfe verwaltet wurden. Wenn die USA irgendeinem Land auf der Welt Rüstungsgüter zur Verfügung stellten, egal in welchem Erdteil, dann wurde hier entschieden, für welche Beträge welche Waffen geliefert wurden.

Das Gespräch dauerte nicht länger als eine Stunde. Bis dahin hatte Graf die Zusage, dass die US-Regierung Grafs Projekt in Peru durch die Lieferung von Radargeräten im Wert von vierzig Millionen Dollar unterstützen würde. Die Geräte waren älterer Bauart, verstaubten in irgendwelchen Lagern und versperrten den Platz für Geräte neuerer Technologien. Die Lieferung würde dem Konto, auf dem die US-amerikanische Anti-Drogen-Hilfe für Peru verbucht wurde, belastet.

Und Graf konnte den für Peru benötigten Kredit um vierzig Millionen Dollar vermindern.

Zum Mittagessen lud er Henry Stanley zu J. Pauls nach Georgetown ein, ein Lokal, in dem exzellente Austern und Maryland-Crab-Cakes serviert werden.

Um fünfzehn Uhr war er am Flughafen und nahm eine Maschine nach New York. Dort bestieg er eine Stunde nach seiner Ankunft den Direktflug der Lufthansa nach Düsseldorf.

Am folgenden Morgen war er um acht Uhr zuhause, wo er sein Gepäck vorbereitete, um am selben Abend nach Südostasien zu reisen.

Am Tage, im Büro, verfasste Graf ein Papier, aus dem hervorging, dass die US-Regierung das peruanische Vorhaben durch die kostenlose Zurverfügungstellung neuester Technologie unterstütze und hierdurch unterstrich, dass man in Washington die Umsetzung des Modernisierungsprogrammes der peruanischen Marine dringend befürworte.

Diese Unterlage wurde noch am selben Tag verschiedenen Ministerien in Berlin per e-mail zugeleitet.

Lima, Donnerstag, 23. Oktober

General Carlos Garcia hatte Sorgen.

Ein Freund aus der Personalverwaltung der Streitkräfte hatte ihn unterrichtet, dass eine Untersuchung im Gange war.

Ministro Chavez hatte Garcias Personalakte angefordert.

Darüber hinaus war aus dem Ministerbüro eine Reihe von Fragen gestellt worden.

Ein Anruf eines weiteren Kameraden ließ ihn wissen, auf Wunsch von Chavez werde überprüft, an welchen Abhöraktionen Garcia im vergangenen Jahr gearbeitet hatte und ob diese übereinstimmten mit Telefonnummern, die er hatte anzapfen lassen.

Sehr bald würde man eine Reihe von Nummern finden, über deren Belauschung es in der Behörde keinerlei Dokumentation gab. Das machte Garcia nervös.

Er war zwar inzwischen nicht mehr für die Streitkräfte tätig und unterstand als Leiter der Geheimpolizei dem Innenministerium, aber trotzdem gefiel ihm nicht, was ihm zu Ohren kam.

Garcia hatte bereits um einen Gesprächstermin mit Nasini nachgesucht, war aber mehrmals vertröstet worden.

Dem Gespräch mit Pato war Garcia bisher aus dem Wege gegangen.

Seinen ursprünglichen Plan, Pato für sein früheres Verhalten zur Rechenschaft zu ziehen, hatte Garcia fallenlassen, nachdem Präsident Nasini Pato zum offiziellen Bindeglied zwischen PIP und Präsidentenpalast gemacht hatte.

Da, wie Garcia wusste, Pato sein privates Telefon angezapft hatte, war es Garcia zudem peinlich, weil Pato womöglich von den Anrufen Rositas im Hotel Grafs wusste.

General Carlos Garcia hatte inzwischen mehrere zaghafte Versuche unternommen, herauszufinden, was der Grund für Rositas Treffen mit Graf war. Jedoch jedes mal, wenn er das Gespräch vorsichtig auf dieses Thema lenkte, hatte sie ihn nur scharf angesehen, und er hatte sich nicht getraut, auf einer Antwort zu bestehen.

Dabei ließ ihn der Verdacht, zwischen Rosita und Graf sei mehr vorgefallen als ein bloßes Gespräch, nachts kaum noch schlafen.

Insgeheim hatte er gehofft, mit dem sündhaft teuren Blumenstrauß und den Bekundungen seines Bedauerns die Situation bereinigt zu haben. Tatsächlich jedoch musste er feststellen, dass Rosita ihn während der gemeinsamen Mahlzeiten ignorierte und ihm nachts im Bett die kalte Schulter zeigte.

Er hatte allerdings auch nur höchst halbherzige Versuche unternommen, an seine ehelichen Rechte zu erinnern.

Andererseits besaß Garcia nicht den Mut, sein altes Leben mit nächtlichen Bordellbesuchen wieder aufzunehmen, und er war abends oft früh zuhause, wo er sich jedoch kaum willkommen fühlte.

Seine Tätigkeit in der PIP machte ihm von Tag zu Tag weniger Spaß. Er sah sich überhäuft mit Papieren, Unterlagen, Akten. Nie hätte er vermutet, die Leitung einer Behörde wie der PIP könnte aus dermaßen viel Verwaltung bestehen! Als Nasini ihn dorthin versetzt hatte, sah sich Garcia als eine Art oberster Agent, er war überzeugt, spannende Aufgaben würden ihn erwarten. Stattdessen wurde er mit Kostenaufstellungen, Personalfragen und anderen lästigen Dingen konfrontiert.

Wie er weiter feststellen musste, ließ Präsident Nasini sich über eine Reihe von Lauschaktionen direkt unterrichten, so direkt, dass er selbst nicht einmal herausfinden konnte, um wen es sich bei den überprüften Personen handelte. Sämtliche Namen erschienen nur als Codes. Als er sich bei Nasini darüber beklagte, antwortete der nur:

„Das sind alte Fälle, die gehen dich nichts an!“

Immerhin, in den kommenden Wochen sollte sein neues Haus bezugsfertig werden. Sein neuer Dienstwagen war bereits bestellt, und auch sein Gehalt war aufgebessert worden.

Trotzdem wünschte sich General Carlos Garcia zunehmend häufiger an seine alte Arbeitsstätte zurück.

Missmutig lehnte er sich im Fond seines Wagens zurück und sah stumm zu, wie sein Fahrer das Fahrzeug in sein Wohnviertel steuerte.

Vor seiner Haustür stieg er erst aus, nachdem der Fahrer um das Auto herumgelaufen und ihm die Tür geöffnet hatte.

Rosita saß allein im Wohnzimmer, als er eintrat.

Vor ihr lag der Papierbogen, auf den er Anfang des Monats die in Grafs Zimmer im Oro Verde gefundenen Papierschnipsel aufgeklebt hatte. Die handgeschriebenen Zahlen waren gut zu erkennen.

„Das habe ich in deiner Anzugjacke gefunden, als ich den Anzug zur Reinigung bringen wollte,“ sagte sie.

„Du weißt, wo ich das gefunden habe?“ fragte er.

„Es gibt nur einen Ort, an dem du das gefunden haben kannst. In der Hotelsuite von Señor Graf.“

Diese Offenheit brachte seine Selbstsicherheit ins Wanken.

„Was hast du dazu zu sagen?“ fragte er mit einem Rest Bestimmtheit.

Rosita entgegnete:

„Ich hätte nicht gedacht, dass du dich dermaßen erniedrigen würdest, mir hinterher zu spionieren. Mein letzter Rest von Respekt für dich ist weg.“

Stumm sah er sie an.

Sie fuhr fort:

„Ich habe Rupert Graf aufgefordert, mit mir zu schlafen. Er weiß übrigens nicht einmal, dass ich mit dir verheiratet bin. Es war die aufregendste Erfahrung meines Lebens, aufregender als alles, was ich je erlebt habe. Und sollte ich Gelegenheit haben, werde ich es wieder tun. Es hat mir richtig gutgetan, etwas zu tun, was du über viele Jahre getan hast, nämlich mit jemand anderem zu schlafen. Es hat mir gutgetan, mich genau dem Mann anzubieten, der dir schon deine Geliebte abspenstig gemacht hat. Das war das Schöne daran, weil ich wusste, damit konnte ich dir all die Verletzungen heimzahlen, die ich von dir erfahren und ertragen habe. Carlos, unsere Ehe ist am Ende. Ich werde morgen die Scheidung einreichen. Die Kinder sind schon bei meiner Mutter. Adios, Carlos.“

Wie gelähmt sah er zu, wie sie den Raum verließ. Wenige Augenblicke später hörte er, wie die Haustür hinter ihr zuschlug.

Iquitos / Amazonas, 23. Oktober

Roxana Torreblanca hatte geheult, als sie sich die von Enrique Pato überlassene CD angehört hatte. Sie hatte einen Kopfhörer benutzt, weil sie unsicher war, ob ihre Wohnung weiterhin abgehört wurde. Dass Pato seinerzeit Ramon befragt hatte, wusste sie ja.

Aber Ramons Stimme zu hören und seine Aussage, ließ ihr die Tränen in die Augen steigen. Es war schmerzlich, zu hören, wie Ramon den Leidensweg ihres Bruders Gabriel schilderte. Bevor sie die CD an Urraca weitergegeben hatte, hatte sie sich eine Kopie gezogen.

Von General Bertoldo Urraca war sie hingerissen. So hatte sie sich immer einen Offizier vorgestellt!

Er war der einzige Mann, der sie jemals mit Handkuss begrüßt und mit solcher Höflichkeit behandelt hatte. Rupert war ihr bisher als Ausbund an Höflichkeit erschienen, er wurde jedoch von General Urraca noch übertroffen.

Schon bei ihrem Besuch bei ihm zuhause war sie zutiefst beeindruckt.

Sie hatte an der Tür geklingelt, und ein Diener hatte geöffnet. Roxana hatte ihm einen verschlossenen Briefumschlag in die Hand gedrückt und gesagt, sie wolle auf Antwort warten.

Ein paar Minuten später war Urraca persönlich erschienen und hatte sie in einen Wohnraum gebeten.

Zu seiner Verwunderung hatte Roxana den Fernseher eingeschaltet. Erst nachdem das Gerät sich erwärmt und der Ton zu hören gewesen war, hatte sie Urraca gesagt, um was es ging.

Urraca war ein Mann von, wie Roxana schätze, Anfang Sechzig. Roxana kannte ihn selbstverständlich aus den Medien, war ihm aber persönlich nie begegnet. Jetzt war sie überrascht von dem jovialen Charme, der von Urraca ausging. Er hatte sich die CD angehört und dazu, wie Roxana empfohlen hatte, ebenfalls einen Kopfhörer aufgesetzt. Danach hatte er sich spontan zu dem Treffen in Iquitos bereit erklärt.

Die Reisekosten für Roxana hatte Enrique Pato übernommen. Sie flogen am frühen Nachmittag und landeten bei Einbruch der Dunkelheit in Iquitos. Mit einem Taxi fuhren sie zum außerhalb der Stadt gelegenen Hotel Holiday Inn.

Roxana war erleichtert, als sie feststellte, dass Pato getrennte Zimmer reserviert hatte.

Sie duschte, aber kaum war sie in ihre Kleider gefahren, war sie so verschwitzt wie vorher. Das Klima war heiß und feucht wie in einer Waschküche. Selbst wenn sie sich nicht bewegte, lief der Schweiß in Strömen.

Während sie einen Drink auf der überdachten Terrasse nahmen, ging ein Regenguss nieder, der innerhalb von Minuten alles unter Wasser setzte, egal, ob den Rasen im Garten des Hotels, die gepflasterten Wege. Das Wasser ergoss sich über den Rand der Bedachung und troff von den Bäumen. Dazu tobte ein Gewitter mit mächtigen Blitzen und krachendem Donner.

Roxana, die bisher nur die trockenen Gegenden der peruanischen Küste kannte, war erschrocken, aber auch zutiefst beeindruckt. Soviel Regen fiel in Lima nicht in zwanzig Jahren wie hier innerhalb weniger Augenblicke.

Nach einer knappen Viertelstunde hörte der Regen so plötzlich auf, wie er gekommen war. Dafür dampfte es. Roxana beobachtete fasziniert den weißen Wasserdampf, der aus den Wiesen aufstieg und über den Wegen verdunstete. Nach wenigen Minuten waren die Pflastersteine trocken.

Dafür war die Luft noch feuchter.

Als Roxana mit Enrique Pato die Hotelhalle betrat, um zum Ausgang zu gehen, war es, als ob sie sich in einen Kühlraum begeben hätte. Zwischen Terrasse und Hotelhalle betrug der Temperaturunterschied sicherlich zwanzig Grad.

Nach zwanzig Minuten in einem klapprigen Taxi, dessen heruntergekurbelte Fenster Roxanas Haar im warmfeuchten Fahrtwind wehen ließen, erreichten sie das Zentrum von Iquitos. Der Wagen umrundete die Plaza de Armas, und Enrique Pato lenkte Roxanas Aufmerksamkeit auf ein Haus an einer der Ecken. Das Haus aus Metall war zu Zeiten der Kautschukbarone von Monsieur Alexandre Gustave Eiffel gebaut worden, dem Erbauer des berühmten Eiffelturms in Paris.

Roxana war tief beeindruckt.

Das Hotel de Turistas liegt direkt am Ufer des Amazonas. Leider konnte Roxana den mächtigen Strom, der hier, wenige Kilometer vor dem Zusammenfluss mit dem von Norden kommenden Rio Napo noch Rio Ucayali genannt wird, im Dunkeln nicht sehen. Sie konnte jedoch den Fluss riechen. Und sie sah einzelne Lichter, die von Schiffen auf dem Fluss herrühren mussten.

Enrique Pato erklärte ihr, dass seegängige Schiffe, die den Ozean überqueren konnten, den Amazonas bis hierher heraufkamen, dreitausend Kilometer flussaufwärts von seiner Mündung bei Belem in Brasilien.

Das Hotel de Turistas war nicht klimatisiert. Dafür gab es in allen Räumen riesige Ventilatoren an den Decken, die für etwas Durchzug sorgten. Sämtliche Fenster zum Fluss hin standen offen.

General Urraca stand an der Bar des Hotels und erwartete sie. Er begrüßte Roxana mit Handkuss.

Enrique Pato, der nach der Begrüßung und Vorstellung die Führung des Gesprächs übernahm, dankte Urraca für seine Bereitschaft, sich mit ihnen zu treffen.

Ohne zu sagen, welche Aufgaben er innerhalb der PIP wahrnahm, erklärte Pato, was er im Verlaufe seiner Ermittlungen über Carlos Garcia herausgefunden hatte. Dabei beschrieb er ausführlich, wie Garcia ihn gegenüber Charo Velasquez aufgedeckt hatte und wie Charo letzten Endes zu Tode gekommen war.

Roxana, der diese Geschichte unbekannt war, hatte Tränen in den Augen.

„Sie sind enger Mitarbeiter von Nasini, nicht wahr?“ fragte Urraca.

„Das würde ich so nicht sagen. Er hat sicherlich eine Reihe von Leuten, die dichter an ihm dran sind als ich. Allerdings sind unsere Familien befreundet. Und er hat jetzt, nachdem er Präsident geworden ist, für mich eine Position geschaffen, in der ich als seine Verbindung zwischen Palast und PIP fungiere.“

„Sie wissen, dass Nasini sich vor Garcia gestellt hat. Sehr zu meinem Ärger.“

„Ich kenne das von Ihnen verfasste Memorandum, General.“

„Ich nehme nicht an, dass Nasini es Ihnen gezeigt hat.“

„Ministro Chavez hat es mir gezeigt.“

Urraca zog überrascht die Augenbrauen hoch.

„Warum der?“ fragte er.

„Chavez war genauso verärgert wie Sie. Er war es schließlich, den Garcia und der Franzose belauscht hatten!“

„Chavez hat damals eine Videoaufnahme gezeigt. Es wird sein Geheimnis bleiben, warum er ausgerechnet auf einem Friedhof die Waffenkonfiguration für seine Schiffe verhandelt hat!“

Pato sagte:

„Chavez hatte sich mit dem Delegationsleiter des deutschen Unternehmens getroffen und mit ihm Überlegungen angestellt, wie er möglichst schnell die Beschaffung seiner Marineschiffe durchziehen könnte. Ich kann mir vorstellen, dass er nicht interessiert war, diese Überlegungen einem größeren Personenkreis zugänglich zu machen.“

Roxana fiel das Treffen im Haus von Carla ein, bei dem Rupert, Señor Kinzel sowie Walter Fernandez und Admiral Chavez mit einem DVD-Recorder hantiert hatten. Sie sagte jedoch nichts.

Urraca schien einen Moment nachzusinnen.

„Chavez wird Gründe gehabt haben. Über Garcia habe ich mich verschiedentlich geärgert. Es hieß, er habe ein Verhältnis mit einer Mitarbeiterin, die er auf Kosten seiner Dienststelle aushielt. Auch wenn ich der Ansicht bin, der Puma solle nicht im eigenen Revier wildern, konnte ich darüber hinwegsehen. Ob die Dame indirekt vom Ministerium Sonderzuwendungen erhielt, konnten wir nie nachweisen. Entweder stimmte dies nicht, oder der Kerl war sehr geschickt. Schlimmer war, dass der Verdacht auftauchte, dass Garcia nicht alle durch seine Tätigkeit erlangten Kenntnisse an das Ministerium weitergab. Er schien Daten zwar zu sammeln, aber für eigene Zwecke zu verwenden.“

Roxana Torreblanca war froh, dass in der Bar nur spärliches Licht brannte. Sie spürte, dass sie feuerrot geworden war. Genauso froh war sie, dass Enrique Pato ihr bei Urracas Worten nicht mal einen Seitenblick zugeworfen hatte.

„Wie sind Sie darauf gekommen, General?“ fragte Pato.

„Es gab eine Reihe von Indizien: Es ist erschreckend, wenn ein großes militärisches Beschaffungsprogramm angebahnt wird, und die Stelle meines Ministeriums, die dafür eingerichtet worden ist, genau solche Fälle zu...“ er zögerte etwas, „zu begleiten, weiß nichts darüber. Es gab in Garcias Akten keinerlei Hinweis, dass er dazu etwas entdeckt hätte. Als die PIP ihn das erste Mal eingebuchtet hatte, habe ich seine Archive durchsuchen lassen. Nichts! Kein Papier, kein Tonband!“

Urraca stellte die Handflächen nach oben. „Dafür aber Kosten, entstanden durch das Legen von Fangleitungen zu sämtlichen Beteiligten an diesem Geschäft. Wir sind darauf gekommen, weil eine seine Mitarbeiterinnen eine Kostenanfrage gestellt hatte. Irgendein Computerausdruck hat uns darauf gebracht. Der Kerl verursachte Kosten, ohne dass aktenkundig geworden wäre, warum!“

Wiederum war Roxana erleichtert, dass Urraca die Röte in ihrem Gesicht nicht sehen konnte. Sie hatte diese Anfrage damals gestellt!

„Wir haben das selbstverständlich untersucht! Zunächst haben wir nicht ausgeschlossen, dass Garcia heimlich für die PIP arbeitet. Die PIP hatte ihn festnehmen lassen, und es lag im Bereich der Möglichkeiten, dass Garcia sich mit seinem auf unsere Kosten heimlich angesammelten Wissen wieder freigekauft hätte.“

„Die Überwachungsaktionen Garcias waren nicht zu übersehen,“ sagte Pato. „Garcia hat sich so auffällig benommen, dass unsere Bemühungen behindert wurden.“

„Das weiß ich nicht,“ antwortete Urraca. „Was ich weiß, ist, dass wir keinerlei Unterlagen über seine Aktionen finden konnten. Stattdessen stellten wir fest, dass er in Arequipa jemanden festnehmen ließ, was völlig außerhalb seiner Kompetenzen lag. In der Terrorismusbekämpfung hatte Garcia nichts zu suchen! Das war nicht seine Aufgabe! Die Sache entwickelte sich, wie Sie wissen, zu einem Desaster. Es hat einen Toten gegeben.“

„Zwei!“ sagte Pato.

Urraca sah ihn überrascht an.

„Der zweite Soldat, der dabei war, Ramon Escuenaga, dessen Gespräch mit mir Ihnen Señorita Roxana vergangene Woche vorgespielt hat, ist vor wenigen Wochen auf mysteriöse Weise ermordet worden.“

„Sehen Sie!“ rief Urraca. „Allein deshalb hätte Garcia verdient, zur Rechenschaft gezogen zu werden! Stattdessen wurde er befördert! Sie kennen meine Notiz. Ich hatte Nasini empfohlen, Garcia vor Gericht zu stellen. Dafür hat er mich gefeuert.“

„Sehen Sie eine Möglichkeit, dass man Garcia vor Gericht stellt?“ fragte Pato. „Wer könnte das tun?“

„Nun. Es gibt eine Aktenlage zu Garcia. Nicht in seiner Personalakte, das wäre zu offensichtlich gewesen. Ich selbst habe verfügt, dass die Akte unter dem Codenamen „Missernte12“ in meinem Büro angelegt wurde. Bitten Sie Chavez, danach zu suchen. Er muss das Codewort rückwärts eintippen die Zahl 12 vorwärts. In der Datei findet er alles, was ich Ihnen berichtet habe. Was ich nicht weiß, ist, ob Chavez den Mut haben wird, sich gegen Nasini durchzusetzen. Solange Nasini seine Hand über Garcia hält, kann er jegliche Anklageerhebung gegen Garcia verhindern. Er muss dazu nicht mal gegen existente Gesetze verstoßen. Nasini könnte Garcia einfach eine Sonderaufgabe zuweisen, die mit Immunität versehen ist.“

„Geht das, selbst wenn es um Vorgänge geht, die vor dem Zeitpunkt der Übernahme einer mit Immunität verbundenen Aufgabe lagen?“ fragte Roxana.

Beide, Urraca und Enrique Pato sahen sie mitleidig an.

„Selbstverständlich geht das,“ sagte Urraca. „Sofern Nasini das will.“

„Wären Sie bereit, gegen Garcia auszusagen, General?“ fragte Pato.

„Gehen wir erst einmal zum Abendessen,“ antwortete Urraca. „Ich bitte, Ihr Gastgeber sein zu dürfen.“

Lima, 23. 10.

General Carlos Garcia saß derweil in seinem Haus in San Isidro.

Es war totenstill.

Er war mutterseelenallein. Selbst das Hausmädchen war weg.

Nach dem Weggang Rositas hatte er sich eine Flasche Whisky genommen.

Über beinahe zwei Jahrzehnte hatte ihn das Lärmen der Kinder gestört. Jetzt fehlte es ihm.

Nach dem zweiten Glas war er durch sämtliche Räume gegangen. Als er sah, dass in den Kinderzimmern Schränke und Schubladen offenstanden, als ob in großer Hast Koffer und Taschen gepackt worden wären, hätte er am liebsten geheult.

Rositas Kleiderschrank war der einzige, der sorgfältig ausgeräumt war. Nichts erinnerte mehr daran, dass sie bis heute hier gewohnt hatte. In den Zimmern der Kinder lag zumindest noch Spielzeug, oder es standen einzelne Bücher in den Regalen, und Kleidungsstücke waren auf dem Boden verstreut.

Aus dem Badezimmer war sämtliche Kosmetik verschwunden.

Da Rosita das Haus ohne Gepäck verlassen hatte, war ihm klar geworden, dass dieser Auszug vorbereitet worden war. Wahrscheinlich hatten sie schon in den vergangenen Tagen damit begonnen, Gepäckstücke ins Haus seiner Schwiegereltern zu schaffen.

General Carlos Garcia schlurfte zurück ins Wohnzimmer und goss sich ein weiteres Glas Whisky ein.

Noch nie hatte er sich so allein gefühlt!

In seiner Zelle im Verteidigungsministerium, den drohenden Tod vor Augen, war er allein gewesen, aber nicht so verlassen wie jetzt!

Jetzt fehlte ihm der Lärm, selbst das Gezänk zwischen Rosita und dem Hausmädchen.

General Carlos Garcia fühlte Selbstmitleid in sich aufsteigen. Bevor sich seine Augen mit Tränen füllten, nahm er einen tiefen Zug aus seinem Glas.

Was hatte er denn getan? Freudenmädchen besucht, sich Roxana als Freundin gehalten! Das taten doch alle! Alle seine Kameraden, die es sich leisten konnten, gingen zu Freudenmädchen oder hielten sich Geliebte!

Die Ehefrauen waren doch in den meisten Fällen froh, wenn ihre Männer sie unbehelligt ließen! Das war doch kein Grund, so ein Theater aufzuführen! Und Rosita hatte ihm oft genug zu verstehen gegeben, dass sie ihre Ruhe haben wollte.

Und dann war sie zu Graf gegangen, um mit ihm zu schlafen!

So wie sie es gesagt hatte, war die Initiative von ihr ausgegangen und nicht von Graf. Das ärgerte Garcia besonders, denn er konnte sich an keine Szene seiner Ehe erinnern, in der Rosita ihn zum Beischlaf ermuntert oder gar aufgefordert hätte.

Je mehr er darüber nachdachte, desto wütender wurde er. Seine eigene Frau, die sich zur Hure gemacht hatte! Er sollte froh sein, sie loszusein!

Dieser Gedanke tröstete ihn. Jetzt konnte er ausgehen, soviel er wollte, er konnte bumsen, wen er wollte, er könnte sogar Mädchen mitbringen in sein Haus und sie bis zum Morgen hier behalten! Keine Heimlichtuereien mehr, kein Versteckspiel und kein schlechtes Gewissen!

Er füllte sein Glas nach.

Rosita hatte die Kinder am Hals, nicht er. Er würde eine Regelung treffen, die Kinder an den Wochenenden zu sehen, und während der Woche konnte Rosita sich mit der Brut herumschlagen. Er wäre der gütige Vater, dem die Kinder ihre Sorgen erzählen und die er trösten und großzügig behandeln würde. Natürlich würde er ihnen nicht verheimlichen, dass die Eltern sich getrennt hatten, weil ihre Mutter sich einen Liebhaber gesucht hatte. Das würde die Kinder gegen ihre Mutter aufbringen! Sie war es, die die Familie zerstört hatte!

Ihm fielen die Kosten ein, die auf ihn zukamen.

Er würde zwei Haushalte finanzieren müssen. Das war bitter! Die Möglichkeit einer Scheidung bestand inzwischen, trotz der starken Beeinflussung der Gesetzgebung durch die katholische Kirche. Aber selbst Präsident Eugenio Scaloni hatte seelenruhig und für alle Öffentlichkeit sichtbar mit seiner Mätresse zusammengewohnt. Die Ehefrau war erst beim Begräbnis wieder aufgetaucht.

Im Kopf versuchte Garcia sich ein Bild davon zu machen, was nach gängiger Rechtsprechung von seinem Gehalt für ihn selbst übrig bleiben würde, wenn er den Unterhalt für Rosita und die Kinder bezahlt hätte.

Auf alle Fälle zu wenig!

Aber es sprach schließlich nichts dagegen, dass Rosita arbeiten ging. Sie hatte eine abgeschlossene Ausbildung, Lehrer wurden immer gesucht, also könnte sie etwas hinzuverdienen!

Wenn sie soviel Energie besaß, mit Graf zu vögeln, dürfte sie auch genügend Energie haben, um zu arbeiten!

Der Gedanke gefiel ihm. Er sah Rosita, erschöpft von ihrer Tätigkeit und der Führung des Haushaltes, allabendlich kraftlos auf ihr Bett sinken und den Tag verfluchen, an dem sie sich mit Graf eingelassen hatte. Der Rest ihres Lebens würde so aufregend sein wie das Leben einer Nonne!

Sein Glas war schon wieder leer.

Der Gedanke an Graf machte ihn so wütend, dass er auf einen Schlag wieder nüchtern wurde.

Erst hatte Graf ihm Roxana weggenommen, und jetzt auch noch seine Frau!

Er hatte schon einmal daran gedacht, Graf zu töten. Damals hatte er sich gesagt, erst solle Graf das Geschäft zum Abschluss bringen, und dann wollte er Graf umlegen.

Wenn er jetzt darüber nachdachte, fiel ihm auf, dass Graf gar nicht wissen würde, wer auf ihn geschossen habe, und der Gedanke gefiel Garcia gar nicht. Wo wäre dann seine Rache?

Wieder musste Garcia an seine neu gewonnene Freiheit denken.

Er war zwar nicht mehr ganz nüchtern, fühlte sich aber noch munter genug, um etwas zu unternehmen.

Er griff zum Telefon, um seinen Fahrer zu bestellen. Dass es inzwischen kurz vor Mitternacht war, störte ihn keinesfalls. Schließlich war er Chef der PIP!

Um ein Uhr war er im Club Holiday.

Viel war nicht los. Nicht ohne Mühe zog er sich auf einen Barhocker und musterte von seinem erhöhten Sitzplatz die Umgebung.

Aus dem in dunkelrotes Licht getauchten Raum lächelten ihn mindestens fünfzehn Damen auffordernd an.

Für Garcia sahen sie alle gleich aus, stark geschminkte Gesichter, zum Teil negroid, zum Teil indianisch, mit überwiegend blond gefärbten Haaren. Dazu gekleidet in farbige Unterwäsche mit Strumpfhaltern und Stöckelschuhen.

Sobald sein Blick ein einzelnes Gesicht streifte, wurde gelächelt, wenn sein Blick weiterwanderte, sah er aus den Augenwinkeln, wie das Lächeln sofort wieder erstarb.

Da er nicht die Initiative ergriff, kamen schließlich zwei der Mädchen auf ihn zu und fragten, ob er ihnen einen Drink spendieren würde.

Eine, die sich als Patty vorstellte, war schwarz, trug aber weiße Wäsche und hatte grellblond gefärbtes Haar, die andere, Nina, sah aus wie eine normale Peruanerin, die tagsüber in einem Büro arbeitete, nur dass sie jetzt lediglich einen roten BH, rote Unterwäsche und Strümpfe trug.

Garcia nickte.

Beide Mädchen bekamen vom Barkeeper Gläser mit für Garcia nicht identifizierbaren Getränken hingeschoben.

Da Garcia nichts sagte, übernahm die Schwarze die Preisverhandlungen.

Garcia hörte sich die Angebote stumm an.

Da er nichts sagte, wurden die Damen drängender, und auch der Preis sank, ohne dass er hätte feilschen müssen.

Schließlich fragte er:

„Wie viel für euch beide?“

Die Mädchen berieten sich flüsternd.

Dann sagte die Schwarze:

„Zweihundert Dollar.“

Garcia schüttelte den Kopf.

„Hundert fünfundneunzig.“

Kopfschütteln.

„Ich zahle in lokaler Währung.“

Erneute geflüsterte Beratung. Das Spiel fing an, ihm Spaß zu machen. Er sah sich noch einmal um. Offenbar war er der einzige Gast.

Erst als das Angebot der beiden Mädchen auf den Gegenwert von fünfzig Dollar gesunken war, stimmte er zu. Er rutschte von seinem Hocker, die Negerin war größer als er.

Sie gingen durch einen Vorhang und einen rot beleuchteten Flur in den hinteren Teil des Clubs.

Patty zog eine der Türen auf, und Garcia betrat einen Raum mit schwarzen Stoffen an den Wänden und einem großen runden Bett in der Mitte.

Patty öffnete ihren Büstenhalter und zeigte ihm ihre großen Brüste, die sie mit flinken Bewegungen zum Kreisen brachte. Auch Nina zog ihren roten BH aus.

Dann forderten sie Carlos Garcia auf, das Geld herauszurücken.

Er hatte Mühe, Geldscheine in der vereinbarten Menge aus seiner Brieftasche zu ziehen. Das lag einmal an der dunkelroten Beleuchtung, aber auch an dem Grad seiner Trunkenheit.

Er ließ sich rücklings auf das Bett plumpsen.

Die Mädchen begannen, ihn auszuziehen. Er hob nur kurz den Hintern, damit sie ihm die Hosen abstreifen konnten.

Als er schließlich mit entblößtem Unterleib auf dem Bett lag und die beiden Frauen sich an ihm zu schaffen machten, rührte sich bei ihm nichts. So sehr sie sich auch Mühe gaben, streichelten, zogen, ihn mit dem Mund behandelten, nichts tat sich.

Irgendwann, als sie zu ihm aufschauten, stellten sie fest, dass er schlief.

Sie machten sich über seine Brieftasche her und teilten den Inhalt untereinander auf.

Als sie seine Ausweise fanden, sagte Patty:

„Den Typ kenne ich aus der Zeitung. Er leitet die PIP.“

Das fanden beide saukomisch.

Mit der Kamera von Ninas Mobiltelefon machten sie eine Reihe von Fotos. Die ersten Bilder waren nicht so, wie sie sich das vorgestellt hatten. Zum Schluss gelangen ihnen aber doch ein paar Schnappschüsse, auf denen Garcia gut zu erkennen war, auf denen auch zu sehen war, wie eine Frau Oralverkehr mit ihm betrieb, nur, das Gesicht der Frau war unkenntlich.

Dann machten sie ein paar Bilder, auf denen es so aussah, als ob Garcia sich bei der über seinem Gesicht hockenden Frau in der Fertigkeit des Cunnilingus übte. Das war einfach, weil sie diese Bilder in Großaufnahme machen konnten, nur sein Gesicht und darüber die Scham der Frau. Da es ihnen beiden Spaß machte, wechselten sie sich kichernd ab.

Sie verließen den Raum und sagten dem Barkeeper, ihr Gast sei erschöpft eingeschlafen und sie bekämen ihn nicht wach.

Der Barmann zog gemeinsam mit dem Türsteher den bewusstlos schlafenden Garcia bis vor die Eingangstür, wo sich Garcias Fahrer bemerkbar machte, der im Auto hatte warten müssen.

Zu dritt hievten sie Garcia auf den Rücksitz.

Da der Fahrer allein Garcia nicht aus dem Auto ins Haus schleppen konnte, parkte er den Wagen vor der Garageneinfahrt. Er schloss das Auto ab und warf den Schlüssel durch das Fenster auf der Beifahrerseite, wo er die Scheibe einen Spalt heruntergelassen hatte.

Selbst, als er schon einen Block weit gelaufen war, glaubte er, immer noch das Schnarchen von General Carlos Garcia zu hören.

Oberhausen, 3. November

Rupert Graf beriet sich mit Kollegen der Finanzabteilung seines Unternehmens.

Mehrere Großbanken waren auf die Finanzierung des peruanischen Vorhabens angesprochen worden.

In jeder der Banken hatte man die Delegation der DRRS höflich und mit unbewegten Gesichtern angehört, um dann ebenso höflich auf die bestehende Verschuldung Perus und die Schwierigkeiten zu verweisen, weitere Kredite einzuräumen. Hierzu wurden Absprachen in internationalen Bankenkreisen erwähnt, die ohne Konsultation anderer Gläubiger die Vergabe neuer Kredite außer Frage stellten.

Es hatte in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Umschuldungen gegeben, in denen Kreditlaufzeiten gestreckt und -konditionen hatten angepasst werden müssen. Der Club of Rome, die Vereinigung sämtlicher europäischer Kreditversicherer, hatte festgelegt, für welche Einkäufe Peru kurzfristige und durch Exporterlöse gesicherte Anleihen aufnehmen konnte. Hierzu zählten Nahrungsmittel, Ersatzteile für die exportorientierte Industrie, Ausbildungsmaßnahmen.

Rüstungsgüter waren nicht vorgesehen.

Bei einer Bürgschaft der deutschen Regierung sähe die Geschichte zwar anders aus, und die Beteiligung an einem verbürgten Kredit wolle man nicht ausschließen, aber mit einer Bürgschaft sei ja nun beim besten Willen nicht zu rechnen. Sehr schnell hatten die Repräsentanten der Banken versucht, das Gespräch auf andere Projekte der DRRS zu lenken, in Ländern, denen man gerne Mittel für geplante Investitionsvorhaben zur Verfügung stellen wollte. Und davon gab es eine Reihe, den Bau von Raffinerien oder Stahlerzeugungsanlagen, für deren Realisierung, so hatte man gehört, die DRRS sich qualifiziert hatten.

Die Kollegen Grafs hatten daraufhin ebenso höflich versucht, auszuloten, wie es um die Bereitschaft der Banken stand, bei ihrer Beteiligung an `sicheren` Finanzierungen sich auch an der Finanzierung für Peru zu beteiligen.

Dies hatte zu Nachdenklichkeit geführt, jedoch nicht zu Zusagen.

Es musste zumindest eine teilweise Deckung des Perugeschäftes durch die staatliche Kreditversicherung sichergestellt sein. Wenn dann bei der Finanzierung für eines der sicheren Geschäfte die jeweilige Bank berücksichtigt würde, würde man den Fall wohlwollend überdenken.

Die DRRS denke doch wohl nicht daran, ein Junktim herzustellen?

Die Vertreter der DRRS hatten undurchdringliche Mienen aufgesetzt.

An ein Junktim dächte man nicht. Man erwarte jedoch Verständnis, dass Banken, die bei einem schwierigen Fall wie Peru die DRRS unterstützten, eine Präferenz bei sicheren Finanzierungen eingeräumt werden müsse.

Das hatte die Nachdenklichkeit der Banken vergrößert.

Ob denn die DRRS tatsächlich mit der Möglichkeit rechne, eine Hermesbürgschaft für Peru zu bekommen, hatte man wissen wollen.

Die Mienen der Vertreter der DRRS waren noch undurchdringlicher geworden.

Man sei in Gesprächen, hatten sie gesagt und offengelassen, mit wem oder mit welchen Perspektiven.

Egal wo, die Vertreter der DRRS waren zu fürstlichen Mittagessen in die Vorstandskasinos eingeladen worden, und erst bei diesen Mahlzeiten hatten sie zu erkennen gegeben, dass die an der Finanzierung des Marinegeschäftes beteiligten Banken auch mit der Möglichkeit rechnen konnten, garantierte Exportverträge Perus selbst abzuwickeln und hier zusätzliche Sicherheiten zu erhalten.

Hier waren in den Augen der Angestellten der Banken plötzlich die Dollarzeichen sichtbar geworden. Da es sich ausnahmslos um in Exportfinanzierungsfragen erfahrene und höchst disziplinierte Mitarbeiter handelte, wurde zunächst Desinteresse an einer solchen Sicherheit geheuchelt. Nur aus gelegentlichen aber sehr gezielten Fragen, beiläufig während der Essen geäußert, konnten die Vertreter der DRRS das lebhafter gewordene Interesse auf Seiten der Banken feststellen.

Fünf Großbanken und mehrere Banken mittlerer Größe waren auf diese Weise angesprochen worden.

Keine dieser Banken hatte ihre Beteiligung zum Schluss der Besprechungen abgelehnt, aber jede hatte auf die Notwendigkeit einer Bürgschaft der deutschen Regierung hingewiesen. Wenn es eine solche Bürgschaft gäbe, zumindest für einen Teil des Geschäftes, und angesichts der zusätzlich aus Peru gebotenen Sicherheiten, würde man nachdenken, gerade wenn dies auch im Zusammenhang gesehen werden musste mit der Beteiligung an anderen, weniger risikobehafteten Geschäften.

„Wie viele Banken werden wir brauchen?“ fragte Graf seinen Kollegen Hansen.

„Ich schätze, fünfzig,“ antwortete der.

Graf wusste, dass Finanzierungen dieser Größenordnung niemals von einer einzelnen Bank alleine übernommen wurden. Eine Großbank würde die Führung eines Finanzierungskonsortiums und den größten Anteil am Kredit übernehmen, höchstens jedoch zehn Prozent. Der Rest des Risikos verteilte sich auf eine Vielzahl von Banken. Weitere Großbanken würden Anteile von fünf bis acht Prozent nehmen, aber es würde auch eine Reihe mittlerer und kleiner Privatbanken geben, die Beträge von zwei bis fünf Prozent übernähmen. Das Risiko würde breit gestreut, bot aber gleichzeitig gute Verdienstmöglichkeiten. Nicht allein die Zinsen, auch die begleitenden Gebühren machten den Verdienst der Banken aus. Egal, ob Verwaltungsgebühren, Bereitstellungsgebühren, Kosten für die Gewährung von Garantien, all dies erhöhte den Verdienst der Banken und letztlich den tatsächlich vom Schuldner zu zahlenden Zinssatz.

Rupert Graf war weit davon entfernt, Habgier zu unterstellen. Aber um so viel zu verdienen wie die tatsächlich anfallenden Kosten an einem Kredit für ein Rüstungsgeschäft in einem Entwicklungsland, müssten die Banken schon eine Riesenmenge an Bausparverträgen an den Mann bringen.

Grafs Sekretärin Brigitte Orlowski kam in das Besprechungszimmer und hielt Graf einen Zettel hin. Er las:

„Herr Schmeling will Sie dringend sprechen. Kann ich das Gespräch hierhin stellen?“

Graf schüttelte den Kopf.

Als Rupert Graf sein Vorzimmer betrat, hörte er, wie Brigitte Orlowski sagte:

„Da kommt er, ich stelle durch.“

Das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte bereits.

Als er abhob, hörte er die Stimme Schmelings:

„Wir müssen uns heute dringend noch sehen. Ich habe wichtige Neuigkeiten.“

„Wo sind Sie?“ fragte Graf.

„In Monaco. Ich lande heute Abend gegen neun in Düsseldorf. Treffen Sie mich am Flughafen!“

Bevor Graf noch etwas hatte sagen können, wurde aufgelegt.

Graf war alles andere als glücklich. Am Morgen erst aus Südostasien zurück, hatte er für den Abend eine private Einladung, die er jetzt wieder absagen musste.

Schmeling kam ohne Gepäck. Nicht einmal eine Tasche hatte er bei sich.

Im Flughafen wurden um diese Zeit die Geschäfte in den Passagen geschlossen und auch die Bar im Abflugbereich machte zu. Als Schmeling hörte, dass Grafs Fahrer draußen wartete, sagte er:

„Prima, dann können Sie mich eben in mein Hotel fahren.“

Während der zehnminütigen Fahrt blieb er stumm wie ein Fisch.

Erst in der Bar des Breidenbacher Hofs begann Schmeling zu berichten, was er hatte loswerden wollen.

Zunächst erzählte er, wen er seit dem letzten Treffen angesprochen hatte, und mit welchen Reaktionen.

Trotz einer im Grundsatz positiven Haltung auf Ministerebene hatten die Beamten des Interministeriellen Ausschusses negative Vorlagen verfasst.

Jedes Ministerium hatte seinem Minister Begründungen geliefert, warum die Beamtenebene die Deckung des Geschäftes mit Peru nicht empfehlen konnte. Die Begründungen waren vielfältig. Das Finanzministerium sah das Risiko, dass Peru nicht in der Lage sein würde, die aufgenommenen Mittel pünktlich zurückzuzahlen. Das Auswärtige Amt sprach sich gegen das Geschäft aus, weil Probleme mit anderen Gläubigerländern zu erwarten seien, die ihre eigenen Forderungen gegenüber Peru durch einen weiteren Kredit in Gefahr sehen könnten, aber auch, weil man befürchtete, erneut an der Rüstungsspirale in Lateinamerika zu drehen, da das peruanische Programm wahrscheinlich zu ähnlichen Beschaffungsprogrammen in den Nachbarstaaten führen würden.

Das Verteidigungsministerium gab eine ausgewogenere Stellungnahme, da man dort den Erhalt und die Auslastung des Marineschiffbaus in Deutschland positiv einstufte, jedoch vorschlug, Auflagen hinsichtlich der Modernität der zu liefernden Systeme und Waffen zu machen.

Das Wirtschaftsministerium führte ähnliche Gründe wie das Finanzministerium an.

Das Justizministerium hatte keine Meinung und hatte dies auf drei engbedruckten Seiten niedergeschrieben.

Schmeling zog eine Anzahl gefalteter Blätter, Kopien sämtlicher Vorlagen, aus der Innentasche seines Jacketts und gab sie Graf.

Als Graf mit der Lektüre fertig war, sagte Schmeling:

„Der BSR muss eine `Sonst`- Entscheidung treffen.“

Graf wusste, was das hieß. Der Bundessicherheitsrat, das Gremium, in dem der Kanzler und die Minister oder ihre direkten Vertreter im Amt, die Staatssekretäre saßen, musste entscheiden, sich über die Empfehlungen der Beamten hinwegzusetzen. Hierfür waren besondere politische Begründungen notwendig.

Das beunruhigte Rupert Graf nicht. Dass die Entscheidung letztlich im BSR gefällt werden würde, hatte er ohnehin erwartet. Die Haltung der Beamtenebene war ihm aus seinen eigenen Gesprächen bekannt.

„Das Problem ist,“ fuhr Schmeling fort, „dass morgen zwei führende Tageszeitungen sich des Themas annehmen. Die Artikel dürften nicht im Wirtschaftsteil erscheinen! Ein Beamter hat zwei Korrespondenten Einsicht in die Vorlagen gewährt.“

„Aus welchem Ministerium?“ fragte Graf, die Antwort schon wissend.

„Na, von wo wohl? Aus dem Auswärtigen Amt!“ sagte Schmeling schnaubend.

„Weiß man, wer es war?“ fragte Graf.

„Leider nicht.“ Schmeling klang verbittert. „Dieses Rattennest ist voll von Berufspazifisten!“

„Mit was müssen wir rechnen?“

„Es sind beides Blätter, die das Thema nur allzu gerne aufgreifen. Gehen Sie davon aus, dass die Artikel sich gegen Rüstungsexporte schlechthin und gegen die Kreditgewährung für den Kauf von Rüstungsgütern durch Entwicklungsländer aussprechen. So in dem Tenor, wir schenken denen Entwicklungshilfe, Geld der Steuerzahler, und die kaufen damit Waffen!“

„Kann man rauskriegen, wer der Schweinepriester war?“ fragte Graf.

„Kaum. An diesen Vorlagen haben zig Leute mitgearbeitet. Ebenso viele besitzen Kopien. Wir können nicht mal sicher sein, ob es einer der Pazifunken war. Es kann genauso gut sein, dass es sich um einen Beamten handelt, der mal in einem Ihrer Wettbewerbsländer stationiert war und von dort Druck bekommt.“

Graf sah überrascht auf. Schmeling fuhr fort:

„Das ist doch klar. Alle diese Kerle waren mal als Attachés im Ausland. Sie wissen doch, wie das geht! Zwei Jahre Ausland, zwei Jahre zuhause. Dabei immer weiter befördert. Und da hat so ein Bursche mal mit dem falschen Frauenzimmer gevögelt und ist erpressbar, und die haben ihn am Haken. Wir können doch nicht ausschließen, dass einer Ihrer Konkurrenten das steuert. Im Ausland weiß man, mit welcher Sensibilität man in Deutschland mit Rüstungsexporten umgeht!“ Schmeling hatte sich in Rage geredet. „Unseren Nachbarn geht es dabei nicht mal um das einzelne Geschäft. Die haben Angst vor unserer Wirtschaftskraft, und kein Mittel ist zu lapidar, als dass man es nicht einsetzte! Nach der Wiedervereinigung ist das nur noch schlimmer geworden.“ Und dann, völlig unvermittelt: „Ich werde mit dem Geld nicht auskommen!“

„Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“ fragte Graf.

„Herr Graf, tun Sie nicht so naiv! Wenn wir einen positiven Beschluss des BSR erreichen wollen, werde ich mehr anbieten müssen als bisher. Wenn die Regierung gegen die öffentlich gemachten Empfehlungen der Beamten entscheidet, müssen wir eine Kampagne fahren, um die Argumente auszuhebeln. Jedem dieser Kerle ist doch scheißegal, ob Ihr Unternehmen Marineschiffe nach Peru liefert oder nicht. Denen ist genauso scheißegal, ob Sie in Ihren Werften Leute entlassen! Ein paar Arbeitslose mehr oder weniger, scheißegal! Wer in der Waffenproduktion arbeitet, ist es selbst schuld. Wenn er seinen Job verliert, auch. Was die Burschen interessiert ist, dass sie ihre eigenen Jobs behalten, Macht, Gehälter, Personenschutz, Dienstwagen, Flugzeuge der Bundeswehr für den Transport bis hin zum Ferienort, Auftritte im Fernsehen, Interviews, Wichtigkeit. Wenn ich Ihr Geschäft durchziehen soll, muss ich in der Lage sein, dem einen oder anderen zu ermöglichen, seine Unterstützung für Ihr Geschäft in den Medien nachhaltig und überzeugend zu vertreten. Und das kostet Geld! Es packt doch freiwillig keiner in einen Haufen Hundescheiße, wenn er nicht weiß, wo die Seife ist, mit der er sich hinterher die Finger waschen kann!“

„Wie viel?“ fragte Graf.

„Zwei Prozent auf das Gesamtgeschäft. Wenn ich das nicht zusagen kann, können Sie Ihr Geschäft vergessen. Ich bin nicht mal sicher, ob ich damit auskomme.“

„Was bekomme ich dafür?“ fragte Graf.

„Als erstes bekommen Sie dafür übermorgen ein Foto in fast allen deutschen Medien, das zeigt, wie unser Außenminister sich während einer Parlamentsdebatte genüsslich in der Nase bohrt. Das wird der Auftakt zu einer Kampagne, den Kerl abzuservieren. Wenn er Minister bleiben will, und Sie können Ihren Kopf darauf wetten, dass er das will, wird ihm klargemacht, dass er im BSR für Ihr Geschäft stimmen muss. Wenn nicht, geht die Kampagne weiter. Sie bekommen dafür eine Geschichte über unseren Finanzminister, der sich mit einem Bundeswehrhubschrauber zu einem Stelldichein mit seiner Freundin hat fliegen lassen. Wenn er im BSR nicht für das Geschäft votiert, wird niemand bestätigen, dass es vor dem Stelldichein ein wichtiges Treffen im Parteirat gegeben hat, das der vorgebliche Grund für den Flug war. Sie werden eine öffentliche Stellungnahme des Arbeitsministers bekommen, der aus arbeitspolitischen Gründen das Geschäft befürworten wird. Das ist nicht unkritisch, weil die Gewerkschaften schon aus Daffke lieber sehen würden, dass man statt Waffen Windkraftanlagen baut. Sie bekommen eine befürwortende Aussage des Wirtschaftsministers, der Ihre Hafenausbauten als das eigentliche Geschäft darstellen und aussagen wird, nur wenn auch auf dem Rüstungssektor eine Zusammenarbeit mit diesem Peru zugestanden wird, könne das wichtige Minen- und Hafenprojekt gesichert werden.“ Schmeling holte Luft. „Sie bekommen die öffentliche Aussage des Verteidigungsministers, dass er das Geschäft unterstützt, weil der größte NATO-Partner USA aus übergeordneten Gründen Deutschland um die Lieferung der Schiffe an Peru gebeten hat. Zwei Prozent!“

„Und wenn ich Ihnen die zwei Prozent nicht bieten kann?“ fragte Graf, die Antwort schon kennend.

„Dann gibt´s nix.“ sagte Schmeling, und in seinen Augen glitzerte nicht mal der Anflug von Humor. „Kein Bild, keine Stories. Nix!“

„Ich muss mir die Kalkulation angucken. Heute kann ich Ihnen das nicht zusagen.“

Das passte Schmeling sichtlich nicht.

„Ich treffe heute Abend noch meinen Freund. Er ist in Düsseldorf. Eigentlich hatte ich ihm eine positive Antwort geben wollen. Dann kann er sich sofort um die Dinge kümmern.“

Graf hatte nur ein Schulterzucken als Antwort.

„Sie wissen, Herr Graf, er muss auf eine Auslandsreise. Deshalb bin ich ja auch sofort hergekommen. Wenn er erst weg ist, könnten hier die Dinge aus dem Ruder laufen.“ Schmelings Ton wurde drängender.

„Ich muss in die Kalkulation gucken, Herr Schmeling. Wir reden über eine Menge Geld. Sie haben bereits eine Zusage über dreizehn Millionen!“

„Der BSR tagt das nächste Mal in zwei Wochen. Mein Freund ist fast zehn Tage unterwegs. In den verbleibenden paar Tagen kann er unmöglich die Geschichte herumdrehen, schon gar nicht, wenn in der Zwischenzeit weitere Medien das Thema aufgreifen und Stimmung gegen einen positiven Entscheid machen.“

Graf war müde und wurde langsam ungeduldig:

„Herr Schmeling, noch mal, Sie haben eine Zusage über dreizehn Millionen Dollar! Dafür kann ich wohl erwarten, dass Leistungen erbracht werden. Tun Sie bitte nicht so, als ob jetzt alles allein an den drei Millionen hinge, die Sie zusätzlich fordern! Ohne Hermesbürgschaft gibt es gar nichts, weil es dann kein Geschäft gibt. Ich bin bereit, einen Kompromiss anzubieten. Bisher haben wir von den Peruanern eine Anzahlung in Höhe von 30 Prozent verlangt. Rund 210 bis 215 Millionen. Das Geld haben die nicht. Um hierfür einen separaten Kredit zu bekommen und uns bezahlen zu können, hinterlegen sie Erzexportverträge als Garantie. Das ist mit den Banken bereits abgestimmt unter der Bedingung, das der Rest gedeckt wird. Für den Rest, ungefähr fünfhundert Millionen, gehe ich von einer Deckung von fünfundsechzig Prozent des Kredits aus. Damit bleibt ein enormes Risiko an meinem Unternehmen hängen. Wenn mehr in Deckung genommen wird und sich unser Risiko dadurch vermindert, kann ich über die dreizehn Millionen hinausgehen, aber nur dann.“

Schmeling reagierte sofort:

„Bei wie viel Deckung bekomme ich zwei Prozent auf alles?“

„Fünfundachtzig Prozent, nur dann. Wenn wir unter fünfundachtzig Prozent kommen, aber über fünfundsechzig Prozent, müssen wir das entsprechend abstufen.“

„Was soll das heißen?“

„Ist doch klar. Werden fünfundsiebzig Prozent in Deckung genommen, kriegen Sie anderthalb Millionen Dollar mehr. Das ist eine einfache Rechnung.“

Schmeling seufzte laut und vernehmlich.

„Sie machen mir mit Ihrem Dickschädel das Leben schwer, Herr Graf. Sie glauben immer noch, unsere Politiker könnten rechnen. Sie überschätzen diese Leute. Gut. Ich werde sehen, was ich tun kann.“

Lima, 3. November

Roxana Torreblanca war dabei, sich für ihr Treffen mit Enrique Pato fertig zu machen. Während sie duschte und sich anmalte, musste sie an die Tage in Iquitos denken.

General Bertoldo Urraca hatte Pato und sie nach dem Gespräch in der Hotelbar in den Speisesaal des Hotels geführt.

Das Restaurant war bei weitem nicht so elegant wie die, die Roxana seit Beginn ihrer Beziehung zu Rupert Graf in Lima kennengelernt hatte.

Wegen der geöffneten Fenster war der Raum nicht hell erleuchtet, um die Mosquitos nicht anzulocken. Die Kellner waren nachlässiger gekleidet, trugen bunte Hemden, und die schwarzen Hosen wirkten ein wenig speckig. Der Ober war um Urraca herumscharwenzelt, als ob er eine Führungsposition in den Streitkräften anstrebte.

Trotzdem hatte ihr das Essen geschmeckt, knusprig gebratener Fisch aus dem Amazonas, als Vorspeise ein Salat mit Hähnchenbrust.

Während des Essens hatte Urraca das zuvor besprochene Thema umgangen. Er fragte Roxana, wie Iquitos ihr gefiele, und als er hörte, Roxana sei zum ersten Mal im Amazonasgebiet, lud Urraca sie spontan zu einer Bootstour durch die Flussgebiete um Iquitos ein. Danach ließ er sich ausgiebig darüber aus, dass unter Präsident Scaloni er derjenige gewesen war, der als Repräsentant der Regierung das Amazonasgebiet zu betreuen hatte.

„Ich hatte einen Wahlkreis fast so groß wie ganz Westeuropa,“ sagte Urraca und fügte trocken hinzu: „Nur, dass es in diesem riesigen Gebiet insgesamt weniger Wähler gibt als in einer einzigen europäischen Großstadt!“

Erst zum Nachtisch war Gelegenheit, wieder auf Garcia zu sprechen zu kommen. Urraca selbst lieferte das Stichwort, als er von einer Reise in entlegene Gebiete berichtet hatte, bei der Garcia Mitglied seiner Delegation gewesen war. Erst bei dieser Gelegenheit fand Roxana heraus, dass nicht Enrique Pato derjenige gewesen war, der ihr die ungestörten Tage mit Rupert Graf besorgt hatte, sondern dass die Mitreise Garcias eine Idee von Nasini gewesen war. Pato war während Urracas Erzählung auffallend still.

„Sie haben vorhin gefragt, ob ich bereit wäre, gegen Garcia eine Aussage zu machen,“ hatte Urraca gesagt, „Aber wer wird der Ankläger?“

„Ich,“ hatte Enrique Pato geantwortet. „Aus dem Hintergrund. Roxana und ihr Bruder können gegen Garcia klagen.“

Roxana fiel beinahe vom Stuhl.

Enrique Pato erklärte sehr logisch, dass Roxana und noch mehr Gabriel direkt von Garcia geschädigt worden waren.

General Bertoldo Urraca hörte sich die Ausführungen Enrique Patos an, ohne ihn zu unterbrechen.

Erst, nachdem Pato zum Schluss gekommen war, sagte Urraca:

„Das geht so nicht. Garcia wird Zeugen auffahren, die bestätigen, Gabriel Torreblanca habe versucht, Drogen an die Soldaten zu verkaufen. Er wird Zeugen beibringen, die bestätigen, im Rahmen seiner Tätigkeit sei Garcia auf diesen Sachverhalt gestoßen und er habe handeln müssen. Ich halte mehr davon, Garcia wegen Dienstvergehens zur Rechenschaft zu ziehen. Er hatte die Aufgabe, die deutschen Unternehmen in Lima zu überwachen. Wenn eines der größten Rüstungsgeschäfte, das unser Land je getätigt hat, von Garcia nicht entdeckt worden ist, dann war der Kerl unfähig auf seinem Posten. Wie ich schon sagte, in seinen Dokumenten gab es keinen Hinweis auf die Belauschung der Beteiligten. Stattdessen gab es erhebliche Kosten. Damit kann man ihn drankriegen. Rogerio Chavez muss das machen! Chavez hat Zugriff auf alle Unterlagen. Wenn Sie jetzt noch Ihre eigenen Erkenntnisse hinzufügen, haben Sie den Kerl am Haken. Garcia war damals Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums. Er hat seine Kompetenzen überschritten. Eine Aktion wie die in Arequipa konnte er einfach nicht befehlen! Das lag völlig außerhalb seines Aufgabenbereiches. Da kann man ihn kriegen.“

Am nächsten Tag wurde Roxana von einem Wagen abgeholt und zu einem Anlegesteg gebracht, wo Urraca, in kurzen Hosen und Khakihemd, auf sie wartete.

Hier sah sie zum ersten Mal den Amazonas, einen lehmbraunen trägen Fluss von rund zwei Kilometern Breite, der in einer sanften Rechtskurve an Iquitos vorbei strömte. Das Boot war aus rohen Holzbrettern gebaut, lang und so schmal, dass die Passagiere nur hintereinander sitzen konnten, und hatte ein Dach aus Palmenblättern. Wegen des Motorengeräusches, so erklärte Urraca, wurde dieser Bootstyp hier Pequepeque genannt. Iquitos selbst lag auf einer Anhöhe, rund fünfzehn Meter über dem Wasserspiegel. Wie Urraca erklärte, schwankte der Wasserstand des Flusses zwischen Trocken- und Regenzeit um gute zehn Meter.

Roxana war überrascht von der großen Anzahl von Hausbooten, und ebenso von den vielen Geiern auf den Hausdächern.

Mit dem Pequepeque fuhren Roxana und Urraca ein Stück flussabwärts, wo man sie nach links in einen Seitenarm steuerte. Von diesem Nebenfluss ging es in weitere kleinere Nebenflüsse, bis sie sich schließlich unter dichten Bäumen in einem trübgrünlichen Licht befanden. Die Luft war modrig und feucht, das Geschrei der Papageien laut und erschreckend.

Urraca machte sie auf Faultiere aufmerksam, die regungslos in den Ästen der Bäume über ihnen hingen, und auf die Affen. Sie sah riesige Fische und sogar einen Delphin.

Nach drei Stunden Fahrt gelangten sie zu einem Indianerdorf, in dem rund fünfzig Personen lebten. Die auf Pfählen stehenden Hütten waren an den Seiten völlig offen, die Dächer aus Blättern von Palmen geflochten. Die Frauen waren nackt, manche mit Säuglingen an der Brust, die Männer hatten an einem dünnen Lederriemen eine Art Futteral um ihre Geschlechtsteile.

General Urraca zeigte ihr, wie die Menschen hier fernab der Zivilisation lebten. Und er sagte:

„Diesen Leuten ist es absolut egal, ob Admiral Chavez neue Schiffe für seine Marine bekommt. Die leben von dem, was der Urwald hergibt. Allerdings, wenn sie in Kontakt mit der sogenannten Zivilisation kommen, sind sie ungemein gefährdet. Ein Schnupfen kann sie umbringen. Viele der Männer arbeiten die Woche über in Iquitos. Sie holen sich Geschlechtskrankheiten oder Krankheiten, die von Touristen eingeschleppt werden. Was die brauchen, sind Medikamente. Was sie wollen, sind Dieselgeneratoren zur Stromerzeugung, Außenbordmotoren für ihre Boote, Lehrer für die Kinder.“

Auf der Rückfahrt sah Roxana einige Kaimane, die träge am Ufer lagen. Von einigen der Krokodile im Wasser sah sie nur Nasenlöcher und Augen.

Urraca, dessen Wagen auf sie wartete und Roxana zum Flughafen brachte, küsste ihr, was sie angesichts seiner Shorts etwas unpassend fand, zum Abschied die Hand und sagte:

„Ich freue mich, dass wir in Zukunft sicherlich noch häufiger miteinander zu tun haben werden.“

Es klingelte an der Tür. Sie sah auf ihre Armbanduhr. Enrique Pato war zwar verspätet, kam aber für Roxana doch ein paar Minuten zu früh.

In aller Eile suchte Roxana ihre Sachen zusammen und stopfte sie in ihre kleine Handtasche.

Sie knipste die Lichter aus und lief zur Eingangstür.

Als sie öffnete, stand Carlos Garcia vor ihr. Er grinste.

„Ich muss mit dir sprechen!“ sagte er und drängte Roxana nach innen.

Enrique Pato fuhr, so schnell der Verkehr es zuließ.

Man sollte meinen, dass gegen neun Uhr abends weniger Autos unterwegs sein würden, aber die Straßen waren verstopft von Colectivos, von Bussen und Lastwagen. Er fragte sich, wo alle diese Menschen noch hinwollten. Andererseits kam er selbst ja auch gerade erst aus seinem Büro im Präsidentenpalast.

Maximo Nasini hatte ihn eine geschlagene Stunde warten lassen, bevor er in das kleine Besprechungszimmer gekommen war.

Das Treffen hatte länger gedauert als erwartet.

Nasini, der einige Tage lang in den nördlichen Provinzen Piura und Lambayeque unterwegs gewesen war, hatte wissen wollen, was es Neues aus der PIP gab.

Enrique Pato hatte einiges zu berichten.

Er gab Präsident Nasini einen Abriss über verschiedene laufende Überwachungen. Pato bekam hierzu täglich eine Zusammenfassung der wichtigsten Aktionen. Nasini interessierte sich am meisten für die Abhörmaßnahmen, von denen Abgeordnete des Parlaments betroffen waren.

„Gib mir die Abschriften!“ sagt er. „Was gibt es sonst noch?“

Obwohl eigentlich von nachrangiger Bedeutung, aber wohl wissend, dass es Nasini Spaß machen würde, sagte Pato:

„Garcias Frau ist abgehauen.“

Erwartungsgemäß überzog ein breites Grinsen Nasinis Gesicht.

„Warum?“

„Keine Ahnung. Aber sie hat ihren Auszug gut vorbereitet. Tagelang hat sie Koffer und Tüten zum Haus ihrer Eltern in Santa Lucia gefahren, die Hütte muss halbleer gewesen sein, bevor Garcia mitkriegte, was los war.“

Nasini war nun sichtlich amüsiert.

„Und dann?“

„Dann ist sie aus dem Haus gestürmt. Die Blagen hatte sie vorher schon abgeliefert. Garcia hat sich am selben Abend noch seinen Wagen kommen lassen und ist in einen Puff gefahren.“

„Er war sicherlich froh, die Alte los zu sein!“ bemerkte Nasini fröhlich.

„Ja, aber es kommt noch besser. Er hat sich zwei Weiber gemietet und ist mit denen in eine Kammer, aber dort ist er eingeschlafen.“ Auch Enrique Pato konnte sein Grinsen nicht mehr zurückhalten. Nasini lachte laut und meckernd.

„Kein Wunder, dass seine Alte woanders Zerstreuung sucht!“

„Es kommt noch besser. Die Mädchen haben sich über seine Brieftasche hergemacht, als er schlief. Am nächsten Tag ist er wutschnaubend hin, um sein Geld zurückzubekommen.“

„Und?“

Enrique Pato genoss die dramaturgische Pause.

„Und? Nun sag schon!“

„Der Barkeeper hat ihm stumm ein Handy mit Bildern unter die Nase gehalten, auf denen Garcia in sehr eindeutigen Positionen zu sehen war.“

Nasinis Freude kannte kaum noch Grenzen.

„Und? Hat er den Laden hopsgenommen?“

„Nein!“ antwortete Pato. „Er hat höflich gebeten, die Bilder zu löschen.“

Nasini hatte schallend gelacht.

„Und, nun sag schon, hat er dafür bezahlt?“

„Ja, aber nur für die, die man ihm gezeigt hat. Es gibt noch mehr!“

„Das kann doch nicht wahr sein! Hat er wenigstens gleich eine Razzia angeordnet?“

„Keineswegs! Nachdem er das Geld hatte, hat der Barkeeper Garcia gesagt, dass es noch mehr Fotos gibt und ihm gedroht, wenn sich auch nur ein Polizist in der Nähe des Schuppens blicken ließe, könne er nicht verhindern, dass diese Bilder in die Presse gelangten.“

Präsident Maximo Nasini amüsierte sich königlich. Plötzlich wurde er ernst.

„Woher weißt du das alles?“fragte er vorsichtig.

„Ist doch klar!“ sagte Pato. „Der Barkeeper ist einer von unseren Leuten!“

Nasini lachte, dass ihm die Tränen aus den Augen liefen. Es dauerte eine Weile gedauert, bis er wieder Luft bekam und und fragen konnte:

„Du willst mir nicht sagen, der Kerl in der Bar erpresst Garcia, der ihm letztendlich ein Gehalt bezahlt?! Mein Gott, ist das komisch!“

„Es gibt noch eine Steigerung,“ sagte Pato. „Halte dich fest. Da der Schuppen von vielen ausländischen Geschäftsleuten frequentiert wird, haben wir vor ein paar Jahren ein Arrangement mit der Leitung des Clubs getroffen. Die Zimmer sind mit Videokameras ausgestattet. Sie haben noch einen Videorekorder. Es gibt ein Videoband von dem schlafenden Garcia und den beiden Weibern, die ihn erst ausräubern und ihn anschließend als Fotomodell benutzen. Leider ist es wegen der schlechten Beleuchtung etwas unscharf. Ich habe eine Kopie.“

„Wie heißt der Laden?“

„Club Holiday.“

„Ist das diese Kaschemme an der Javier Prado? Da war ich auch schon mal!“ Nasinis Fröhlichkeit war plötzlich gedämpft. „Filmen die da in allen Räumen?“

„Es war ein ausgesprochener Glücksfall damals, dass wir an die Möglichkeit gekommen sind, dort Videos mitzuschneiden, Onkel Maximo. Der Besitzer des Clubs lässt sämtliche Räume überwachen, nachdem einzelne Gäste die Mädels verprügelt haben oder die Mädels ihre Gäste beklauten. Die Bänder laufen in einer Endlosschleife und werden im Normalfall gelöscht, sobald der Gast weg ist. Das Band wird überspielt, wenn ein neuer Gast ins Zimmer kommt. Wir haben eine Vereinbarung mit dem Inhaber getroffen, Videobänder von bestimmten Personen, die wir ihm identifiziert haben, uns auszuhändigen. Das heißt, die Anlage hat uns nichts gekostet, deshalb ist diese Sache auch nie über deinen Schreibtisch gegangen. Im Gegenzug bekommen einige der Leute, die dort arbeiten, von uns ein kleines Taschengeld. Im Falle Garcias haben die Mädchen an der Bar erzählt, Garcia sei von der PIP. Daraufhin hat der Barmann das Band sichergestellt und mich angerufen.“

Nasini blieb nachdenklich.

„wie vielte Leute wissen davon?“

„Der Besitzer, der Barmann, ein, zwei Hilfskräfte. Die Mädchen haben keine Ahnung. Nur, wenn eine einen Gast beklaut, kassiert der Barmann gleich bei ihnen ab.“

„Da müsste man doch noch mehr draus machen können,“ sagte Nasini schließlich. „Gibt es Möglichkeiten, Gäste gezielt zu identifizieren?“

„Nur, wenn wir vorher sagen, von diesem oder jenem Gast wollen wir den Film. Bisher haben wir den Leuten im Club die Personen direkt gezeigt. Natürlich könnte man eine Namensliste hinterlassen, und wenn einer, der auf der Liste steht, seine Kreditkarte zieht, könnte man das Band sichern. Das ist jedoch sehr aufwendig. Und wie lang würde eine solche Liste werden? Außerdem zahlen die meisten Gäste bar. Nein, das beste ist, wenn man auf jemanden zeigen und sagen kann, den da, den will ich nachher auf dem Band haben.“

„Was ist mit Reservierungen?“

„Da reserviert keiner. Die Kerle gehen hin und bumsen.“

Präsident Maximo Nasinis ah ihn stumm an.

Nach einer Weile sagte er:

„Da müssen wir noch mal drüber sprechen. Das eröffnet sehr interessante Perspektiven.“

Enrique Pato bog in die Straße, in der Roxana wohnte.

Er stellte seinen Wagen ab und ging die restlichen Schritte zu Roxanas Haus.

Erst als er schon fast vor der Tür stand, fiel ihm der halb auf dem Bordstein geparkte Wagen auf. Das war das Auto von General Garcia!

Da sich niemand in dem Wagen befand, die Motorhaube aber, wie Enrique Pato fühlte, noch warm war, wurde er unsicher.

Könnte Roxana trotz aller gegenteiligen Behauptungen doch noch Kontakt zu Garcia pflegen? Könnte es sein, dass sie Garcia heimlich über sämtliche Gespräche unterrichtete, die geführt wurden, um Garcia ans Messer zu liefern?

Enrique Pato beschloss, sich in sein Auto zu setzen und abzuwarten.

General Carlos Garcia war schon aufgebracht, als er erkannte, dass Roxana sich ausgehfertig gemacht hatte. Er war zu lange mit ihr zusammen gewesen, als dass er nicht an Lidstrich, Frisur und Kleidung hätte sehen können, dass sie keineswegs plante, den Abend vor dem Fernsehgerät zu verbringen.

Der Überraschungseffekt hatte ihm geholfen. Trotzdem hatte er seinen ersten Impuls, ihr ein paar um die Ohren zu hauen, unterdrückt. Ihr erschrockenes Gesicht zu sehen und ihre Angst, tat ihm zunächst einmal gut. Befriedigt schob er die Tür hinter sich zu. Roxana wich vor ihm zurück in den Wohnraum, in dem nur eine Lampe in der Ecke brannte.

„Was willst du?“ fragte sie. Offenbar hatte sie sich von der Überraschung erholt.

„Mit dir reden!“

„Du glaubst nicht im Ernst, dass ich mit dir sprechen will!“ Das klang aggressiv und nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte, als er an ihrer Tür geläutet hatte. Trotzdem, sie war hilflos, und ihre Hilflosigkeit freute ihn. Er begann, sich überlegen zu fühlen.

Carlos Garcia sah, dass Roxana einen schnellen Blick auf die Digitaluhr im Bedienfeld ihres Fernsehers warf. Offenbar hatte sie jemand anderen erwartet. Graf konnte es nicht sein. Das hätte er gewusst. Wen dann?

„Du siehst aus, als hättest du nicht mit mir gerechnet,“ sagte er voller Hohn. „Hast du Flittchen schon wieder einen neuen Begleiter, nachdem Graf sich von dir zurückgezogen hat? Du bist dir wirklich für nichts zu schade!“

„Verschwinde!“ sagte sie nur.

Er hätte ihr gerne ins Gesicht geschlagen, aber sie stand zu weit weg. Vorsichtig versuchte er, sich ihr zu nähern. Aber mit jedem Schritt, den er tat, wich sie einen Schritt zurück. Das machte ihn wütend. Mit einer kurzen Handbewegung wischte er den Nippes weg, der auf der Kommode neben ihm stand. Porzellanfiguren und eine kleine Vase fielen zu Boden, wo sie klirrend zersplitterten. Allein das Geräusch tat ihm gut. Der erschrockene Blick Roxanas zeigte ihm, dass sie einen Moment lang unaufmerksam wurde. Er sah sich um, was er sonst noch kaputt machen könnte. Die verglaste Tür ihrer Anrichte? Das Geschirr?

Langsam bewegte er sich weiter auf Roxana zu. Sie ging ebenso langsam, aber rückwärts, zu der Tür, die zur Küche führte. Er war ganz klar im Vorteil.

„Du hast geglaubt, du wärst mich los!“ höhnte er. „Wenn du auch nur im entferntesten damit gerechnet hättest, ich könnte hier auftauchen, hättest du die Sicherheitskette vorgelegt. Ich lasse mich aber nicht abwimmeln. Ich nehme mir, was ich will!“ Er war enttäuscht, dass sie nicht mehr Angst zeigte. „Carlos,“ sagte sie ruhig, aber immer noch vor ihm zurückweichend, „Wenn dein Gönner Nasini erfährt, dass du hier eingedrungen bist, kommst du in richtige Schwierigkeiten. Hau ab, und lass dich nie mehr hier blicken!“

Das verblüffte ihn. Wie konnte Roxana wissen, dass Nasini ihm befohlen hatte, sie in Ruhe zu lassen? Einen Augenblick lang war er verunsichert. Aber Wut und Erregung überwogen. Gleich würde er sie besitzen, und von Nasini würde keine Rede mehr sein! Mit dem Ellenbogen stieß er kräftig in die Glastür des Schrankes. Glas und Porzellan splitterte. Roxana sah entsetzt zu dem Schrank.

Er machte einen schnellen Schritt auf sie zu. Damit hatte sie nicht gerechnet! Ebenso schnell ergriff er sie und umklammerte ihren schlanken Hals. Mit beiden Händen drückte er zu.

Jetzt endlich sah er das Entsetzen in ihren Augen.

Enrique Pato stieg wieder aus seinem Wagen. Schließlich war er mit Roxana verabredet! Er hatte sich zwar verspätet, aber das musste nicht heißen, dass er nicht an ihrer Tür klingeln könnte, nur weil sie Garcia zu Besuch hatte.

Er wurde nicht schlau aus dieser Frau.

Es war bemerkenswert gewesen, wie General Bertoldo Urraca ihr in Iquitos den Hof gemacht hatte. Gut, Urraca war Witwer, und welchem älteren Herrn wäre nicht bei Roxanas Anblick eine Pfütze auf der Zunge zusammengelaufen? Er dachte wieder an seinen eigenen kurzen Beischlaf mit Roxana, und sie siezten sich immer noch.

Trotzdem, Enrique Pato mochte nicht glauben, dass Roxana freiwillig den Kontakt zu Garcia aufrecht erhielt, nach dem, was Garcia ihr angetan hatte. Er mochte eben sowenig glauben, dass Roxana bei all ihren gemeinsamen Gesprächen, bei denen es darum gegangen war, Garcia vor Gericht zu zerren, als Garcias Agentin fungiert haben sollte!

Die Fenster des Hauses waren dunkel. Lediglich durch das winzige Fenster in der Eingangstür schien ein Lichtschimmer. Auch oben, wo die Schlafräume waren, war kein Licht.

Pato überlegte, ob Roxana und Garcia im Bett liegen könnten.

Was sollte er sagen, wenn er Garcia beim Stelldichein störte? Immerhin war Garcia sein offizieller Vorgesetzter.

Oder hatte er sich im Datum geirrt?

Nein, er war sicher, dass die Verabredung mit Roxana für heute getroffen war.

Mit langsamen Schritten ging er zur Haustür.

Carlos Garcia spürte einen brennenden Schmerz, als Roxana ihre Fingernägel in sein Gesicht grub und seine Backen entlang fuhr. Er war verblüfft über ihre Kraft.

Trotzdem, er war der Überlegene.

Roxanas Hals nicht loslassend, schob er sie rückwärts in Richtung der offenen Küchentür.

Da Roxana strampelte und Versuche machte, ihre Hände in sein Gesicht zu krallen, drückte er ihren Hals zu. Ein Stuhl fiel polternd um.

Roxana klammerte sich jetzt mit den Händen an den Rahmen der offenen Küchentür.

Er drückte weiter fest zu.

Befriedigt stellte Garcia fest, dass Roxanas Widerstand nachließ und ihre Bewegungen erschlafften. Er lockerte den Griff um ihren Hals und ließ sie Atem holen. Gierig zog sie die Luft ein. Auch er schnaufte heftig, immer noch beide Hände an ihrem Hals, bereit, jederzeit erneut zuzudrücken.

Der Schmerz, der ihn durchlief, als Roxana blitzartig ihr rechtes Knie nach oben riss und in seine Testikel rammte, war der Schlimmste, an den er sich erinnern konnte.

Reflexartig ließ er Roxana los und krümmte sich im Stehen zusammen. Mit der linken Hand stützte er sich am Türpfosten ab.

Er merkte trotz seiner gebückten Haltung aus den Augenwinkeln, dass Roxana versuchte, erneut hinzuzutreten, und konnte ihr gerade noch nach hinten ausweichen. Dabei ließ er den Türrahmen nicht los. Der Schmerz in seinem Unterleib lähmte ihn, sowohl in der Beweglichkeit als auch in seiner Reaktionsfähigkeit. Er schnappte nach Luft.

Den Schmerz, als Roxana die Tür zuschlug und sich noch zusätzlich dagegen warf, spürte er im ersten Moment gar nicht. Seine Hand mit den gebrochenen Fingern schien taub.

Unfähig, sich zu bewegen, hörte er, wie Roxana durch die andere, zum Flur führende Tür aus der Küche zur Haustür rannte. Er hörte nicht, wie sie die Tür öffnete, aber das Geräusch, als sie die Tür von draußen ins Schloss fallen ließ.

Er konnte noch hören, wie der Schlüssel im Schloss gedreht wurde, dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Düsseldorf, 4. November

Rupert Graf konnte trotz seiner Übermüdung nicht schlafen.

Die kurz hintereinander erfolgten Reisen nach Washington und gleich anschließend nach Singapur hatten ihn völlig aus dem Rhythmus gebracht. Nach singapurianischer Zeit war es jetzt neun Uhr früh.

Zuhause in Düsseldorf war es drei Uhr morgens.

Er war hellwach.

Rupert Graf machte sich einen Espresso und buk ein Rührei, dann setzte er sich an seinen Computer und klinkte sich ins Internet.

Wegen seiner vielen Reisen lohnte es sich nicht für ihn, eine Tageszeitung zu abonnieren, aber selbst wenn er eine bezogen hätte, wäre die um diese Zeit noch nicht da.

Über Google suchte er die Titelseiten der heute erscheinenden Tageszeitungen.

Sowohl die Frankfurter Rundschau als auch die Süddeutsche erwähnten das Perugeschäft auf der ersten Seite.

Den Artikel in der Frankfurter Rundschau überflog er nur kurz. Er mochte die politische Haltung nicht, die diese Zeitung vertrat, und deren Leser würden Rüstungsgeschäfte ohnehin verurteilen, selbst wenn es um die Ausstattung der deutschen Streitkräfte mit Steinschleudern ging. Der Artikel war dann auch so, wie zu erwarten, lamentierend, undifferenziert, polemisierend, aber dafür von erstaunlicher Weltfremdheit. Er klickte erneut die Süddeutsche an.

Auch diese Zeitung repräsentierte eine Politik, die er nicht unbedingt teilte, aber immerhin vertrat sie eine liberalere und nicht so sehr von Gewerkschaften beeinflusste Position.

Die Süddeutsche hatte sich des Themas gleich dreimal angenommen:

Auf der Titelseite war ein selbst aus Grafs Sicht sachlicher kurzer Artikel, der unter der Überschrift „Waffen für Peru“ das Geschäft ohne weitere Kommentierung beschrieb und auf einen weiteren Artikel unter den Auslandsnachrichten verwies.

In der Spalte „Streiflicht“, die Graf oft mit Vergnügen las, war das Geschäft ebenfalls erwähnt, aber nur beispielhaft für die Haltung einer um Arbeitsplatzerhalt bemühten Regierung, die über ihren Bemühungen offenbar ihre Verpflichtungen vergaß, auf den humanitären Einsatz ihrer Entwicklungshilfe zu achten und die gegebenen Mittel durch an ihrer Sinnfälligkeit bezweifelnswerten Geschäften zurückholte.

Dem eigentlichen Schuss gegen das Geschäft war unter den Auslandsnachrichten eine volle Seite gewidmet.

Es wurden zunächst die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in Peru beschrieben, einigermaßen realistisch, aber mit tadelndem Unterton. Ein Präsident, der das Amt nach der Ermordung seines Vorgängers übernommen und nicht im gleichen Atemzug Neuwahlen angekündigt hatte, hatte von vornherein als suspekt zu gelten. Dass er zuvor die Geheimpolizei geleitet hatte, die in der Bekämpfung des zugegebenermaßen brutalen Terrorismus nicht übermäßigen Wert auf die Einhaltung der Menschenrechte legte, machte ihn noch verdächtiger.

Die Verschuldung des Landes und die weithin herrschende Armut wurden ausführlich behandelt.

Es folgte eine Beschreibung des geplanten Geschäftes, die auch die Maßnahmen zur Modernisierung der Minenindustrie umfasste, sich aber ausführlich mit der Notwendigkeit der Marineschiffe befasste.

Bei oberflächlicher Lektüre schien der Artikel ausgewogen, weil er ebenfalls die Auswirkungen des Geschäftes auf die deutsche Industrie und besonders auf die deutschen Werften behandelte. Einzelne Formulierungen waren geradewegs aus Grafs Vorlagen für das Auswärtige Amt abgeschrieben.

Zum Schluss widmete sich der Verfasser den Einzelheiten der in den vergangenen Jahrzehnten an Peru gewährten Entwicklungshilfe, beschrieb die wenigen der Entwicklung des Landes tatsächlich förderlichen Projekte und ließ die Frage, ob das Marinegeschäft in Kombination mit der Modernisierung der Minenindustrie nun für Peru wirklich sinnvoll sei, scheinbar unbeantwortet. Aber eben nur scheinbar!

In einer separaten Spalte waren die Empfängerländer deutscher Entwicklungshilfe in Lateinamerika in der Reihenfolge der erhaltenen Mittel aufgeführt, daneben zum Vergleich die Rüstungsausgaben dieser Länder in den vergangenen zehn Jahren. Da die Rüstungsausgaben nicht in fixen Beträgen, sondern als Prozentsatz des Bruttosozialproduktes angegeben waren, kam Peru auf einen der ersten Plätze. Das war, so fand Graf, geschickt gemacht, weil das niedrige Bruttosozialprodukt Perus im Verhältnis zu den übrigen Ländern enorm durch die Ausgaben für den Kampf gegen den Terrorismus belastet gewesen war.

In derselben Spalte wurde der Hinweis gegeben, dass die übrigen Gläubigerländer Perus gegenüber der deutschen Regierung in offiziellen Noten ihre Sorge zum Ausdruck gebracht hatten, Peru würde den vereinbarten Schuldendienst nicht mehr einhalten können.

Die Seite war geschmückt mit zwei großen Fotografien. Ein Bild zeigte eine typische Indiofrau mit Männerhut, ein Kleinkind in einem Tuch auf den Rücken gebunden, mit bloßen Händen in einem trockenen und dürren Feld scharrend.

Das andere Bild zeigte eine im Sonnenlicht glänzende hochmoderne und waffenstarrende Fregatte. Der Aufnahmewinkel ließ das Schiff größer und mächtiger erscheinen als es tatsächlich war.

Zudem war der abgebildete Schiffstyp doppelt so groß wie die Schiffe, die Peru kaufen wollte.

In fetten Buchstaben überschrieben war das Ganze mit:

„Entwicklungshilfe für Waffenkäufe“

Unterzeile:

„Peru plant Milliardenausgaben für neue Kriegsschiffe – Wirft Bundesregierung die Rüstungsexportrichtlinien über Bord?“

Erst bei genauer Lektüre konnte der aufmerksame Leser feststellen, dass die Milliarden sich auf die lokale Währung, den peruanischen Sol, bezogen!

Rupert Graf war sich im Klaren darüber, dass dieser Artikel im Laufe des Tages in zahlreichen Amtsstuben in Berlin gelesen, kopiert und abgeheftet würde. Zudem würde die peruanische Botschaft eine Kopie mit Übersetzung an das Außenministerium in Lima schicken, von wo aus wiederum Kopien an das Verteidigungsministerium und die Marine gehen würden.

Das war hochgradig ärgerlich!

Zudem würde dieser Artikel ebenfalls in den Botschaften der Wettbewerbsländer übersetzt und den Wettbewerbern selbst zugänglich gemacht. Die würden ihrerseits bei ihren Auftragsakquisitionen genüsslich darauf hinweisen, dass Deutschland als Partner für Rüstungskooperationen unkalkulierbar bliebe, weil die öffentliche Meinung Druck auf die Regierung ausübte, solche Geschäfte nicht zu unterstützen.

Am schwerst wiegenden waren die Auswirkungen des Artikels auf die Deckung des Geschäftes. Der eine oder andere Entscheidungsträger würde jetzt versuchen, sich zu drücken.

Im Laufe des Tages würde der Pressesprecher der DRRS sich Anfragen von allen möglichen Zeitungen und Radio- und Fernsehstationen ausgesetzt sehen. Sämtliche Anfragen würden in Grafs Büro weitergeleitet werden.

Rupert Graf machte sich noch einen Espresso.

Dann setzte er sich wieder an seinen PC und formulierte eine Presseerklärung.

Polemisieren konnte er auch!

Lima, Montag, 3. November

Roxana Torreblanca sah sich erschrocken um, als sie Schritte hinter sich hörte.

Als sie Enrique Pato erkannte, konnte sie nicht sprechen vor Aufregung.

Erst jetzt, als die Erleichterung einsetzte, den Angriff Garcias überstandenen zu haben, fing sie an, hemmungslos zu schluchzen.

Enrique Pato nahm sie tröstend in den Arm.

Sie bebte am ganzen Körper.

„Was ist los?“ fragte er.

Roxana bekam kaum Luft.

„Garcia!“ stieß sie keuchend hervor. Sie erkannte ihre eigene Stimme nicht wieder. „Er hat versucht, mich umzubringen!“

Enrique Pato führte sie zu seinem Wagen. Während der paar Schritte musste er sie stützen. Sie schnappte immer noch nach Luft. Er schloss die Beifahrertür auf und ließ Roxana Platz nehmen. Dann setzte er sich auf den Fahrersitz.

Das Beben Roxanas schien ganze Auto zittern zu lassen.

Roxana hing auf ihrem Sitz, mit verschmiertem Lidstrich, die Haare zerzaust, den Kopf zurück gelehnt, und atmete röchelnd.

Enrique Pato erkannte trotz des schwachen Lichtes die Würgemale an ihrem Hals.

Er legte seine rechte Hand auf ihren Arm und erschrak angesichts der Schnelligkeit ihres Pulses.

„Was ist geschehen?“

Roxana schüttelte nur den Kopf. Sie japste immer noch nach Luft.

Erst nach einer geraumen Weile hatte sich ihr Atem soweit beruhigt, dass sie stoßweise sprechen konnte.

„Garcia hat mich überfallen. Es klingelte an der Tür. Ich dachte, Sie wären es, um mich abzuholen. Als ich aufmachte, hat er die Tür aufgestoßen und war drin. Dann hat er versucht, mich zu erwürgen.“

Ihr Körper wurde geschüttelt, als sie erneut anfing zu schluchzen.

„Es ist mir gelungen, ihm einen Tritt zwischen die Beine zu verpassen. Erst da hat er mich losgelassen, und ich bin weggerannt?“

„Wo ist er jetzt?“ fragte Pato.

„Noch im Haus! Ich habe ihn eingeschlossen!“

„Ist er verletzt?“

„Ich hoffe!“ stieß sie hervor. Dann bekam sie wieder einen Weinkrampf.

Enrique Pato überlegte, was er jetzt tun konnte. Er war illusionslos.

Wenn er die Polizei riefe, würde frühestens in einer Stunde lustlos jemand vorbeikommen und nachfragen, was passiert sei. Das könnte er höchstens beschleunigen, indem er zu einer Polizeiwache führe und anböte, einen Polizisten zum Tatort mitzunehmen. Aber Garcia würde sich als Leiter der PIP ausweisen und eine völlig entgegengesetzte Darstellung der Abläufe geben. Das würde mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit dazu führen, dass Roxana in neue Schwierigkeiten geriete.

Er erwog, selbst in Roxanas Haus zu gehen und Garcia zur Rede zu stellen. Und dann? Er würde Garcia nicht festnehmen können. Garcia würde davon spazieren, ohne mit der Wimper zu zucken.

Das Schluchzen Roxanas neben ihm war in ein leises Wimmern übergegangen.

Er nahm zu sein Mobiltelefon und rief das Polizeirevier an, in dem Sergeant Pablo de la Silva arbeitete.

De la Silva war um diese Zeit längst nicht mehr im Dienst. Immerhin erreichte Pato, dass ihm die Privatnummer gegeben wurde.

Es meldete sich die Frau de la Silvas. Ihr Mann war ausgegangen. Wohin? Sie war sich nicht sicher und nannte Pato die Namen von drei Lokalen, in denen ihr Mann sein könnte. Nein, die Nummern kannte sie nicht.

Enrique Pato ließ sich mit der PIP verbinden, wo er nach einigem Drängen jemanden fand, der ihm die Telefonnummern der Restaurants gab.

Pato musste ziemlich energisch werden, als er die Nummern anrief und die abhebenden Kellner sich unwillig gaben, nach einem Gast dieses Namens zu fragen.

Wie zu erwarten, bekam er de la Silva erst unter der letzten der drei Nummern an den Apparat.

Roxana war überrascht, als Pato, nachdem er sich gemeldet hatte, sagte:

„Es gibt eine Möglichkeit, die Belohnung des Golfclubs zu kassieren.“

Dann schilderte Pato in kurzen Worten, was vorgefallen war, und bat um de la Silvas Hilfe.

De la Silva versprach, zu kommen und dafür zu sorgen, dass ebenfalls ein Polizeiwagen käme.

Enrique Pato ging davon aus, dass Carlos Garcia sich von dem Tritt in sein Gemächt inzwischen wieder erholt haben müsste, und er rechnete damit, dass Garcia jeden Moment einen Versuch machen könnte, aus dem Haus herauszukommen. Insofern war Eile geboten. Andererseits waren die Fenster zur Straße hin vergittert, und die Tür war verschlossen.

Roxana neben ihm zuckte zusammen, als sie sah, dass im Obergeschoss ihres Hauses ein Licht anging.

Garcia war also tatsächlich wieder auf den Beinen!

„Gibt es einen zweiten Hausschlüssel?“ fragte Pato.

„Nicht im Haus!“ sagte Roxana.

Ein weiteres Licht ging an. Offenbar durchsuchte Garcia die Zimmer.

Stumm saßen sie nebeneinander und warteten.

Es dauerte eine halbe Stunde, bis hinter ihnen ein Wagen hielt.

De la Silva kam zu Patos Auto, schaute hinein, und als er Pato erkannte, setzte er sich auf den Rücksitz.

„Haben Sie Garcia außer dem Tritt noch andere Verletzungen zugefügt?“

Zunächst verstand Roxana nicht, was de la Silva wollte.

„Haben Sie sich gewehrt? Haben Sie ihn gekratzt?“

„Ich habe versucht, mich zu wehren und ihn gekratzt.“

„Darf ich mal Ihre Hände sehen?“

Roxana wandte sich zu ihm um und hielt ihre Hände hin.

„Außerdem habe ich ihm die Hand in der Küchentür eingeklemmt,“ sagte Roxana plötzlich mit einer gewissen Zufriedenheit.

De la Silva bat Pato, die Innenbeleuchtung anzuknipsen und betrachtete Roxanas Fingernägel. Dann beguckte er aus nächster Nähe ihren Hals. Die Würgemale waren deutlich zu erkennen.

„Haben Sie ihn übel zugerichtet?“ fragte er.

„Ich hoffe!“ sagte Roxana.

Ein weiteres Auto bog in die Straße ein und kam langsam herangefahren. Im Licht der Laternen sahen sie das Blau-Weiß eines Polizeiwagens. Einer der Frontscheinwerfer war kaputt, und sämtliche Radkappen fehlten.

De la Silva stieg aus und sprach mit den Beamten.

Dann kam er zu Patos Wagen zurück und bat Roxana, mit einem der Polizisten zum Krankenhaus an der Avenida de la Marina zu fahren. Dort würde ein Polizeiarzt die Würgemale an ihrem Hals attestieren sowie Proben von dem unter ihren Fingernägeln getrockneten Blut nehmen. Danach würde sie zu einem Polizeirevier gebracht, wo ihre Aussage zu Protokoll genommen würde.

Enrique Pato gab ihr etwas Geld, damit sie die für die amtlichen Protokolle notwendigen Formulare bezahlen konnte. Keine Polizeistation im Lande nahm ein Protokoll auf, wenn der Antragsteller nicht das mit einer Stempelprägung versehene Papier mitbrachte, mit dessen Kauf gleichzeitig die zu entrichtenden Gebühren abgegolten waren.

Da Roxana ohne Ausweispapiere aus dem Haus geflohen war, schrieb de la Silva auf die Rückseite einer seiner Visitenkarten ihren Namen und ihre Anschrift und versprach, nachher Roxanas Handtasche mit zum Revier zu bringen.

Er bat Roxana um den Schlüssel zur Haustür.

Auf wackeligen Beinen ging Roxana zum Polizeiwagen und setzte sich nach hinten.

Als der Wagen anfuhr, sah Enrique Pato ihr hilfloses Gesicht im Rückfenster.

De la Silva nahm Enrique Pato beiseite und besprach mit ihm das weitere Vorgehen.

Dann ging er gemeinsam mit dem uniformierten Polizisten zu Roxanas Haus.

Enrique Pato setzte sich in seinen Wagen, von wo aus er beobachtete, wie de la Silva die Haustür aufschloss.

DAS GESCHÄFT - TEIL 2

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