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Kapitel 3

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Erfahrungen

Als General Carlos Garcia wieder zu sich kam, war ihm übel vor Schmerzen. Zwar tat ihm sein Unterleib nicht mehr so weh, wenn er sich vorsichtig bewegte, dafür strahlte der Schmerz aus seiner blutigen und zu ansehnlicher Dicke geschwollenen Hand über den Unterarm bis hinauf in die Schulter.

Er versuchte zunächst, sich die pochende Hand unter dem Wasserkran in Roxanas Küche zu kühlen. Das Wasser war jedoch lauwarm, weil der Wassertank auf dem Dach den ganzen Tag über der Sonne ausgesetzt gewesen war.

Aus dem Eisfach des Kühlschrankes holte er sich ein paar Eiswürfel. Das war nicht leicht, weil er seine linke Hand nicht zu Hilfe nehmen konnte. Er fand ein Küchenhandtuch, in das er die Eiswürfel einwickelte, nachdem er sie endlich aus der Gefrierplatte herausgelöst hatte, und legte es auf die geschwollenen Finger.

Nennenswerte Erleichterung brachte das nicht.

Mit langsamen Schritten, von denen jeder die Schmerzen in der Leistengegend wieder lebhaft werden ließ, schleppte er sich zur Haustür.

Die Tür ließ sich nicht öffnen.

Roxana, dieses Miststück, hatte ihn eingeschlossen!

Durch das Guckfenster in der Tür konnte er nicht viel sehen.

Er ging zurück in den Wohnraum, von wo aus er auf die Straße blicken konnte.

Draußen war es dunkel und still.

Das Fenster war vergittert, hier kam er nicht heraus.

Er wusste, hinten in der Küche war eine Tür, die in einen winzigen Patio führte, aber der war ringsum von einer mehr als zwei Meter hohen Mauer umgeben.

Erschöpft ließ er sich auf das Sofa fallen.

Selbst das Sitzen tat ihm weh.

Er verfluchte Roxana, und lediglich die Vorstellung, wie er ihr den Tritt und seine gebrochenen Finger heimzahlen würde, hielt ihn wach.

Nach einer Weile erhob er sich mühsam und ging zurück in die Küche, wo er im Kühlschrank mehrere Dosen Bier gesehen hatte. Auch jetzt dauerte es, bis er unter kaum erträglichen Schmerzen eine Dose hatte festhalten und den Verschluss aufziehen können. Gierig trank er die kalte Flüssigkeit.

Da er wusste, dass sich in Roxanas Badezimmer ein Spiegelschränkchen mit einer Art Hausapotheke befand, hoffte er, dort Aspirin zu finden, wobei er nicht sicher war, ob Aspirin auch gegen die Schmerzen in der Hand helfen würde.

Mit vorsichtigen Schritten ging er zur Treppe. Hier wartete die nächste Schwierigkeit. Das Treppengeländer war auf der linken Seite, so dass er sich mit der verletzten Hand nicht abstützen konnte. Als er den Fuß hob, um auf die erste Stufe zu treten, durchzuckte ihn wiederum ein unerträglicher Schmerz im Unterleib.

Er setzte sich auf die zweit unterste Stufe und hob sein Hinterteil auf die dritte Stufe. Auch diese Bewegung war schmerzhaft, aber nicht so schlimm wie der Versuch, die Treppe heraufzusteigen.

Mit aller Vorsicht robbte er rückwärts im Sitzen nach oben. Das dauerte mehrere Minuten.

Das Aufstehen, als er das Obergeschoss erreicht hatte, tat enorm weh. Versehentlich hatte er noch versucht, sich beim Aufstehen mit der linken Hand abzustützen.

Garcia warf einen wehmütigen Blick in Roxanas leeres Schlafzimmer. Automatisch hatte er den Lichtschalter betätigt.

Er ging ins Badezimmer, knipste Licht an und bekam einen Heidenschreck.

Das Gesicht, das ihm aus dem Spiegel über dem Waschbecken entgegensah, war von blutigen Kratzern überzogen, und Blut war über sein Gesicht und den Hals in seinen Hemdkragen gelaufen. Sein Jackett war am Kragen blutverschmiert. Er hätte sich beinahe selbst nicht erkannt.

Sofort tat ihm auch sein Gesicht weh!

Laut vor sich hin fluchend durchsuchte er das Spiegelschränkchen. Alles, was ihm in die Quere kam, ließ er ins Waschbecken fallen.

Schließlich fand er die Schachtel mit dem Aspirin.

Er schluckte drei Stück, wobei er Wasser aus dem Wasserhahn benutze und würgen musste, weil das Wasser lauwarm war.

Dann nahm er ein Handtuch, feuchtete es unter dem fließenden Wasser an und begann, vorsichtig sein Gesicht abzutupfen. Mit Befriedigung sah er zu, wie Roxanas Kosmetikartikel, die er ins Waschbecken geworfen hatte, nass wurden und wie das Wasser sich mit seinem Blut vermischte.

Plötzlich bemerkte er im Spiegel eine Bewegung hinter sich. Über dem fließenden Wasser hatte er nicht gehört, dass die Haustür aufgeschlossen worden war.

Er drehte sich um und sah einen grimmig wirkenden Mann und hinter ihm einen Polizisten in Uniform.

Der Mann sagte:

„Ich verhafte Sie wegen Mordversuchs an der Besitzerin dieses Hauses. “

Düsseldorf, 4. November

Rupert Graf war nach einer halben Stunde mit der Formulierung seiner Presseerklärung fertig.

Zunächst war er versucht, eine ausführliche Stellungnahme zu schreiben, aber je mehr Informationen er gäbe, desto mehr Fragen kommen würden.

Deshalb hatte er die ersten Entwürfe wieder gelöscht.

Die Erklärung lautete jetzt lediglich:

„Kooperationsabkommen zwischen Peruanischer Regierung und Deutscher Rhein-Ruhr-Stahl AG unterzeichnet

Die Deutsche Rhein-Ruhr-Stahl AG in Oberhausen gibt bekannt, dass am 2. Oktober dieses Jahres in Lima ein Abkommen mit der Regierung Perus abgeschlossen wurde, unter dem die DRRS mit der dringend notwendigen Modernisierung der Erzindustrie des Landes betraut wurde. Unter diesem Abkommen werden Perus wichtigste Erzminen mit neuen und effizienten Förderanlagen ausgerüstet sowie der Hafen Ocona mit modernen Verladeanlagen versehen. Die neuen Anlagen zielen auf eine Steigerung der jährlichen Fördermengen Perus um rund dreißig Prozent.

Durch das Modernisierungsvorhaben wird dem lateinamerikanischen Land, dessen Deviseneinnahmen fast ausschließlich aus Erzexporten resultieren, die Möglichkeit gegeben, wichtige Infrastrukturmaßnahmen zu Belebung anderer Wirtschaftsbereiche in Angriff zu nehmen.

Die aus den Minen zusätzlich gewonnenen Erzmengen werden von den DRRS zum überwiegenden Teil direkt abgenommen und bei der Stahlproduktion in Dortmund eingesetzt.

Der Auftragswert dieses Geschäftes liegt bei rund dreihundert Millionen US-Dollar.

Der Auftrag konnte nur deshalb für die deutsche Industrie gesichert werden, weil die Bundesregierung sich bereit erklärt hat, gemeinsam mit der Regierung der USA Hilfestellung bei der Bekämpfung der Raubfischerei und des Drogenschmuggels vor der mehr als zweitausend Kilometer langen Küste des Andenstaates zu leisten.

Hierzu plant die Peruanische Regierung die Anschaffung von vier leichten Schiffseinheiten, mit denen Patrouillenfahrten in den peruanischen Gewässern verstärkt werden sollen. Ein wesentlicher Teil der ausnahmslos defensiven Bewaffnung wird Peru unter US-amerikanischen Hilfsprogrammen kostenlos zur Verfügung gestellt.

Die Schiffe sollen bei den Werften der DRRS in Bremen gebaut werden. Um den Erhalt des Schiffbau-Auftrages hatten sich auch Anbieter aus Frankreich, Italien und Großbritannien bemüht.

Das unterzeichnete Abkommen wird in Kraft treten, sobald die Bundesregierung dem Antrag der DRRS auf Deckung des notwendigen Finanzierungsanteils durch die deutsche Exportkreditversicherung Hermes zugestimmt hat.

Das Abkommen mit Peru trägt zur Auslastung der Exportkapazitäten verschiedener Produktionsbereiche des rheinischen Konzerns bei und sichert insbesondere die Arbeitsplätze bei der von den DRRS übernommenen ehemaligen VEB Kraftkran, dem früher renommiertesten Hersteller von Förderanlagen der damaligen DDR, dem zuletzt mangels Arbeitsauslastung die Schließung drohte.“

Graf las den Text nochmal durch. Die Presseabteilung der DRRS würde noch ein paar Änderungen einbauen, allein schon, um ihre Daseinsberechtigung zu unterstreichen, aber im großen und ganzen war er mit dem Wortlaut zufrieden.

Angesichts der Tatsache, dass es immer noch früher Morgen war, stieg er wieder ins Bett und versuchte, zurück in den Schlaf zu finden.

Lima, Montag, 3. November

General Carlos Garcia hatte vor Schmerzen Tränen in den Augen, als er roh die Treppe heruntergestossen wurde.

Noch im Badezimmer war er abgetastet worden. Er hatte sein Jackett ausziehen müssen, das der in Zivil im Flur untersuchte, während der Uniformierte ihn bewachte. Jedes mal, wenn Garcia versucht hatte, etwas zu sagen, hatte der Uniformierte ihn angeherrscht und gesagt: „Maul halten!“

Der Polizeibeamte in Zivil führte Garcia zunächst in den Wohnraum, wo er den Lichtschalter betätigte. Garcia durfte sich auf das Sofa setzen. Der Uniformierte blieb neben Garcia stehen. Der andere besah sich die Unordnung im Zimmer, die eingeschlagene Glasscheibe des Schrankes und die Scherben am Boden. Er besah auch den blutverschmierten Rahmen der Küchentür.

Während er noch durch das Zimmer ging, hielt Garcia den Zeitpunkt für gekommen, zu sagen:

„Ich denke, Sie können jetzt aufhören, den Detektiv zu spielen. Ich bin General Carlos Garcia, Leiter der Policia de Inteligencia, und ich verlange, sofort zu einem Arzt gebracht zu werden.“

Der Uniformierte nahm Haltung an.

Der in Zivil sah ihn an und sagte:

„Und ich bin Inti, der wiedererstandene Sonnengott der Inka!“ Zu dem Uniformierten sagte er: „Pass auf den Kerl auf, der ist nicht richtig im Kopf!“

Garcia sagte mit nun schon schärferer Stimme:

„Ich sage Ihnen noch einmal, ich bin der Leiter der PIP!“ Dabei versuchte er, vom Sofa aufzustehen. Der Uniformierte stieß ihn zurück.

Der andere kam auf ihn zu und griff in die Innentaschen von Garcias Jackett. Er fand die Brieftasche und klappte sie auf. Dann hielt er die Brieftasche vor Garcias Nase und fragte:

„Können Sie sich ausweisen?“

„Meine Ausweise sind in der Brieftasche! Auch mein Ausweis der PIP.“

Der Polizeibeamte warf ihm die Brieftasche hin. Garcia durchfuhr ein heftiger Schmerz, als er versuchte, die Brieftasche mit beiden Händen aufzufangen.

„Zeigen Sie mir Ihre Ausweise, Señor !“

Garcia suchte, fand aber lediglich sein Bargeld, jedoch keinen Ausweis. Sämtliche Ausweise waren weg! Dabei war er sicher, seine Dokumente nicht herausgenommen zu haben.

„So, Herr General PIP oder was immer Sie sein wollen, jetzt fahren wir zur Wache und nehmen Ihre Aussage auf!“

„Sie können das Geld behalten, wenn Sie mich zu einem Arzt bringen!“ sagte Garcia.

Der in Zivil sah ihn aus funkelnden Augen an. Den Blick fest auf Garcia gerichtet, sagte er zu dem Uniformierten:

„Das war ein Bestechungsversuch. Merk dir das, denn du wirst nachher das Protokoll mit unterschreiben!“ Und zu Garcia:

„Neben Einbruch, versuchter Vergewaltigung, Mordversuch und Amtsanmaßung wird noch der Versuch der Beamtenbestechung hinzukommen. Mann, Sie sitzen schön in der Scheiße!“

Garcia versuchte es doch noch mal:

„Die junge Dame, die hier wohnt, kann mich identifizieren. Sie ist eine Freundin.“

Der Polizist lachte laut auf.

„Wenn Sie als Freunde einander so zurichten, dann möchte ich nicht erleben, wie Ihr Umgang mit weniger guten Bekannten ist!“ Dann sah er ihn böse an und sagte:

„Die junge Dame, die hier wohnt, wird gerade in einem Krankenhaus behandelt. Seien Sie froh, wenn sie Ihren Überfall überlebt!“

Der Uniformierte zog Garcia am Arm vom Sofa hoch und legte ihm eine Handfessel an. Dann zerrte er ihn durch den Flur zur Haustür und auf die Straße.

Garcia wurde zu einem Zivilfahrzeug geführt und in den Fond gestoßen. Der Uniformierte setzte sich neben ihn.

Garcia machte noch einen Versuch.

„Da drüben steht mein Wagen. Sie können die Nummer überprüfen und feststellen, dass er auf die PIP zugelassen ist.“

„Wie denn? Haben Sie ein Telefon bei sich?“ fragte der in Zivil fröhlich. „Ich nicht! Halten Sie die Schnauze!“

Und dann zu dem Uniformierten:

„Du willst sicher auch mal Sergeant werden, nicht wahr? Merk dir, was für Tricks solche Menschen versuchen. Chef der PIP!“ Er lachte laut, als er den Motor anließ. Als sie um die Ecke bogen, lachte er immer noch. Garcia sah, dass auch der Uniformierte ein fröhliches Gesicht aufgesetzt hatte.

Garcia wollte noch nicht aufgeben:

„Die Schlüssel für meinen Wagen sind in meiner Hosentasche. Vielleicht sind meine Papiere im Auto.“

Der Uniformierte schlug ihm mit dem Handrücken ins Gesicht.

„Halts Maul! Du hast gehört, was der Sergeant gesagt hat!“

General PIP Carlos Garcia hoffte, dass dieser Albtraum schnell vorüber gehen möge.

Dabei hatte der Albtraum noch gar nicht richtig angefangen.

Enrique Pato sah von seinem Auto aus zu, wie Garcia zu de la Silvas Fahrzeug geführt wurde. Er sah auch, wie de la Silva zu ihm herüberschaute, nickte und etwas fallen ließ.

Sobald de la Silvas Wagen um die Ecke gebogen war, stieg Pato aus.

Er hob die Ausweise auf und sah sie sich an: Die in Plastik eingeschweißte Steuerkarte mit Foto, die jeder Peruaner als Personalausweis benutzt, den Führerschein, Wagenpapiere und den brandneuen Ausweis der PIP mit einem Bild Garcias in Generalsuniform.

Enrique Pato ging zu Garcias Wagen. Mit dem Schlüssel für sein eigenes Auto fuhr er in den Rahmen des rechten hinteren Seitenfensters und drückte, den Schlüssel als Hebel nutzend, die Scheibe ein wenig nach unten. Der Schlitz, der entstand, reichte aus, um Garcias Ausweise hindurch zu schieben und ins Auto fallen zu lassen.

Dann ging er zu Roxanas Haustür und nahm den Schlüssel aus dem Schloss.

Mit leichten Schritten ging er zu seinem eigenen Fahrzeug zurück.

Es hatte geklappt! Sie hatten Garcia am Haken!

General PIP Carlos Garcia war trotz der Schmerzen in seiner geschwollenen linken Hand in der Lage, sich zu wundern.

Wie er feststellte, wurde er nicht ins nächstliegende Polizeirevier gebracht. Die Fahrt durch die nächtlichen Straßen ging zunächst Richtung Innenstadt und dann in den Stadtteil Jesus Maria. Erst dort hielt der Wagen im Hof einer Polizeiwache.

Durch einen Hintereingang wurde Garcia in das Gebäude geführt.

Dort ging es zu wie in einem Bienenkorb.

Rund fünfzig Menschen beiderlei Geschlechts und aller Altersgruppen befanden sich in dem, was man höflich als Empfangsraum beschreiben könnte. Hinter einer den Raum durchtrennenden Theke saß eine Handvoll uniformierter Polizisten, die Protokolle in altmodische Schreibmaschinen tippten. Gegenüber jedem Polizisten saßen die Personen, deren Daten oder Belange aufgenommen wurden.

Auf der Seite der Theke, auf der sich die Delinquenten befanden, aber auch die, die eine Anzeige erstatten wollten, war der Teufel los. Alle redeten mit lauten Stimmen aufeinander oder auf die sie bewachenden Polizisten ein. Viele Gestalten sahen erbärmlich aus, manche waren barfuß, manche betrunken, andere blutig, und der über dem Raum liegende Gestank ließ Garcia würgen.

Zunächst wurden Garcias Fingerabdrücke genommen. Das dauerte, und vor allem tat es höllisch weh, als der zuständige Beamte Garcias Finger der linken Hand erst fest einzeln auf das Stempelkissen und dann genauso fest auf das Formular presste. Garcia jaulte auf vor Schmerz.

Dann wurde er durch einen Gang geführt und in eine vergitterte Zelle geschoben.

In diesem Käfig waren bereits acht Personen, die mangels Sitzgelegenheiten auf dem Boden hockten. Keinem von diesen Männern wäre Garcia gerne in einer dunklen Seitenstraße begegnet.

Neugierig wurde er in seiner vergleichsweise eleganten Kleidung betrachtet.

An das Blut in seinem Gesicht dachte Garcia nicht mehr.

Auch in den Käfigen nebenan erregte er Aufmerksamkeit. Er bemerkte, wie getuschelt wurde, und wie die Menschen zu ihm herüber sahen.

Er war der einzige weit und breit, der ein Jackett trug.

Auf der anderen Gangseite, gleich gegenüber seiner Zelle, war eine Zelle voller Frauen.

Es stank nach Urin und Exkrementen.

Garcia sah, dass sich mehrere Personen auf den Betonboden erleichterten, auch in der Zelle der Frauen gegenüber.

Eine von denen schaute ihn provozierend an, bevor sie den Rock hob und sich breitbeinig hinhockend urinierte.

Zwei dunkelhäutige Typen setzten sich direkt neben ihn.

„Hast du Geld?“ fragte der rechts von ihm.

„Was geht dich das an?“ fragte Garcia zurück.

Der links von ihm quetschte Garcias verletzte Hand.

„Sei höflich zu meinem Kumpel!“ sagte er.

„Ich habe kein Geld.“ sagte Garcia.

„Lass mal sehen, was da in deiner Brusttasche steckt,“ sagte der rechts von ihm.

Der auf der linken Seite hielt Garcias Hand fest.

Der rechts griff in Garcias Innentasche des Jacketts und fischte die Brieftasche heraus und besah sich den Inhalt. Mit einer fließenden Bewegung nahm er die Geldscheine heraus und steckte sie ein.

Dann sah er wieder in die Brieftasche, hielt sie mit beiden Händen hoch, und rief:

„Er hat wirklich kein Geld!“

Der andere hatte, als Garcia versuchte, sich zu bewegen, wiederum seine Hand gequetscht.

„Wie spät ist es?“ fragte der von links.

„Keine Ahnung,“ antwortete Garcia.

Der Bursche schob Garcias Ärmel nach oben.

„Wenn du deine Uhr nicht lesen kannst, brauchst du sie auch nicht!

Garcias Armbanduhr hatte ein elastisches Metallband, das sich aber nicht über Garcias geschwollene Hand streifen ließ. Mit einem kurzen Ruck riss der Neger das Armband durch.

Garcia sah sich hilfesuchend um. Die anderen Insassen guckten desinteressiert weg.

Der auf der rechten Seite legte den Arm um Garcia und griff mit der Hand in Garcias Genick.

„Nimm es nicht so schwer, Freundchen. Ein Wort zu den Wächtern, und du kommst hier nicht lebend raus!“

Die zwei zogen sich in eine hintere Ecke der Zelle zurück. Wie Garcia sehen konnte, teilten sie mit zufriedenen Mienen sein Geld unter sich auf.

Kurz darauf kam ein Polizist und schob einen weiteren Mann in die Zelle.

In der Zelle nebenan kam es einige Minuten später zu einem Tumult, dann zu einer regelrechten Schlägerei. Die Frauen auf der anderen Gangseite feuerten die Streithähne durch ermunternde Zurufe an. Es gab wildes Geschrei auch von denen, die mit dem Streit nichts zu tun hatten, sich jedoch über die Abwechslung freuten. Zwei Polizisten kamen und spritzten mit einem Schlauch durch die Gitterstäbe Wasser in die Zelle mit den Raufenden. Garcia, zwei Meter weiter, wurde ebenfalls nass.

Immer wieder wurden weitere Personen hereingebracht, Männer wie Frauen. Nach kurzer Zeit waren in Garcias Zelle siebzehn Personen. Inzwischen saßen sie so dicht gedrängt am Boden, dass sie einander berührten.

Trotz der Hitze und der schlechten Luft gab es nichts zu trinken.

Garcia döste vor sich hin. In seiner Hand pochte es. An den Schmerz hatte er sich mittlerweile gewöhnt. Immerhin ging es ihm besser als denen, die zuletzt gekommen waren. Er hatte noch einen Platz, an dem er sich mit dem Rücken an die Gitterstäbe lehnen konnte.

Zu spät merkte er, dass aus der Nachbarzelle jemand von hinten mit dem Finger in seinen Kragen fuhr und ihm mit einer schnellen Bewegung seine goldene Halskette abriss. Als er sich umdrehte, sah er in ein grinsendes Gesicht. Immerhin hatte der Kerl nur die Kette erwischt. Das Medaillon war unter Garcias Hemd bis auf den Hosenbund gerutscht. Vorsichtig pulte er mit seiner rechten Hand, bis er das Medaillon gefunden hatte, und hielt es fest umklammert.

Enrique Pato hatte im Krankenhaus in der Avenida de la Marina Roxana nach einigem Suchen ausfindig gemacht.

Roxanas Gespräch mit dem Arzt war soeben zu Ende, und als er sie vorfand, schien sie ruhiger und hielt ihm mit verlegenem Lächeln ihre Hände hin, um ihm zu zeigen, dass ihre zuvor langen Fingernägel abgeschnitten worden waren.

Pato, der seinen Ausweis der PIP vorzeigte, hatte kein Problem, ein Gespräch mit dem Arzt zu führen, der sich um Roxana gekümmert hatte.

Pato erhielt eine Kopie des vom Arzt verfassten Attestes, dass die Würgemale an Roxanas Hals bestätigte und ferner besagte, dass Roxana einen schweren Schock erlitten habe.

Sie hatte ein Beruhigungsmittel injiziert bekommen.

Das Original des Attestes war bereits mit dem Polizisten, der Roxana hergebracht hatte, auf dem Weg zu dem von Sergeant de la Silva genannten Polizeirevier in Jesus Maria.

Enrique Pato führte Roxana zu seinem Wagen und fuhr sie nach Hause. Unterwegs erzählte er ihr, dass Garcia festgenommen worden war.

Er sah, wie Roxana zusammenschrak, als sie in ihrer Straße das Auto Garcias stehen sah.

„Keine Sorge,“ sagte er. „Er ist in Gewahrsam.“

Als Roxana die Verwüstung in ihrem Wohnzimmer zum ersten Mal bei richtigem Licht sah, war sie den Tränen nahe. Die Blutspuren an der Küchentür entsetzten sie.

Pato bat sie, das Blut nicht wegzuwischen, weil er nicht ausschließen wollte, dass diese Spuren noch untersucht und sichergestellt werden würden.

Roxana, die gesehen hatte, wie in ihrem Schlafzimmer von Garcia das Licht angeknipst worden war, bat Pato, sie nach oben zu begleiten. Sie schien immer noch nicht zu glauben, dass Garcia wirklich weg war. Auf dem unteren Teil des Treppengeländers war Blut.

Auch oben waren Blutspuren, da, wo Garcia sich an der Wand abgestützt hatte.

Als sie die Trümmer des Inhalts ihres Kosmetikschrankes sah, traten ihr die Tränen in die Augen. Das blutverschmierte Handtuch ekelte sie sichtlich.

„Ich will heute Nacht nicht hierbleiben!“ sagte sie. „Ich kann nicht.“

Enrique Pato, der möglichst schnell zu de la Silvas Revier wollte, beriet sich mit ihr. Sie bat ihn, sie zu Carla zu bringen. Über Handy rief Roxana bei Carla an.

Carla meldete sich erst nach dem zehnten Klingelzeichen, war aber sofort bereit, Roxana aufzunehmen, als sie hörte, was geschehen war.

Nach zwanzig Minuten Fahrt hatte er Roxana bei Carla abgeliefert, und nach einer weiteren halben Stunde war er in der Polizeiwache, in der de la Silva arbeitete.

Erst nach einigem Suchen fand er das Büro de la Silvas. Der Sergeant saß zusammen mit einem Kollegen, den er mit Frederico Pirri vorstellte.

„Es kann losgehen!“ sagte Pato.

Zu dritt gingen sie in das dritte Stockwerk, wo de la Silva mit Pato in einen Raum ging, von dem aus sie durch eine Glasscheibe in den Nebenraum sehen konnten.

In diesem Zimmer nahm Pirri soeben hinter einem Tisch Platz. Wie de la Silva erklärte, war das Fenster auf der anderen Seite verspiegelt. Sie konnten hören, wie Pirri seinen Stuhl zurecht rückte.

Es war inzwischen 11 Uhr abends.

General PIP Carlos Garcia war trotz seiner Schmerzen und trotz der unbequemen Haltung eingenickt.

Er schreckte auf, als er von zwei Polizisten an den Armen gefasst und auf die Beine gezogen wurde.

Benommen wurde er von den beiden durch den Gang geführt, wobei er Rufe aus den Zellen wahrnahm.

Über eine Treppe gingen sie zwei Stockwerke nach oben, wo die beiden ihn in ein Büro schoben.

Der Mann hinter dem Schreibtisch sah auf, als einer der Polizisten sagte:

„Der Mordversuch aus San Isidro.“

Mit einer kurzen Handbewegung forderte der Mann hinter dem Schreibtisch Garcia auf, sich zu setzen.

Die beiden Polizisten blieben hinter Garcia stehen.

„Ich bin Capitan Frederico Pirri,“ sagte der Mann hinter dem Schreibtisch. „Ich habe die traurige Aufgabe, mich mit Ihnen zu beschäftigen.“

Garcia wurde endlich von Zuversicht gepackt.

„Capitan, ich bin General Carlos Garcia Alvarez, Leiter der Policia de Inteligencia, und ich verlange, sofort freigelassen und ärztlich versorgt zu werden!“

Capitan Pirri sah ihn aus traurigen Augen an.

„Können Sie sich ausweisen?“ fragte er.

„Meine Ausweise sind verschwunden. Ich nehme an, sie befinden sich in meinem Wagen in San Isidro.“

„Sie sehen nicht aus wie die Halunken, die wir unten in den Zellen haben, Taschendiebe, Zuhälter, Drogendealer, Lustmörder. Deshalb gebe ich Ihnen eine Chance. Ihre Telefonnummer?“

Garcia sagte ihm die Nummer.

Pirri griff zum Telefon auf seinem Tisch und wählte.

Er hielt Garcia den Hörer hin, damit der das Rufzeichen hören konnte. Nach fünfzehn Sekunden legte er auf.

„Ich weiß nicht viel über General Garcia,“ sagte er. „Aber nach Allem, was ich weiß, ist er verheiratet und hat vier Kinder. Komisch, dass niemand abnimmt, nicht wahr?“

„Meine Familie ist nicht zuhause. Sie ist verreist.“

Pirri sagte:

„Wohl in Ferien, was? Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass wir zur Zeit keine Schulferien haben. Ich könnte mir ferner vorstellen, dass General Garcia ein Dienstmädchen hat, das in Abwesenheit seiner Familie ans Telefon ginge.“ Plötzlich brüllte er:

„Was ich mir nicht vorstellen kann, ist, dass der Leiter der PIP in das Haus einer jungen Frau eindringt und versucht, sie zu vergewaltigen und, als sie sich zur Wehr setzt, sie umzubringen! Hören Sie gefälligst auf mit dieser Scheiße!“

„Meine Familie ist ausgezogen. Das Dienstmädchen auch,“ sagte Garcia kleinlaut.

„Wie praktisch!“ rief Pirri.

„Aber Sie müssen mich doch erkennen!“ sagte Garcia hilflos. „In den vergangenen Wochen waren oft genug Fotos von mir in den Zeitungen.“

„Ich erkenne lediglich, dass Sie aussehen wie ein Indianer in voller Kriegsbemalung,“ sagte Pirri trocken. „Hören sie auf mit diesem Quatsch! Sie haben eine junge Frau überfallen und beinahe zu Tode gewürgt.“

„Roxana war über viele Jahre meine Freundin. Ich wollte sie zurückgewinnen.“

Pirri brach in wieherndes Gelächter aus.

„Um sie zurückzugewinnen drehen Sie ihr den Hals um?! Hören Sie mal, ich weiß ja nicht, was Sie von Frauen verstehen, aber ich fürchte, mit Ihrer Methode dürfte Ihr Erfolg bei Frauen sehr begrenzt sein!“

„Ich will einen Anwalt,“ sagte Garcia. „Und einen Arzt.“

„Ich will erst mal wissen, wer Sie sind!“ sagte Pirri.

„Ich bin General PIP Carlos Garcia Alvarez, geboren am 27. Mai 1962 in Lima, Eltern Adalberto Garcia Tomas und Maria Alvarez Tonno. Prüfen Sie das nach!“

Capitan Pirri sah ihn lange an. Dann sagte er ganz ruhig:

„Ich habe etwas anderes nachgeprüft, während Sie unten in der Zelle saßen, Señor . Ihre Fingerabdrücke. Seltsamerweise sind Ihre Fingerabdrücke, die Fingerabdrücke des Leiters der PIP, wie Sie behaupten, identisch mit denen, die wir in einem Mordfall gefunden haben. Auch da ist jemand erwürgt worden. Bestimmt auch jemand, dessen Sympathie Sie gewinnen wollten.“

Pirri lachte sarkastisch.

Dann sagte er zu den beiden Polizisten:

„Führt ihn ab! Einzelzelle. Ohne Gürtel, ohne Schnürsenkel!“

Die Polizisten nahmen Garcia an den Armen und zogen ihn hoch. Als sie aus der Tür des Vernehmungsraumes traten, flammten Blitzlichter auf.

General Carlos Garcia war nicht in der Lage, seinen Arm schützend vor sein Gesicht zu legen, weil die Polizisten ihn festhielten.

Fassungslos starrte er in die Kameras, die ihn fotografierten.

Oberhausen, Dienstag, 4. November

Wie von Rupert Graf erwartet, stand sein Telefon während des Vormittags nicht still.

Neben einer Anzahl von Anrufen aus verschiedenen Unternehmensbereichen überwogen die Telefonate zahlreicher Presseorgane, die um Einzelheiten zu dem geplanten Geschäft baten.

Jeder dieser Anrufer wurde um Angabe einer Faxnummer oder e-Mailanschrift gebeten und erhielt die vorbereitete Presseerklärung.

Das Geschäft würde am morgigen Tag in etlichen deutschen Zeitungen behandelt!

Einerseits war das nicht schlecht, weil dies den Druck auf die Bundesregierung erhöhen würde, zu einer schnellen Entscheidung zu kommen.

Die Frage war nur, ob die Entscheidung zugunsten des Geschäftes ausfallen würde.

Es blieb abzuwarten, ob die Lieferung der Kriegsschiffe oder die Modernisierung der Erzminen in den Vordergrund gestellt würde.

Als Graf vom Mittagessen zurückkam, zeigte ihm seine Sekretärin eine Reihe von Telefaxen, die soeben aus Lima hereingekommen waren.

Ludwig Kinzels Sekretärin hatte aus verschiedenen Morgenzeitungen die Artikel kopiert, vergrößert, damit sie trotz der Faxübersendung leserlich waren, und selbst die dazugehörigen Fotos mitgeschickt, die allerdings ziemlich geschwärzt ankamen.

Sämtliche Bilder, soweit darauf etwas erkennbar war, zeigten einen Mann mit wenigem wirrem Haar und blutigen Kratzern im Gesicht, umrahmt von zwei Polizisten in Uniform.

Die Überschriften zu den Artikeln lauteten:

Golf-Club Mörder gefasst?

Oder:

Weiterer Mord in letzter Minute verhindert?

Sämtliche Überschriften waren immerhin mit Fragezeichen versehen.

Rupert Graf fragte sich, was in Ludwig Kinzel gefahren sein mochte, ihm Artikel aus der Boulevardpresse zu schicken.

Erst als er sich an die Lektüre machte, ging ihm auf, dass die Polizei glaubte, bei den Ermittlungen wegen des Überfalls und des Versuchs der Vergewaltigung zufällig ein „Individuum“ festgenommen zu haben, für dessen Verwicklung in den Mord an dem Chauffeur eines deutschen Geschäftsmannes eine Reihe von Indizien sprach. Das namentlich nicht genannte „Individuum“ war nach dem Überfall auf eine ebenfalls nicht genannte Frau festgenommen und nach Überprüfung seiner Fingerabdrücke in Zusammenhang mit dem seit anderthalb Jahren ungeklärten Mordfall gebracht worden.

Alle Zeitungsartikel berichteten über den mysteriösen Mord auf dem Parkplatz des luxuriösen Golfplatzes.

Alle Artikel erwähnten, dass die beim jetzigen Überfall betroffene junge Frau verletzt worden war.

Rupert Graf fragte sich immer noch, was das sollte.

Gut, sollte der Mörder von Kinzels Fahrer gefunden worden sein, hätte eine zweizeilige Mitteilung Kinzels genügt.

Auch Graf war betroffen gewesen, als er damals von der Ermordung Oscars erfahren hatte.

Aber das konnte nicht der Grund sein, dass Ludwig Kinzel ihm diese ganzen Zeitungsartikel zufaxte.

Er warf einen näheren Blick auf das Bild des Mannes, der da zwischen den beiden Polizisten abgelichtet war. Das Gesicht kam ihm bekannt vor.

Das war Roxanas früherer Vorgesetzter Garcia!

Garcia war, wie Graf wusste, von Nasini zu seinem Nachfolger bei der PIP eingesetzt worden.

Es fiel Rupert Graf schwer, zu glauben, dass es einem Mann wie Garcia, was immer er angestellt haben würde, in seiner Position nicht gelungen sein sollte, einer Festnahme zu entgehen.

Graf war realistisch genug, um zu wissen, wie so etwas lief.

Selbst wenn Garcia als Polizeigeneral mit bluttriefenden Händen und seinem Mordopfer auf den Knien erwischt würde, müsste er lediglich seinen Polizeiausweis zücken, um unbehelligt zu bleiben. Eher als ihn festzunehmen würde man ihm noch eine Schüssel mit warmem Wasser bringen, damit er sich die Hände waschen könnte.

War Garcia bei Nasini in Ungnade gefallen?

Was auch immer passiert sein mochte, dem Geschäft war es keinesfalls zuträglich.

In den kommenden Tagen würde trotz der von ihm so sorgfältig formulierten Presseerklärung in den deutschen Medien eine öffentliche Diskussion losgehen, ob die Bundesregierung einem ohnehin schon bitterarmen Land, das kaum seine jetzt schon aufgehäuften Schulden bezahlen konnte, frisches Geld ausgerechnet für den Kauf von Waffen zur Verfügung stellen sollte.

Wenn nun auch noch bekannt würde, dass man den Chef der Geheimpolizei dieses Landes eines Mordes verdächtigte, wäre das ein gefundenes Fressen für die deutschen Zeitungen. Wenn zudem bekannt wurde, dass das Mordopfer ein Angestellter des Unternehmens war, das diese Waffen zu liefern gedachte, würde es für Spekulationen kaum noch Grenzen geben!

Zwar würde ein Großteil der Leser nicht einmal wissen, wo genau Peru überhaupt liegt, aber allein die Tatsache, dass es sich um ein lateinamerikanisches Land handelte und dass allen Südamerikanern von vornherein korruptes Handeln unterstellt werden konnte, würde zu unerbetenen Leserbriefen und überflüssigen Diskussionen auf Parteiveranstaltungen führen.

Rupert Graf mochte nicht einmal ausschließen, dass die Betriebsräte der von den Aufträgen begünstigten Werften wieder einmal eine Resolution verfassen würden, doch endlich den Bau von Kriegsschiffen einzustellen und sich stattdessen auf zivile und der Allgemeinheit besser dienende Produkte zu konzentrieren.

Graf bat seine Sekretärin, Kinzels Mobiltelefon anzuwählen.

Als er Kinzel kurz darauf in der Leitung hatte, fragte Graf:

„Was ist bei euch los?“

„Die offizielle Version,“ antwortete Kinzel. „Ein Mann, dessen Identität nicht festgestellt werden konnte, festgenommen, als er in das Haus einer jungen Frau eingedrungen ist und versucht hat, ihr Gewalt anzutun. Auf der Polizeiwache stellt man fest, seine Fingerabdrücke sind identisch mit denen, die auf meinem Auto gefunden worden sind, als es nach dem Mord an Oscar untersucht worden ist. Es heißt weiterhin, auch Fasern seines Jacketts seien damals sichergestellt worden. Dasselbe Jackett soll er letzte Nacht getragen haben. In den Radionachrichten wird lediglich darüber gerätselt, wer den Reportern einen Tipp gegeben hat, damit diese Geschichte heute früh noch in die Zeitungen kommen konnte. Jetzt die inoffizielle: Die Frau, die er angegriffen hat, war deine Freundin Roxana. Das weiß ich von Carla. Der Kerl, den man festgesetzt hat, ist Carlos Garcia. Garcia hat Roxana in ihrem Haus angefallen. Roxana hat ihm kräftig in die Eier getreten, ist raus auf die Straße und hat ihn eingeschlossen. Auch das weiß ich von Carla.“

Kinzel war hörbar stolz auf sein Wissen.

„Wie geht das jetzt weiter?“ fragte Graf.

„Ich nehme an, dass sich im Laufe des Tages herausstellen wird, wen man festgesetzt hat. Dann wird es eine lauwarme Erklärung über ein furchtbares Missverständnis geben, man wird Garcia laufenlassen und die Polizei wird sich wortreich öffentlich entschuldigen.“

„Du meinst, das ist alles?“ fragte Graf zweifelnd.

„Wie ich das Land hier kenne, ja! Es wird heißen, mitten in der Nacht seien die Fingerabdrücke nicht sorgfältig genug verglichen worden. Bei den hier allgemein herrschenden Zweifeln an den Fähigkeiten unserer Polizei wird das niemanden verwundern. Wenn es so gewollt ist, kommt Garcia da raus, ohne dass überhaupt bekannt wird, dass er es war, der festgenommen wurde.“

„Und die Fotos?“ fragte Graf.

„Reiner Zufall, dass der Festgenommene Herrn General ähnlich sah. Reiner Zufall. Es sei denn, Garcia hat jemandem auf die Füße getreten. Dann ist er weg vom Fenster.“

Kinzel brauchte nicht zu sagen, wen er mit diesem `Jemand` meinte.

Graf sagte:

„Ich lasse dir gleich mal ein paar Zeitungsartikel von hier rüberfaxen. Dann wirst du verstehen, warum wir gerade jetzt keine Negativpropaganda brauchen können.“

„Wieso?“

„Lies es! Kannst du rausfinden, wer hinter der Festnahme von Garcia steckt? Die Polizei war doch sicherlich nicht rein zufällig da!“

„Roxana hat Carla erzählt, dass“ –

„Keine Namen!“ fiel ihm Graf ins Wort.

„ - dass jemand, mit dem du auch schon gesprochen hast, ihr geholfen hat.“

„Gut,“ sagte Graf. „Ruf mich an, sobald es Neues gibt. Ach so, wie geht es Roxana?“

„Würgemale am Hals. Ein Schock. Ruf sie mal an. Das wird ihr guttun.“

Rupert Graf ließ sich noch einmal durch den Kopf gehen, was Kinzel gesagt hatte.

Wenn Nasini seine über Garcia gehaltene Hand entzogen haben sollte, würden die peruanischen Medien noch wochenlang diese Affäre breittreten, und es würde nur Tage dauern, bis das Thema Einzug in die deutschen Zeitungen hielte.

Schöne Scheiße!

Unter normalen Umständen wäre Garcia der Letzte gewesen, über dessen Probleme Rupert Graf sich den Kopf zerbrochen hätte. Plötzlich jedoch waren Garcias Probleme auch die Probleme von Graf!

Er wählte Roxanas Handynummer.

Als sie sich meldete, sagte er in fröhlichem Ton:

„Ich lese gerade eure Zeitungen. Ich hoffe, dir ist nichts passiert!“

Roxana war hörbar bewegt.

In kurzen, immer wieder durch Schluchzen unterbrochenen Sätzen berichtete sie, wie Garcia über sie hergefallen war, als sie gerade das Haus hatte verlassen wollen, und dass sie sich hatte wehren können.

Die Polizei war gekommen. Man hatte sie in ein Krankenhaus gebracht, und wie sie gehört hatte, war Garcia festgenommen worden.

„Hat er dich verletzt?“ fragte Graf.

„Er hat versucht, mich zu erwürgen! Aber ich habe ihm das Knie in den Unterleib gerammt. Da hat er mich losgelassen.“

Graf konnte förmlich sehen, wie sie unter Tränen tapfer lächelte.

„Jemand hat dir geholfen. Bitte nenne am Telefon keine Namen!“

„Ja, ich hatte Hilfe. Ich war verabredet, und demjenigen, mit dem ich verabredet war, ist es gelungen, die Polizei zu rufen. Garcia war noch im Haus, ich hatte ihn eingeschlossen.“ Verbittert fügte sie hinzu: „Ich hoffe, er bleibt für immer hinter Gittern! Und ich hoffe, ich habe Gelegenheit, gegen ihn auszusagen!“

Nachdenklich legte Graf den Hörer auf.

Die Dinge drohten, aus dem Ruder zu laufen.

Lima, 4. 11.

Enrique Pato wurde am späten Vormittag zu Präsident Maximo Nasini gerufen.

Als er das kleine Besprechungszimmer betrat, lief Nasini auf und ab wie ein Tiger im Käfig.

Auf dem Tisch lagen Ausgaben sämtlicher Tageszeitungen.

„Setz dich und erzähl!“ sagte Nasini.

„Der Blödmann ist trotz deines Verbotes wieder zu der Torreblanca gefahren und ist in ihrem Haus über sie hergefallen. Als er versucht hat, ihr den Hals zuzudrücken, hat sie ihm einen Tritt in die Eier versetzt. Sie hat ihn eingeschlossen und die Polizei geholt. Garcia war nicht in der Lage, sich auszuweisen. Da hat man ihn mitgenommen. Nicht wissend, um wen es sich handelt, hat man seine Fingerabdrücke durch den Computer laufen lassen und festgestellt, dass seine Fingerabdrücke identisch sind mit denen, die man vor anderthalb Jahren bei dem Mordfall Oscar Martinez gefunden hatte. Irgendwie ist das an die Presse gedrungen.“

„Und deine Rolle dabei?“ fragte Nasini.

„Was soll ich damit zu tun haben?“ fragte Enrique Pato zurück.

„Wer hat de la Silva unterrichtet?“

„Was hat der damit zu tun?“ fragte Pato. „Soweit ich weiß, hat sich ein Capitan Pirri um den Fall gekümmert.“

„Auf dem Revier, in dem de la Silva arbeitet! Garcia ist in San Isidro festgenommen worden. Allein da gibt es drei Polizeiwachen. Stattdessen wird Garcia durch die halbe Stadt nach Jesus Maria gebracht. Das ist doch kein Zufall!“

Pato zuckte mit den Schultern.

Nasini fuhr fort:

„Ich halte es ebenso wenig für Zufall, dass die halbe Boulevardpresse vor Pirris Büro versammelt war, um Fotos von Garcia zu schießen, und dass für diesen Fall auch noch der Redaktionsschluss verlängert wurde. In Lima wird jede Nacht jemand erschlagen. Der Mord an dem Fahrer von Kinzel wurde seinerzeit nicht mal in der Presse erwähnt. Wer hat diesen Fall jetzt so wichtig gemacht?“

Er sah Pato kalt und forschend an.

Pato sagte:

„Ich könnte mir vorstellen, dass die Behauptung des Festgenommenen, er sei der Chef der PIP, dem Fall hat Prominenz zukommen lassen.“

Nasini war mit dieser Antwort alles andere als zufrieden.

„Was wurde unternommen, um die Identität Garcias festzustellen?“

„Nun, er hatte keinerlei Ausweise bei sich. Wie ich inzwischen weiß, hat er Pirri die Telefonnummer seiner Wohnung genannt. Pirri hat dort angerufen, aber niemand hat abgehoben. Ich kann nicht sagen, ob Garcia vergessen hatte, dass seine Familie ausgezogen ist. Da er nicht im Telefonbuch steht, war er dort natürlich nicht zu finden. Andererseits, angetroffen in einer fremden und verwüsteten Wohnung, aussehend wie ein Schwein, blutig, dazu eine verletzte junge Frau, da glaubt doch niemand, dass das der Chef der PIP sein soll!“

„Hat sich bereits jemand gemeldet, der ihn anhand der Zeitungsbilder identifiziert hat?“

„Nicht, dass ich wüsste.“

„Das wird über kurz oder lang kommen,“ sagte Nasini. „Wahrscheinlich, so beliebt wie Garcia ist, wird die Identifizierung bei den Zeitungen erfolgen. Morgen hat jede Zeitung mindestens drei Zeugen, wenn nicht mehr, die Garcia anhand der Fotos erkannt haben.“

„Du kannst ihn keinesfalls freilassen,“ antwortete Pato.

Nasini sah ihn überrascht an.

„Es käme weder in der peruanischen Öffentlichkeit noch in den internationalen Medien gut an, wenn ein eines Mordes verdächtigter Mann, selbst als Chef der PIP, ohne weiteres freigelassen würde.“

„Was soll ich deiner Meinung nach tun?“ fragte Nasini. „Ich kann unmöglich in der Öffentlichkeit zugeben, eine Fehlentscheidung getroffen zu haben, als ich Garcia zu meinem Nachfolger bei der PIP gemacht habe. Meine Autorität würde in Frage gestellt.“

„Garcia könnte in der Haft Selbstmord begehen,“ sagte Pato.

Nasini sah ihn lange an.

„Das wäre auch keine Lösung. Er würde dann erst recht als personelle Fehlentscheidung betrachtet. Auf was werden sich die Medien konzentrieren?“

Pato guckte überrascht auf.

„Was meinst du?“

„Na, wird man sich auf den Mordvorwurf oder den Überfall auf die Frau stürzen. Das müsste doch steuerbar sein.“

„Ich verstehe dich immer noch nicht.“

Nasini seufzte.

„Den Mordvorwurf könnte man entkräften, indem wir angeben, es habe eine Verwechslung bei den Fingerabdrücken gegeben, oder einen Computerfehler. Dass er das Weib angefallen hat, ist unabweisbar. Zeigen wir das Frauenzimmer der Presse. Wie ich gehört habe, ist sie ganz ansehnlich. Die Presse wird sich darauf stürzen. Wir sagen, er hat die Nerven verloren, war überlastet mit seiner neuen Aufgabe, dazu ist ihm die Familie abgehauen. Stecken wir ihn in eine geschlossene Anstalt. Irgendetwas in der Richtung.“

Enrique Pato dachte nach. Das war nicht, was er gewollt hatte. Er hatte sich die Demontage Garcias gewünscht.

„Wie lange?“ fragte er. „Garcia kann unmöglich nach ein paar Wochen wieder frei herumlaufen und sich gebärden wie eh und je!“

„Ich selbst werde entscheiden, wie lange Garcia aus dem Verkehr gezogen wird.“

Enrique Pato musste daran denken, dass Nasini schließlich Garcia mit der Aufgabe betraut hatte, die erwarteten Schmiergelder weiterzuleiten. Wenn Garcia jetzt ausfiele, müsste Nasini den Geldfluss neu ordnen. Das konnte Nasini nicht passen. Pato beschloss, einen Stein in den Teich zu werfen:

„Ich habe Garcia während meines Besuches in London gesehen.“

Nasini wirkte überrascht.

„Wo?“

„Er spazierte geradewegs zu dem Bankmenschen, mit dem ich deine Geldflüsse abgestimmt hatte. Vielleicht hat Garcia ja auch Konten bei ihm.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen!“

„Was soll er sonst dort gemacht haben? Ich glaube kaum, dass das ein Freundschaftsbesuch war.“ Es gelang Enrique Pato, völlig harmlos dreinzugucken.

„Hat er dich gesehen?“ fragte Nasini.

„Bestimmt nicht! Aber warum sollte Garcia nach London reisen, um den peruanischen Angestellten einer Bank aufzusuchen, wenn es nicht um Geld geht? Bist du sicher, dass Garcia nicht auch aus dem Geschäft etwas abbekommt? Sein Aufenthalt dort ausgerechnet jetzt kann doch kein Zufall sein!“

Pato merkte, dass Nasini mit seiner Antwort zögerte.

„Warum sollte Graf Garcia bezahlen? Das ist Unsinn! Das wüsste ich! Bist du sicher, dass es Garcia war?“

„Onkel Maximo, Garcia verwechsele ich nicht!“

Enrique Pato konnte Präsident Nasini ansehen, dass der gerne dieses Thema verlassen wollte.

Pato sagte:

„Es wäre besser, Garcia für längere Zeit verschwinden zu lassen. Mit seiner eigenmächtigen Aktion in Arequipa hat er so danebengegriffen, dass dort eventuell etwas hochkocht. Er hat versucht, den dort kommandieren General unter Druck zu setzen. Der hat sich an Chavez gewandt. Wer weiß, was alles rauskommt, sollte Chavez den Fall untersuchen. Der Soldat, den der Bruder von der Torreblanca gerettet hatte, der, dem man die Hände hatte amputieren müssen, ist ermordet worden. Du weißt, dass eine Untersuchung ergeben wird, dass auch hier Garcia seine Finger im Spiel hatte. Womöglich würdest du dadurch beschädigt.“ Pato bemühte sich um einen arglos klingenden Ton, beobachtete aber Nasini genau aus den Augenwinkeln. Er konnte sehen, wie es in Nasini arbeitete.

„Wann war das?“ fragte Nasini, offenbar, um Zeit zu gewinnen. Pato war überzeugt, dass Nasini diese Vorgänge bestens kannte.

„Kaum, dass du ihn zu deinem Nachfolger bei der PIP gemacht hattest! Der Kerl wird dir in seiner Blödheit gefährlich!“

„Ich will nicht, dass Garcia wegen dieses blödsinnigen Mordes am Golfplatz angeklagt wird. Die Geschichte mit dem Mädchen lässt sich nicht mehr verheimlichen. Sieh zu, dass die PIP eine Presseerklärung herausgibt, nach der er als überlastet dargestellt wird. Aber erst, nachdem er identifiziert worden ist. Ich lasse ihn dann vom Dienst suspendieren. Dem Frauenzimmer wird ein Schmerzensgeld zugesprochen, hoch genug, dass sie nicht die Klappe aufreißt. Du kennst sie, wirke auf sie ein, damit sie aus Lima verschwindet. Sprich mit diesem Pirri. Sieh zu, dass de la Silva eine Belobigung erhält oder befördert wird. Im Gegenzug soll er unterschreiben, dass er sein Maul hält. Hatte nicht der Golfclub für die Aufklärung des Mordes eine Belohnung ausgesetzt? Zahl ihm den Betrag!“

„Und Garcia? Als Chef der PIP ist er doch nicht mehr zu halten!“

„Den knöpfe ich mir selber vor!“

„Und du glaubst wirklich, damit lässt sich die Affäre aus den Medien entfernen? Ich halte das für sehr riskant.“

„Das lasse mal meine Sorge sein! So, ich habe noch anderes zu tun!“

Stumm sah Enrique Pato Nasini nach, als er aus dem Besprechungsraum stapfte.

General Carlos Garcia saß nun schon zum dritten Mal innerhalb von zwölf Monaten in einer Gefängniszelle. Nur war die, in der er jetzt hockte, die kleinste und schmutzigste, die er kennengelernt hatte.

Der Raum hatte eine Tiefe von höchstens zwei Metern, breit war sie einen Meter zwanzig. Die eine Wand wurde von der Liege eingenommen. Neben der schmalen Pritsche gab es einen knappen halben Meter Platz zur anderen Wandseite. In der Ecke stand ein schmutziger Eimer mit Deckel für seine Notdurft. Ein zweiter Eimer ohne Deckel enthielt Wasser, offenbar um sich zu waschen. Allerdings machte die Brühe keinen sehr vertrauenerweckenden Eindruck. Die Pritsche starrte vor Dreck. Die ursprüngliche Farbe der Wände war nicht mehr zu erkennen, unzählige Male übermalt, eingeritzt mit zotigen Sprüchen, unbeholfenen Zeichnungen, feucht und schimmelig. Das winzige Fenster war vergittert, hatte aber kein Glas.

Garcia wusste, das hier war kein Gefängnis, es war eine der Zellen, wie man sie in hunderten Polizeistationen im Lande finden konnte, um Untersuchungsgefangene unterzubringen. Er wusste auch, hätte er Bargeld bei sich, er hätte gegen ein kleines Bestechungsgeld eine bessere Zelle bekommen.

Nach dem ersten Verhör und nach dem Spießrutenlauf durch das Blitzlichtgewitter der Fotografen war er direkt hierher gebracht worden.

Er wäre erschöpft genug gewesen, um zu schlafen, aber der Lärm draußen auf dem Gang, zeitweise wüstes Geschrei, als ob jemand geprügelt wurde, dann wieder wildes Schlagen gegen eine Zellentür ganz in seiner Nähe, hatten ihn nicht zur Ruhe kommen lassen. Hinzu war gekommen, dass, sobald er sich auf die Pritsche hatte fallen lassen, es begann, ihn am ganzen Körper zu jucken. Kratzen konnte er sich nur mit der rechten Hand und so nicht einmal alle Stellen seines Körpers erreichen. Er war selbst verwundert, wie er sich an den Schmerz in seiner Hand gewöhnt hatte.

Bei Sonnenaufgang hatte er jeden Versuch aufgegeben, zu schlafen. Durch das winzige Fenster war grelles Sonnenlicht in seine Zelle gedrungen. Das musste gegen sechs Uhr früh gewesen sein. Die Schwellung seiner linken Hand war beeindruckend. Aber solange er die Hand ruhig hielt und nicht versuchte, die Finger zu bewegen, spürte er nur ein leicht schmerzhaftes Pochen im Takt seines Pulses.

Eine Weile nach Sonnenaufgang hatte sich eine Klappe in der Holztür zum Gang geöffnet, und ein Tablett mit einer Tasse Tee und zwei Scheiben Brot war hineingeschoben worden. Sofort danach war die Klappe wieder geschlossen worden.

Das war schon fast Luxus.

Garcia wusste, dass in den meisten Gefängnissen die Insassen darauf angewiesen waren, von Verwandten Nahrungsmittel gebracht zu bekommen, sonst blieb ihnen nur die äußerst schmale Gefängniskost, die unweigerlich zu Krankheiten, Unterernährung und Zahnausfall führte.

Im Laufe des Vormittags war es heiß geworden.

Völlig übermüdet war er auf der Pritsche liegengeblieben, bewegen konnte er sich in der winzigen Zelle ohnehin kaum.

Man schien ihn vergessen zu haben. Er hatte gehört, wie es nach der Essensverteilung draußen auf dem Gang wieder lauter geworden war, Türen wurden aufgeschlossen , Stimmen erschollen, aber um ihn hatte sich niemand gekümmert.

Am Stand der Sonne erkannte er, dass inzwischen Mittag sein musste.

Was ihn munter hielt, war seine Wut auf Roxana, auf Graf, auf seine Frau Rosita.

Er bedauerte mittlerweile, Roxana nicht erwürgt zu haben! Den Tritt in seinen Unterleib würde er nie vergessen! Den würde er ihr heimzahlen!

Da er genügend Zeit hatte, hatte er auch Gelegenheit, sich plausible Erklärungen und Ausreden zu überlegen.

Roxana hatte ihn eingeladen, um sich mit ihm zu versöhnen. Dann hatte es einen Streit gegeben, und sie hatte ihn angegriffen. Nur um sich zu verteidigen, hatte er sie gewürgt. Sein Wort gegen ihres! Er war schließlich Leiter der PIP, da war ja wohl klar, wem geglaubt würde!

Irgendwann müsste schließlich seine Identität festgestellt werden! Lange konnte das nun wirklich nicht mehr dauern! Er freute sich darauf, was er mit diesen arroganten Einfaltspinseln machen würde wie diesem Capitan Pirri, der ihn verhört hatte. Pirri würde als Polizist in das entlegendste Bergdorf verbannt, das er auf der peruanischen Karte entdecken könnte! Dann würde es vorbei sein damit, Fingerabdrücke durch Computer vergleichen zu lassen! Dann könnte er sich um Hühnerdiebe kümmern! Und wie der andere Kerl hieß, der ihn festgenommen hatte, würde er herausfinden, selbst wenn er dazu sämtliche Polizisten dieses Reviers an sich vorbei defilieren lassen müsste! Und dann ab mit dem Kerl, in ein anderes Bergdorf!

Rosita. Was würde er mit Rosita machen? Es hatte Zeiten gegeben, da konnte ein betrogener Ehemann seine Frau erschlagen, ohne dass dies rechtliche Folgen gehabt hätte. Leider waren diese Zeiten vorbei! Was aber nicht vorbei war, war die Möglichkeit, Rosita wegen moralischen Fehlverhaltens die Kinder wegzunehmen. Darunter würde sie am meisten leiden. Ihr wegen ihres Lebenswandels den Umgang mit den Kindern per Gerichtsbeschluss zu verbieten, ja, das war das richtige! Das würde er machen!

Er nähme die Kinder, und Rosita könnte für ihren Unterhalt selbst arbeiten. Das war nur gerecht. Sie hatte ihn verlassen!

Roxana. Alles, was er bisher wegen Roxana unternommen hatte, war schief gegangen. Dabei hatte er sie so schön gefügig gemacht, als er ihren Bruder in Haft hatte nehmen lassen. Und dann war Pato gekommen und hatte alles versaut. Den würde er sich auch noch vorknöpfen, egal ob mit Nasini verwandt oder bekannt! Roxana. Sie fehlte ihm. Er vermisste die Abende, die er mit ihr verbracht hatte, er vermisste es, mit ihr zu schlafen.

Nasini hatte versprochen, wenn das Geld von Graf eingegangen wäre und auf die verschiedenen Konten verteilt war, ihm die Belohnung zukommen zu lassen. Nachdem Nasini es ihm zu verdanken hatte, im Präsidentenpalast zu sitzen, war dieses Geld sicher! Wenn er erst über genügend Geld verfügte, würde Roxana zu ihm zurückkommen. Klar, sie war beeindruckt von Graf und seinen Freunden, von den Treffen in vornehmen Restaurants, von den eleganten Hotels. Aber das würde er ihr auch bieten können. Und Graf würde es dann nicht mehr geben!

Seinen Plan, Graf umzubringen, hatte er hunderte von Malen vor seinem geistigen Auge durchgespielt. In manchen Nächten war das das einzige gewesen, was ihm die Situation erträglich gemacht hatte. Und nachdem Graf ihm auch noch Rosita weggenommen hatte, wäre es eigentlich legal, ihn zu töten.

Aber es musste so geschehen, dass Graf im letzten Moment seines Lebens wüsste, dass er, Garcia, seinen Tod herbeigeführt hatte.

Das Geräusch des Schlüssels, der in die Tür seiner Zelle gesteckt und mehrmals umgedreht wurde, riss General Carlos Garcia aus seinen Gedanken. Erschrocken richtete er sich auf.

Der Polizist, der die Tür aufriss, herrschte ihn an:

„Mitkommen!“

Als Roxana Torreblanca sich im Spiegel betrachtete, waren die Blutergüsse an ihrem Hals zurückgegangen. Trotzdem tat ihr Hals immer noch weh.

In der Nacht hatte sie kaum schlafen können. Immer wieder hatte sie daran denken müssen, wie Garcias Hände ihr die Luft nahmen, wie ihr beinahe schwarz vor Augen geworden war.

Sie hatte Carlos Garcia als niederträchtig und intrigant kennengelernt, als gemein und mies. Die Szenen von Gewalttätigkeit waren erst gekommen, nachdem sie sich in Rupert Graf verliebt hatte. Dass Garcia jedoch versucht hatte, sie zu töten, löste schieres Entsetzen in ihr aus. Er hatte ausgesehen, als hätte er den Verstand verloren.

Gerade deshalb war sie stolz, sich gewehrt zu haben. Dass ihr Tritt in seine Weichteile diese Wirkung haben würde, hatte sie nicht erwartet. Sie hatte einmal gehört, dass ein Mann durch einen gezielten Tritt in sein Geschlechtsteil außer Gefecht gesetzt werden konnte, aber dieser Effekt hatte sie überrascht. Ihm die Küchentür auf die Hand geschmettert zu haben, war eine eher unbeabsichtigte Reaktion gewesen. Sie hatte hören können, wie Garcias Finger brachen. Jedes mal, wenn sie an das knackende Geräusch dachte, lief es ihr kalt den Rücken herunter.

Erst am Vormittag hatte sie genügend Mut gefasst, zu ihrem Haus zurückzufahren. Da Enrique Pato immer noch ihren Haustürschlüssel besaß, nahm sie den bei Carla deponierten Zweitschlüssel.

Wieder schrak sie zusammen, als sie aus dem Taxi heraus Garcias Wagen in ihrer Straße stehen sah.

Sie betrat ihr Wohnzimmer, und beim Anblick der kaputten Bilderrahmen auf dem Fußboden traten ihr Tränen in die Augen. Die Glastür ihres Schrankes, auf den sie so lange gespart hatte, zersplittert, zerbrochenes Geschirr auf dem Boden, Geschirr, das sie aus dem Haushalt ihrer Eltern gerettet hatte, als sie damals in Gefängnis mussten.

Sie hatte in den vergangenen Monaten oft das Gefühl hilfloser Wut auf Garcia verspürt, sie hatte gewünscht, beizutragen, dass er in seinem Tun gehindert würde.

Heute hatte sie zum ersten Mal den Wunsch, Garcia zu schaden, ihm richtig weh zu tun, ihn im Innersten zu treffen.

Mit großem Interesse hatte sie noch vor wenigen Tagen dem Gespräch zwischen General Bertoldo Urraca und Enrique Pato zugehört, die sich Gedanken gemacht hatten, wie man Garcia zur Rechenschaft ziehen könnte.

Voller Ekel betrachtete Roxana die Blutspuren an der Küchentür. Sie hatte das Bedürfnis, sich zu übergeben. Vorsichtig stieg sie die Treppe hoch ins Obergeschoss. Sie bemühte sich, nichts anzufassen. Enrique Pato hatte gesagt, es würde noch eine Spurensicherung stattfinden. Leider hatte er nicht gesagt, wann!

Sie suchte sich ein paar Kleidungsstücke und Unterwäsche aus dem Schrank in ihrem Schlafzimmer und legte sie in ihre Reisetasche. In diesem Raum hatte Garcia keine Spuren hinterlassen.

Kummervoll besah Roxana das blutbefleckte Waschbecken mit den Trümmern ihrer Kosmetik. Süßlicher Geruch aus den zersplitterten Parfumflakons hing in dem Raum.

Sie klaubte Lippenstifte, Deodorants, Fläschchen mit Lidstrich und Puderdosen aus dem Waschbecken, wischte sie ab und steckte sie in die Reisetasche.

Am wichtigsten war ihr das Handy und das Ladegerät für die Batterie.

Wieder musste sie den Brechreiz unterdrücken, als sie die Blutspuren am oberen Treppenabsatz sah.

Ihre eigene Wohnung kam ihr fremd und unangenehm vor.

Roxana verschloss sorgfältig ihre Haustür.

Als sie sich umdrehte, um zu ihrem alten Volkswagen zu gehen, flammten Blitzlichter auf.

Gleich drei Reporter baten um eine Stellungnahme zu den Vorkommnissen der vergangenen Nacht.

Mit zusammengepressten Lippen ging sie zu ihrem Wagen.

Im Rückspiegel sah sie, wie hinter ihr her fotografiert wurde.

General Carlos Garcia wurde in den Raum geführt, in dem schon in der vergangenen Nacht seine erste Vernehmung stattgefunden hatte.

Diesmal war jedoch auf einem Stativ eine Videokamera älterer Bauart aufgestellt, das Objektiv auf den Stuhl gerichtet, auf dem er Platz nahm.

Das Verhör wurde wiederum von Capitan Pirri geführt.

Pirri, der von der Kamera nur von hinten erfasst werden konnte, gab zunächst seinen eigenen Namen, Dienstrang, Personalnummer und das Datum des heutigen Tages und die Uhrzeit an.

Dann sagte Pirri:

„Vor mir sitzt der Mann, der in der vergangenen Nacht um 21.10 Uhr von Polizeisergeant Pablo de la Silva und den Streifenpolizisten Jaime Caceres und Oswaldo Manu des 34. Polizeireviers im Stadtteil San Isidro festgenommen wurde.

Der Festgenommene befand sich zu diesem Zeitpunkt im Haus der Roxana Torreblanca Gonzalvez in der Calle del Sangre de Nuestro Señor Nummer 263 im Stadtteil San Isidro.

In diesem Haus hatte er zuvor die Besitzerin tätlich angegriffen und versucht, sie zu erdrosseln. Señorita Torreblanca konnte trotz der ihr zugefügten Verletzungen die Flucht ergreifen und polizeiliche Hilfe rufen.

Der Festgenommene befand sich zum Zeitpunkt seiner Festnahme im Obergeschoss des Hauses, wo er versuchte, die ihm bei dem Versuch der Abwehr seines Überfalls durch Señorita Torreblanca zugefügten Verletzungen im Gesicht zu reinigen.

Ich verweise hierzu auf das schriftliche Protokoll Nummer 23.465 des heutigen Tages, unterzeichnet von allen drei Beamten, die an der Festnahme beteiligt waren.

Ich verweise weiterhin auf das Protokoll von Dr. Emilio Guantana, Stationsarzt im Krankenhaus Santo Corazon de Jesus, Avenida de la Marina, in dieser Stadt. Das Protokoll trägt die Nummer CJ 89-501, ausgestellt am gestrigen Tage um 23.30 Uhr und beschreibt die Verletzungen der Betroffenen Roxana Torreblanca Gonzalvez.

Der Festgenommene trug keinerlei Dokumente bei sich, mit denen er sich hätte ausweisen können.

Er wurde von Sergeant de la Silva und von dem Streifenpolizisten Jaime Caceres in dieses Polizeirevier gebracht und in der vergangenen Nacht von mir, Capitan Pirri, einem Verhör unterzogen. Ich verweise hierzu auf Protokoll Nummer 23. 465 / 232, ausgestellt am heutigen Tage um 02.40 Uhr.

In dem gestrigen Verhör hat der Festgenommene vorgegeben, er sei Carlos Garcia Alvarez, geboren,“ – Pirri blätterte in den vor ihm liegenden Papieren, -„am 27. Mai 1962 in dieser Stadt. Er gab weiterhin vor, er sei der Leiter der Policia de Inteligencia Peruana, kurz PIP, und bekleide den Rang eines Generals. Um sich zu identifizieren gab er eine Telefonnummer an, unter niemand antwortete. Unter dem von dem Festgenommenen angegebenen Namen ist keine Telefonnummer registriert.“

Capitan Pirri holte tief Luft.

„Die wegen eines versuchten Kapitalverbrechens routinemäßig vorgenommene Überprüfung der Fingerabdrücke des Festgenommenen ergab, dass diese identisch sind mit denen, die bei dem Mordfall Oscar Martinez festgestellt wurden.

Die Leiche von Oscar Martinez war am Morgen des 30. Oktober vergangenen Jahres auf dem Parkplatz des Golfclubs in San Isidro aufgefunden worden. Im gerichtsmedizinischen Institut wurde Tod durch Erwürgen festgestellt. Oscar Martinez war Fahrer eines deutschen Residenten in dieser Stadt, Ludwig Kinzel, Residentenausweis Nummer TR7674-82, wohnhaft in Miraflores. Oscar Martinez hatte im Wagen oder in der Nähe des Wagens von Señor Kinzel gewartet, um seinen Arbeitgeber nach Abschluss eines Abendessens nach Hause zu fahren. Nach Beendigung des Essens war Oscar Martinez nicht auffindbar.

Fingerabdrücke des gestern Nacht Festgenommenen waren sowohl außen als auch innen im Wagen von Señor Kinzel gefunden und festgestellt worden. Ich verweise hierzu auf Protokoll Nummer 21. 012 / 06 dieses Reviers.

Hinzuzufügen ist, dass die vergangene Nacht überfallene Roxana Torreblanca ebenfalls Teilnehmerin an dem Essen war, das am Abend der Ermordung von Oscar Martinez im Restaurant des Golfclubs stattfand.

Ich frage nun den Festgenommenen, ob er sich zu den geschilderten Sachverhalten äußern möchte."

Garcia sagte:

„Leck mich am Arsch!“

Pirri blieb gelassen.

„Ich stelle fest, dass der Festgenommene keine Aussage machen will.“

„Ich will einen Arzt und einen Anwalt!“ sagte Garcia.

Pirri sagte:

„Da der Festgenommene keine lebensbedrohenden Verletzungen aufweist und da er weder über Barmittel verfügt noch in der Lage ist, sich zu identifizieren und sicherzustellen, dass ein hinzugezogener Arzt bezahlt werden könnte, wird der Wunsch nach ärztlicher Versorgung abgelehnt. Dem Wunsch nach anwaltlicher Unterstützung kann aus den gleichen Gründen nicht nachgekommen werden, solange die Identität des Festgenommenen nicht festgestellt werden kann.“

Garcia knurrte:

„Gestern Nacht war die halbe Limenser Presse hier versammelt. Wollen Sie behaupten, niemand habe mich erkannt?“

„Es hat sich niemand gemeldet, um Ihre Identität zu bestätigen.“

„Meine Familie? Mein Büro?“

„Niemand!“

„Wenn Sie schon meine Fingerabdrücke so genau untersucht haben, hätten Sie ebenfalls feststellen müssen, dass diese identisch sind mit denen, die ich bei der Ausstellung meines Personalausweises hinterlassen habe! Das ist überprüfbar!“ Garcia wurde ungeduldig. „Die Polizei hat Zugriff auf diese Dateien!“

„Leider nicht. In der zentralen Erfassungsstelle ist ein Rechner ausgefallen.“ Pirri grinste breit.

„Roxana Torreblanca kann meine Identität bestätigen!“

„Roxana Torreblanca ist nicht auffindbar.“

„Rufen Sie gefälligst meine Dienststelle an! Fragen Sie nach meiner Sekretärin, Señora Eriberta. Sie soll herkommen und mich identifizieren. Sie soll noch ein paar Leute aus dem Büro mitbringen!“

„Sie machen sich das etwas einfach, Señor ,“ antwortete Pirri. „Wenn Sie wirklich etwas mit der PIP zu tun hätten, wüssten Sie, wie überlastet unsere Polizei ist und wie knapp unsere Mittel sind. Sie wüssten auch, wie viele Personen in Lima jeden Tag wegen unterschiedlichster Delikte festgenommen werden, an jedem Tag mehrere Tausend. Glauben Sie im Ernst, wir könnten für alle diese Leute Telefondienst machen und in deren Verwandtschaft und Bekanntschaft herumtelefonieren? Ihr Bild ist heute in verschiedenen Zeitungen erschienen. Warten wir ab, ob sich jemand meldet. Ihre Familie könnte sie vermissen, Ihr Büro, wenn Sie tatsächlich eines haben.“ Mit Sarkasmus in der Stimme fügte Pirri hinzu: „Ich stelle mir vor, dass, wenn der Chef der PIP verschwinden sollte, dies irgend jemandem in der Behörde auffallen müsste.“

Er sah auf seine Armbanduhr.

„Haben Sie zu den erhobenen Vorwürfen noch etwas zu sagen?“

Garcia antwortete:

„Ich habe das Recht, von einem Untersuchungsrichter gehört zu werden!“

„Die Vorführung bei einem Untersuchungsrichter hat innerhalb von 48 Stunden nach der Festnahme stattzufinden. Der Richter hat erst morgen Zeit. Die Vorführung erfolgt frühestens im Laufe des morgigen Tages.“

Garcia wurde giftig:

„Ihr Verhalten wird Ihnen bitter leid tun, sobald ich hier heraus bin! Machen Sie sich auf etwas gefasst!“

Pirri sagte nur:

„Bringt ihn zurück in seine Zelle!“

Enrique Pato hatte in seinem Büro einen kleinen Fernseher, den er gelegentlich anschaltete, um Nachrichtensendungen zu sehen.

Heute sah er sich die Nachrichten an.

Die Verhaftung des Mannes, der sich als General PIP Carlos Garcia ausgegeben hatte, beherrschte die ersten fünf Minuten.

Ein Reporter berichtete von den Vorfällen der vergangenen Nacht, bei denen ein Unbekannter nach einem Überfall auf eine junge Frau von wachsamen Polizisten hatte ergriffen werden können.

Pato grinste vor sich hin.

Jeden Tag wurden in der Metropole mit geschätzten gut sechs Millionen Einwohnern hunderte von Frauen geprügelt und vergewaltigt. Ohne sein Eingreifen und das de la Silvas hätte sich kein einziger Polizist um diesen Fall gekümmert, genauso wenig, wie man auch nur einen einzigen Reporter hätte dazu bringen können, hierüber eine Zeile zu schreiben! Schätzungsweise gab es in Lima rund drei Millionen Frauen aller Altersgruppen. Wenn nur jeweils einer von zehntausend Frauen in der Nacht Gewalt angetan wurde, kam man in Lima locker auf eine Zahl von dreihundert.

Gut, die Zahl von drei Millionen weiblichen Mitbürgern umfasste auch Greisinnen und kleine Mädchen. Aber auch diese Altersgruppen blieben von Gewalttaten nicht verschont.

Auch der Vorwurf des Mordes hätte keinen Reporter unter dem Sonnenschirm hervorgelockt.

Interessant war der Fall allein, weil Carlos Garcia darin verwickelt war.

In lobenden Worten wurde über die schnelle Reaktion der Polizei berichtet.

Schließlich zeigte man das Haus von Roxana Torreblanca, deren Namen allerdings nicht genannt wurde. Dafür gab es Bilder, wie Roxana ihre Tür abschloss und mit schnellen Schritten zu ihrem Wagen lief.

Dazu erklärte der Sprecher mit aufgeregter Stimme, dies sei die junge Frau, die vergangene Nacht von einem Mann, der sich als General PIP Carlos Garcia ausgab, angefallen worden war.

Dann kamen Archivbilder, auf denen Garcia zu sehen war, als junger Offizier, schon damals pausbäckig und zur Kahlheit neigend. Es kamen Aufnahmen, bei denen er bei Militärparaden in einer der vorderen Reihen gestanden hatte, sein Kopf durch einen weißen Kreis kenntlich gemacht. Ganz zum Schluss folgten Filmausschnitte von seiner Amtseinführung als Chef der PIP, diesmal in Generalsuniform.

Peru hatte seinen Skandal in der Spitze der Führungselite!

Es wurden jedoch lediglich Vorwürfe gegen Garcia wegen des Überfalls auf Roxana erhoben.

Der Mord an einem Unbekannten vor anderthalb Jahren wurde nur am Rande des Berichtes erwähnt, mit der Mutmaßung, Garcia könne zur Aufklärung diese Falles beitragen.

Das passte Enrique Pato nicht.

Er rief Sergeant Pablo de la Silva an.

Düsseldorf, 5. November

Rupert Graf wurde wiederum in aller Herrgottsfrühe wach. Nachdem er sich eine Weile im Bett gewälzt hatte, setzte er sich mit einem Espresso an seinen Computer, um die wichtigsten Tageszeitungen durchzusehen.

Auf zwei Zeitungen prangte auf der ersten Seite ein Foto des deutschen Außenministers auf seinem Sitzplatz im Bundestag, der sich genüsslich mit dem rechten Zeigefinger in der Nase bohrte. Es war nicht das gedankenverlorene Popeln, wie es gelegentlich Autofahrer an einer roten Ampel aus schierer Langeweile praktizieren, sondern es wirkte konzentriert und zielgerichtet.

Die Bildunterschrift in dem einen Blatt lautete:

„Auf der Suche nach der Substanz seiner Außenpolitik?“

Die andere Zeitung hatte einen winzigen Artikel unter das Bild gesetzt, der sich ebenfalls darüber ausließ, dass man hoffe, wenn schon dem Minister eine glückliche Hand bei seinen außenpolitischen Bemühungen versagt bliebe, er wenigstens hier Krümel des Erfolges finden möge.

In jeder der beiden Zeitungen waren doppelseitige Anzeigen der Regierungspartei, die mit der Partei des Außenministers die Regierungskoalition bildete.

Jede dieser Anzeigen hatte einen hohen sechsstelligen Betrag gekostet. Natürlich war dies keine Aktion von Schmeling allein! In der Spitze der Partei, zu der der von Schmeling unterstützte Minister gehörte, musste eine Absprache getroffen worden sein. Die Veröffentlichung des Fotos und die gleichzeitige Schaltung der Werbeanzeige waren eine Kampfansage, die der Außenminister nicht missverstehen konnte.

Rupert Graf war gespannt, was in den kommenden Tagen passieren würde. Sollte der Außenminister nicht einlenken, würden jetzt ständig Feuerchen aufflackern, die auszutreten den Mann so in Atem halten würden, dass er darüber im Blick der Öffentlichkeit seine Amtspflichten zwangsläufig vernachlässigen musste. Das bedeutete keineswegs, dass er Reden nicht halten, Besucher nicht empfangen oder Parteisitzungen nicht leiten würde. Es bedeutete stattdessen, dass trotz all dieser Tätigkeiten eben nicht diese, sondern allein seine Reaktionen auf öffentlich gewordene kleine Unliebsamkeiten, gemachte unglückliche Äußerungen oder Angriffe aus der eigenen Partei in den Medien kommentiert und breitgetreten würden.

Norbert Schmeling hatte angefangen, zu arbeiten.

Rupert Graf rief sich die Titelblätter der peruanischen Abendzeitungen auf den Computerbildschirm.

Die Verhaftung Garcias nahm breiten Raum ein.

Inzwischen war von der überfallenen Frau bereits als von Roxana T. die Rede.

Es konnte nicht lange dauern, und die Geschichte würde ausufern. Ein paar Tage noch, und die Presse würde wissen, dass Roxana ein Verhältnis mit Garcia gehabt hatte. Graf wusste, eine Verbindung zu ihm selbst herzustellen, würde nicht lange dauern. Es brauchte nur an die Öffentlichkeit zu dringen, dass Roxana an dem Abend der Ermordung von Kinzels Fahrer Oscar mit am Tisch gesessen hatte. Der Skandal wäre perfekt!

Und das Geschäft wäre in Gefahr.

Über Internet suchte er eine Flugverbindung nach Lima.

Er packte ein paar Kleidungsstücke und rief, bevor er seine Wohnung verließ, seine Sekretärin an.

Als die sich mit verschlafener Stimme meldete, teilte er seine Reisepläne mit, bat sie, andere Termine für den Rest der Woche abzusagen und im Laufe des Tages Kinzel über sein Kommen zu verständigen.

Um sieben Uhr früh stand Rupert Graf am Düsseldorfer Flughafen.

Lima, 4. November

General Carlos Garcia verbrachte eine weitere unruhige Nacht in seiner Zelle.

Neben dem Ungeziefer, das ihn plagte, ließ ihn sein leerer Magen nicht in den Schlaf finden.

Als einziges Essen hatte er am frühen Abend einen Teller mit einer wässrigen Suppe bekommen, die mit viel Phantasie so schmeckte, als wäre sie in der Nähe eines Gemüsekorbes zubereitet worden. Jetzt, Mitternacht musste vorbei sein, plagte ihn Hunger.

Wieder hörte er das Lärmen auf dem Gang.

Mit Sonnenuntergang war es auch in der Zelle dunkel geworden. Licht fiel nur durch die vor dem Fenster stehende Laterne herein. Da er nichts zu Lesen hatte, döste er vor sich hin und malte sich in Gedanken aus, wie er alle Beteiligten an seiner misslichen Situation zur Rechenschaft ziehen würde.

Was ihn wunderte war, dass Nasini keine Hilfe geschickt hatte. Es musste doch aufgefallen sein, dass er nicht im Büro erschienen war! Genauso gut hätte er in seiner exponierten Stellung einem Anschlag zum Opfer gefallen sein können! Da musste sich doch jemand Sorgen machen.

Er konnte nicht ahnen, dass er in Zeitungen und Fernsehnachrichten inzwischen eine prominente Rolle spielte. Er konnte nicht ahnen, wie viele Personen aus seinem direkten Umfeld zu ihren Partnern oder Partnerinnen sagten:

„Das hat er verdient!“

Er konnte nicht ahnen, dass seine Kinder seine Frau Rosita bedrängt hatten, bei der Polizei anzurufen und zu sagen, der auf allen Titelblättern abgebildete Mann sei ihr Vater und Rositas Mann, und dass Rosita geantwortet hatte, das gehe sie nichts mehr an.

Er konnte auch nicht ahnen, dass seine direkten Mitarbeiter fast den ganzen Arbeitstag damit zugebracht hatten, sämtliche ihn betreffenden Zeitungsartikel zu lesen, um zu beschließen:

„Da halten wir uns raus!“

Er konnte nicht ahnen, dass seine Kameraden aus den Streitkräften, mit denen er sich so verbunden fühlte, die Zeitungsartikel mit ihren Ehefrauen kommentierten und sagten:

„Er war immer schon ein seltsamer Vogel, aber jetzt ist er völlig übergeschnappt!“

Selbst sein Busenfreund Pepe hielt es nicht für angebracht, zum Telefonhörer zu greifen und General Garcias Freilassung zu fordern.

Hätte General PIP Carlos Garcia all das gewusst, wäre er sich entsetzlich allein vorgekommen.

So aber dachte er nur daran, wie er die, die ihm diese Situation eingebrockt hatten, fertigmachen würde!

Arequipa, 4. November

Roxana Torreblanca saß derweil im Flugzeug nach Arequipa. Der früheste Flug, den sie hatte bekommen können, hätte Lima am frühen Abend verlassen sollen, war aber erst nach 22 Uhr gestartet.

Sie hoffte inbrünstig, nicht erkannt zu werden.

Als sie ihr Ticket vorgezeigt hatte, war sie von der Stewardess aufmerksam gemustert worden.

Roxana hatte das Gefühl, dass die um sie herum sitzenden Passagiere, sämtlich mit den Abendzeitungen versorgt, sie heimlich musterten. Roxana erkannte sich auf den Bildern der Titelseiten. Sie trug noch dieselbe Kleidung wie zu dem Zeitpunkt, zu dem die Fotos vor ihrem Haus gemacht worden waren. Sie war sicher, wenn jemand sie angesprochen hätte, sie wäre in Tränen ausgebrochen. Gott sei Dank hatte sie einen Fensterplatz bekommen, so dass sie sich in der Ecke verkriechen konnte.

Erleichtert hörte sie nach mehr als zwei Stunden Flugzeit, wie sich der Lärm der Triebwerke veränderte, als die Maschine in den Sinkflug ging. Draußen war es stockdunkel.

Jetzt sah sie die ersten Lichter am Boden, tiefer als sie vermutet hatte.

Während die Maschine merklich langsamer wurde, musste Roxana an das vergangene Jahr denken, an das erste Zusammentreffen mit Rupert, das so schön gewesen war. Es war so aufregend gewesen, mit ihm zusammen zu sein. Das nächtliche Treffen mit Präsident Scaloni, die Treffen mit Anamaria.

Ihr hatte sich eine völlig neue Welt aufgetan, eine Welt, die sie bis dahin nur in amerikanischen Fernsehfilmen gesehen hatte.

Aber sie musste auch daran denken, was ihr widerfahren war mit Carlos Garcia, die Nacht im Gefängnis, die Verhaftung und Verschleppung Gabriels. Sie musste an das Kind denken, das sie verloren hatte, und über dessen Verlust sie insgeheim froh war.

Sie musste an Ramon denken, der ihr Hoffnung gegeben hatte, Gabriel zu finden, und der ermordet worden war.

Über der Aufregung, Gabriel zu finden und ihre Eltern begnadigt zu sehen, hatte sie an Ramon gar nicht mehr gedacht. Sie hatte ein regelrecht schlechtes Gewissen, als sie in der Zeitung die Berichte über seine Ermordung gelesen hatte.

Aber hätte sie Rupert nicht kennengelernt, säßen ihre Eltern immer noch im Gefängnis. Sie würde immer noch die hastigen Liebkosungen Carlos Garcias ertragen, nicht wissend, dass das Zusammensein von Mann und Frau auch anders sein konnte als die schnelle und wilde Rammelei, die er für Sex hielt. Sie hätte niemals die Empfindungen gespürt, die sie mit Rupert und Liliana de Fernandez erlebt hatte, ohne Eifersucht darauf, dass Rupert auch mit Liliana schlief, nur einfach den Erregungszustand genießend.

Wie sie an den Geräuschen erkannte, hatte der Pilot das Fahrwerk ausgefahren. Gleichzeitig waren unter den Tragflächen grelle Lichter angegangen.

Roxana dachte daran, wie glücklich sie gewesen war, als sie sich vor wenigen Tagen mit Rupert getroffen hatte. Alles schien in Ordnung, er hatte ihr nicht übelgenommen, dass sie Carlos Garcia zu Willen gewesen war, um Gabriel zu schützen.

Und Carlos Garcia war auf dem besten Wege, alles wieder kaputt zu machen!

Wie hatte Rupert am Telefon gesagt?

„Ich lese gerade eure Zeitungen.“

Roxana wusste, dass man über Internet so ziemlich alle Zeitungen der Welt auf seinen Bildschirm rufen konnte.

Rupert würde die Artikel lesen, die zwar bisher Carlos Garcia als den Angreifer darstellten. Sie machte sich jedoch wenige Illusionen darüber, dass in wenigen Tagen die frühere Liebschaft mit Carlos Garcia in den Zeitungen kommentiert und genüsslich beschrieben würde. Roxana machte sich auch keine Illusionen, dass Carlos Garcia in Kürze freigelassen würde. Er würde behaupten, sie sei weiterhin seine Mätresse und er habe sie im Streit verletzt.

Mit lautem Gepolter setzte die Maschine auf und rollte mit auf Umkehrschub geschalteten aufheulenden Triebwerken aus.

Rupert würde all das lesen und sich ausgenutzt und hintergangen vorkommen.

Als sie ihm von ihrer Schwangerschaft berichtet hatte, hatte er kühl reagiert, wie sie heute wusste, zu Recht.

Jetzt war er für sie für immer verloren!

Durch einen Tränenschleier vor den Augen bekam sie mit, wie die anderen Passagiere ihre Sachen aus der Gepäckablage suchten und zum Ausgang des Flugzeuges drängten.

Sie war eine der letzten, die das Flugzeug verließen.

Auf dem kurzen Fußweg zum Abfertigungsgebäude versuchte sie, Abstand zu den übrigen Passagieren zu halten.

Während sie am Rande des dicht umdrängten Gepäckbandes wartete, knipste sie ihr Handy an und hörte die eingegangenen Nachrichten ab.

Mehrere Zeitungsreporter hatten ihre Nummer herausbekommen und forderten sie zum Rückruf auf. Zwei boten frecherweise ein Honorar für ein Interview.

Die letzte Nachricht, eingegangen vor einer knappen halben Stunde, war von Rupert. Er sagte:

„Hallo, Roxana, ich steige gleich in einen Flug nach Lima. Ich würde mich freuen, wenn du bei meinem Aufenthalt Zeit für mich hättest.“

Lima, 5. November

General Carlos Garcia wurde dem Untersuchungsrichter gegen neun Uhr morgens vorgeführt.

Der Mann stellte sich als Dr. Juan Guetierrez vor.

Auch Capitan Pirri war anwesend.

Hätte Garcia Gelegenheit gehabt, in einen Spiegel zu schauen, hätte er sich selbst kaum erkannt. Er wusste, er war schmutzig. Er wusste auch, dass er in seinen Kleidern, die er nun schon den dritten Tag trug, verschwitzt und inzwischen auch ihm selbst unangenehm roch. Sein unrasiertes Gesicht, durchzogen von verschorften Narben, und seinen blutverschmierten Hemdkragen konnte er selbst nicht sehen.

Dr. Guetierrez war sichtlich angeekelt, als er ihn ansah.

Vor Guetierrez lag eine Akte.

Garcia beschloss, aggressiv vorzugehen.

Bevor noch Guetierrez etwas sagen konnte, fuhr Garcia ihn an:

„Ich fordere Sie auf, sofort dafür zu sorgen, dass endlich meine Identität festgestellt wird! Sie können hierzu mein Büro anrufen und jemanden herkommen lassen, der mich identifiziert. Dann will ich sofort nach Hause gebracht werden! Die Behandlung, die ich hier ertragen muss, ist schiere Unverschämtheit. Außerdem will ich sofort etwas zu Essen!“

Capitan Pirri lachte laut.

Guetierrez sagte gelassenen:

„Wenn Sie diesen Ton mir gegenüber noch einmal anschlagen sollten, erhalten Sie wegen Missachtung meines Amtes zwei Tage verschärften Arrest. Sprechen Sie nur, wenn ich Sie auffordere! Nur dann!“

Er nahm die Akte und blätterte gelangweilt darin. Dann las er Garcia vor, was ihm Pirri schon gestern vorgetragen hatte. Es hätte eine Abschrift des von Pirri auf Video aufgezeichneten Gespräches sein können!

Auch Guetierrez fragte zum Schluss:

„Wollen Sie sich zu den Vorwürfen äußern?“

Garcia verkniff sich die Antwort, die er als passend empfunden hätte. Stattdessen sagte er:

„Roxana Torreblanca ist meine langjährige Freundin. Wir hatten uns in den vergangenen Monaten etwas entzweit, aber sie hatte mich eingeladen, sie an diesem Abend zu besuchen. Leider haben wir uns wieder gestritten, und sie hat mich angegriffen. Da habe ich mich, so gut es ging, gewehrt. Sie werden feststellen, dass Roxana Torreblanca über mehrere Jahre meine Mitarbeiterin im Verteidigungsministerium war. Von da her rührt unsere Freundschaft.“

„Die mir vorliegende Aussage von Señorita Torreblanca lautet anders,“ sagte Guetierrez.

„Dann lügt sie!“ antwortete Garcia.

Er sah, wie Pirri Guetierrez etwas ins Ohr flüsterte. Guetierrez blätterte in der Akte, nahm ein Blatt heraus und las es in Ruhe. Dann sagte er zu Garcia:

„Ich habe hier eine beeidigte Aussage, nach der Señorita Torreblanca mit jemand anderem verabredet war, und dass sie, als es an der Tür klingelte, in dem Glauben geöffnet hat, es handele sich um diese Person. Stattdessen sind Sie eingedrungen und haben Señorita Torreblanca angegriffen.“

„Ich sage doch, sie lügt.“

„Diese Aussage ist nicht von Señorita Torreblanca, sondern von der Person, die sie abholen wollte. Es scheint nicht sehr plausibel, dass Señorita Torreblanca zwei Verabredungen für diesen Abend getroffen haben sollte. Wie haben Sie die Verabredung mit Señorita Torreblanca getroffen?“

„Ich verstehe Ihre Frage nicht.“

„Haben Sie ihr geschrieben, haben Sie sie angerufen?“

„Ich habe angerufen.“

„Wo? Sie hat kein Telefon.“

„Sie besitzt ein Handy.“

„Von wo aus haben Sie Señorita Torreblanca angerufen? Und wann?“

„Von zuhause aus, am frühen Abend.“

„Zuhause, ist das die Nummer, die Sie nach Ihrer Festnahme Capitan Pirri genannt haben? Würden sie diese Nummer noch einmal für mich wiederholen?“

Garcia nannte die Rufnummer seiner Wohnung.

Guetierrez nahm ein weiteres Blatt aus der Akte.

„Es dürfte Sie interessieren, dass ich hier eine Liste der mit dem Mobiltelefon von Señorita Torreblanca geführten Gespräche habe. Diese Liste vermerkt sowohl ausgehende als auch eingehende Gespräche. Die von Ihnen genannte Nummer kommt nicht vor.“

Prüfend sah ihn Guetierrez an.

„Ich habe hier eine weitere Aussage, nach der es vorgestern nicht das erste Mal war, dass Sie unaufgefordert in die Wohnung von Señorita Torreblanca eingedrungen und gewalttätig geworden sind. Auch diese Aussage ist von einem unabhängigen Zeugen.“

Das konnte nur die kleine Dicke gewesen sein, mit der Roxana befreundet war! Garcia nahm sie gedanklich mit auf die Liste derer, mit denen er abrechnen würde, sobald er hier erst raus war!

„Alles gelogen!“ sagte er.

Guetierrez zuckte nur mit den Schultern.

„Sie haben behauptet, Mitarbeiter der Policia de Inteligencia zu sein - “

„Ich bin deren Chef!“ warf Garcia ein, hielt aber sofort den Mund, als Guetierrez ihn drohend anblickte.

„Sie haben behauptet, Mitarbeiter oder sogar Chef der Policia de Inteligencia zu sein. Interessanterweise wird das Haus von Señorita Torreblanca von der PIP seit Monaten überwacht. Von dem Abend, an dem Sie bei Señorita Torreblanca eingedrungen sind, gibt es eine Tonbandaufnahme. Ich denke, ich kann mir aus Zeitgründen ersparen, Ihnen das Tondokument vorzuspielen.“

Ach du Scheiße! dachte Garcia. An diese Möglichkeit hatte er überhaupt nicht gedacht! Aber wer bei der PIP würde eine solche Aufnahme herausgeben? Das könnte nur Pato sein!

Guetierrez fuhr fort:

„Ich denke, wir können uns weitere Fragen zu diesem Komplex sparen!“ Er machte eine Pause. „Kommen wir jetzt zu der Tatsache, dass Ihre Fingerabdrücke bei den Ermittlungen in einem Mordfall festgestellt worden sind. Wollen Sie sich hierzu äußern?“

„Unfug,“ sagte Garcia. „Können wir uns jetzt mal darauf konzentrieren, dass Sie feststellen, wer ich bin?“

„Sie scheinen es wirklich auf verschärften Arrest anzulegen,“ sagte Guetierrez. „Beantworten Sie meine Frage!“

„Das kann nicht sein,“ sagte Garcia. „Was für ein Mord?“

„Das Opfer hieß Oscar Martinez. Ende Oktober letzten Jahres, Golfclub San Isidro.“

„Das kann nicht sein. Da bin ich noch nie gewesen.“

„Es gibt Zeugenaussagen, die einen Mann beschreiben, der Sie sehr gut sein könnten, wobei ich annehme, dass Sie damals sauberer ausgesehen haben. Was für ein Auto haben Sie zu dem Zeitpunkt gefahren?“

„Weiß ich nicht mehr. Ich glaube, einen weißen Toyota Corona.“

„Haben Sie dieses Fahrzeug noch in Ihrem Besitz?“

Die Frage passte Garcia gar nicht. Natürlich hatte er diesen Wagen noch, weil sein neuer Dienstwagen noch nicht geliefert worden war!

„Ja.“

„Würden sie mir die Nummer verraten?“ Die Höflichkeit von Guetierrez war jetzt beißend.

Garcia gab die Nummer an.

„Ich habe Zeugenaussagen, nach denen ein weißer Toyota Corona mit dieser Nummer auf dem Parkplatz des Golfclubs am Abend des Mordes gesehen worden ist.“

„Bei dem Fahrzeug handelt es sich um einen Dienstwagen des Verteidigungsministeriums. Jemand anderer könnte den Wagen an diesem Abend benutzt haben.“

„Was war Ihr militärischer Rang zu diesem Zeitpunkt?“ fragte Guetierrez harmlos.

„Oberst.“

„Dann stand Ihnen ein Fahrzeug zu, das Sie auch privat nutzen konnten. Wie oft wird solch ein Fahrzeug Dritten überlassen?“

„Nicht oft. Zu Fahrten zum Auftanken, zum Waschen, zur Überholung.“

„Ich nehme an, dass hierüber im Verteidigungsministerium Buch geführt wird. Es sollte kein Problem sein, herauszufinden, ob an jenem Abend jemand anderer mit diesem Fahrzeug unterwegs war. – Wo befindet sich das Fahrzeug jetzt?“

„Vor dem Haus von Roxana Torreblanca.“ Endlich sah General Carlos Garcia die Chance, dass sich jemand um den Wagen kümmerte. Dann würde jetzt auch festgestellt, dass dies sein Wagen war, und diese Komödie würde ein Ende haben.

„Gut. Ich werde nach dem Wagen suchen lassen. Haben Sie noch etwas zu sagen?“

„Ich bitte noch einmal darum, dass sich endlich jemand um die Bestätigung bemüht, dass ich tatsächlich General Carlos Garcia bin. Ich bitte um ärztliche Versorgung und um etwas zu Essen. Die Behandlung hier ist unwürdig!“

Guetierrez sah ihn verwundert an, um dann zu sagen:

„Die Bemühungen um die Feststellung Ihrer Identität sind im Gange. Sobald nachgewiesen werden kann, dass Sie in der Lage sind, für die ärztliche Versorgung aufzukommen, wird ein Arzt zu Ihnen gebeten. Im übrigen verfüge ich Ihre sofortige Verlegung in den Trakt für Untersuchungsgefangene im Gefängnis an der Avenida Bolivia. Dort werden Sie Gelegenheit haben, mit einem Pflichtverteidiger zu sprechen. Ich darf Ihnen einen schönen Tag wünschen!“ Und dann zu Pirri: „Der Gefangene kann in seine Zelle zurückgebracht werden.“

Während Rupert Graf sich in seinem Zimmer im Hotel Oro Verde duschte und umzog, hatte er den Fernseher auf einen lokalen Sender eingestellt. Mit Interesse verfolgte er die Nachmittagsnachrichten, in denen die Berichte um den Überfall des mutmaßlichen Chefs der PIP auf die immer noch als Roxana T. erwähnte junge Frau breiten Raum einnahmen.

Er sah Aufnahmen, wie Roxana eiligen Schrittes zu ihrem Wagen lief und davonfuhr.

Interessant war ein kurzes Interview mit einem jugendlich aussehenden Mann, der durch die unter das Bild gelegte Schrift als Dr. Juan Guetierrez, Untersuchungsrichter, vorgestellt wurde.

Guetierrez berichtete, dass an dem Hergang des Überfalls kein Zweifel bestehen konnte, und dass in Kürze die Zweifel ausgeräumt werden sollten, ob es sich bei dem Festgenommenen um General PIP Carlos Garcia handelte. So, wie Rupert Graf das Interview interpretierte, wusste Guetierrez ganz genau, dass hieran keinerlei Zweifel mehr bestanden.

Auf die Frage des Reporters, was geschähe, nachdem die Identität Garcias einwandfrei feststünde, sagte Guetierrez:

„Er wird für seine Tat zur Rechenschaft gezogen wie jeder andere auch!“

Auf die Fragen zu Garcias möglicher Verwicklung in den Mord an Oscar Martinez antwortete Guetierrez einsilbig.

Es gäbe Indizien für die Anwesenheit des Beschuldigten zur Tatzeit am Tatort, aber man müsse abwarten, man müsse erst die Ergebnisse weiterer Untersuchungen sehen.

Rupert Graf fand dies alles andere als ersprießlich.

Er rief Roxanas Handynummer an und wurde gebeten, eine Nachricht zu hinterlassen. Er hinterließ, dass er später noch einmal anrufen würde.

Über den Bildschirm flimmerten weiterhin Bilder, die den Polizeigeneral Carlos Garcia zeigten. Er sah Bilder des jungen Garcia, Bilder des älter gewordenen Garcia, immer pausbäckig, immer frech in die Kamera guckend.

Während Rupert Graf sich seine Krawatte umband, hörte er nur mit einem Ohr auf die Ausführungen des Sprechers. Plötzlich stutzte er. Soeben war gesagt worden:

„Nach unbestätigten Aussagen hat sich die Frau von General Garcia, Rosita Menaca de Garcia, vor kurzem von ihrem Mann getrennt. Frau Rosita de Garcia steht für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung.“

Auf dem Bildschirm wurde ein Bild Garcias mit einer neben ihm stehenden Frau gezeigt.

Rupert Graf durchlief es heiß.

Das war die Rosita, mit der er vor wenigen Tagen in diesem Zimmer im Bett gelegen hatte!

Jetzt wurde er sehr nachdenklich.

Sollte er unbewusst durch seine Liebschaften das Geschäft in letzter Minute in Gefahr gebracht haben?

Von Roxanas Verhältnis zu Garcia hatte er erst erfahren, nachdem er schon mit ihr geschlafen hatte. Dass Rosita mit Garcia verheiratet war, hatte er gerade erst gehört! Gut, er hatte auch Liliana beschlafen, aber das war lediglich die Annahme einer Einladung gewesen. Und Garcia hatte er von Anfang an nicht ernst nehmen können!

Der Sprecher stellte soeben Mutmaßungen darüber an, ob General Garcia tatsächlich in den Mordfall Martinez verwickelt sein könnte. Das beharrliche Schweigen der Polizeibehörden sei verwunderlich, ebenso wie die Tatsache, dass der höchste Polizeibeamte des Landes nur wegen des Überfalls auf Roxana T. in Haft behalten würde.

Rupert Graf musste Kontakt zu Präsident Nasini aufnehmen.

Er fragte sich, wen er dazu um Hilfe bitten könnte. Er selbst konnte ja schlecht im Präsidentenpalast anrufen und um eine Audienz nachfragen!

Er rief Ludwig Kinzel auf dessen Handy an. Der sollte sich darum kümmern.

Kinzel war ratlos.

Graf sagte ihm:

„Ruf Walter an. Wenn Walter nicht imstande ist, ein Treffen zu arrangieren, soll er mit Chavez sprechen. Irgendwer wird doch wohl in der Lage sein, mit Nasini zu reden!“

Tatsächlich war es Enrique Pato, der das Treffen mit Nasini herbeiführte.

Pato war gegen siebzehn Uhr zu Nasini gerufen worden.

Wiederum war Nasini in dem Besprechungszimmer auf und ab gelaufen.

Als erstes führte Enrique Pato das Video mit Garcias Verhör durch Capitan Pirri vor.

„Was für eine Knalltüte!“ sagte Nasini nur.

Enrique Pato zitierte dann aus dem Protokoll über das Treffen mit Untersuchungsrichter Guetierrez.

„So ein Idiot!“ sagte Nasini, wobei offen blieb, ob er Guetierrez oder Garcia meinte. „Wer hat dem Arsch das Band aus dem Haus der Torreblanca gegeben? Warst du das?“

„Er hat kein Band. Das mit dem Band war reiner Bluff,“ antwortete Pato.

Nasini sah ihn misstrauisch an.

„Da ist der doch nicht von allein drauf gekommen! Das kann mir keiner erzählen!“

„Was weiß ich, wie viele andere Personen in der PIP wissen, dass die Hütte von der Torreblanca überwacht wird?“ antwortete Pato leichtmütig. „Ich schätze, mindestens zehn Personen. Wahrscheinlich hat Guetierrez nur einen Hinweis auf die Existenz einer Tonbandaufnahme bekommen. Und du darfst nicht vergessen, dass Garcia in den wenigen Wochen, seit er die PIP leitet, keine Gelegenheit ausgelassen hat, sich unbeliebt zu machen.“

„Das sieht dem Arschloch ähnlich!“ sagte Nasini.

„Graf ist in der Stadt,“ sagte Pato, um das Thema zu wechseln. „Er will mit dir sprechen.“

„Woher weißt du das?“ Die Frage kam wie aus der Pistole geschossen.

„Nun, sein Büro hat über Kinzel sein Hotelzimmer reservieren lassen. Du weißt, dass ich sein Zimmer abhören lasse. Er hat Kinzel aufgefordert, dich wissen zu lassen, dass er hier ist und dich sprechen möchte. Wahrscheinlich wirst du noch von Fernandez oder Chavez deshalb angerufen.“

„Ich will ihn auch sprechen. Kannst du das arrangieren?“

„Klar. Wann?“

„Morgen früh. Um acht, hier.“

„Mache ich. Was geschieht jetzt mit Garcia?“

„Das regle ich selbst!“

Durch eine Handbewegung gab Nasini zu verstehen, allein gelassen werden zu wollen.

Während Enrique Pato durch die Gänge des Palastes zurück in den Innenhof zu seinem Wagen ging, musste er an das Gespräch denken, das Nasini am Vormittag mit seinem Vater geführt hatte.

„Alfredo, wir müssen uns sehen. Es gibt ein Problem,“ hatte Nasini gesagt.

Enrique Pato hoffte, seinem Vater nicht zu begegnen. Das Treffen mit Nasini war für genau jetzt verabredet.

Gerade, als er in seinen Wagen gestiegen war, sah er das Auto seines Vaters, einen zehn Jahre alten schwarzen Mercedes-Benz, auf den Parkplatz fahren.

Rupert Graf saß mit Ludwig Kinzel und dessen Frau Karin im Restaurant Costa Verde, wo sie auf die Eheleute Fernandez warteten.

Kinzel hatte das Treffen kurzfristig arrangiert.

Als Walter und Liliana mit halbstündiger Verspätung eintrafen, war die Begrüßung verhalten herzlich.

Walter machte aus seiner Verwunderung darüber, dass Graf so plötzlich angereist war, keinen Hehl. Nur Liliana de Fernandez schien sich über die plötzliche Einladung zu freuen.

Nachdem sie ihre Bestellungen aufgegeben hatten, fragte Walter:

„Was treibt Sie her, Rupert?“

„Ihre Zeitungsmeldungen,“ antwortete Graf knapp.

„Sie meinen die Geschichte mit Garcia? Was hat das mit Ihnen oder mit unserem Geschäft zu tun?“

Graf wartete, bis einer der Ober die Wassergläser gefüllt hatte und sich wieder verzog.

„Einen solchen Skandal können wir jetzt nicht brauchen,“ antwortete er.

Walter schien verwundert.

„Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Garcia, das ist doch der Bursche, der uns zu Anfang mal hinterhergestiefelt ist. Jetzt ist er Chef der PIP und hat Theater mit seiner Freundin. Das hat doch nichts mit uns zu tun. Ich verstehe das nicht.“

„Um das Geschäft in Kraft zu setzen, benötigen wir die Unterstützung der deutschen Regierung. Peru Geld zu geben, zusätzlich zu der bereits aus den Ländern der Europäischen Gemeinschaft gewährten Entwicklungshilfe, ist ohnehin kritisch. Wenn dieses Geld für den Kauf von Waffen ausgegeben werden soll, wird es besonders schwierig. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass es uns gelingt. Wenn aber jetzt ein Skandal wie der um Garcia hochkommt, werden die Kritiker des Geschäftes aufheulen und sagen, seht, was für ein Land das ist, dessen oberster Polizeichef ungestraft über eine junge Frau herfallen kann!“

„Wieso ungestraft? Er ist doch in Haft!“

„Wie lange glauben Sie, wird Nasini ihn in Haft lassen? Noch einen Tag, höchstens zwei Tage.“

Ein Kellner kam und entkorkte den Wein. Er ließ Kinzel probieren, der nur nickte. Als alle fünf Gläser gefüllt waren, war die Flasche leer. Kinzel bestellte eine weitere Flasche.

„Sie glauben, Garcia kommt frei?“ fragte Walter.

„Ich bin bereit, eine Wette darauf einzugehen!“ sagte Graf. „Der Vorwurf, dass er Roxana angefallen hat, wird nicht ausreichen, ihn in Haft zu lassen.“

„Roxana? Ist das dieselbe Roxana, die Sie mal mit zum Essen gebracht haben?“ Walter schien verwundert, dass er jemanden kennen sollte, dessen Name negative Schlagzeilen, wenn auch nur als Opfer, machte.

„Genau diese Roxana!“ antwortete Graf. „Und das gibt dem ganzen eine andere Dimension. Durch Ihre Medien geht, dass Garcia ebenfalls verhört wird im Zusammenhang mit dem Tod von Ludwigs Fahrer. Der wurde genau an dem Tag getötet, als Roxana mit uns gemeinsam im Golfclub war. Komisch, nicht wahr?“

„Ich verstehe immer noch nicht. Was hatte Ihre Freundin Roxana mit Garcia zu tun?“

„Sie war seine Mätresse und von ihm auf mich angesetzt,“ sagte Graf gelassen. „Als sie das Verhältnis mit Garcia beendete, ist er ausgerastet. Ich will Sie nicht damit behelligen, was alles er angestellt hat, aber in meinen Augen ist der Kerl nicht ganz bei Trost.“

Alle am Tisch schienen froh über die Unterbrechung, als zwei Kellner kamen und sie mit Brot versorgten.

„Und nun?“ fragte Walter, als sie wieder unter sich waren.

„Ich will mit Nasini sprechen. Diese Geschichte muss aus den Medien herausgenommen werden. Ich wollte Sie bitten, Nasini wissen zu lassen, dass ich hier bin. Schließlich gehören Sie zu seinem Umfeld.“

Walter guckte betroffen.

„Ich fürchte, Rupert, Sie kennen Nasini inzwischen besser als ich. Er hat mich zwar offiziell zu seinem Wirtschaftsberater ernannt, aber seither habe ich ihn nicht mehr gesehen.“

„Bitten Sie Chavez um Hilfe!“

„Das Verhältnis zwischen Chavez und Nasini ist nicht von Herzlichkeit. Ich hatte Ihnen berichtet, dass Nasini ihn in die Zange genommen hat.“

Rupert Graf war sauer. Er war sauer auf Ludwig Kinzel, der, statt wie von Graf gefordert Walter zu bitten, ein Gespräch mit Nasini herbeizuführen, zu einem Abendessen einlud und es Graf selbst überließ, diese Bitte zu äußern. Er war sauer auf Walter Fernandez, der ohne Chavez nichts als ein Waschlappen war und nichts zustande brachte. Außerdem war er müde, er war den ganzen Tag gereist, zuhause war es inzwischen beinahe vier Uhr früh, und er war seit vierundzwanzig Stunden auf den Beinen.

Er sah Walter kalt an. Ebenso kalt sagte er:

„Walter, Sie und Chavez wollen an diesem Geschäft einen Batzen Geld verdienen. Tun Sie etwas dafür! Ich kann gerne auch andere Personen einschalten, die mir ein Treffen mit Nasini arrangieren, wenn Sie sich dazu außerstande sehen. Die Kosten, die mir hierfür entstehen, werde ich von Ihrer Provision abziehen! Für das Geld, das Sie haben wollen, erwarte ich eine Leistung, nicht nur Einladungen zum Essen!“

Das Schweigen am Tisch war betreten.

Außer Graf sahen alle auf ihre leeren Platzteller. Es schien geradezu eine Erlösung, dass die Kellner die Vorspeisen brachten.

„Ich kann Nasini nicht einfach anrufen und ihm sagen, Sie wollten ihn sprechen,“ sagte Walter. „Ich kann sein Büro anrufen, bitten, dass man zurückruft. Mehr kann Chavez auch nicht tun. Wenn wir Glück haben, meldet Nasini sich in den nächsten Tagen. Dann sage ich ihm, dass Sie hier sind.“

„Walter, ich habe nicht unbegrenzt Zeit. Es gibt noch andere Projekte, an denen ich zu arbeiten habe. Ich erwarte, dass Sie für das Geld, dass Sie haben wollen, etwas tun.“

Zum ersten Mal meldete sich Liliana de Fernandez zu Wort:

„Aber die Verträge sind doch unterschrieben!“

„Unterschrieben schon,“ antwortete Graf. „Aber sie werden erst rechtsgültig, wenn die notwendigen Kredite zur Verfügung stehen. Davon sind wir noch ein ganzes Stück entfernt. Ohne die Sicherung der Zahlung sind die Verträge völlig wertlos. Und dieser Unfug hier mit Garcia trägt nicht dazu bei, unsere Probleme zu lösen.“

„Ich werde mein bestes tun,“ sagte Walter.

„Tun Sie das!“ antwortete Graf. „Ich will übermorgen wieder nach Hause fahren.“

Als Rupert Graf zwei Stunden später in sein Hotel zurückkam, fand er eine Nachricht vor, nach der er um halb acht zu dem gewünschten Treffen abgeholt würde.

Graf wusste, dass Walter Fernandez am Zustandekommen dieses Termins keinen Anteil gehabt haben konnte. Die Nachricht war entgegengenommen worden, als sie noch mitten beim Abendessen waren.

Das erste, was Präsident Maximo Nasini zu Graf sagte, als er ihn am folgenden Morgen begrüßte, war:

„Ich gebe Ihnen hier eine Nummer, die Sie wählen können, wenn Sie Kontakt zu mir suchen. Dann brauchen Sie nicht mehr die halbe Stadt um Hilfe zu bitten.“

Das klang jovial und locker.

Graf begann schon, sich auf eine entspannte Atmosphäre zu freuen.

Nasini fand jedoch sofort zu dem Rupert Graf bekannten aggressiven Ton zurück:

„Ich nehme an, Sie sind gekommen, um mir zu sagen, dass es Schwierigkeiten mit der Hermesbürgschaft gibt. Ich habe die Artikel aus den deutschen Zeitungen gelesen. Das war nicht sehr ausgewogen. Ich hätte eine freundlichere Berichterstattung aus einem Land erwartet, mit dessen Industrie gerade die größten Aufträge unterschrieben worden sind, die Peru auf Jahre hinaus zu vergeben hat.“

„Unsere Presse lässt sich nicht steuern,“ antwortete Graf. „Dass der Erhalt der Bürgschaft nicht leicht wird, predige ich seit einem Jahr. Es gibt Proteste aus anderen Gläubigerländern, was die Sache für die deutsche Regierung nicht leichter macht. Wir haben dennoch gute Chancen, die Bürgschaft zu bekommen. Vorausgesetzt, dass hier nicht im letzten Moment etwas anbrennt.“

„Was wollen Sie damit sagen?“

„Die Entscheidung über die Bürgschaft wird auch davon beeinflusst, wie es hier mit dem Fall Garcia weitergeht,“ antwortete Graf.

„Was geht dieser Fall die Deutschen an?“ Nasini wirkte ungehalten.

„Im Prinzip nichts. Dem normalen deutschen Bürger ist der Fall Garcia piepegal. Er wird das nicht mal zur Kenntnis nehmen. Das Problem ist, dass Teile der deutschen Presse, die bestimmte politische Kreise unterstützen, den Fall Garcia aufbauschen. Das hat nichts mit Peru zu tun. Das hat zu tun mit deutscher Innenpolitik. In Deutschland ist es schick, gegen alles zu sein, was mit Militär zu tun hat, also auch gegen die Rüstungsindustrie. Ich bitte Sie, nicht zu vergessen, dass unsere Nachbarländer nach zwei Weltkriegen uns Deutsche nicht mit Zuneigung betrachten. Sie haben über die letzten fünfzig Jahre unsere Medien und die öffentliche Meinung erheblich beeinflusst, gerade, was das Militär angeht. Ich bitte Sie ferner, zu bedenken, dass auch Israel erheblichen Einfluss auf die Medien in Deutschland ausübt, nicht nur auf die der USA. Nur, der bei uns ausgeübte Einfluss ist von keinerlei Wohlwollen geprägt, weil man uns Deutsche verabscheut. Der Fall Garcia könnte angesichts der anstehenden Entscheidung zum Politikum in Deutschland werden. In diesem Umfeld muss die deutsche Regierung ihre Entscheidung treffen.“

„Wollen Sie damit sagen, wir haben uns mit Deutschland den falschen Partner für unsere Vorhaben ausgesucht, Señor Graf?“ fragte Nasini ungehalten.

„Keineswegs, Señor Presidente. Schließlich bekommen Sie Produkte allererster Qualität. Und wie ich schon sagte, ich bin zuversichtlich, dass die Bürgschaft gegeben wird.“

„Was stehlen Sie mir dann meine Zeit und schwafeln mir die Ohren voll?“ fragte Nasini ohne jedwede Höflichkeit.

„Ich wollte mit Ihnen Überlegungen anstellen, wie wir den Fall Garcia dem Interesse der öffentlichen Berichterstattung entziehen.“

„Auch in Peru ist die Presse keineswegs gesteuert,“ sagte Nasini spitz.

Rupert Graf hatte dazu zwar eine andere Meinung, behielt diese aber tunlichst für sich.

„Darf ich fragen, wie Sie den Fall Garcia zu behandeln gedenken?“ fragte Graf.

„Fragen Sie aus beruflichem Interesse, oder weil Sie neben seiner Mätresse auch seine Frau vögeln?“ fragte Nasini schroff zurück.

„Aus rein beruflichem Interesse, Señor Presidente,“ sagte Graf und sah Nasini in die Augen. Nasini hielt Grafs Blick drei, vier Sekunden stand.

„Gut, Señor Graf. Auch mir passt es nicht, dass ein Offizier, den ich soeben in eine wichtige Position gebracht habe, einem öffentlichen Skandal preisgegeben wird.“

Rupert Graf fiel auf, dass Nasini seine Frage nicht beantwortet hatte. Deshalb blieb er stumm.

Nasini war es, der das Schweigen brach:

„Was schlagen Sie vor?“

Graf erklärte es ihm.

„Dafür brauche ich eine Menge Geld,“ sagte Nasini.

„Ich auch. Ich bin sicher, Sie sind in der Lage, das aufzubringen,“ antwortete Graf. „Sie werden für solche Fälle einen Fundus haben.“

„Nicht genug,“ sagte Nasini. „Sie müssen sich an den Kosten beteiligen!“

„Ich beteilige mich bereits an den Kosten, Señor Presidente. Ich denke, das klappt nur, wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen.“

Nasini wiegte den Kopf hin und her.

„Sie müssen einen Teil der Kosten übernehmen, Señor Graf!“

„Ich zahle meinen Teil, und Sie den Ihren. Ich bitte Sie jedoch, einmal darüber nachzudenken, ob Ihnen aus Ihrer früheren Tätigkeit Erkenntnisse zur Verfügung stehen, mit denen die Kosten gedrückt werden könnten.“

Nasini sah ihn aufmerksam, aber mit der Ausdruckslosigkeit des Blicks eines Huhnes an.

„Ich werde sehen, was sich machen lässt,“ sagte er.

Zurück im Hotel, ließ Rupert Graf sich Ausgaben der verschiedenen Tageszeitungen auf sein Zimmer bringen.

Sämtliche Blätter hatten die Affäre Garcia auf den Titelseiten.

Die Schlagzeilen reichten von ´Verwicklung des Chefs der PIP in Mordfall?´ über ´Mord - Chef der PIP der Täter?´ zu ´Mordvorwurf gegen Garcia´. Die Artikel ließen sich in Mutmaßungen darüber aus, ob Präsident Maximo Nasini seinen Nachfolger als Chef der Geheimpolizei schützen oder fallenlassen werde.

Rupert Graf konzentrierte sich jedoch weniger auf die Artikel selbst, sondern sah im Impressum der Zeitungen nach, wer die Chefredakteure und die Herausgeber waren.

Dann rief er Ludwig Kinzel an.

Kinzel sagte als erstes:

„Walter hat sich gemeldet. Er hat mit seinem Freund gesprochen. Sie wollen zusehen, dass das mit dem von dir gewünschten Treffen klappt.“

Graf sagte:

„Vergiss es! Das Treffen hat bereits heute früh stattgefunden. Komm sofort her in mein Hotel!“

Kaum, dass Graf aufgelegt hatte, klingelte sein Telefon. Als er abhob und sich meldete, hörte er eine Stimme, die auf Deutsch sagte:

„Was ist denn das für eine Scheiße?! Hier geht gerade über den Ticker, dass da in Ihrem Lieblingsland ein Skandal hochkocht. Irgendein Polizeichef soll in einen Mord verwickelt sein!“

Graf erkannte Norbert Schmeling.

„Ich bin gerade dabei, die Sache in den Griff zu bekommen,“ antwortete Graf.

„Das kann ich Ihnen nur raten!“ rief Schmeling. „So einen Unfug brauche ich jetzt wie ein Loch im Kopf! Haben Sie das Foto vom Nasbohrer gesehen?“

Graf bejahte.

„Prima, nicht wahr? Übermorgen kommt was neues. Deshalb, sehen Sie zu, dass Sie dort Ruhe in die Front bekommen!“

Bevor Graf noch etwas hatte sagen können, war die Leitung unterbrochen.

Kinzel kam nach einer halben Stunde. Er wirkte außer Atem.

Rupert Graf erklärte Ludwig Kinzel, was der im Laufe des Vormittags zu tun hatte.

Enrique Pato freute sich diebisch.

Mit zunehmendem Interesse lauschte er den Telefonaten aus Grafs Hotelzimmer mit den Herausgebern der wichtigsten Tageszeitungen und mit dem Inhaber einer Fernsehstation.

Witzigerweise erhielt eine Reihe von Herrschaften aus der Medienbranche ebenfalls Anrufe aus dem Büro seines Vaters.

Die Anrufe aus Grafs Suite im Oro Verde wurden sämtlich von Ludwig Kinzel geführt, der mit einem nach dem anderen der Angerufenen Termine für persönliche Treffen abstimmte.

Das Gleiche tat Patos Vater, der die Herrschaften in sein Büro bat.

Bei Kinzels Telefonaten ging es um die Platzierung größerer Werbeanzeigen, bei seinem Vater um vertrauliche Informationen, die ausgetauscht werden sollten.

Das versprach, spannend zu werden.

Er beschloss, seinem Vater einen Besuch abzustatten.

Das Büro von Alfredo Pato lag in der Innenstadt Limas, und die Fahrt dorthin dauerte nicht länger als zwanzig Minuten. Einen Parkplatz musste Enrique Pato nicht suchen, weil er sich fahren ließ.

Die Sekretärin, die sein Vater beschäftigte, war schon in den Vierzigern, aber noch recht ansehnlich. Während sie ihn anmeldete, fragte er sich, ob sein Alter mit der Frau bumste. Sein Vater, der während seiner Tätigkeit im Außenministerium zuletzt den Rang des Kanzlers in einer Botschaft bekleidet hatte und sich deshalb damals Minister nennen durfte, ließ sich trotz seines Ausscheiden aus dem Amt vor gut zehn Jahren immer noch als Ministro ansprechen. Dabei war er nicht mehr als ein höherer Angestellter des Ministeriums gewesen.

Auch die Sekretärin sprach ihn mit Señor Ministro an.

Entweder hatte sie tatsächlich nichts mit dem Alten, oder sie war eine glänzende Schauspielerin. Auf alle Fälle war sie zehn Jahre jünger als Patos Mutter und deshalb für den Alten eine junge Frau.

Enrique Pato sah sich um.

Es gab nur das Vorzimmer und das dahinterliegende geräumige Zimmer seines alten Herrn.

Jovial kam sein Vater zu der ledergepolsterten Tür, die sein Büro vom Vorzimmer trennte.

„Welch wunderbare Überraschung, mein Sohn!“ rief er und umarmte Enrique mit einer Herzlichkeit, die ihn verwunderte. „Señora Carmen, haben Sie meinen Sohn Enrique schon kennengelernt? Er ist mein ganzer Stolz! Er bekleidet ein wichtiges Amt direkt bei Präsident Nasini!“

Damit hatte der Alte gleich zweierlei erreicht.

Er hatte eine Familieneinigkeit zur Schau gestellt, die es in Wirklichkeit nicht gab, die aber auf jeden Fall Señora Carmen wissen lassen würde, dass es unangebracht war, ein zu intimes Verhältnis zu ihrem Arbeitgeber erkennen zu lassen, und er hatte es geschafft, Señora Carmen damit zu beeindrucken, dass nicht nur er selbst, sondern auch sein Sohn zum nächsten Umfeld von Nasini gehörten. Wenn der Alte nicht schon mit der Frau vögelte, so überlegte Enrique Pato, hatte diese kleine Szene ihn ihrem Bett einen Schritt näher gebracht!

Wie immer war sein Vater einen Tick zu jugendlich und zu elegant gekleidet, um seriös zu wirken. Zumindest Enrique Pato hätte seinem Vater in seinem Aufzug, schwarze Hose, gelber Blazer, dunkles Hemd mit knallroter Krawatte und zu allem Überfluss auch noch zweifarbige Schuhe, keinen Gebrauchtwagen abgekauft!

Das graue Haar glänzte vor Pomade.

„Welch Freude, dich hier zu begrüßen! Was führt dich hierher, mein Sohn?“ fragte Alfredo Pato, während Señora Carmen Kaffee und eine Schale mit Keksen servierte.

„Ich war gerade in der Nähe und dachte, ich sage mal kurz guten Tag,“ antwortete Enrique Pato. „Und ich wollte mal sehen, wie es dir geht.“

„Ach, die Geschäfte, mein Junge, die Geschäfte halten mich auf Trab. Aber sie halten mich auch jung.“

Enrique Pato sah auf der Platte des Schreibtisches lediglich Tageszeitungen liegen. Er sagte:

„Ich habe mich sehr gefreut, zu sehen, wie herzlich dein Verhältnis zu Präsident Nasini ist. Neulich auf dem Empfang der deutschen Botschaft hat er sich ja fast nur mit dir unterhalten.“

„Ja, ja, der gute Maximo. Ich bewundere ihn aufrichtig, dass er sich ein solch schwieriges Amt hat aufbürden lassen. Aber du weißt ja selbst, mein Junge, wie er ist. Wenn die Pflicht ruft, kann er nicht nein sagen....“

„Was ich dich immer schon mal fragen wollte, Papito“ – er wählte bewusst die Koseform der Anrede – „seid ihr eigentlich bloß befreundet, oder stimmt es, dass es da ein verwandtschaftliches Verhältnis gibt? Ich bin da niemals richtig hintergekommen.“

„Wir sind gute Freunde, richtige Freunde!“ rief Alfredo Pato. „Aber wir sind auch miteinander verwandt, ja. Meine Mutter und sein Großvater waren Cousine und Cousin. Ja, du bist mit dem Präsidenten der Republik verwandt. Was aber viel mehr zählt, ist die Freundschaft. Du weißt, Freunde sucht man sich aus, die Verwandtschaft hat man, ob man will oder nicht!“

Enrique Pato trank einen Schluck Kaffee und fragte so harmlos, wie er konnte:

„Und auf was beruht diese Freundschaft? Ich meine, wie ist sie entstanden? Du bist älter als er, ihr habt bestimmt nicht als Kinder gemeinsam gespielt.“

Sein Alter war bewundernswert! Mit charmantem Lachen quittierte er diese Frage:

„Nein, wahrhaftig nicht, wahrhaftig nicht. Maximo ist fünfzehn, sechzehn Jahre jünger als ich. Nein, unsere Freundschaft beruht auf wechselseitigem Vertrauen. Ich habe ihm einmal in einer schwierigen beruflichen Situation zur Seite stehen können. Ich habe das damals gerne getan. Damals sind wir einander näher gekommen. Aber wir haben auch gemeinsam gespielt. Karten. Poker. Auch da habe ich ihm einmal helfen können. Du weißt, so entwickeln sich Männerfreundschaften, auch über die Gräben des unterschiedlichen Lebensalters hinweg. Es gab auch Situationen, in denen er mir geholfen hat. Wie das so geht.“

Enrique Pato erinnerte sich, dass sein Vater für sein Leben gerne zockte, was ein Grund häufiger und lebhafter Diskussionen zwischen seinen Eltern gewesen war, allerdings war er dann immer aus dem Zimmer geschickt worden.

Selbst in Hamburg damals hatte sein Vater vermutlich mehr Zeit in der Spielbank in Hittfeld verbracht als im Konsulat an der Alster.

Er fragte sich, worin die Hilfe seines Alten bestanden haben konnte. Wäre es etwas gewesen, womit er sich hätte in Szene setzen können, hätte er dies todsicher getan.

Sein Vater fuhr fort:

„Maximo hat mir zum Beispiel sehr geholfen, als er dich in der PIP untergebracht hat. Du wusstest damals nicht, was du tun wolltest, außerdem drohte dir die Wehrpflicht. Es war für Maximo selbstverständlich, dich als den Sohn eines alten Freundes in seiner Organisation unterzubringen. Ich habe nicht mal darum bitten müssen. Ich hatte lediglich erwähnt, dass ich einen interessanten Posten für dich suchte, und schon hat er von selbst den Vorschlag gemacht. Und du siehst, was du für gute Karten bei ihm hast! Du bist sozusagen einer seiner engsten Berater! Mein Sohn, der Berater des Präsidenten der Republik!"

Alfredo Pato stand plötzlich auf, und auch Enrique erhob sich.

„Mein Junge, es war schön, mit dir zu plaudern. Leider erwarte ich jeden Augenblick einen wichtigen Besucher. Wenn du das nächste Mal vorbeikommst, ruf doch vorher eben an, dann gibst du mir die Möglichkeit, andere Termine zu verschieben.“

Auch das war charmant gesagt, wobei Enrique Pato sich nicht der geringsten Illusion darüber hingab, wessen Termin verschoben würde, wenn der Alte etwas anderes für wichtiger hielt!

Sein Vater begleitete ihn durch das Vorzimmer bis zum Ausgang, wo er ihn herzlich mit Küssen auf die Wangen umarmte und noch einmal beteuerte, wie sehr er sich über diese Überraschung gefreut habe.

In der geöffneten Bürotür stehend, sah sein Vater ihm nach, wie er zum Aufzug ging und den Rufknopf drückte.

Erst als der Aufzug gekommen und Enrique eingestiegen war, winkte sein Vater ihm noch mal zum Abschied zu.

Offenbar hatte er sicher sein wollen, dass er auch wirklich ging.

Enrique Pato war guter Laune. Es hatte geklappt.

Der winzige Sender, den er hatte in den Ritzen des Ledersofas verstecken können, würde in der kommenden Zeit alle Geräusche, die im Büro seines Vaters zu hören sein würden, nach draußen übertragen.

Als Enrique Pato das Haus verließ und die Straße überquerte, wo sein Wagen im Halteverbot stand und der Fahrer ihm die Tür aufriss, blickte er nach oben. An einem Fenster im dritten Stockwerk stand sein Vater und hob grüßend die Hand.

Enrique Pato winkte zurück und stieg ein.

Er ließ den Fahrer das Auto einmal um den Block steuern und stieg an der Ecke der Straße, in der das Büro lag, wieder aus. Sicherheitshalber hatte er sein Jackett ausgezogen. Stattdessen hatte er die Kopfhörer eines umgebauten MP3-Players in den Ohren. Der Player spielte nicht ab, sondern nahm auf.

Als er sich auf fünfzig Meter dem Gebäude genähert hatte, in dem das Büro lag, war der Ton einwandfrei.

Er hörte, wie sein Vater gerade zu Señora Carmen sagte:

„Jeden Augenblick muss Señor Francis hier sein. Bitte frischen Kaffee und Mineralwasser!“

Enrique Pato nahm den Kopfhörer ab und ging in ein Café, das dem Büro seines Vaters fast genau gegenüber lag. Die Entfernung bis zum Fenster des väterlichen Büros betrug weniger als zwanzig Meter. Er bestellte ein Mineralwasser, trank davon, und ging in den hinteren Teil, wo sich die Toilette befand.

Auch hier war der Empfang einwandfrei.

Er ging in die einzige Kabine, die es auf der Herrentoilette gab, stieg auf den Rand des Beckens – einen Klodeckel gab es nicht - und klemmte den MP3Player zwischen Wasserbehälter und Wand fest.

Als er herabstieg, war das winzige Gerät nicht zu sehen.

Enrique Pato setzte sich auf die Klobrille und ließ den Blick wandern.

Niemand, der hier hockte, würde den Apparat zufällig entdecken, genauso wenig jemand, der im Stehen in das Becken pinkeln würde. Die Batterie würde halten.

Das Gerät würde sich automatisch auf Pause stellen, wenn fünf Minuten lang kein Geräusch aus dem Büro kommen würde.

Enrique Pato betätigte die Wasserspülung und ging in den Gastraum zurück, um zu zahlen.

Sicherheitshalber wollte er morgen Mittag wieder hier sein.

Wegen des schönen Wetters hatte Graf die Treffen in den Garten des Hotels gelegt.

Der erste, der kam, war Señor Manolo Bendorlo.

Rupert Graf überließ es Ludwig Kinzel, einander vorzustellen und zu erklären, dass sein Unternehmen eine länger währende Werbekampagne in Peru plante, gerade nachdem im vergangenen Monat ein wichtiges Abkommen hatte zum Abschluss gebracht werden können.

Señor Bendorlo war Herausgeber von gleich zwei Tageszeitungen, von denen eine morgens, der Correo, und eine am Abend unter dem Namen El Dia erschien.

Die Anzeigenpreise fand Rupert Graf im Vergleich zu den Preisen in Deutschland lächerlich. Dabei hatten die Blätter in der Millionenstadt Lima erhebliche Auflagen.

Eine ganzseitige Anzeige in beiden Blättern kostete über eine ganze Woche weniger, als eine ein einziges Mal in Deutschland geschaltete Anzeige kosten würde.

Señor Bendorlo erstarrte vor Ehrfurcht, als er hörte, dass Rupert Graf derjenige war, der die Verhandlungen über das Geschäft geführt hatte, das ihm natürlich bekannt war und über dessen Unterschriftzeremonie seine beiden Zeitungen ausführlich berichtet hatten.

Er war stolz und glücklich, dass das Unternehmen aus Deutschland ausgerechnet seine beiden Blätter mit einer solch ehrenvollen Werbeaufgabe betrauen wollte.

Trotzdem handelte Graf den Preis für die eine ganze Woche lang erscheinenden Anzeigen um zwanzig Prozent herunter. Er war überzeugt, dass Bendorlo ihnen das Doppelte von dem berechnete, was er jemals in Peru einem einheimischen Unternehmen aus dem Kreuz leiern könnte.

Im Gegenzug erklärte Graf sich bereit, dem für Wirtschaftsnachrichten zuständigen Redakteur ein Interview zu geben, in dem er das Engagement seines Unternehmens in Peru tiefergehend erläutern wollte.

Sie hatten das Gespräch fast schon abgeschlossen, und es war abgesprochen, dass Señor Bendorlo ihnen nach Rückkehr in sein Büro per Telefax den Vertrag über die Platzierung der Anzeigen zusenden wollte, der dann nur noch gegengezeichnet und zurückgeschickt werden musste, als Graf sagte:

„Ach so, Señor Bendorlo, noch etwas. Señor Kinzel und ich vertreten ein Unternehmen mit großer Reputation in der ganzen Welt. Ich sähe ungern, wenn eine Zeitung, in der wir großformatige Anzeigen unterbringen, sich auf den Titelseiten oder im redaktionellen Teil mit reißerisch aufgemachten Skandalgeschichten wie Sex, Vergewaltigung oder Mord beschäftigte.“

Señor Manolo Bendorlo, der schon aufgestanden war, setzte sich wieder.

„Was meinen Sie, Señor Graf?“

„Was war Ihr Aufmacher heute morgen, oder was wird Ihr Aufmacher in der Abendausgabe sein, Señor Bendorlo?“

„Nun, der Skandal um General Garcia selbstverständlich. So etwas gab es hier noch nie!“

„Nehmen Sie es von der Titelseite, Señor Bendorlo. Ich würde ungern zuhause meiner Pressestelle Kopien von Zeitungen vorlegen, in denen wir inserieren, und die beschäftigen sich mit nichts anderem als einem vermeintlichen lokalen Skandal. Das ist mir nicht seriös genug. Dann vergessen wir das ganze besser.“

Señor Bendorlo guckte überrascht.

„Aber das ist der Reißer, Señor Graf.“

„Ich inseriere nicht in Skandalblättern,“ sagte Graf kühl.

„Señor Graf, meine Zeitungen sind keine Skandalblätter! Wir berichten über einen Vorfall von nationalem Interesse.“

„Ich inseriere in keiner Zeitung, die nichts anderes für die Titelseite hat als eine unbewiesene Mordgeschichte, oder, dass ein hoher Beamter seine Freundin verprügelt. Das ist nicht der Stil unseres Unternehmens.“

Wie zuvor abgesprochen, schaltete Kinzel sich ein:

„Du musst verstehen, Rupert, wenn Señor Bendorlo solch eine Geschichte nicht auf der Titelseite hat, könnten seine Leser zu anderen Blättern abwandern.“

„Genau!“ warf Señor Bendorlo ein.

„Das ist sein Risiko,“ antwortete Graf.

„Wenn Señor Bendorlo dieses Risiko eingeht, könnte er einen persönlichen Verlust erleiden. Ich verstehe, dass er das nicht riskieren kann."

„Wieso?“ fragte Graf stur. „Dieses Risiko trägt er bei jeder Ausgabe. Das ist sein Job!“

„Nicht, wenn gerade so ein wunderbarer Skandal im Gange ist, Rupert. Das musst du verstehen.“

„Genau,“ sagte Señor Manolo Bendorlo, dankbar für Kinzels Unterstützung. „Kein Skandalbericht, keine Käufer. Wozu dann Ihre schönen Anzeigen, Señor Graf?“

„Gut,“ sagte Graf. „Dann verschieben wir unsere Anzeigenaktion um ein paar Wochen, bis die Geschichte mit Garcia vorbei ist.“

Dieser Gedanke gefiel Señor Bendorlo sichtlich nicht. Das viele Geld für die Kampagne hatte er schon so gut wie in der Tasche gehabt.

„Es muss doch noch eine andere Lösung geben,“ murrte er.

„Die einzige Lösung, die mir einfällt,“ sagte Graf, „ist die, dass wir Señor Bendorlo seinen möglichen Verlust kompensieren. Nicht seinen Zeitungen, sondern ihm persönlich. Zehn Prozent des Anzeigenpreises.“

Rupert Graf war sicher, er bot gerade das an, was Señor Manolo Bendorlo während zwei Jahren als Einkommen haben würde.

Señor Bendorlo war auch entsprechend beeindruckt. Trotzdem versuchte er, zu feilschen.

„Ich bin nicht käuflich, Señor Graf!“ rief er scheinbar empört aus. „Auch meine Redakteure sind nicht käuflich!“

„Lassen wir es, Señor Bendorlo. Ich fange ohnehin an, mich zu fragen, ob eine Aktion mit Werbespots im Fernsehen nicht besser wäre. Ich habe mich gefreut, Sie kennenzulernen, und ich danke Ihnen, dass Sie Señor Kinzel und mir soviel Zeit gewidmet haben.“

„Es gibt doch bestimmt einen Kompromiss,“ sagte Bendorlo, unglücklich über die Wendung, die das Gespräch genommen hatte. „Nur, zehn Prozent, das ist nicht gerade viel. Mein ganzes Vermögen steckt in diesen Zeitungen.“

Graf wurde ungeduldig:

„Was zahlen Sie an Steuern, Señor Bendorlo?“

„Ich verstehe Ihre Frage nicht, Señor Graf.“

„Na, wie hoch ist Ihre persönliche Einkommensteuer? Dreißig Prozent, vierzig Prozent?“

„In meiner Einkommensgruppe mehr als fünfzig Prozent, Señor Graf,“ antwortete Señor Bendorlo nicht ohne Stolz.

„Gut, Señor Bendorlo. Ihre Risikoabdeckung lasse ich Ihnen in bar aushändigen. Ob Sie das versteuern, ist Ihre Angelegenheit. Wenn Ihnen das auch nicht passt, kann ich Ihnen nicht helfen. Es gibt auch Fernsehen in Peru. Und andere Zeitungen, deren Herausgeber sich die Finger lecken würden.“

Demonstrativ stand Graf auf. Dann ging alles ganz schnell.

Während sie noch am Tisch standen, wurde abgesprochen, dass Kinzel den Anzeigenvertrag unterschreiben würde. Die erste Anzeige sollte in drei Tagen geschaltet werden, sofern Bendorlos Zeitungen bis dahin die Affäre Garcia auf mindestens Seite zehn verbannt hätten. Danach würde alle zwei Tage eine Anzeige der DRRS erscheinen. Im gleichen Rhythmus sollte Señor Bendorlo seine Risikoabdeckung in bar von Kinzel in Empfang nehmen.

Bendorlo sauste davon, bevor die beiden Gringos sich die Sache anders überlegen konnten.

Stumm sah Graf ihm nach, als er in der Hotelhalle verschwand.

Dann sagte er zu Ludwig Kinzel:

„Der nächste bitte!“

Rosita Menaca de Garcia saß im Hause ihrer Mutter vor dem Fernseher.

Aus der Küche, in der die Hausmädchen das Abendessen zubereiteten, kamen appetitanregende Gerüche.

Trotzdem wollte Rosita die Nachrichten sehen. Sie hatte eine Videokassette in den Recorder gelegt, weil sie die Nachrichten aufzeichnen wollte.

Die vergangenen Tage waren schwierig gewesen. Wie sollte sie den Kindern erklären, was deren Vater öffentlich unterstellt wurde?

Rosita de Garcia hatte nicht den geringsten Zweifel, dass Carlos über Roxana hergefallen war. Sie kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass er in bestimmten Situationen dazu neigte, die Kontrolle über sich zu verlieren. Im übrigen war sie der Ansicht, dass eine Frau, die sich mit einem verheirateten Mann einließ und in Kauf nahm, dessen Familienleben zu zerstören, durchaus mal eine Tracht Prügel verdient hätte!

Das mit dem Mordvorwurf war etwas anderes! Das war sehr ernst!

Rosita mochte sich nicht vorstellen, mit einem Mörder verheiratet gewesen zu sein. Sie mochte sich auch nicht vorstellen, die Kinder eines Mörders großgezogen zu haben.

Mit zunehmender Verzweiflung hatte sie die Hilflosigkeit ihrer Töchter und ihres Sohnes beobachtet, als die ersten Meldungen über die Verwicklung des Vaters in einen Mordfall in den Medien erschienen.

Was hätte sie den Kindern sagen sollen?

Es war keineswegs so, dass sie mit abgöttischer Liebe an ihrem Erzeuger gehangen hätten. Carlos war nie sonderlich liebevoll zu seinem Nachwuchs gewesen. Seine ständige Abwesenheit, vorgeblich durch seinen Beruf bedingt, aber tatsächlich bestimmt durch andere Interessen und zuletzt durch sein Verhältnis zu seiner Mitarbeiterin, waren nicht ohne Auswirkungen auf die Zuneigung der Kinder zu ihm geblieben.

Crimilda, ihre älteste Tochter, hatte genau mitbekommen, was los war.

Pablo, ihr Sohn, hatte am meisten gelitten. Pablo war jetzt in einem Alter, in dem er den Vater gebraucht hätte, in dem er sich gewünscht hätte, dass Carlos am Wochenende mal gemeinsam etwas mit ihm unternehmen würde! Zwar konnten sie alle Angebote des Heeresclubs nutzen, Schwimmen im Pool, die Tennisplätze, andere Sporteinrichtungen. Aber Pablo hätte sich gefreut, wenn sein Vater gelegentlich mit ihm zum Fischen an den Strand oder auch nur als Zuschauer zu einem der Fußballspiele seiner Schülermannschaft gekommen wäre.

Stattdessen hatte Carlos jede freie Stunde dazu benutzt, seine Geliebte zu besuchen.

Rosita de Garcia musste daran denken, dass nach den Meldungen der vergangenen Tage der Mord, bei dem angeblich die Fingerabdrücke von Carlos gefunden worden waren, ungefähr ein Jahr her sein musste.

Damals war Carlos besonders häufig erst sehr spät nach Hause gekommen.

Er arbeite an einer sehr wichtigen und schwierigen Aufgabe, hatte er gesagt.

Ein paarmal war er sogar über Nacht weggeblieben, einmal sogar mehrere Nächte lang.

Als er wieder erschienen war, verdreckt, mit völlig verschmutzter Kleidung, hatte er sich in Schweigen gehüllt, trotz ihrer bohrenden Fragen.

Das war aber gewesen, nachdem ihn seine Freundin angeblich rausgeworfen hatte. Rosita erinnerte sich noch gut an den nächtlichen Anruf.

Bisher war in den Medien nicht gesagt worden, wer das Mordopfer gewesen sei. Es war kein Name genannt worden, es hatte lediglich geheißen, es habe sich um den Mitarbeiter eines ausländischen Unternehmens gehandelt.

So, wie sie und die Kinder die Artikel über Carlos aus den Zeitungen ausschnitten, so sammelten sie auch die Passagen aus den Fernsehnachrichten, die sich mit Carlos beschäftigten.

Rosita de Garcia sah auf dem Bildschirm die Uhr und das Logo, mit dem der Beginn der Abendnachrichten angekündigt wurde.

Sie stellte den Ton lauter und nahm die Fernbedienung für den Videorecorder in die Hand.

Im Unterschied zu den vergangenen Tagen fingen die Nachrichten jedoch nicht mehr mit der Meldung über die Verhaftung des vorgeblichen Chefs der Policia de Inteligencia an.

Der Fall wurde überhaupt nicht erwähnt.

Rosita wurde nachgerade unruhig.

Durch die Uhrzeit und die für die Nachrichtensendung typische Anfangsmusik herbeigerufen, kamen auch die Kinder und setzten sich zu ihr.

„Schon was über Papa?“ fragte Crimilda.

Rosita schüttelte den Kopf.

Gemeinsam verfolgten sie die Sendung.

Von den nationalen Neuigkeiten wechselte der Verlauf zu den internationalen Nachrichten.

Nichts über Carlos.

Plötzlich wurde Rosita de Garcia hochrot.

Sie merkte gar nicht, wie sie Starttaste auf der Fernbedienung des Videorecorders betätigte.

Das Gerät setzte sich mit mechanischen Geräuschen in Gang.

Sie hatte gar nicht richtig zugehört, als der Sprecher angekündigt hatte, jetzt folge ein Gespräch mit dem Repräsentanten eines großen Industrieunternehmens aus Deutschland, der sich bereit erklärt hatte, einige Erläuterungen zu dem kürzlich unterzeichneten Kauf von Marineschiffen und der Modernisierung der Minenindustrie zu geben.

Rosita de Garcia sah nur Rupert Graf.

Ihr Herz schlug spürbar schneller.

Rupert Graf entschuldigte sich zunächst bei seinem Gesprächspartner und bei den Zuschauern für sein unzureichendes Spanisch und bat, der Interviewer möge dies bei der Formulierung seiner Fragen berücksichtigen. Dabei lächelte er freundlich in die Kamera. Sein kahler Schädel glänzte im Licht der Scheinwerfer.

Das Bild zeigte entweder den Fragesteller oder Graf, manchmal auch beide zusammen. Rosita de Garcia wollte nur Rupert Graf sehen.

Von dem Interview selbst bekam sie zunächst kaum etwas mit. Aber jedes Mal, wenn Rupert Grafs Gesicht den Bildschirm ausfüllte, spürte sie ihr Herz im Halse klopfen. Ihr Gesicht war puterrot.

Graf erklärte, die Verträge seien zwar unterzeichnet, aber damit noch nicht rechtsgültig. Zur Erlangung der Rechtsgültigkeit sei von beiden Seiten, Perus und Deutschlands, noch eine Reihe von Bedingungen zu erfüllen. Dies sei so, wie wenn eine Ehe durch die Eltern von Braut und Bräutigam vereinbart worden sei. Trotzdem fände der Austausch der Beweise der Zuneigung zwischen den Ehepartnern erst nach der Hochzeitsfeier statt.

„Kennst du diesen Typen?“ fragte Camilla, Rositas zweitälteste Tochter. „Oder warum hörst du dir dieses Gequatsche an?“

Rosita de Garcia fühlte ihr Gesicht brennen.

„Psst!“ machte sie bloß.

Rupert Graf wies auf die Probleme hin, die es machte, die Finanzwelt von der wirtschaftlichen Richtigkeit dieses wichtigen Vorhabens zu überzeugen. Er beschrieb die positiven Auswirkungen gerade der Modernisierung der Erzminen und des Ausbaues der Hafenanlagen auf die Exporterlöse Perus.

Zum Ende des Interviews stellte der Moderator noch eine, wie er sagte, letzte Frage:

„Señor Graf, Sie haben sicherlich mitbekommen, dass unser Land in den vergangenen Tagen sehr mit einem Vorfall beschäftigt war, in den einer unserer höchsten Polizeibeamten verwickelt sein soll. Man bringt diesen Beamten in der Berichterstattung in Verbindung mit einem Mordfall. Das Opfer war ein Mitarbeiter Ihres hiesigen Büros. An dem Abend, als der Mord geschah, waren Sie in unmittelbarer Nähe. Wollen Sie dazu etwas sagen?“

Rupert Graf, der bisher im Plauderton geantwortet hatte, war plötzlich sehr ernst.

„Das war ein sehr, sehr trauriger Vorfall,“ sagte er. „Das Opfer, Oscar Martinez, war ein Mitarbeiter unserer hiesigen Tochtergesellschaft, der im Ruf großer Zuverlässigkeit stand und den ich selbst, obwohl ich ihn nur sehr oberflächlich kennengelernt habe, sehr mochte. An dem besagten Abend sollte er uns zum Hotel fahren, und er hat deshalb im Auto auf dem Parkplatz eines Restaurants auf uns gewartet.“

Graf machte eine Pause.

„Als wir auf den Parkplatz kamen, war Señor Martinez verschwunden. Das Auto war noch da. Wir waren sehr verwundert, weil, wie gesagt, Señor Martinez sehr zuverlässig war. Ich selbst habe erst nach meiner Rückkehr nach Deutschland erfahren, dass er an diesem Abend erwürgt worden ist. Ich war zutiefst erschüttert. Oscar Martinez hinterlässt eine Frau und ein Kind, das ihn nur durch die Erzählungen seiner Mutter wird kennenlernen können.“

Er nahm einen Schluck aus einem Wasserglas. Dann fuhr er fort:

„Den Beamten, dem laut Ihren Zeitungen eine Verwicklung in diesen Fall nachgesagt wird, kenne ich persönlich nicht. Es ist jedoch völlig außerhalb meiner Vorstellungskraft, dass ein hoher Beamter dieses Landes mit einer solchen Tat etwas zu tun haben sollte. Ich halte den Vorwurf für einen Irrtum. Für mich stellt es sich so dar, als ob Señor Martinez das Opfer eines Raubüberfalls war. Die öffentliche Diskussion über die Möglichkeit, ein hoher Polizeioffizier könnte damit etwas zu tun haben, tut Ihrem Land nicht gut, weil sie aus internationalem Blickwinkel ein verzerrendes Licht auf Peru wirft.“

„Was wollen Sie damit sagen, Señor Graf?“

„Ihr Land durchläuft gerade einen schwierigen politischen und wirtschaftlichen Umstellungsprozess. Präsident Maximo Nasini hat in einem Augenblick das Ruder übernommen, in dem sonst niemand bereit stand, die Lücke zu schließen, die der Tod von Präsident Scaloni gerissen hat. Frühere Regierungen haben einen riesigen Schuldenberg hinterlassen, den Präsident Nasini mit Umsicht abzutragen versucht. Die Analysten in den Banken in New York, Tokio, London, interessieren sich nicht für die sozialen Probleme, die es in diesem Land gibt. Sie interessieren sich nur für Wirtschaftszahlen. In dieser schwierigen Situation führt eine solche Diskussion letztlich nur dazu, dass man in Nordamerika und Europa den Eindruck gewinnt, na ja, mal wieder ein General, der da regiert, und eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“

„Aber es heißt, Fingerabdrücke von General Carlos Garcia seien auf und in dem Auto Ihres lokalen Repräsentanten gefunden worden. An dem Auto, in dem Señor Martinez auf Sie gewartet hat.“

„Soweit mir heute bekannt ist, war es damals die Aufgabe von General Garcia, Kontakte deutscher Unternehmen zu, nun, sagen wir, überwachen. Ich will nicht ausschließen, dass er sich mit dem Auto aus beruflichem Interesse beschäftigt hat. Das kann schon Tage vorher gewesen sein. Wie gesagt, es liegt außerhalb meiner Vorstellungskraft, dass ein Offizier Ihres Landes mit einer solchen Tat wie dem Mord an dem unglücklichen Oscar Martinez zu tun haben könnte.“

Hier wurde ausgeblendet.

Die auf dem Bildschirm erscheinende Ansagerin entschuldigte sich dafür, dass wegen dieses wichtig erscheinenden Gespräches die übliche Sendezeit der Nachrichten nicht eingehalten worden war.

Rosita de Garcia rannte zum Telefon. Die Nummer von Grafs Hotel wusste sie aus dem Kopf.

In seinem Zimmer meldete sich niemand.

Sie hinterließ eine Nachricht, mit der sie um seinen Anruf bat.

---

Roxana Torreblanca saß wie gelähmt vor dem Fernseher.

Auch in Arequipa war die Sendung ausgestrahlt worden.

Sie konnte nicht fassen, was Rupert gesagt hatte!

Zunächst war sie völlig verblüfft, als sie Rupert Graf erkannt hatte. Auf dem Fernsehschirm hatte er ganz anders ausgesehen als in Wirklichkeit, dicker, kräftiger, als er tatsächlich war. Ihr Herz hatte bis in den Hals hinauf geschlagen.

Wärme hatte sich durch ihren ganzen Körper gezogen. Sie liebte ihn immer noch so sehr!

Mehrmals hatte sie im Laufe des Tages in Ruperts Hotel angerufen, aber immer hatte es geheißen, er sei nicht da, er sei gerade in Gesprächen und habe hinterlassen, nicht gestört werden zu wollen.

Roxana wusste, dass er auch bei seinen früheren Aufenthalten immer sehr beschäftigt gewesen war, und sie hatte am Abend noch einmal versuchen wollen, ihn anzurufen.

Da sie oft genug mit ihm zusammen im Hotel gesehen worden war, und da sie ferner damit rechnete, dass man inzwischen ihren Namen dort kannte, hatte sie sich nicht dazu durchringen können, eine Nachricht für Rupert zu hinterlassen. Sie schämte sich zu sehr für den Vorfall mit Carlos Garcia, obwohl es doch wirklich nicht ihre Schuld war! Sie hatte sich schon so sehr geschämt, als Rupert sie vor zwei Tagen angerufen hatte. Da hatte er so mitfühlend geklungen, dass sie hätte heulen können.

Und jetzt diese öffentliche Erklärung Ruperts zugunsten von Carlos Garcia!

Gut, Rupert wusste sicherlich nicht, was Enrique Pato ihr erzählt hatte. Und auch wenn Rupert den ermordeten Fahrer nicht als Fahrer bezeichnet hatte, sondern in dem Interview von ihm als Mitarbeiter gesprochen hatte, so wusste sie doch, dass das ganz einfach Ruperts Höflichkeit war und wahrscheinlich nicht die besondere Wertschätzung eines Mannes, den er nur einen oder zwei Tage lang gekannt hatte. Trotzdem hatte Roxana es als sehr angenehm empfunden, dass er nicht einfach von dem Chauffeur gesprochen hatte.

Aber wie konnte er Garcia dermaßen in Schutz nehmen?!

Er wusste doch inzwischen, was Garcia ihr alles angetan hatte! Hätte er nicht wenigstens sagen können, Garcia ist, nach allem was ich weiß, ein Lump?! Hätte er nicht sagen können, ich kenne Garcia zwar nicht, aber wie ich gehört habe, ist dem Kerl alles zuzutrauen?!

Und stattdessen sagt er, er könne sich nicht vorstellen, dass ein peruanischer Offizier so etwas getan haben könnte!

Roxanas Augen füllten sich mit Tränen.

Warum tat Rupert das?

Rupert war ihr bisher als Inbegriff der Integrität erschienen. Er sprach mit Ministern und sogar mit dem Präsidenten, und das schien für ihn völlig normal zu sein. Er hatte auf sie immer so gelassen und überlegen gewirkt. Und jetzt nahm er auf einmal Garcia in Schutz, Garcia, von dem er wusste, er hatte sie geschlagen, vergewaltigt, misshandelt! Garcia, von dem er wusste, er war ein Verbrecher!

Warum bloß, warum?

Sie spürte, dass jemand sie an der Schulter fasste und zuckte zusammen.

Ihre Mutter stand neben ihr und fragte:

„Roxana, hörst du mich denn nicht? Was ist los mit dir? Ist dir nicht gut?“

Offenbar hatte sie gar nicht gemerkt, dass sie angesprochen worden war.

„Doch, Mama, es geht schon wieder, danke.“

Ihre Mutter legte den Arm um sie und zog sie an sich.

„Was ist los mit dir, mein Kind? Du hast doch Kummer! Ich sehe es dir an.“

Roxana musste laut aufschluchzen. Ihre Mutter setzte sich neben sie und hielt sie fest.

„Du bist doch mein Kind!“ murmelte sie leise.

Diese Geste von Zärtlichkeit der Roxana so fremd gewordenen Frau, eigentlich die zärtlichste Geste seit der Verhaftung ihrer Mutter vor fast einem Jahrzehnt, ließ bei Roxana alle Dämme brechen.

Stockend und unter Tränen berichtete sie, was ihr im vergangenen Jahr widerfahren war.

---

Maria Rosa hatte zusammen mit der Mutter von Oscar Martinez, Esmeralda Martinez, den Tisch für das Abendessen gedeckt, als die Nachrichten liefen.

Ihr Sohn, dem sie den Vater nur auf ein paar verblichenen Fotos würde zeigen können und den sie ebenfalls Oscar hatte taufen lassen, schlief in einer Ecke auf dem Bett der Großmutter.

Maria Rosa kam häufig hierher, seit sie Oscar junior zur Welt gebracht hatte. Er war jetzt schon mehr als fünf Monate alt, und seine Großmutter, auch wenn sie selbst noch eigene halbwüchsige Kinder hatte, zerschmolz, sobald sie den Kleinen auf den Arm nahm.

Seit in den Medien davon die Rede gewesen war, es sei jemand festgenommen worden, der im Zusammenhang mit dem Mord am Golfplatz stehen könnte, hatten die beiden kaum eine Nachrichtensendung verpasst.

Zusammen lauerten sie darauf, ob weitere Einzelheiten gebracht würden.

Bisher war Oscars Name kein einziges Mal gefallen.

Esmeralda Martinez hatte sogar einmal gefragt:

„Meinst du, dass die wirklich von Oscar reden?“ und Maria Rosa hatte geantwortet:

„Ich glaube nicht, dass dort ständig Leute umgebracht werden.“

Sie erinnerte sich gut, zu gut, daran, wie sie nach Oscars Tod gemeinsam mit Esmeralda zum Golfplatz gefahren war. Es war eine elend lange Reise in überfüllten Bussen quer durch die halbe Stadt gewesen, sie selbst damals hochschwanger und ständig versuchen müssend, ihren umfangreichen Bauch vor den Knuffen der anderen Passagiere zu schützen. Aber sie hatten sich einfach ansehen müssen, wo es geschehen war!

Heute Abend war der Vorfall um den verhafteten angeblichen General in den Nachrichten überhaupt nicht mehr erwähnt worden, und beide waren sie sehr enttäuscht. Trotzdem hatten sie, als das Interview mit dem Manager aus Deutschland angekündigt wurde, zugeschaut, weil schließlich Oscar für dieses Unternehmen gearbeitet hatte.

Und plötzlich hatte der Señor Oscar erwähnt!

Und so nett hatte er von ihm gesprochen!

Esmeralda hatte kaum schlucken können vor Stolz, dass Oscar ein so großes Ansehen gehabt hatte, dass sogar der Direktor aus Deutschland ihn gelobt hatte!

Auch Maria Rosas Augen waren voller Tränen.

Was Señor Graf über den General gesagt hatte, hatten sie beide vor Aufregung kaum mitbekommen. Aber das war auch gar nicht wichtig. Oscar war vor dem Fernsehpublikum des ganzen Landes erwähnt worden. Es hatte fast so geklungen, als wäre Oscar ein Kollege von diesem Señor Graf gewesen! Irgendwann würde sie dem Kleinen, der selig auf dem Bett schlief, erzählen können, was für ein Mann sein Vater gewesen war, ein Mann, den man sogar im Fernsehen gelobt hatte!

Innerhalb kürzester Zeit füllte sich das Haus mit Nachbarn, nach einer Viertelstunde kam auch Oscars Bruder Juan, und alle sprachen sie nur davon, was der Señor aus Deutschland über Oscar im Fernsehen gesagt hatte!

Maria Rosa musste voller Dankbarkeit an Señor Kinzel denken, der ihr und Oscar Junior ein ganzes Jahr lang noch Oscars Gehalt auszahlen wollte.

Oscar musste wirklich ein guter Mitarbeiter gewesen sein!

---

Auch Walter und Liliana Fernandez hatten die Nachrichtensendung und das Interview mit Rupert Graf gesehen.

Walter, immer noch zutiefst verärgert, weil Graf ihn vorgestern Abend vor versammelter Tischgesellschaft so aggressiv angefahren hatte, bewunderte zwar einerseits, wie Graf es gelungen war, das Geschäft als für das Land vorteilhaft und wegweisend darzustellen, andererseits mochte er das vor seiner Frau nicht zugeben.

Als über den ermordeten Oscar Martinez gesprochen wurde, rief Walter:

„Siehst du, was Rupert Graf für ein kalter Hund ist? Das habe ich schon immer gesagt! Der Kerl hat überhaupt keine Gefühle! Er tut so, als sei dieser Martinez sein bester Mitarbeiter gewesen, dabei hat der Graf nur ein paar Male hin- und hergefahren. Mich wundert, dass Graf überhaupt weiß, wie der Mann hieß!“

Liliana de Fernandez sah das völlig anders:

„Rupert Graf ist viel feinfühliger, als du glaubst, Walter. Wenn ihm der Fahrer egal gewesen wäre, hätte Rupert niemals so nett über ihn sprechen können!“

„Du kennst Rupert nicht!“ sagte Walter.

Liliana de Fernandez konnte ihrem Mann nicht sagen, dass sie Rupert Graf viel besser kannte, als sich Walter jemals träumen lassen würde.

Sie hoffte nur, dass Graf sich morgen bei ihr melden würde.

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Enrique Pato war weder verwundert über die Nachrichtensendung noch über das Interview mit Graf.

Auch wenn das versteckte Aufnahmegerät noch genügend Kapazität für den folgenden Tag gehabt hätte, hatte es ihm keine Ruhe gelassen, herauszufinden, welche Art Gespräche sein Vater mit den für die Medien verantwortlichen Persönlichkeiten geführt hatte.

Deshalb hatte er den Datenträger am frühen Abend gegen einen neuen ausgetauscht.

Die Aufzeichnung des Gespräches mit Señor Oswaldo Francis überraschte ihn keineswegs.

Señor Francis war Intendant des größten öffentlichen Fernsehsenders. Dieser Sender hatte irgendwann vor vielen Jahren sein Programm geteilt und strahlte seither auf zwei Kanälen aus. Der vermeintliche Wettbewerb war abgestimmt, denn während ein Programm Dokumentationen brachte, brachte das andere US-amerikanische Kriminalfilme oder internationale Sportberichte.

Francis hatte sich zunächst verwundert über die Einladung zu dem Gespräch geäußert, aber Alfredo Pato konnte darauf verweisen, dass Francis einen begleitenden Anruf aus dem Präsidentenpalast erhalten hatte.

Vergnügt hörte Enrique Pato zu, wie sein alter Herr ohne Umschweife und in unvergleichlicher Dreistigkeit auf das zu sprechen kam, was Nasini und somit auch er von Francis wollten.

Einwände, die Francis erhob, wischte der Alte vom Tisch:

Es sei eine nationale Frage, die hier betroffen sei. Nasini und er erwarteten ganz einfach die Unterstützung durch Francis.

Francis wand sich. Er könne nicht in die Verantwortungsbereiche seiner Redakteure eingreifen. Damit würde er einen Aufstand seiner Mitarbeiter herbeiführen, der der Öffentlichkeit nicht verborgen bleiben und somit Präsident Nasini nicht angenehm sein könne.

Enriques Vater fasste nach. Ob Francis sich nicht bewusst wäre, dass eine Ausweitung der öffentlichen Diskussion um den unglücklichen General Garcia das Risiko berge, die gesamte Regierung Nasini wanken zu lassen? Ob er Nasini mitteilen müsste, Francis stünde nicht loyal an der Seite des Präsidenten? Das müsse unweigerlich dazu führen, dass Nasini sein Interesse zukünftig anderen Sendestationen zuwende. Es war ein schieres Vergnügen, zuzuhören, wie der Alte sämtliche Register zog und wie ihm kein Argument zu platt war.

Francis ließ sich davon auch keineswegs einwickeln und sträubte sich weiterhin.

Den Geräuschen nach zu urteilen, war Enriques Vater aufgestanden und zu seinem Schreibtisch gegangen. Es hörte sich an, als werfe er einen Stapel Papiere auf den Besprechungstisch.

Dazu sagte er:

„Ich hatte sehr gehofft, Señor Francis, Ihnen und mir dies zu ersparen. Leider lassen Sie mir keine Wahl.“

Enrique Pato hörte, wie die Akte oder was es war, aufgenommen und durchgeblättert wurde. Dann hörte er, wie Señor Francis mit fast tonloser Stimme fragte:

„Wo haben Sie das her?“

„Es sollte Ihnen genügen zu wissen, Señor Francis, dass ich das habe. Und dass ich damit machen kann, was ich will. Ich kann es vergessen, ich kann es verschwinden lassen, ich kann es den sicherlich daran interessierten Behörden überlassen, ich kann es einem Reporter geben. Gerade diese Thematik genießt heutzutage ziemliche Prominenz. Suchen Sie sich etwas aus!“

„Präsident Nasini kennt diese Akte?“ fragte Francis.

„Ja klar!“ antwortete Alfredo Pato fröhlich.

„Und der Inhalt bleibt unter Verschluss, wenn ich mich Ihren Wünschen beuge?“

„Worauf Sie sich verlassen können!“

„Also habe ich keine Wahl.“ Die Stimme von Señor Francis war so leise, dass Enrique Pato ihn kaum verstehen konnte.

„Ich hätte mir auch gewünscht, Sie hätten mich nicht gezwungen, zu diesem Mittel der Überzeugung zu greifen,“ sagte Alfredo Pato.

„Wer alles weiß hiervon?“ wollte Francis wissen.

„Maximo Nasini, ich, und der, der die Negative aus Ihrem Haus entwendet und die Abzüge gemacht hat. Was Ihre Seite angeht, kann ich nichts dazu sagen. Ich nehme an, Sie haben da, wo Sie mit auf den Bildern sind, einen Selbstauslöser verwandt. Und natürlich die beteiligten Kinder.“

„Was geschieht, wenn es so abläuft, wie von mir verlangt?“

„Dann, Señor Francis, gehen diese Bilder und die Negative zurück in einen Safe. Präsident Nasini und ich werden sie vergessen. Wir würden uns nur dann daran erinnern, wenn wir noch einmal eine ähnliche Bitte an Sie hätten und Sie sich wiederum so widerstrebend zeigten wie zu Eingang unserer kleinen Plauderei. Ich denke aber, das müssen wir nicht ernsthaft befürchten.“

Es gab auf dem Datenträger noch zwei ähnliche Unterhaltungen, beide mit fast identischem Ausgang.

Damit hatten Nasini und sein Alter die wichtigsten Fernsehstationen des Landes abgedeckt. Die beiden Sportsender und der Musikkanal strahlten keine Tagesnachrichten aus.

Dann folgten Gespräche mit den Herausgebern mehrerer Tageszeitungen.

Der Alte war wirklich fleißig!

Zum Teil bekam Enrique Pato mit, welche Art Dreck die Herrschaften am Stecken hatten, Steuerhinterziehung, Drogenkonsum, ein außereheliches Kind. Er machte sich da, wo er Zuordnungen hatte, Notizen.

Enrique Pato hörte, wie sein Vater die Sekretärin, Señora Carmen, nach Hause schickte. Offenbar war sie doch nicht seine Geliebte, er siezte sie, auch wenn sie miteinander allein waren.

Als letztes kam noch eine Besucherin.

Die Stimme seines Alten troff beinahe vor Wohlwollen.

„Maria, meine Liebe, wie geht es dir?“

„Danke, Señor Ministro. Gut. Und Ihnen?“

„Ach, mein Kind, ein äußerst arbeitsreicher Tag liegt hinter mir, und er ist noch keineswegs zu Ende. Aber ich will nicht klagen. Warum habe ich nichts mehr von dir gehört? Unser Gast ist wieder hier.“

„Er hat mich nicht mehr in Anspruch genommen.“

„Warum nicht? Hast du ihn verärgert?“

„Ich weiß nicht, warum, Señor Ministro. Es war ein schöner Abend, und er war sehr nett zu mir.“

Enrique Pato überlegte fieberhaft, woher er diese Stimme kannte. Irgendwo hatte er die Stimme der Frau schon einmal gehört!

„Warst du nicht gewaschen? Hast du vielleicht nicht gut gerochen? Manchmal stört das die Männer so sehr, dass sie nicht ein zweites Mal mit einer Frau zusammen sein wollen.“

„Ich hatte mich geduscht, Señor Ministro!“ Empörung klang aus der Stimme der Frau.

„Und in dem Zimmer hast du nichts von Belang gefunden?“

„Nichts, Señor Ministro. Natürlich lässt er nichts offen herumliegen.“

„Die Taschen seiner Kleidung? Was ist mit seinen Taschen?“

„Nichts. Leer.“

„Trifft er sich mit anderen Frauen, wenn er dich verschmäht?“

„Ja, offenbar. Ich selbst habe nichts davon mitbekommen, aber ich habe Bemerkungen darüber gehört. Er hat wohl mehrere Geliebte.“

„Wieso konnte er den Sender finden?“ Die Stimme von Enrique Patos Vater hatte blitzschnell von Wohlwollen zu eisiger Kälte gewechselt. „Hast du ihn so schlampig angebracht?“

„Nein, Señor Ministro, ich habe ihn genau dorthin getan, wo Sie es mir gesagt hatten. Ich verstehe auch nicht, wie er ihn finden konnte.“

Jetzt war Enrique Pato klar, wer die Frau war: Maria Escobar, mit der Graf sich neulich amüsiert hatte, das Zimmermädchen aus dem Hotel.

„Du räumst weiterhin sein Zimmer auf?“ fragte sein Vater gerade.

„Nicht mehr. Mir ist ein anderer Flur zugeteilt worden.“

„Warum?“

„Ich weiß es nicht, Señor Ministro.“

„Bekommt der Gast immer das gleiche Zimmer?“

„Ja, Señor Ministro. Er wohnt immer in derselben Suite.“

„Kommst du dort hinein?“

„Sicher. Ich habe einen Passe-par-tout.“

„Ich gebe dir einen neuen Sender mit. Ich habe nur noch den einen. Noch kleiner als der neulich. Und noch teurer! Es ist ärgerlich, dass er nie einen Aktenkoffer mitnimmt! Den Sender wieder in sein Jackett zu stecken, macht keinen Sinn. Erstens wird er dort jetzt jedes mal nachfühlen, und zweitens wissen wir nicht, was er anzieht. Kannst du an seine Brieftasche oder an sein Portemonnaie kommen, an irgend etwas, was er ständig mit sich herumträgt?“

„Ich habe Señor Graf nach diesem einen Abend nicht mehr gesehen, Señor Ministro. Ich weiß nicht, was er bei sich tragen könnte.“

„Seine Schuhe? Was ist mit seinen Schuhen? Er ist immer nur kurz hier, er reist mit Handgepäck. Sicherlich hat er nur zwei Paar Schuhe bei sich. Ich kenne das von meinen eigenen Reisen. Ein Paar Schuhe für den Tag, ein Paar für abends.“

„Ich weiß nicht, wie viel Paar Schuhe er bei sich hat.“

„Guck nach! Ich wette, ich habe recht! Steck den Sender in die Schuhe, die er tagsüber trägt! Hier, ich zeig dir, wo.“

Es folgten Geräusche, die darauf hindeuteten, dass Alfredo Pato einen Schuh auszog.

„Hier! Hier tust du ihn hin!“

Es hörte sich an, als sei der Alte aufgestanden und als liefe er auf und ab.

„Ja, prima, man kann es nicht spüren. Ruf mich an, sobald das Ding in seinem Schuh steckt. Sag nur ` geschafft` oder so etwas, etwas ganz kurzes!“

„Ja, Señor Ministro.“

„Sieh zu, dass es besser klappt als beim letzten Mal. Er darf den Sender nicht finden! Es wäre bedauerlich, wenn wir dir deine Tochter wegnehmen müssten.“

„Bitte nicht, Señor Ministro. Bitte! Es war bestimmt nicht mein Fehler, dass er den Sender gefunden hat!“ Die Stimme der Frau war auf einmal hysterisch.

„Dann sieh gefälligst zu, dass es diesmal funktioniert! Du weißt, wir können dir das Kind jederzeit wieder entziehen. Es ist dir sozusagen nur geliehen, vergiss das nicht! Vergiss das nie!“

„Ich vergesse es nicht, Señor Ministro. Nur bitte, lassen Sie mir meine Tochter! Sie kann doch nichts dafür! Sie brechen mir das Herz!“

„Mach deine Arbeit ordentlich, Maria! Sehr ordentlich!“

„Ja Señor Ministro, das werde ich. Nur, nehmen Sie mir bitte nicht wieder mein Kind weg!“

„Bevor du gehst, kannst du mir noch eben einen blasen. Du weißt, wie gern ich das habe.“

„Ja, Señor Ministro.“

Das, was jetzt folgte, mochte sich Enrique Pato nicht mehr anhören.

DAS GESCHÄFT - TEIL 2

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