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Der Reiz des Unbekannten

Der Kopfschmerz setzte ein, noch bevor ich überhaupt wach war. Und ganz ähnlich verhielt es sich auch mit dem beschämenden Gefühl, in eine sehr peinliche Situation geraten zu sein. Erinnerungsfetzen kratzten an meinem Gedächtnis, so flüchtig und ungreifbar wie Lichtblitze in einem dunklen Raum voller wirrer Bewegung. Meine Sinne waren so betäubt, dass ich zwar sehen konnte, dass Nicci über mich gebeugt stand und mit hochgehobenen Augenbrauen eine Ansprache hielt, aber kein Wort von dem verstehen konnte, was sie sagte. Im Anbetracht ihrer energischen Mimik war ich darüber aber auch ganz froh.

„Wie spät ist es?“, fragte ich, eigentlich nur um zu testen, ob ich noch zum Sprechen in der Lage war. Das Ergebnis war ein unverständliches Lallen, das mich kaum noch an meine eigene Stimme erinnerte.

„Es ist viertel vor zehn und wir frühstücken jetzt.“

Das waren die ersten Worte, die ich verstehen konnte, und es waren auch die letzten, die Nicci sagte. Mit resignierender Miene drehte sie sich um und ging aus dem Zimmer. Die Tür fiel hinter ihr mit der Lautstärke einer atomaren Explosion ins Schloss.

Ich drehte mich auf die Seite und vergrub mein Gesicht in dem Kissen. Jetzt aufzustehen war eine ganz und gar schlechte Idee, das sagten mir Kopf, Magen und sämtliche Gliedmaßen gleichzeitig. Nicht einmal der Gedanke an einen schönen heißen Kaffee war in der Lage, mich aus dem Bett zu locken. Was um alles in der Welt hatte mich geritten, mich dermaßen zu betrinken?! Schon allein die Vorstellung, mich zu Nicci und David an den Frühstückstisch zu setzen, mich ihren Blicken und Fragen aussetzen zu müssen… ich stöhnte in mein Kissen. Ich war selbst schuld, daran half auch alles Zetern mit meinem Schicksal nichts. Früher oder später würde ich mich sowieso diesem infantilen Anflug von Leichtsinnigkeit stellen müssen.

Also kletterte ich aus dem Bett, im Versuch die Augen mit dem rechten Handrücken vor der schmerzhaften Helligkeit abzuschirmen, und suchte nach meinen Kleidern. Ich fand es einigermaßen beunruhigend, dass ich mich erinnern konnte, mich derer entledigt zu haben. Alkohol war offenbar schon lange nicht mehr meine Stärke.

Auf dem kleinen Nachtspint fand ich zwei Kleiderstapel; einmal mein grauenvoll nach erkaltetem Rauch stinkendes Outfit vom Vortag, daneben eine säuberlich zusammengelegte rosa Jogginghose sowie ein weißes T-Shirt. Letzteres stammte eindeutig von Nicci. Ich hatte noch nie besonders viel von Sport gehalten und eine Jogginghose war noch nie Bestandteil meines Kleiderrepertoires gewesen- erst recht nicht in dieser Farbe. So langsam stieg mir schon wieder die Schamesröte ins Gesicht. Jetzt würde ich auch noch in Niccis Kleidern herumlaufen… wie tief war ich eigentlich gesunken?

So ging das nicht weiter. Ich würde so schnell wie möglich meine Sachen bei Arik abholen… und vielleicht war es gar keine schlechte Idee, meinen Vater anzurufen. Ich hatte ganz und gar kein gutes Gefühl dabei. Mein Vater war mir mindestens genauso fremd wie Nicci und ich war mir ganz und gar nicht sicher, wie er reagieren würde, wenn ich vor seiner Tür auftauchte und um Unterkunft bäte. Aber hier konnte ich auf keinen Fall bleiben. Und wenn ich noch einmal zu Arik zurückkehren musste, dann nur, um meine Sieben Sachen zu packen und sofort wieder zu verschwinden.

Vorerst galt es allerdings, diesen Morgen zu überstehen.

Die Hose und das T-Shirt passten mir wie angegossen. Mit dem Kamm aus meiner Handtasche versuchte ich, meine Haare einigermaßen zu bändigen. Da es in diesem spartanischen zukünftigen Kinderzimmer keinen Spiegel gab, musste ich das Resultat meiner Fantasie überlassen und machte mich auf die Suche nach dem Badezimmer. Es lag glücklicherweise direkt nebenan und jemand hatte in vorausschauender Ahnung die Tür offen gelassen. Auch das Badezimmer blitzte und glänzte so vor Sauberkeit, dass es mir in den Augen wehtat. Als ich einen Blick auf den verquollenen Zombie im Spiegel geworfen und beschlossen hatte, dass es da eh nichts zu retten gab, verließ ich das Bad so schnell wie möglich und folgte dem penetranten Geruch nach gebratenem Speck ins Esszimmer.

Dort saß das perfekte Ehepaar, wie man es in der Werbung für Tütensuppen sieht, in einem Zimmer, das den Hauptseiten eines Möbelkatalogs entsprungen war. Das Esszimmer war nach allen Seiten hin offen, so wie es momentan modern war, und bestand eigentlich nur aus dem Tisch und jeder Menge unpraktischer, nach moderner Kunst aussehender Schränke und Regale, Nischen in den Wänden und zweifarbiger Tapete. Nicci saß mit überschlagenen Beinen und Plüsch-Hausschuhen kerzengerade auf ihrem Stuhl und las Zeitung, während sich ihre von Lockenwicklern gehaltenen Haare in einer weißlichen Masse aufzulösen schienen. Ihr gegenüber saß David und bestrich lustlos einen Toast mit Marmelade. Ich brauchte einen Moment, um das penibel rasierte Gesicht unter den blonden, kurzgeschorenen Haaren wiederzuerkennen. Ich hatte David als schweigsamen Eigenbrötler mit Türsteher-Körperhaltung und zotteligem Äußeren in Erinnerung, aber das schien sich alles geändert zu haben. Weil Nicci mit dem Rücken zu mir saß, war es David, der mich zu erst entdeckte.

„Oh, guten Morgen. Setz dich doch zu uns.“ Seine Stimme, sein Lächeln, sein Blick, alles war so unglaublich aufgesetzt, dass ich ein paar Sekunden gar nichts darauf antworten konnte. Hatte Nicci diesem Mann eine Gehirnwäsche verpasst?

Nicht, wenn es sich irgendwie umgehen lässt, dachte ich und lächelte so freundlich wie möglich. „Ähm, danke aber ich denke nicht.“

Nicci hatte die Zeitung gesenkt und sich zu mir umgedreht. „Was? Aber wieso nicht? Trink doch wenigstens einen Kaffee mit uns. Du siehst aus, als hättest du dringend einen nötig.“

Den letzten Satz überhörte ich einfach. „Es ist wirklich nett von euch, das alles hier… aber ich kann hier nicht länger bleiben. Ich werde meine Sachen von zu Hause holen und wieder bei meinem Vater einziehen.“

Nicci zwinkerte überrascht. „Nun… wenn das dein Wunsch ist. Du weißt, dass du hier immer willkommen bist.“

David verzehrte seelenruhig seinen Marmeladentoast, ohne noch einmal zu uns aufzusehen. Für einen Moment bedauerte ich ihn aufrichtig. Da saß er und würde bald der Vater eines Wonneproppens sein, der vermutlich genauso aussah und sich genauso benahm wie seine Mutter.

„Ich danke euch vielmals,“ versicherte ich Nicci. „Aber ich will eure Gastfreundschaft nicht länger beanspruchen. Ihr habt bald ganz andere Sorgen.“ Ich warf einen Blick auf Niccis Bauch und rief damit schon wieder diese alberne Reaktion Niccis hervor, in der sie die Hände an den Bauch legte und ganz abgetreten schuldbewusst lächelte.

„Gut, dann… wünsche ich dir viel Glück“, sagte Nicci und stand auf, um mich zu verabschieden. „Und falls das mit Arik nicht wieder in Ordnung kommt… da gibt es auch noch jede Menge anderer Männer.“

Ich nickte dankbar ob dieser nützlichen Weisheit und drückte ihre Hand.

Als ich ging, war ich heilfroh, mit Arik Schluss gemacht zu haben. Nicht auszudenken, wenn ich in ein paar Jahren genauso geendet wäre wie David- verheiratet mit einem Menschen, den ich überhaupt nicht ausstehen konnte.

Die frische Luft tat gut, auch wenn sie im ersten Moment meine Kopfschmerzen fast noch zu verschlimmern schien.

Ich suchte vor dem Haus nach meinem Fahrrad und hielt mich schon für vollkommen schwachsinnig, bis mir einfiel, dass ich ja mit dem Taxi hergekommen war und das Rad bei der Disko hatte stehen lassen. Seufzend machte ich mich auf den Weg. Bewegung war genau das, was ich jetzt am Nötigsten hatte. Der Morgen war sonnig und es wehte eine angenehme Frühlingsbrise- das perfekte Wetter für einen Spaziergang.

Zum Glück erinnerte ich mich wenigstens an den Weg zur Diskothek, sodass ich bereits nach knapp zwanzig Minuten ankam. Das Kastengebäude und der große graue Parkplatz erschienen vor mir und ich machte mich auf die Suche nach dem Gebüsch, in dem ich mein Rad versteckt hatte. Auch das fand ich ziemlich schnell. Mein Fahrrad aus dem Geäst zu befreien, das erwies sich jedoch als schwieriger, als ich gedacht hätte. Mein Gleichgewichtssinn war dermaßen beeinträchtigt, dass ich zwei Mal neben meinem Fahrrad im Gebüsch lag, bevor es mir gelang, es auf den Asphalt zu ziehen.

Meine Handtasche war bei der Aktion heruntergefallen und sein Inhalt war dank meiner leidlichen Angewohnheit, den Reißverschluss nicht ganz zu schließen, überall verteilt. Fluchend verpasste ich der Tasche einen Tritt, bevor ich mich bückte und die ganzen kleinen Utensilien aufsammelte; Handy, Geldbeutel, Schlüssel, Taschentücher, Tampons, Lippenstift, Haarspray, dutzende Quittungen… Zuletzt hob ich einen kleinen Zettel auf, der in der Mitte geknickt war, und faltete ihn verwirrt auf, da ich ihn nicht meinem gewöhnlichen Handtascheninhalt zuordnen konnte. In unordentlicher Schrift stand dort eine Handynummer.

Lust auf einen Orgasmus?

Ich lachte. Ja richtig, wie war noch gleich sein Name gewesen… Chris?

Unwillkürlich nahm ich mein Handy und spielte an der Tastatur herum. Sollte ich? Aber was garantierte mir, dass es überhaupt Chris‘ Nummer war? Gestern Nacht hatte ich schließlich mit einem halben Dutzend anderer Kerle an einem Tisch gesessen.

Sei’s drum.

Irgendetwas verleitete mich, keine Ahnung was. Aber in diesem Moment fand ich den Gedanken, diese Nummer anzurufen, einfach viel zu amüsant, um ihm nicht nachzugehen. Also wählte ich.

Freizeichen. Was zum Teufel mach ich hier?! Ich spürte, wie die Schamesröte mir ins Gesicht stieg, und wollte schnell abbrechen, aber da war es schon zu spät.

„Chris Keller?“

„Äh… hi. Hier ist äh…“ Ich hatte doch einen anderen Namen verwendet… jetzt wäre es nur schön gewesen, wenn ich mich auch an ihn hätte erinnern können.

„Emily?!“ Ein überraschtes Lachen. Er erkannte mich offenbar nur an meiner Stimme. „Wow, was bringt mich denn zu der Ehre?“

Seine Stimme und die leicht unverschämt selbstbewusste Art, wie er sprach, ließen mich vor Verlegenheit kein Wort hervorbringen.

„Hallo?“

„Ähm ja, entschuldige. Ich… hab da so einen Zettel mit einer Nummer gefunden und wollte nur mal herausfinden, wo der herkam.“

Chris lachte wieder. „Und das konntest du dir nicht denken?“

Er flirtete mit mir. Scheiße, jetzt musste ich mich entscheiden. Auflegen oder darauf eingehen. Irgendetwas in mir, das ich mir über Jahre hinweg antrainiert hatte, nämlich die Abwehrhaltung gegenüber jedes männlichen Interesses abgesehen von Ariks, blockierte mich. Diese Einsicht, und die Tatsache, dass Arik in diesem Gedankengang vorkam, halfen schon im nächsten Moment. Der Rebell in mir klopfte an die Tür. Ich war solo und konnte flirten, mit wem auch immer ich wollte.

Ich entspannte mich, schwang mir die Handtasche um die Schulter und stieg auf mein Fahrrad. „Na ja, so eine Ahnung hatte ich da schon.“

„Wo bist du gerade?“

Die Frage irritierte mich. „Ähm… ich bin gerade auf dem Weg nach Hause.“

„Nach Hause? Doch nicht etwa zu dem Kerl, der dich betrogen hat?!“

Ich grinste schmerzlich, während ich versuchte, das Fahrrad mit nur einer Hand vom Diskoparkplatz zu manövrieren. „Na ja, in gewisser Weise schon. Aber…“

„Lass das gefälligst! Komm doch stattdessen zu mir.“

„Was?!“

„Jetzt gleich. Ich wohne ziemlich zentral, ist bestimmt nicht weit. Und ich bin gerade dabei, Pasta zu kochen. Weißt du wie deprimierend es ist, jedes Mal die Hälfte Nudeln in der Packung lassen zu müssen? Erspar mir und der Pastatüte diese Schmach.“

Das war dermaßen flach, dass ich lachen musste. „Das geht nicht.“

„Warum?“

„Ich muss erstmal bei meinem Ex ausziehen, bevor ich mit irgendwelchen Männern Pasta esse!“

„Weißt du, es gelten in dieser Welt extreme Missverständnisse darüber, was man muss und was nicht.“

Diese Worte waren wie ein Tritt in die Magengrube, der mich total aus dem Gleichgewicht brachte. Ich schluckte schwer und unterdrückte die Erinnerung, die schwarz und übermächtig in mir aufzuwallen drohte, indem ich fester in die Pedalen trat.

„Ich… kann nicht!“, versuchte ich Chris zu überzeugen. Ich blickte an mir herunter und musste wieder lachen. „Ich sehe aus wie Sporty-Barbie, die man aus der letzten Mülltonne gefischt hat! Lass mich wenigstens meine Sachen holen, bevor du mich zu einem Date einlädst!“

„Ach, du willst ein Date mit mir? Ich dachte es geht nur um ein gemütliches Essen…“

„Verarschen kannst du dich selbst.“

Wir lachten beide, und es war erstaunlich, wie sehr mich das befreite.

„Okay“, sagte Chris. „Wir machen einen Deal. Ich stell‘ den Topf wieder ab und heb‘ die Nudeln für heute Abend auf. Du holst deine Sachen von diesem Mistkerl und rufst mich heute Abend an.“

Ich bekam kalte Füße. „Ich weiß nicht recht…“

„Deal, oder was?“

„Okay. Deal.“ Oh je. Andererseits war das ja bloß ein Date, kein Weltuntergang. Und es war eine hervorragende Möglichkeit, mir selbst zu beweisen, dass Arik der Vergangenheit angehörte.

Chris hatte aufgelegt. Ich war fast ein wenig enttäuscht, dass das Gespräch schon vorüber war, und seufzte wie ein verliebter Teenager, als ich das Handy zurück in meine Tasche steckte. Also musste ich mich heute Abend wohl auf ein Date einstellen… Die Mischung aus Vorfreude und Nervosität war wieder etwas, von dem ich fast vergessen hatte, wie aufregend es war.

Mit zwei Händen ließ es sich deutlich leichter fahrradfahren und ich gewann schnell an Geschwindigkeit, während ich aus der Stadt radelte. Der kleine Vorort, den Arik und ich als Wohnsitz gewählt hatten, um nicht all zu dicht bei unseren Arbeitsplätzen zu leben, kam rasch näher. Ich fragte mich, was ich tun würde, wenn ich Arik wieder gegenüberstand. Was er tun und sagen würde. Je näher ich kam, desto mehr hätte ich dafür gegeben, all meine Sachen einfach aus dem Haus zaubern zu können, ohne eintreten zu müssen.

Ich erreichte unsere Straße und sah bereits Ariks Auto in der Einfahrt stehen. Meine Kehle wurde ganz trocken und ich hatte das Gefühl, mein Blut würde kochen. Mein Kopf war absolut leer, als ich mich vom Sattel schwang und das Rad abstellte. Diese Sache musste so schnell wie möglich über die Bühne gehen. Mit fliegenden Fingern fischte ich in meiner Tasche nach dem Schlüssel und drehte ihn fast schon brutal im Schlüsselloch um.

Es empfing mich der altbekannte Flur mit den altbekannten Fotos von Ariks Familie, der kleinen, schlichten Kommode und den strahlend weiß gestrichenen Wänden. Noch nie war mir dieses Haus so kalt vorgekommen. Plötzlich wurde mir bewusst, warum ich Arik all die Jahre völlig freie Hand gelassen hatte, wenn es um Einrichtungsfragen ging. Eigentlich war das hier noch nie mein Zuhause gewesen. Ich war in diesem Augenblick heilfroh, dass dieses Haus auf dem Papier ganz allein Arik gehörte… dass ich nicht an der Finanzierung beteiligt war. Auf diese Weise musste ich keinerlei schlechtes Gewissen haben, für immer von hier auszuziehen.

Arik stand im Türrahmen zum Wohnzimmer gelehnt und starrte mich an. Ich hatte den Eindruck, sein blondes Haar sei zauser als sonst und überhaupt sah er ziemlich mitgenommen aus. Er hatte die ersten Bartstoppeln stehen lassen, was absolut untypisch für ihn war. Sein Hemd war ungebügelt und er trug keine Schuhe. Aber dieser Anblick löste weder Mitgefühl noch Reue in mir aus. Der Blick aus seinem scharfkantigen Gesicht war so abschätzig und kalt, dass ich mich extrem beherrschen musste, ihn nicht auf der Stelle anzuschreien.

Stattdessen wich ich seinem Blick aus und ging schweigend an ihm vorbei ins Schlafzimmer. Ich würde ihn ganz einfach ignorieren, bis ich hier fertig war, und würde wieder gehen.

Der Reisekoffer, den ich brauchte, war auf dem Schrank verstaut und ich hatte meine Mühe, an ihn ranzukommen, aber es gelang mir wahrscheinlich allein deshalb, weil ich um nichts in der Welt Arik um Hilfe gebeten hätte. Ich wuchtete den schweren Koffer auf das Bett und begann, meine Kleidungsstücke aus dem Schrank zu nehmen.

Arik war mir nachgegangen und beobachtete mich von der Tür aus. „Wo warst du?“, fragte er.

„Mh?“, machte ich und tat, als hätte ich ihn jetzt erst bemerkt. „Hast du etwas gesagt?

„Ich fragte, wo du warst.“

Die Luft knisterte, und ich warf die Sachen einfach achtlos in den Koffer. Meine eigene Wut und Ariks Stimme, die so neutral klang, dass es nichts Gutes bedeuten konnte, waren eine explosive Mischung, der ich mich nicht lange aussetzen wollte.

„Das geht dich nichts an“, erwiderte ich kalt.

„Du willst wirklich gehen?“

Ich stieß ein schnaubendes Lachen hervor und deutete auf den Koffer. „Du bist ja ein echter Blitzmerker.“

„Du kannst nicht gehen.“

„Oh, du hast keine Ahnung, was ich alles kann.“ Ich triefte vor Sarkasmus und bemerkte erschrocken, dass es mir Spaß machte, mit Ariks Gefühlen zu spielen. Ich musste aufpassen. Das Eis, auf dem wir uns gerade bewegten, war sehr dünn.

„Es gibt einen Anderen, stimmts?“ Seine Stimme klang bei diesen Worten anders. Sie jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken und ich konnte nicht anders, als ihm ins Gesicht zu sehen. Was ich dort erblickte, ließ mich einen Moment innehalten. Ariks Augen waren so ausdruckslos, als hätte jemand alles Leben in ihnen ausgesaugt und es mit etwas ersetzt, das schrecklicher war als die bloße Abwesenheit von Leben. Für einen Augenblick lang… kannte ich den Mann nicht, der mir gegenüber stand.

„Wieso interessiert dich das?“ Ich konnte nicht verhindern, dass meine Stimme zitterte. „War zwischen uns mal etwas, das verhindert hätte, dass es für einen von uns jemand Anderen gibt? Ich erinnere mich nicht.“

Er sog scharf die Luft ein, um etwas zu sagen, aber ich kam ihm zuvor.

„Wie geht es Elena?“

Sein Gesicht war eine Maske aus purem Zorn. „Du weißt verdammt nochmal genau…“

„Dass du sie zwei Monate lang gefickt hast, ja das stimmt. Aber das kannst du jetzt meinetwegen so oft tun, wie du willst und mit wem du willst. Ich spiele keine Rolle mehr dabei.“ Ich zog den Reißverschluss des Koffers zu, hievte ihn hoch und zog ihn vom Bett. „Falls ich noch irgendetwas brauche, werde ich es mir im Lauf der Zeit holen, du musst dir keine Mühe geben, mir etwas nachzuschicken. Du wirst sowieso nicht erfahren, wo ich sein werde.“ Ich hörte meine Worte wie ein Zuhörer von außen und mein innerliches Unbehagen wurde immer größer. Warum tat ich das? Warum streute ich Salz in Ariks Wunden, trat zu, obwohl er schon am Boden lag? Ich musste sofort damit aufhören und einfach von hier verschwinden, bevor dieser beängstigende Hass die Überhand über mich gewann.

Ich versuchte einen klaren Kopf zu bekommen und überprüfte, ob ich alles beisammen hatte, was ich brauchte, um die nächsten Wochen nicht mehr hier herkommen zu müssen. Ich kam zu keinem Resultat und beschloss, dass es einfach reichen musste.

Und dann ging ich. Ich schob mich an Arik vorbei, der erstaunlicherweise weder etwas sagte, noch versuchte, mich aufzuhalten. Erst an der Tür überkam es mich heißkalt.

„Das wird schwierig, mit dem Koffer auf deinem klapprigen Fahrrad“, bemerkte Arik hinter mir feixend.

Ich sagte nichts, sondern verfluchte mich für meine Dummheit.

„Soll ich dich zu deinem Auto fahren? Vielleicht hast du Glück und die Werkstatt hat jetzt noch geöffnet. Obwohl ich ja bezweifle, ob sie die alte Schrottkiste schon wieder instand gesetzt haben.“

Tja, da saß ich nun gehörig in der Patsche. Aber es half ja alles nichts. „Okay.“

„Okay was?“

„Fahr mich bitte zu meinem Auto.“ Mein Stolz litt furchtbare Qualen.

Arik hob die Augenbrauen, zog seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche und ging an mir vorbei nach draußen.

Schweigend stiegen wir in den schwarzen BMW, der ein Geschenk von Ariks Vater war, und fuhren ebenfalls schweigend los. Es kam mir vor, als wären wir ans andere Ende der Welt unterwegs, so zog sich die Stille in dem Wagen dahin. Die ganze Zeit hielt ich den Koffer auf meinen Knien fest und versuchte, Arik nicht anzusehen. Ich wusste, dass er ein selbstzufriedenes Lächeln aufgesetzt hatte, wie immer, wenn er mich in eine peinliche Situation geraten sah.

Nach etwa fünfzehn oder zwanzig Minuten waren wir bei der Werkstatt angekommen, deren Tore zum Glück noch offen standen. Mein kleiner roter Corsa stand, offenbar zur Abholung bereit, auf dem Hof.

„Da sind wir“, sagte Arik. Die Worte hatten etwas Endgültiges, das mir gefiel.

Ich streckte die Hand nach dem Türgriff aus, um auszusteigen, bemerkte aber, dass die Tür abgeschlossen war. Verwirrt drehte ich mich zu Arik um. Er sah mich nicht an, sondern starrte mit demselben toten Blick, den er kurze Zeit zuvor in der Wohnung aufgesetzt hatte, auf die Straße. Eine beklemmende Angst überkam mich. „Arik. Mach die Tür auf.“

Keine Reaktion. Ich holte tief Luft. Zur Not würde ich um Hilfe schreien und gegen das Fenster trommeln, bis mich einer der Arbeiter in der Werkstatt bemerkte. Langsamer und gefasster sagte ich: „Es reicht jetzt. Lass mich raus.“

Ein dumpfes Klicken und die Verriegelungsknöpfe schossen nach oben. Sofort öffnete ich die Tür, stieg aus und zog den Koffer nach. Mein Herz pochte laut. In dem Auto eingesperrt zu sein hatte mir mehr Angst eingejagt, als ich mir eingestanden hatte. Nein… in diesem Moment mit Arik allein zu sein, das war es, was mich wirklich beängstigt hatte.

Er sah mich immer noch nicht an. Daher verzichtete ich auf jedes weitere Wort und ging los, um die Werkstattkosten zu zahlen und mein Auto abzuholen. Hinter mir fuhr der BMW an und entfernte sich rasch. Ich drehte mich nicht noch einmal um, um zurückzublicken.

Xenon

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