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Pfiffiger Fabulist und weltkluger Klein-Pariser

Christian Fürchtegott Gellert (1715-1769)

Christian Fürchtegott Gellert hatte die Nachtmütze noch auf dem Kopf und war auch im Übrigen, was seine äußere Erscheinung anbetraf, an diesem 11. Dezember 1760 keineswegs auf Besucher eingestellt, als es nachmittags halb drei Uhr heftig an seine Tür klopfte. Kurz darauf betrat ein Major Quintus den Raum: Der preußische König Friedrich II. bitte den Dichter um 3 Uhr zum Besuch. Gellert erbleichte, musste sich vor Schreck niedersetzen. Der Preußenkönig hatte im besetzten Leipzig Winterquartier bezogen, es war Krieg, jener, den man später den Siebenjährigen nennen wird. Der Dichter-Professor schützte Krankheit vor, doch der Major blieb unbeeindruckt: Drei Viertelstunden gab er dem angeblich Kranken zum Ankleiden, dann aber wolle ihn der König sehen. Gellert war in großer Aufregung - kein Barbier zur Stelle, keine Perücke zur Hand. Dennoch kam er rechtzeitig in seine Kleider und um vier Uhr zum König.

"Geben Sie uns nur Frieden, Sire!"

Nach zwei Stunden Gespräch mit Friedrich wurde Gellert belobigt entlassen. Gefasst und beherzt war er dem König entgegengetreten. Auf die Frage, ob er mit seinen Fabeln nur den französischen Dichter La Fontaine nachahme, antwortete Gellert recht keck: „Nein, Sire, ich bin ein Original; das kann ich ohne Eitelkeit sagen; aber darum sage ich noch nicht, daß ich ein gutes Original bin.“ Auf den Krieg angesprochen, wagte Gellert sogar die Forderung: „Geben Sie uns nur Frieden, Sire!“ Und fügte noch hinzu: „Wenn ich König wäre, so hätten die Deutschen bald Frieden.“ Der Dichter hasste den Krieg, verabscheute Gewalt jeder Art. Er lehnte übrigens auch Friedrichs Versuche ab, ihn zu kurieren. Friedrich: „Erstlich muß Er alle Tage eine Stunde reiten und zwar traben.“ Gellert: „Wenn das Pferd gesund ist, so kann ich nicht fort; und wenn es krank ist wie ich, so kommen wir alle beide nicht fort.“ Wieder zu Hause, schrieb Gellert erleichtert nieder: „Gott sei Dank, daß ich’s überstanden habe!“

Die Einladung Friedrichs, der deutsche Dichtung eigentlich ablehnte, kam nicht von ungefähr. Gellert war bereits zu Lebzeiten eine Legende, als Volksdichter und Sprachlehrer der Deutschen genoss er außergewöhnliche Popularität. An diesem Phänomen kam auch der Preußenkönig nicht so einfach vorbei. Gellerts Vorlesungen an der Leipziger Universität waren überlaufen, seine Wohnung im Hof des Großen Fürstenkollegs stets belagert. Alle Welt wollte den Dichter-Professor persönlich sehen oder wenigstens mit ihm korrespondieren oder ihm ein Geschenk machen. Von Fürsten bekam Gellert gutwillige Pferde geschenkt, mit denen der ewig Kränkelnde Spazierritte ins Rosental unternahm, von einfachen Leuten, die seine Fabeln liebten, ein paar Fässer Bier oder ein Fuder Holz, damit es der Dichter schön warm habe in seiner Wohnung. Das Geschenkangebot eines Husarenleutnants - Pistole, Gewehr - schlug Gellert allerdings aus. Er brauche keine Waffen, erklärte er, seine Waffen stünden im Bücherschrank.

„Ein kluges Frauenzimmer gilt mir mehr als eine gelehrte Zeitung“

Christian Fürchtegott Gellert kam am 4. Juli 1715 als neuntes von dreizehn Kindern in einer Pfarrerfamilie im sächsischen Hainichen zur Welt. Mit dreizehn Jahren bezog er die Fürstenschule St. Afra in Meißen, schloss dort mit seinen späteren literarischen Kollegen Gottlieb Wilhelm Rabener und Carl Christian Gärtner Freundschaft. 1734 begann er in Leipzig Theologie zu studieren, aber die schönen Wissenschaften behagten ihm mehr. Wegen Geldmangel musste Gellert seine Studien unterbrechen und als Hauslehrer tätig werden. Erst 1741 kehrte er an die Universität Leipzig zurück, um Literatur und Philosophie zu studieren. Er promovierte, wurde als Dozent tätig, hielt Vorlesungen über Poesie, Rhetorik, Moral und Pädagogik, ab 1751 als außerordentlicher Professor.

Worin liegt das Geheimnis seiner großen Beliebtheit bei den Studierenden, bei den einfachen Leuten, bei den Bürgern, ja selbst beim Adel? Gellert, der Aufklärer, sprach sie alle an, erreichte sie alle, wurde ihr Lehrer - mit einfacher, für alle verständlicher Sprache und Poesie. „Mein größter Ehrgeiz besteht darin“, schrieb er über sein Wirken, „daß ich den Vernünftigen dienen und gefallen will und nicht dem Gelehrten im engeren Verstande. Ein kluges Frauenzimmer gilt mir mehr als eine gelehrte Zeitung, und der niedrigste Mann von gesundem Verstande ist mir würdig genug, seine Aufmerksamkeit zu suchen, sein Vergnügen zu befördern und ihm in einem leicht zu behaltenden Ausdrucke gute Wahrheiten zu sagen und edle Empfindungen in seiner Seele rege zu machen.“ So weitgefächert Gellerts Publikum als Universitätsgelehrter und Dichter war, so facettenreich und schwer fassbar erscheint seine eigene Persönlichkeit. Als kränklich, mild und gefällig wird er beschrieben, aber auch als gewandter Weltmann mit geschliffenen Umgangsformen, der den Adel zu gewinnen wusste. Anton Graff und Adam Friedrich Oeser haben Gellert porträtiert: einen Mann mit feingeschnittenem Gesicht, markanter Nase und klarem Blick.

Einige der Studenten, die Gellerts Vorlesungen besuchten, machten später selbst als Dichter von sich reden und sind von ihrem Professor zumindest beeinflusst worden: Lessing, Klopstock, Goethe. Letzterer erinnerte sich: „Die Verehrung und Liebe, welche Gellert von allen jungen Leuten genoß, war außerordentlich. Ich hatte ihn schon besucht und war freundlich von ihm aufgenommen worden … Es kostete einige Mühe, zu ihm zu gelangen. Seine zwei Famuli schienen Priester, die ein Heiligtum bewahren, wozu nicht jedem, noch zu jeder Zeit, der Zutritt erlaubt ist …“ Auch die äußere Erscheinung Gellerts hat Goethe beschrieben: „Nicht groß von Gestalt, zierlich, aber nicht hager, sanfte, eher traurige Augen, eine sehr schöne Stirn, eine nicht übertriebene Habichtsnase, ein feiner Mund, ein gefälliges Oval des Gesichts.“

„Denn stammtest du aus ihren Hütten: So hättest du auch ihre Sitten“

Gellerts „Fabeln und Erzählungen, die 1746 und 1748 in zwei Teilen erschienen, wurden ein gewaltiger Erfolg, man kann sie das erfolgreichste deutsche Buch des 18. Jahrhunderts nennen. Es folgten unzählige Auflagen und Nachdrucke; sie wurden im gesamten deutschen Sprachgebiet verbreitet und auch in nahezu alle europäischen Sprachen übersetzt. Gellert wurde mit den Fabeln berühmt, sein Leipziger Verleger Johann Wendler wurde reich. Zum Dank ließ Wendler seinem für ihn so einträglichen Autor nach dessen Tod ein Denkmal im eigenen Garten setzen. Der Leipziger Verleger Bernhard Christoph Breitkopf, dem Gellert sein Manuskript zuerst anbot, hatte es als uninteressant und nicht verkäuflich abgelehnt - eine der großen Fehlentscheidungen in der Geschichte des Buchhandels.

Die Fabeln wurden in allen Bevölkerungsschichten gelesen. Mit den menschlichen Akteuren, die Gellert in seinen Fabeln auftreten lässt, konnte ein sächsischer Bauer ebenso etwas anfangen wie ein preußischer König. Der Dichter hatte die Welt aufmerksam beobachtet, ehe er pfiffig und weltklug über sie fabulierte. Und alle bekamen sie ihren Teil ab: die Philosophen, die Dichter, die Adligen, die Frauen, die Ehemänner, die Eingebildeten, die Heuchler, die Prahler, die Habgierigen … Ganz Aufklärer ist Gellert, wenn er in der Fabel „Das Kutschpferd“ die hohen Herren zurechtweist, weil sie die Bauern verachten, obwohl sie von ihnen leben:

„Denn stammtest du aus ihren Hütten:

So hättest du auch ihre Sitten

Und was du bist, und mehr, das würden sie auch sein,

Wenn sie wie du erzogen wären.

Dich kann die Welt sehr leicht, ihn aber nicht entbehren.

Aber Gellert schlägt auch andere Töne an. In der Fabel „Der junge Drescher“ rät er davon ab, nach Höherem zu streben:

„O lernt, ihr unzufriednen Kleinen,

Daß ihr die Ruh nicht durch den Stand gewinnt.

Zum amüsanten Plauderer wird Gellert, wenn er sich dem Ehestand widmet. In der Fabel „Die glückliche Ehe“ beschreibt er das einzige Ehepaar, das bis in den Tod glücklich war - es starb schon in den Flitterwochen. Jedem, der glücklich leben möchte, rät er in der Fabel „Der gute Rat“, gar nicht erst zu heiraten. Er selbst hat sich daran gehalten; Gellert blieb zeitlebens unverheiratet.

Grotesk wird es in der Fabel „Der Selbstmord“: Gellert erzählt die Geschichte eines unglücklich liebenden Jünglings, der sich zum Freitod entschließt - um sich beim Anblick seines Degens anders zu besinnen:

„Er reißt den Degen aus der Scheide,

Und - - o was kann verwegner sein!

Kurz, er besieht sich die Spitz und Schneide,

Und steckt ihn langsam wieder ein.“

So berühmt Gellert auch mit seinen Fabeln wurde, blieb sein literarisches Werk insgesamt doch eher schmal. Er schuf noch den Brief- Roman „Das Leben der schwedischen Gräfin von G…“ und einige Lustspiele. Mit Gellert ging zugleich Leipzigs Zeit als Hauptstadt der deutschen Literatur ihrem Ende entgegen.

Bach-Gellert-Gruft wiederentdeckt

Gellert starb 1769 und wurde unter großer Anteilnahme der Leipziger Bevölkerung auf dem Alten Johannisfriedhof beigesetzt. Auch danach noch besuchten Verehrerinnen und Verehrer das Grab Gellerts; mitunter war der Besucherandrang so groß, dass die Friedhofstore geschlossen werden mussten. Doch schon bald setzte das Vergessen ein - und die Kritik. Die Volkstümlichkeit Gellertscher Dichtung wurde nun immer mehr als Beschränktheit ausgelegt.

Auch im Tod kam Gellert lange Zeit nicht zur Ruhe. 1900 wurden seine Gebeine in die Gruft unter dem Altarraum der Leipziger Johanniskirche überführt. Als die Kirche im Zweiten Weltkrieg ausgebombt und 1949 endgültig abgetragen wurde, erhielt Gellert in der Paulinerkirche eine neue Ruhestätte - bis diese Kirche 1968 gesprengt wurde. Seitdem befindet sich Gellerts Grabstätte auf dem Leipziger Südfriedhof.

Im Dezember 2014 gelang es dem Leipziger Freundeskreis Gellert, die Ruhestätte unter der ehemaligen Johanniskirche, wo die Särge von Bach und Gellert gestanden hatten, freizulegen. Zwar musste die Gruft, die einst ein Anziehungspunkt für die Besucher Leipzigs war, vorerst wieder mit Erde bedeckt werden, aber vielleicht kann man sie in naher Zukunft wieder besichtigen - Gellert-Freunde würde es freuen.

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