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3. Ankunft mit Eskorte

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Mutterseelenallein stehe ich mir am Bahnhof von Newquay die Beine in den Bauch und harre des versprochenen Taxis, das mich nach ‚The key‘ befördern soll. Ich bin müde, hungrig und die düsteren Wolken, die sich da über mir zusammenbrauen gefallen mir gar nicht. Hoffentlich bin ich in Sicherheit, sprich im Auto oder noch besser schon im Hotel, ehe die Schleusen sich öffnen.

Ich umfasse den Griff meines Trolleys fester und nehme den Marsch über den Bahnhofsvorplatz wieder auf. Nach weiteren zehn Minuten, einem bangen Blick gen Himmel beschließe ich, mir selbst ein Taxi zu besorgen. Was ja nicht so schwer sein dürfte. Ich überlege gerade, in welche Richtung ich meine Suche nach einem Beförderungsmittel beginnen soll, da hält eine schwarze Limousine am Gehweg. Ein distinguierter Gentleman steigt auf der Fahrerseite aus und kommt geschäftig auf mich zugeeilt. Ein englischer Chauffeur, wie er im Buche steht. Ob mich in ‚The key‘ wohl auch ein typischer Butler erwartet? Ich schmunzle und meine Laune hebt sich. Besonders, als der ältere weißhaarige Herr mich freundlich anspricht.

„Mr. Krämer? Mein Name ist George und ich bin Ihr Fahrer. Bitte verzeihen Sie vielmals die Verspätung. Es gab einen klitzekleinen Disput mit einer Schafherde“, begrüßt er mich in stark akzentuiertem Deutsch. Ein sympathisches, entschuldigendes Lächeln wird mir geschenkt und zuvorkommend mein Gepäck übernommen. „Wenn Sie mir bitte folgen mögen.“

Das tue ich sehr gerne. Und keine Sekunde zu früh. Ich bin gerade in den Fond gestiegen und George schließt die Tür hinter mir, da startet der Wolkenbruch auch schon. Gott sei Dank! Erleichtert sinke ich in die weißen Lederpolster, schließe einen Moment die Augen. Jetzt nur noch die Anmeldung erledigen und dann Füße hoch. Die Fahrertür wird geöffnet, ein durchnässter George gleitet auf den Sitz. „Puh, das war knapp. Hatten Sie eine angenehme Anreise bis hierher, Sir?“

Ohne meine Lider zu öffnen, antworte ich dem Chauffeur. „Zumindest eine relativ Unkomplizierte. Bin nicht so unbedingt der große Urlauber. Ein paar Tage in ein Ferienhaus an die Ostsee standen bisher eher auf dem Programm. Das hier ist sogar mein erster Auslandsaufenthalt.“

„Nun, Sir, ich bin davon überzeugt, dass es Ihnen bei uns ausgezeichnet gefallen wird. Cornwall ist das schönste Fleckchen der Erde. Man kommt hierher und möchte nie wieder weg.“

Nun öffne ich doch die Augen, schaue nach vorne auf den Hinterkopf meines Chauffeurs. Ich nicke, was er im Innenspiegel sieht. „Die britischen Inseln faszinierten mich schon immer, die englische Küste mit Cornwall dabei ganz besonders. Und auch wenn ich skeptisch bin, was Bilder im Internet angeht, muss ich sagen, das Schloss und seine Anlagen haben mich sofort angesprochen.“

Die Limousine bremst plötzlich abrupt ab und ich werde unsanft durchgerüttelt. Ehe ich George nach der Ursache fragen kann, ergreift er schon das Wort. „Ich bitte um Verzeihung, Sir. Unsere Fahrt wird sich bedauerlicherweise leicht verzögern. Die Schafherde ist noch nicht sehr viel weitergezogen.“

Mir klappt die Kinnlade runter. Schafe? Dann habe ich das eben doch richtig verstanden? Ich spähe aus dem Fenster und muss unwillkürlich grinsen. Direkt an meiner Tür trottet eins dieser Viecher vorbei. Ich recke mich etwas vor und entdecke den Rest der Herde, die munter und fröhlich die Straße überquert. Oder eher, sie ebenso benutzt wie wir. Es ist ein lustiger Anblick, führt mir aber auch vor Augen, dass Füße hochlegen und entspannen noch in weiter Ferne liegt. Na toll. Ich bin wirklich nicht der geborene Urlauber, wenn mir das jetzt schon zu viel wird.

„Äh George“, frage ich nach einer Viertelstunde des Hinterherrollens der Herde. „Ja, Sir?“ „Kann man das irgendwie beschleunigen?“, erkundige ich mich vorsichtig, denn bei dem Tempo, was die lieben Tierchen da vorlegen, erscheint mir eine Übernachtung in der Limousine durchaus wahrscheinlich. „Es tut mir leid, Sir. Aber die ungeschriebene Regel hier in der Gegend lautet: Die Schafe haben immer Vorfahrt. Ganz abgesehen davon, dass es kein adäquates Mittel gibt, sie von der Straße zu befördern. Es sei denn, Sie möchten aussteigen und ihnen Beine machen. Sie vielleicht einzeln wegtragen, Sir.“

Es ist deutliche Belustigung in Georges Worten zu vernehmen und ich hab grad das Gefühl kräftig auf die Schippe genommen, zu werden. Wider Erwarten finde ich in meiner gedrückten Stimmung einen Funken Humor und muss grinsen. „Vielen Dank, George für diesen konstruktiven Vorschlag. Vielleicht komme ich bei meiner Abreise darauf zurück, sollte die Herde dann wieder - oder noch - auf unserer Straße sein“, antworte ich würdevoll.

Mein Chauffeur schnaubt leise. „Ganz wie Sie wünschen, Sir. Möchten Sie, dass ich die Trennscheibe hochfahre, Sir?“ Und hier hinten unnütz grübeln, bis ich endlich im Hotel ankomme? Nein, danke! „Nein, vielen Dank. Ich unterhalte mich gerne mit Ihnen. Außerdem fürchte ich, dass ich ohne Ablenkung wohl ein Nickerchen machen würde“, ich schaue seufzend aus dem Fenster. „Da spricht doch nichts dagegen, Sir. Und falls Sie eine Stärkung brauchen, in der Minibar stehen Ihnen Getränke und Snacks zur Verfügung.“

Ich werfe einen Blick auf besagte Bar und schüttel mich leicht. Mein Magen und ich haben gerade erst nach dem turbulenten Flug Berlin-London, auf dem er versuchte sich von innen nach außen zu stülpen, einen temporären Waffenstillstand geschlossen. Den riskiere ich lieber nicht. „Vielleicht später, George.“ „Natürlich, Sir.“

In der darauffolgenden Stunde unterhält mich mein Chauffeur mit geschichtlichen Fakten und Anekdoten der Bewohner aus dem Ort. Ich vermeide bewusst Fragen zum Hotel oder dem Besitzer, obwohl ich zugeben muss, sehr neugierig zu sein. Was ich im Netz über Alexander Roth gelesen hab, klingt nach einer interessanten Biografie und so ein Projekt auf die Beine zu stellen - dazu gehört schon was. Aber ich möchte nicht unbedingt erörtern, wieso ich auf diese Weise nach Ablenkung und möglicherweise einem neuen Partner suche. Selbst wenn mein Chauffeur bestimmt schon Hunderte Geschichten dieser Art zu hören bekommen hat.

Erschöpft lehne ich die Stirn an das kühle Glas des Fensters und starre in die heraufziehende Dämmerung. Der Platzregen vom Bahnhof hat sich in feine Bindfäden verwandelt. Das Wetter spiegelt perfekt meine Stimmung wieder, die bereits in trübe Gewässer zurückplumpst. Alte Unsicherheiten kriechen empor und ein kleines Teufelchen namens Zweifel flüstert mir ein, dass diese Aktion hier zum Scheitern verurteilt ist. Energisch schiebe ich dem einen Riegel vor. Ich benehme mich ja wie ein völlig unselbstständiges Kleinkind. Das ist nur ein Urlaub. Eine Gelegenheit, neue Bekanntschaften zu schließen. Natürlich mit einigen Besonderheiten, aber gerade das hat mich doch gereizt, den Trip zu buchen. Also Schluss mit dem Negativdenken.

Das Auto folgt weiterhin im Schritttempo den trippelnden Schafen und die Abenddämmerung ist bereits vollständig hereingebrochen, als der Wagen vor einem schmiedeeisernen Tor hält.

Neugierig schaue ich hinaus, erkenne den bronzenen Schlüssel, das Markenzeichen des Hotels, ehe das Tor aufschwingt und die Limousine die Auffahrt hinaufrollt. Ich recke den Kopf, doch enttäuscht lehne ich mich wieder zurück. Es ist zu dunkel, um einen Blick auf die Parkanlagen im vorderen Teil des Grundstücks zu erhaschen. Das Schloss ist gar nicht zu sehen.

George bringt den Wagen vor einem kleinen verwunschenen Häuschen zum Stehen, in dem ich das ehemalige Pförtnerhäuschen vermute. Mein Chauffeur öffnet mir die Tür und ich steige aus. Aus dem Eingang eilt mir eine zierliche Blondine entgegen, ein strahlendes Lächeln auf den feinen Zügen.

„Mr. Krämer. Herzlich willkommen in ‚The key‘. Ich bin Heather, wir haben miteinander telefoniert. Die Unannehmlichkeiten tun mir unendlich leid. Ich hoffe, Sie nehmen meine aufrichtige Entschuldigung an.“ Das ist also Heather. Irgendwie hatte ich sie mir ganz anders vorgestellt, aber sie wirkt, als sei sie gerade erst den Kinderschuhen entwachsen. Doch erste Eindrücke können täuschen.

„War halb so schlimm, Heather. Glauben Sie mir, der Flug hat mir mehr zugesetzt“, winke ich ab. „Oh je, sagen Sie nicht, dass Sie unter Flugangst leiden.“ Voll Mitgefühl mustert sie mich und umfasst meinen Arm, um mich ins Warme zu ziehen. „Nein. Es war eher die Aufregung, die mir auf den Magen geschlagen ist“, antworte ich höflich.

Ich werde in einen gemütlichen Salon geführt, wo sie mich auffordert, Platz zu nehmen. „Darf ich Ihnen einen Tee oder Kaffee anbieten, während wir die Formalitäten erledigen?“ „Nein, vielen Dank, Heather. Ich bin ehrlich gesagt ziemlich erschöpft und möchte mich gerne noch etwas ausruhen, ehe ich ...“ Unsicher breche ich ab. Die Nervosität hat mich erneut fest in ihren Klauen. Jetzt wird es ernst.

„Aber selbstverständlich, Mr. Krämer. Das hier nimmt auch nur wenige Minuten in Anspruch. Einen Augenblick, bitte.“ Sie eilt hinaus und ich sinke tiefer in den gemütlichen Ohrensessel. Hm, bequem. Meine Lider klappen zu. Nur ein bisschen dösen, dann ... Absätze klacken. Mühsam öffne ich die Augen wieder.

Heather setzt sich mir gegenüber, eine Schatulle in ihren Händen. „Okay, Mr. Krämer, darf ich Sie John nennen? Dann gewöhnen Sie sich gleich an den Namen, den sie für die Woche benutzen.“ „Selbstverständlich.“ Nervös schaue ich auf das Kästchen, das sie hält.

„Wie ich Ihnen ja bereits am Telefon nahelegte und wie es in unserer Hausordnung festgelegt ist, legen wir großen Wert auf Diskretion und darauf, dass die Anonymität unserer Gäste gewahrt wird.“ Ich nicke zustimmend, schlucke ein paar Mal und sie hebt den Deckel des Etuis.

Es liegen zwei Gegenstände auf dem roten Samt, den einen habe ich erwartet. Einen altmodischen Schlüssel, der vermutlich zu dem Separee gehören wird, in dem ich den mir zugewiesenen Partner treffe. Aber der andere? Leicht konsterniert schaue ich auf das Objekt. Heather bemerkt natürlich sofort, dass ich nicht unbedingt begeistert bin.

„John ist alles in Ordnung mit Ihnen?“ Ich starre noch immer und löse mühsam meinen Blick. Mann, ich benehme mich lächerlich. „Selbstverständlich, Heather. Verzeihen Sie bitte, ich war nur etwas verwirrt. Schreiben Sie es meiner Müdigkeit zu.“

„Nun, John, ich möchte Sie auch gar nicht weiter aufhalten. Also, dies ...“ Sie hebt den Schlüssel hoch, „ist der Zugang zu dem Separee, das sie mit Ihrem Partner teilen. Er hat ebenfalls einen erhalten. Nun zu dem hier“, sie nimmt die schmale schwarze Augenmaske aus der Schatulle und reicht sie mir.

Neugierig streiche ich über das weiche glatte Material, das sich wie Seide anfühlt, aber keine zu sein scheint. „Sie sind verpflichtet, die Maske in allen öffentlichen Bereichen zu tragen. Ausgenommen sind natürlich Ihre Räumlichkeiten und das Separee, wenn Ihr Partner ebenfalls einverstanden ist, sie abzulegen. Der Stoff ist ein Polymergemisch, hautverträglich und Sie können damit sogar schwimmen und tauchen. Darf ich sie Ihnen anlegen oder möchten Sie das selbst tun?“ „Danke, ich mache das.“

Ein bisschen komisch fühle ich mich schon, als ich die Maske überstreife. Hinten sind Druckknöpfe angebracht, die man individuell verschieben kann, bis sie perfekt sitzt und nicht mehr verrutscht. An der mir gegenüberliegenden Wand hängt ein großer Spiegel, ich stehe auf und gehe hinüber.

Zunächst sehe ich einen Fremden, der mir entgegenstarrt, es ist ungewohnt, irgendwie exotisch und ja auch ein bisschen verrucht. Zudem ist es erstaunlich, welche Veränderung so ein Stück Stoff auslöst. Unvermittelt spüre ich ein neues Gefühl von Selbstsicherheit. Niemand hier kennt mich, ich kann völlig unbelastet diesen Urlaub genießen, meine alte Haut für eine Woche abstreifen. Die Vorstellung ist verlockend und mit einem Lächeln drehe ich mich zu Heather um, die mich abwartend ansieht.

„Trés chic, John. Wie ein echter Kavalier in historischen Mantel- und Degenfilmen.“ Amüsement blubbert in mir hoch. „Na ja, ich bezweifle, dass ich in diese Zeit gepasst hätte. Ich bin eher ein Hasenfuß.“

Heather tritt auf mich zu, umfasst meinen Ellbogen und führt mich aus dem Salon. „Das glaube ich nicht, John. In jedem von uns steckt irgendwo ein Held. Es sind manchmal nur Kleinigkeiten, die uns oder die Welt zum Besseren verändern können. Ich wünsche Ihnen jedenfalls einen traumhaften Aufenthalt und dass Ihre Sehnsüchte sich erfüllen.“

Draußen erwartet mich George an der Limousine und öffnet bereits die Autotür, als wir die Treppe hinuntersteigen. „George fährt Sie zum Haupthaus, wo Sie normal einchecken und die Keycard zu Ihrer Suite bekommen. Ihre Begleitung für die Woche ist ebenfalls schon eingetroffen. Damian würde sie gerne gegen 22.00 Uhr in der Bar treffen - für ein erstes Kennenlernen und einen Mitternachtssnack. Es steht Ihnen natürlich frei, die Einladung abzulehnen.“

Meine Lethargie wird von Aufregung abgelöst. Wie er wohl sein mag? Ob das Ausfüllen des Fragebogens wirklich so etwas wie den perfekten Partner hervorzaubern kann? Na ja, ich werde es ja bald herausfinden. „Nun dann, John, wir sehen uns in einer Woche wieder. Viel Vergnügen!“

„Vielen Dank, Heather. Auf Wiedersehen.“ Ich steige mit klopfendem Herzen in die wartende Limousine und meine Gedanken eilen mir bereits weit voraus.

***

Ich verharre einige Sekunden am Eingang der schummrigen Bar, sortiere das Chaos in meinem Kopf. Mein Magen flattert, mein Herz ebenso und ich wische bestimmt schon zum hundertsten Mal meine schweißfeuchten Hände an meiner hellen Leinenhose ab.

Bin ich passend angezogen? Ob ich ihm gefallen werde? Ich bin zwar kein hässlicher Vogel, aber ein Modeltyp auch nicht. Ich halte mich eher für einen Normalo, niemanden, für den man sich auf der Straße umdreht. Energisch drücke ich den Ausknopf für die Abertausend Fragen meines Gehirns, die mich nur verwirren.

Dank der Maske, mit der ich mich wie eine völlig andere Person fühle und die wohl meine Durchschnittlichkeit kaschieren wird, spüre ich frisches Selbstvertrauen durch meine Adern pumpen. Auf in den Kampf!

Mann bin ich dramatisch! Es ist ein erstes Date, Jan, nicht die Schlacht von Waterloo. Kopfschüttelnd betrete ich nun die Bar, die mit einer ansprechenden, gediegenen Atmosphäre punktet. Erleichtert stelle ich fest, dass neben einigen Herren im feinen Anzug durchaus auch saloppe Kleidung zu sehen ist, vereinzelt sogar Jeans. Gut, dann herrscht hier wenigstens kein Dresscode, denn edler Zwirn und besonders Krawatten sind mir ein Gräuel.

Ich trete an das Empfangspult. „Guten Abend, Sir. Haben Sie einen Tisch reserviert oder werden Sie erwartet?“ Ein äußerst attraktiver Mann in meinem Alter lächelt mich an. „Ich werde erwartet.“ Ich muss mich räuspern. „Von Damian.“

Der Concierge schaut ins Gästebuch. „Ah ja. Für 22.00 Uhr, korrekt?“ „Ja.“ „Frances? Führen Sie bitte den Gentleman zu Tisch 17.“ Eine elegante Rothaarige nickt mir freundlich zu und ich folge ihr durch die gut besuchte Bar. Vielfältiges Sprachengewirr dringt an meine Ohren, es scheint wirklich sehr international hier zu sein. Die Gäste sind leicht vom Personal zu unterscheiden, da sie alle die gleichen Masken tragen. Eine unwirkliche Atmosphäre, die jedoch auch einen gewissen Reiz ausübt, dem ich mich nicht entziehen kann.

Diesem Ambiente ist es zu verdanken, dass ich wesentlich entspannter bin und zuversichtlich der Begegnung mit Damian entgegenblicke. Ein ganz in Schwarz gekleideter Mann erhebt sich, als wir auf ihn zustreben. Mein Atem stockt, mein Mund wird staubtrocken. Er ist ... Oh Gott, mir fehlen die Worte.

Ungefähr so groß wie ich, gleiche Statur, von dem, was ich unter dem gut sitzenden Hemd erkenne. Rabenschwarzes Haar, das in weichen Wellen auf den Kragen desselben fällt. Seine Haut ist im Kontrast dazu blass, ja beinahe durchscheinend, aber das mag an der Beleuchtung liegen. Hinter der Maske, die kantigen Züge perfekt akzentuiert, blitzen helle Iriden, vielleicht blau oder grün - ein weiterer Gegensatz zu dem dunklen Haarschopf.

„Sir, Ihre Begleitung. Ich schicke sofort jemanden mit der Karte.“ „Vielen Dank, Frances.“ Eine raue Stimme, sie kratzt angenehm über meine Haut. Dann schaut er mich direkt an. Fasziniert starre ich auf volle rote Lippen, die sich nun erneut öffnen.

„Hi, ich bin Damian, der mit dir kompatible Idiot.“ Ein freches Grinsen spielt um die Mundwinkel und mein Lampenfieber verpufft schlagartig. Ein befreites Lachen bricht aus mir heraus und ich strecke ihm meine Hand entgegen, die er mit festem Druck ergreift. „Ich bin John.“

„Freut mich, John. Sag mal, ohne dir jetzt gleich zu sehr auf die Pelle zu rücken, du bist auch Deutscher, oder nicht?“ „Äh ja“, verwirrt falle ich sofort in meine Muttersprache zurück. „Oh gut. Die Aussicht eine ganze Woche auf Englisch zu radebrechen hat mich ehrlich gesagt mit ordentlich Grauen erfüllt.“ Verschmitzt grinst er mich an, rückt dann formvollendet den Stuhl für mich zurecht, ehe er mir gegenüber Platz nimmt.

„Tja, da kann ich nur zustimmen. Mein Schulenglisch ist ziemlich eingerostet und im Job brauche ich es nur selten“, stimme ich ihm entspannt zu. „Na ja, ist bei mir zwar nicht so, aber beruflich ist was anderes, als wenn man sich privat kennenlernen will.“

Er sieht mich einen Moment aufmerksam an, seine Hand legt sich wie zufällig auf meine, mit der ich unbewusst am Besteck rumspiele. Sie ist warm, übt einen angenehmen Druck aus und meine Haut fängt an zu prickeln. Mein gerade erst zur Ruhe gekommener Puls rast schon wieder in schwindelerregende Höhen. Und als Damian sich vorbeugt, schließe ich instinktiv und erwartungsvoll die Lider. Atem fächert über mein Gesicht, meinen Mund speziell und ich bebe.

Mein Gott, das ist mir noch nie passiert. Was ist das, was da in meinem Magen rumort? Ein dezentes Räuspern dringt durch das Rauschen in meinen Ohren, ich reiße die Augen auf. Damian lässt mich los, schaut etwas unwillig zu dem Kellner, der uns höflich die Karte reicht.

Ich schaue blind auf das Angebot, das Blut braust mir in den Ohren, mir ist heiß und kalt zugleich. Was ich bestelle und später esse, kriege ich kaum mit. Mein Magen probt anscheinend erneut den Aufstand, ich schlucke krampfhaft an den letzten Bissen. Damians Fragen beantworte ich ziemlich einsilbig, was ihn nicht zu stören scheint.

Nach dem dritten Glas Wein fühle ich mich leicht wie eine Feder und so beschwingt wie schon ewig nicht. Berauscht vom Alkohol analysiere ich zum ersten Mal ohne Furcht meine durcheinanderwirbelnden Gefühle und kann auch endlich das Rumoren in meinen Eingeweiden richtig einordnen. Mir ist keineswegs übel, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Nein, dort hat eindeutig ein Schmetterlingsschwarm das Regiment übernommen.

Ich ertappe mich dabei, an Damians Lippen zu hängen, jedem Wort zu lauschen und seine Präsenz zu bewundern, alle Details in mich aufzusaugen. Wir unterhalten uns nur über Nichtigkeiten, berühren keine ernsthaften Themen und mehr als einmal erregen wir die Aufmerksamkeit anderer Gäste, weil wir uns fast kugeln vor Lachen. Unser Humor ist sich sehr ähnlich: sarkastisch und beißend, aber dennoch nie verletzend.

Der Abend schreitet viel zu rasch voran und irgendwann kann ich das diskrete Gähnen nicht mehr verstecken. Der lange Tag holt mich mit Wucht ein, ich habe das Gefühl noch gleich hier am Tisch einzuschlafen. Mit einem untrüglichen Gespür erkennt Damian mein Dilemma. „Okay, ich denke, ich bring dich jetzt mal in die Heia, ehe du mir aus den Latschen kippst. Hattest du zu viel Wein?“, fragt er amüsiert.

„Nee“, nuschle ich. „War nur ein langer Tag. Ich bin nicht so der Urlauber und der Flug, obwohl relativ kurz, hat mich doch sehr geschlaucht.“ „Ach, da bist du nicht allein, ich brauche manchmal mehrere Tage, bis ich richtig angekommen bin.“

Wir stehen auf, wobei ich gefährlich schwanke und mich an der Tischkante abstützen muss. „Ups, es dreht sich alles“, kichere ich. „Hey, vorsichtig.“ Damian reicht mir eine stützende Hand, zieht mich aufrecht und legt den Arm mich. „Eindeutig zu viel Wein“, raunt er mir ins Ohr. Mich schaudert’s und automatisch dränge ich mich dichter an ihn. Ihn so nah zu spüren kommt einer Offenbarung gleich. Ein erdiger männlicher Duft steigt mir in die Nase und ich vergrabe sie in seinem Hals, inhaliere das Aroma ein. Herrlich! Meine Libido schlägt Kapriolen, ich möchte am liebsten sofort über ihn herfallen. Doch mir sind noch genügend Gehirnzellen geblieben, um mich zu erinnern, dass Fummeln in der Öffentlichkeit nicht zu meinen Vorlieben gehört - oder zu Damians.

Darum lasse ich mich ohne großes Aufsehen zu erregen zu meiner Suite geleiten - oder eher schon tragen, so sehr klammere ich mich an den verführerischen Leib. Vor der Tür angekommen schaut Damian mich an. „Keycard?“ „Hosentasche“, grinse ich anzüglich.

Seine Mundwinkel zucken, doch scheinbar gelassen greift er gleich mit beiden Händen zu - natürlich nur in meine Hosentaschen -, obwohl mir die Alternative selbstverständlich gefallen hätte. Mein Begleiter grinst mich jetzt frech an, zieht die Karte aus der rechten Tasche, wobei er NICHT meinen pochenden Schritt streift und schiebt sie in das Lesegerät. Ein leises Klicken erklingt, die Tür schwingt auf, ich werde an den Schultern gepackt und in den Raum geschoben. Ein keuscher, viel zu kurzer Kuss landet auf meinem Mund und dann ... „Du bist echt süß, John. Wir sehen uns zum Frühstück. Sagen wir um neun, nein, besser um zehn, am Fahrstuhl?“

Verdutzt stehe ich noch lange im Türrahmen, spüre das Prickeln auf meinen Lippen. Er ist einfach abgehauen. Das ist doch ... vernünftig. Seufzend schließe ich endlich die Tür, trotte zunächst ins Bad. Egal, wie heiß es vielleicht geworden wäre, ich bin ziemlich angeschickert und Sex mit Damian möchte ich mit all meinen neu erwachten Sinnen genießen und nicht im Alkoholrausch verpennen.

Gott, wie peinlich. Was muss er jetzt von mir denken? Ach, was soll’s. Ich hab mich nicht sonderlich danebenbenommen und meine Anhänglichkeit schien ihm ja zu gefallen. Morgen ist ein neuer Tag und dann haben wir eine Woche uns kennenzulernen und näherzukommen - sehr nah.

The key - Sammelband

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