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4. Annäherungsversuche

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Damian wartet am nächsten Morgen bereits am Fahrstuhl auf mich, die Iriden hinter der Maske funkeln fröhlich. „Guten Morgen, mein kleiner Schluckspecht. Gut geschlafen?“ „Traumhaft, danke der Nachfrage“, schwindel ich unverblümt und grinse. Meine Befangenheit kaschiere ich geschickt.

Ich hatte irgendwie gehofft, die Lockerheit von gestern Abend würde sich automatisch einstellen, doch weit gefehlt. Offenbar war sie zum größten Teil meinem berauschten Zustand geschuldet. Nun erschreckend nüchtern hat mich meine unsägliche Unsicherheit wieder voll im Griff und im Aufzug, der uns in den Frühstückssaal bringt, schweigen wir uns an. Ich weiß einfach nicht, wie ich ein Gespräch beginnen soll und irgendwelchen Unsinn plappern kommt ja mal gar nicht infrage.

Im Frühstücksraum wuselt es vor Menschen, eifrige Angestellte eilen beflissen hin und her, damit auch ja kein Wunsch offenbleibt. Alle Gäste tragen ihre Augenmasken und wo ich das am gestrigen Abend noch geheimnisvoll, ja verrucht fand, erscheint es mir heute Morgen im strahlenden Sonnenschein recht albern. Natürlich gehört es zur Hausordnung, aber bei Tage wirkt es irgendwie aufgesetzt, gestelzt. Der Zauber von gestern Nacht, als ich Damian zum ersten Mal in dieser Aufmachung sah, ist verflogen und ich hoffe im Moment nur auf eins: meinem Begleiter offen ins Gesicht zu sehen, seine Mimik zu erkennen. Doch das kann ich mir abschminken - zumindest vorerst. Vielleicht, wenn wir uns besser kennen, überlege ich, können wir wenigsten im Separee die Masken ablegen.

Fürs Erste besänftigt und wieder ruhiger, trotte ich stumm meinem Partner hinterher, der zielstrebig aufs Buffet zusteuert, sich einen Teller schnappt und vollschaufelt. Mechanisch folge ich dem Beispiel, mich dabei neugierig und noch leicht unwohl umschauend. Plötzlich werde ich angestupst.

„Sieht bei Tageslicht irgendwie albern aus, was?“, gluckst Damian amüsiert in mein Ohr, sein warmer Atem kitzelt mich. Gänsehaut erblüht auf meinem Nacken, als seine Nase kurz darüber schubbert. Wie angeflogen ist der Zauber von gestern wieder da. Warum mache ich mir eigentlich so viele unnütze Gedanken? Das hier ist Urlaub, eine Auszeit vom normalen Leben. Egal, wie die Sache auch läuft, nach dieser Woche bin ich um jede Menge Erfahrungen reicher. Also, auf ins Vergnügen!

Entspannt schaue ich auf, grinse und nicke.

Mit mehr Enthusiasmus wende ich mich erneut dem Buffet zu und bediene mich. Es ist mittlerweile recht voll geworden und die unterschiedlichen Sprachfetzen, die durch den Raum schwirren, lassen mich wie bereits gestern Abend, schmunzeln. ‚The key‘, ist offenbar sehr populär und auf der ganzen Welt bekannt. Kein Wunder, dass der Laden brummt. „Sag mal, wollen wir uns auf die Terrasse setzen?“, frage ich meinen Begleiter, der anscheinend fertig damit ist seinen Teller zu überladen.

Oh Mann, wo steckt er das bloß hin? In eng anliegenden Jeans und einem maßgeschneiderten Hemd wirkt er extrem schlank, mit keinem Gramm zu viel. Wie er wohl ohne Kleidung aussieht? Werde ich feste Muskeln unter der blassen Haut ertasten? Ist er athletisch gebaut oder eher ein untrainierter Typ? Nein, bestimmt nicht. Er sieht sportlich aus.

Damian schaut zweifelnd hinaus durch die geöffneten Balkontüren. Wolken hängen tief am Himmel, aus der Ferne ist ein Grollen zu hören. Dann seufzt er und schenkt mir wieder dieses unwiderstehliche Halblächeln. „Wieso nicht?“, zuckt er lässig mit den Schultern. „Da verstehen wir wenigstens, was wir sagen.“ Ein vielsagender Blick auf das Menschengewirr. Ich lache leise. „Stimmt.“

Wir suchen uns einen Platz nah an der Brüstung, von wo man eine spektakuläre Aussicht über den Schlossgarten genießt. In einträchtigem Schweigen vertilgen wir unser Frühstück. Es fängt an zu regnen, doch das drohende Gewitter bleibt zum Glück aus. „Hm, das ist köstlich. Gott sei Dank ist die Küche hier international.“

Damian lehnt sich in seinem Stuhl zurück und verschränkt die Hände im Nacken. Ich stimme ihm kauend zu, schlucke dabei umständlich den Rest meines Croissants hinunter. Stimmt, nur englische Küche hätte ich keinen Tag überlebt. „Und hast du dir schon Gedanken gemacht, was wir heute machen? Möchtest du ins Spa und dich von Kopf bis Fuß verwöhnen lassen? Oder wie wäre es mit einer Runde Tennis? So ein bisschen Sport am Morgen ist ja nicht verkehrt.“

Ich lehne mich zurück und überlege. Keiner der beiden Vorschläge spricht mich im Moment an, ich weiß nur, dass ich jede Minute mit Damian verbringen will. Die Unruhe kehrt schleichend wieder und nervös spiele ich mit meinem Kaffeelöffel, bis er klirrend auf der Untertasse landet. Gott, ich bin ein hoffnungsloser Fall. Wieso bringt mich so eine einfache Frage aus der Fassung? Bin ich durch die Zeit mit Andreas tatsächlich unfähig geworden, deutlich zu sagen, was ich möchte? Oder war ich immer schon so passiv, so wenig entschlussfreudig?

Eine warme Hand umfasst meine, drückt sie sanft. „Hey, ganz locker. Das sind nur Vorschläge. Wir können alles tun, wonach uns der Sinn steht. Die Seele baumeln lassen. Oder auch nach oben ins Separee gehen, schauen was passiert.“ Abwartend sieht mein Gegenüber mich an, ein aufmunterndes Lächeln auf den Lippen. Ich wünschte, ich könnte den Ausdruck in den grünen Iriden besser erkennen, aber die Maske verhindert das größtenteils. Im Augenblick ist mir die Anonymität ein Gräuel und schnürt mir regelrecht die Kehle zu.

„Ich ...“ Gott, ich muss mich zusammenreißen. Das ist so lächerlich. Ich bin noch nicht mal einen Tag hier und kriege schon die Muffe. Das darf doch nicht wahr sein. Los jetzt. Reiß dich am Riemen!

„Nun, als Erstes würde ich mir gerne den Schlossgarten anschauen. Es klart gerade auf und wer weiß, wie lange das anhält.“ Das klang gelassen genug, oder? „Danach können wir ja das Spa ausprobieren. Bei Tennis muss ich leider passen, hab es nie gelernt. Aber probieren geht ja über studieren, also wieso nicht.“ Damian grinst.

„Klingt nach einem Plan. Okay, so machen wir es. Und wie man einen Schläger hält, bringe ich dir mit Freuden bei.“ Er leckt über seine Lippen und ein Blitz fährt mir in die Eingeweide, in meinem Schritt wird es eng. Oh Mann, was macht der Kerl nur mit mir? Seit gestern Abend dreht sich ja wirklich alles nur um das Eine. Als ob ich die letzten Jahre keinen Sex gehabt habe! Hatte ich irgendwie ja auch nicht. Bin jedenfalls nie aufgetaut, wenn Andreas und ich ... Und jetzt? Das Blut kocht mir in den Adern, ich verglühe vor Lust.

Gleich darauf verpasst mir mein schlechtes Gewissen einen eiskalten Guss. Es ist unfair, so über meinen Freund und unsere Beziehung zu denken. Vielleicht lag es ja tatsächlich an mir und er ist an meiner Seite erfroren. So ein Unsinn! Energisch scheuche ich die negativen Gedanken beiseite. Ich bin hierher gekommen, um einen Neuanfang zu wagen, die alten Ängste und Unsicherheiten abzustreifen. Ich werde den Dingen einfach ihren Lauf lassen, schauen was passiert - und dabei diesen Traumtypen vor mir genießen und nehmen, was ich kriegen kann.

„Okay. Wollen wir dann los?“, frage ich betont locker und stehe auf, als Damian mir mit einem „Ja, gern“ zustimmt.

***

Der Schlossgarten übertrifft all meine Erwartungen. Wir haben uns für die rückwärtige Anlage entschieden, die im Gegensatz zum strengen englischen Garten vorne, sehr naturbelassen wirkt. Das Wetter meint es gut, hinter den grauen Wolken lugen vereinzelte Sonnenstrahlen hervor.

Der Spaziergang entspannt mich, ich genieße die lockere Atmosphäre, die intime Nähe, die Damian immer wieder inszeniert. Mal streift er meine Hand, legt mir einen Arm um die Schultern oder flüstert mir was ins Ohr. Ohne Scheu erzählen wir aus unserem Leben, von unserer Kindheit und unseren Jobs. Dabei stört es überhaupt nicht, dass wir die profanen Dinge wie Namen oder Herkunft weglassen, das Wesentliche vertrauen wir uns an.

Wir sind nur ungefähr eine Stunde im Garten unterwegs, doch zwischen uns ist eine Vertrautheit entstanden, die mich entfernt an Andreas erinnert. Die erwartete Bitterkeit bleibt jedoch aus, denn ich verstehe endlich, was fehlte. Es sprühten einfach keine Funken in unserer Beziehung, es gab keine Leidenschaft. Bei Damian ist das vollkommen anders, die Nähe zu ihm nur eine Zutat in dem Gefühlscocktail, der mich berauscht zurücklässt.

Jede zufällige Berührung sendet ein erregendes Prickeln in meine Nervenenden, ich stehe nonstop unter Strom. Der Hunger, diesen tollen Mann hinter eine Hecke zu zerren und ihn leidenschaftlich abzuknutschen, konkurriert mit dem Wunsch, es langsam anzugehen, zu genießen und nichts zu überstürzen.

Und deshalb unterbreite ich Damian auch den Vorschlag, es mit dem Tennisspielen zu versuchen. Mehr wie blamieren geht nicht, und wenn ich meinen Begleiter richtig einschätze, wird er mich nicht auslachen - zumindest nicht allzu sehr. Er ist jedenfalls begeistert von meiner Idee und raunt mir ins Ohr: „Dann zieh dich mal warm an, ich bin ein strenger Lehrmeister.“

Er grinst diabolisch und ich schaudere. Worauf habe ich mich da bloß eingelassen?

***

Der gesamte Tag war eine Offenbarung. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal so viel Spaß hatte. Tennis war allerdings eine Katastrophe. Damians Nähe brachte mich so komplett aus der Fassung, dass ich die einfachsten Instruktionen nur nach mehrmaliger Ansage kapierte. Ich verdanke es nur seiner Geduld, dass ich mich beim anschließenden Spiel nicht total blamierte. Wiederholen tun wir es morgen dennoch. Allein der Anblick dieses Mannes in Shorts ist die Schinderei und den Spott der Zuschauer wert.

Und so großartig der Tag auch war, nun stehe ich wieder vor demselben Problem wie heute Morgen. Nervöse Unruhe hat mich erneut fest im Griff. Dabei ist nur ein gemeinsames Abendessen geplant - sowie am vergangenen Abend. Der Unterschied ist der intime Rahmen, in dem Separee, da wo eventuell alles andere passieren wird, aber ... Das Klopfen des Zimmerservice reißt mich aus den dummen Gedanken.

„Wollen wir vor dem Kamin essen?“

Damian rollt den Servierwagen heran und deutet auf das ausladende Fell vor dem gemütlichen flackernden Feuer. „Ja, das wäre nett.“ Innerlich schlage ich mir vor die Stirn. Nett? Echt jetzt, Jan? Nett ist die kleine Schwester von gewöhnlich und das hier ist extraordinär, traumhaft, gewaltig, beeindruckend ... und ich verliere gerade wirklich meine Nerven. Um mich abzulenken, greife ich nach einem Tischtuch, das auf der unteren Platte des Wagens liegt.

Ich schiebe das Lammfell etwas zurück und breite die Tischdecke über die Terrakottafliesen. Wir verteilen die immense Menge an Delikatessen darauf, holen zusätzlich alle verfügbaren Kissen aus dem Separee zusammen und bauen daraus ein kuscheliges Nest. „Na, dann vernichten wir mal diese Köstlichkeiten.“ Damian greift nach meiner Hand, lässt sich in die Kissenburg fallen und reißt mich mit hinunter. Lachend purzeln wir übereinander auf unser ausgebreitetes Picknick.

Die Flasche Wein können wir gerade noch retten, doch ein Körbchen mit Ciabattahäppchen segelt über den Boden. „Oh nein. Das ist meine Lieblingssorte.“ Damian zieht eine herzallerliebste Schnute und hechtet dem wegrollenden Fingerfood hinterher. Wir verfrachten es einigermaßen heil zurück in den Korb und eine Idee formt sich in meinem Kopf. Schluss mit Nervosität und Schüchternheit.

Ich hebe meinen Arm, halte dem lachenden Mann vor mir das Brotstück an den verlockenden Mund. „Dann probier mal.“ Damians Augen unter der Maske funkeln, er gehorcht. Die weichen Lippen teilen sich und ich schiebe das Häppchen dazwischen. Eine Zungenspitze flattert über meine Finger, sendet elektrische Blitze in alle Synapsen. Meine Mitte kribbelt angenehm.

Damian kaut und stöhnt genüsslich. „Mhm. Absolut köstlich.“ Ich beobachte die Bewegungen der vollen roten Lippen, sehe die winzigen Muskeln, die in den Wangen arbeiten, dann in seinem Hals, als er schluckt. Fasziniert starre ich auf den zuckenden Adamsapfel, bin wie hypnotisiert. Das Prickeln in meinem Unterleib wird stärker und ich bin froh, dass ich nur meinen Bademantel trage. Er gibt mir gleichzeitig die nötige Bewegungsfreiheit und kaschiert fürs Erste meine offensichtliche Erregung.

Oh Himmel, das ist irrwitzig. Ich werde hart, weil ich einen anderen Mann füttere. Wahnsinn! Ich greife blind zu einer weiteren Vorspeise, halte sie an seinen Mund und mit einem Lächeln akzeptiert mein Gegenüber auch diese. Dann greift er nach meiner Hand, hält sie fest. „Ich bin dran.“ Die Iriden glitzern hinter der Maske.

Damian wählt allerdings keinen Appetizer aus, sondern taucht einen Finger in ein Schälchen mit Honig. Er streicht ihn sachte über meine Lippen und da sind sie wieder, die tanzenden Schmetterlinge. Das Kribbeln verstärkt sich zu einem Beben, das meinen gesamten Körper ergreift. Im Kopf bildet sich eine seltsame Leichtigkeit, als sei er mit watteweichen Wölkchen gefüllt. Die Verwirrung kommt daher gänzlich unerwartet - und mit ihr das schlechte Gewissen.

Mit Andreas fühlte ich mich nie so losgelöst, es gab keine Schmetterlinge, keine prickelnden Gefühle. Ich weiche zurück, lecke den Honig ab, vermeide es Damian anzusehen. „Äh, wie wäre es mit einem Glas Wein?“, lenke ich ab und greife nach der Rotweinflasche, um sie öffnen.

„Gern.“ Mein Gegenüber klingt heiser, doch an seinem Ton kann ich nicht erkennen, was er gerade denkt. Ich schenke uns ein und danach widmen wir uns zunächst schweigend dem Essen. Die Stimmung sackt immer mehr in den Keller, ich könnte mich ohrfeigen. Es ist schließlich Damian, der die unangenehme Stille bricht, indem er mich fragt, was wir in den nächsten Tagen unternehmen sollen. Er möchte unbedingt zum Hafen, was mir ebenfalls gefällt. Beim Vorschlag auszureiten wird mir etwas mulmig, ich traue mich jedoch nicht ihm zu gestehen, dass ich noch nie auf einem Pferd gesessen hab. Aber egal. Ich bin hier um neue Erfahrungen zu sammeln. Trotzdem ...

„Das klingt nach Spaß“, bringe ich leicht gequält hervor. Ja, sehr intelligent, Jan. Das glaubt er dir sofort. Ich verdrehe die Augen, was die Maske zu meinem Glück verbirgt. Damian fängt haltlos an zu kichern. „So wie du Spaß betonst, bekomme ich eher den Eindruck, als stünde dir der Gang zum Schafott bevor. Sag mal, kann es sein, dass du noch nie geritten bist?“

Milde lächelnd schaut er mich an. „Hm“, mache ich unbestimmt, schimpfe mich zum hundertsten Mal einen Idioten und frage flapsig: „Na ja, ich denke nicht, dass die Runden auf dem Kinderkarussell als reiten durchgehen, oder?“ „Eher nicht“, gluckst Damian. „Okay, das lassen wir dann lieber. Man kann zwar auch Unterricht buchen oder eine Begleitung mitnehmen, aber um ehrlich zu sein, möchte ich die Woche gerne ganz mit dir allein verbringen.“

Die grünen Iriden funkeln hinter der Maske wie Smaragde, als er fortfährt: „Du bist mir sehr sympathisch, ich hab das Gefühl, dich schon ewig zu kennen und dass du mich scharfmachst, muss ich wohl nicht extra erwähnen.“ Baff starre ich ihn an, schlucke hektisch. Wow, es geht doch nichts über eine klare Ansage. Der Schmetterlingsschwarm in meinem Bauch ist außer Rand und Band, ich hebe sprichwörtlich ab. Schluss mit den Unsicherheiten, mit den Schuldgefühlen und rein ins Abenteuer. „Ich mag dich auch“, nuschle ich und dann fester: „Und ich freue mich sehr auf die Woche mit dir.“

Er strahlt mich an, was in mir ein Feuerwerk entzündet. In gelöster Stimmung vertilgen wir die Delikatessen, quatschen und scherzen über dies und das. Es ist nur Small Talk, aber es fühlt sich gut an - richtig. Ich werde diesen Abend, die kommende Nacht und alles, was noch kommt mit allen Sinnen genießen und nach mir die Sintflut. Schluss mit vernünftig und rational. Her mit dem prallen Leben.

The key - Sammelband

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