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Eva Ende August 1994

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Die Schulterpolster kommen langsam aus der Mode. Die Eva trägt einen schwarzen Rock, der kurz über dem Knie zu Ende ist, und einen schwarzen Leinenblazer, trotz der Hitze. Ihre blonden, kurzen Haare leuchten viel zu gelb für ein Begräbnis. Die kleine Gruppe der Trauernden ist um das Grab ihrer Mutter versammelt und Evas sechsjährige Tochter Franziska weint um die Großmutter. Sie hat einen verschmierten Mund von dem Eis, das sie vorhin gegessen hat, und die Tränen rinnen ihr in den klebrigen rosa Bart, den das Eis hinterlassen hat. Evas Vater, der Herr Magister Traxler, schaut möglichst betroffen drein, obwohl die junge Freundin schon zu Hause auf ihn wartet. Und der Paul, der trauernde Schwiegersohn, dem alles furchtbar peinlich ist, fotografiert, damit er sich hinter der Kamera verstecken kann. Die Eva beobachtet das alles, sie ist nicht besonders aufgewühlt, das wird später kommen, wenn sie allein ist.

Alle werfen eine kleine Schaufel Erde auf den Sarg in der Grube, das Trinkgeld für den Mann, der die Schaufel übergibt, in den Händen bereit. Die Eva gibt dem Mann fünf Schilling. Er riecht nach Bier und wird das Geld versaufen. Die Eva hat auch ein Vierterl getrunken, vorher.

Am Nebengrab steht ein mittelgroßer Mann, ungefähr Mitte dreißig, mit einem runden, gutmütigen Gesicht und hellbraunen, kurzgeschnittenen Haaren. Er trägt ein blaugraues Seidenhemd und hat die Ärmeln aufgekrempelt. Er ist gerade dabei, auf dem Grab unter dem steinernen Kreuz frische rote Rosen in eine Vase zu geben. Daneben steht eine Gießkanne aus Metall.

Er schaut zu ihr herüber.

Soeben wirft eine ältere Dame Erde ins Grab von Evas Mutter und schluchzt herzzerreißend. Die Eva hat keine Ahnung, wer die Dame ist, und fragt sich, ob die vielleicht das falsche Begräbnis erwischt hat.

Und plötzlich steht der Mann vom Nebengrab bei der Eva und gibt ihr eine seiner roten Rosen.

»Ihre Mutter ist gut aufgehoben an dem Platz. Sehen Sie, da wächst eine Birke. Das ist gut, die liebliche Birke bedeutet Reinigung, Loslassen, Neuanfang.«

Und er geht wieder zu seinem Grab.

Vom Ottakringer Friedhof fährt die Trauergesellschaft stadteinwärts, denn die Leichenfeier findet in einem Wirtshaus auf der Wilhelminenstraße statt. Der geizige Herr Magister Traxler hat mit dem Wirt einen günstigen Preis ausgehandelt. Ein Freund der Familie Traxler hält eine Rede und spricht von der aufopfernden Pflege, die der Herr Magister Traxler der Verstorbenen hat angedeihen lassen.

Dabei hat er seine herzkranke Frau in ein Spital abgeschoben, wo die Betten im Zimmer zahlreich waren und die Krankenschwestern unfreundlich. Die Eva spürt die Wut in sich aufsteigen und trinkt noch ein Vierterl Rot.

»Du, ich geh jetzt«, sagt der Ehemann, »du weißt, ich muss noch in die Redaktion.« Der Paul Matuschka ist Journalist und muss immer in die Redaktion, wenn ihm die Situation nicht angenehm ist. Die Franziska hat ihren Schmerz vergessen und sitzt bei der Gertrud am Schoß, einer älteren Nachbarin der Traxlers, die der Mutter immer heimlich die Aufputschmittel besorgt hat, die kleinen, gelben »Reactivan«.

Sie machen Flieger aus Papierservietten und schießen damit auf den Hirschkopf, der an der Wand hängt.

Am nächsten Tag macht die Eva wieder einen Friedhofsbesuch. Nach einem kurzen Haltmachen bei der Mutter geht sie hinüber zum Grab, wo der Mann die Rosen eingewässert hat. Sie liest die Inschrift am Grabstein: »Hier ruht die allseits geliebte Katharina Kaunitz Hackenberg, 1914–1985, deren Astralleib in eine andere Inkarnation übergehen wird.«

»Astralleib, Inkarnation?«, der Mann ist wohl einer von den Esoterikern, die jetzt wie Schwammerln aus der Erde sprießen, seit die katholische Kirche ihren Glamour eingebüßt hat.

Kaunitz Hackenberg. Soll sie im Telefonbuch nachschauen, ob es einen männlichen Kaunitz Hackenberg gibt? »Traxler«, sagt sie zu sich selbst, »da ist ja nichts dabei, man kann sich ja für die nette Geste mit der Rose bedanken …«, aber dann murmelt sie, »und jetzt hör auf, dich zu belügen, du bist an diesem Mann interessiert und nicht an seinen Rosen.«

Die Eva verliebt sich gerne. Sie mag die Adrenalinausschüttung. Drum hat sie es mit dem Treusein nie so genau genommen.

Vor sieben Jahren hat sie den Paul kennengelernt, und diesmal sollte es wirklich etwas Ernstes sein. Eine gutbürgerliche Angelegenheit mit Kindern, Maßküche und ewiger Treue. Sie ziehen in ein Reihenhaus im oberen Teil von Ottakring, das von einer Genossenschaft vergeben wird, und den zu zahlenden Anteil spendet der geizige Herr Magister Traxler in Anbetracht des schwangeren Bauches seiner Tochter. Der verliebte Paul ist entzückend, bei der Eva ist es gar nicht so das große Gefühl, aber der Paul bemüht sich um sie, umwirbt sie mit Gedichten, Fotocollagen und der Versicherung, dass er einer der »Neuen Männer« ist, der die Hausarbeitsteilung in die Tat umsetzt. Der Paul ist sehr überzeugend, wenn er will.

Und dann wird geheiratet, sie im langen weißen Brautkleid, im Empirestil, damit das Bäuchlein Platz hat, und einem kleinen Schleier über dem Gesicht. Den hat ihr Paul nach »Jetzt dürfen Sie die Braut küssen« mit einer zärtlichen Geste nach hinten geschoben, und sogar der Herr Magister Traxler war gerührt.

Es gibt natürlich ein Fotoalbum »Hochzeit 1988«, wo am Deckblatt zwei Tauben turteln.

Und sie gelten als Musterehepaar, bei ihren Freunden. Der dunkelhaarige Paul Matuschka, gut verdienender Journalist, der in seiner Freizeit noch Sachbücher schreibt, die Eva gern gesehener Gast in Volkstheater und Josefstadt und beschäftigt bei Fernsehproduktionen. Man kann ihren Typ gut gebrauchen. Die drahtige, kleine Frau mit dem blonden Kurzhaarschnitt. Mit einem rundlichen Gesicht und großen, grünen Augen. Die »Meg Ryan für Arme« sagen die Kollegen hinter ihrem Rücken.

Und wenn für ein Interview die Fotografen da sind, kann man in den Zeitungen Bilder sehen, wo das glückliche Ehepaar mit der glücklichen, kleinen Tochter posiert.

Doch jetzt, nach sechs Jahren, ist der »perfekte neue Mann« längst nicht mehr der verliebte Gedichteschreiber, sondern ein missgelaunter Ehemann, der sich bei den gemeinsamen Mahlzeiten hinter einem Buch versteckt.

Und die ehelichen Pflichten … die werden immer seltener vollzogen. Man spricht nicht über die erotischen Fantasien und eventuelle Wünsche. Man schläft bei, und jeder konzentriert sich auf den inneren Pornofilm, den er ablaufen lässt, ohne den anderen dabei teilhaben zu lassen.

Ewige Treue wollte die Eva exerzieren, aber die Lust auf was Neues wird immer stärker.

»Mir kommen die Hormone schon bei den Ohren heraus«, sagt sie zu ihrer Freundin Rita, einer Regieassistentin, mit der sie intime Gespräche pflegt.

Die Rita ist eine der Frauen, die essen können, was sie wollen, und trotzdem nicht in die Breite gehen. Sie hat lange, braune Haare und die großen, braunen Augen sind immer sehr sorgfältig geschminkt. Ein ehemaliger Freund hat »Rehlein« zu ihr gesagt. Aber Rita »hat nun mal«, wie sie gerne Wilhelm Busch zitiert, »einen Hang zum Küchenpersonal.«

Sie steht auf verschwitzte Männer mit Muskeln und einer Reihe von Vorstrafen. Eine unglückselige Veranlagung für eine wohlerzogene Arzttochter.

Aber diesmal ist es die Eva, die ein Problem hat. Sie möchte einerseits mit diesem Kaunitz Hackenberg in Kontakt treten, andrerseits aber ihre Ehe nicht aufs Spiel setzen.

»Der Paul muss ja nichts erfahren. Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß!«, zitiert jetzt die Rita ihre Oma. »Außerdem – vielleicht ist er verheiratet oder impotent oder schwul. Hast du gewusst«, sagt sie dann versonnen, »dass der blonde Bühnenarbeiter mit der Vokuhila-Frisur im Bett zu Höchstleistungen fähig ist?«

Am Abend, nachdem die Eva die Franziska schlafen gelegt hat, holt sie das Telefonbuch aus der Lade. Sie will es gerade aufschlagen, da kommt der Paul nach Hause und sie führt ihn geradewegs ins Schlafzimmer.

Am nächsten Tag steht die Eva sehr zeitig auf, denn sie muss um halb sechs in der Maske sein. Es gibt einen Drehtag für eine Komödie mit dem fantasielosen Namen »Das verlorene Glück«, und die Eva spielt die Freundin des verheirateten Liebhabers und kauft am Brunnenmarkt Zwetschgen ein, um ihn zu verführen.

Als Aufenthaltsraum für die Crew hat man das Extrazimmer einer Konditorei auf der Neulerchenfelderstraße gemietet. Zwei Stunden später fällt »Klappe … die vierte« und die Eva sagt ihren Text:

»Ich möchte bitte ein halbes Kilo von den schönen Pflaumen da.«

(Die Eva muss »Pflaumen« sagen und nicht »Zwetschgen«, denn der Film wird von einer deutschen Filmfirma mitfinanziert.)

Der türkische Kleindarsteller, der als Standler verkleidet ist, nimmt ein Papiersackerl und sagt seinen Text: »Schöne Pflaumen für eine schöne Frau!«

»Aus!«, schreit der Regisseur, »Herr Güner, man versteht ja kein Wort! Deutlich! Schöne Pflaumen für eine schöne Frau!«, er zieht die Silben in die Länge, als ob der Herr Güner nicht Deutsch könnte.

»So müssen Sie das sagen!«

Der Regisseur ist eigentlich mit allen Schauspielern per Du, nur beim Herrn Güner macht er eine Ausnahme. Er will demonstrieren, dass man zu unseren türkischstämmigen Mitbürgern höflich sein soll.

»Klappe … die fünfte.« Und wieder:

»Ich möchte bitte ein halbes Kilo von den schönen Pflaumen da!«

Endlich ist die Szene im Kasten und es beginnt das Warten auf die nächste Einstellung – »Totale, Eva geht mit den Pflaumen zwischen den Ständen entlang.«

Ein Standler mit einer blauen Schürze und einem Strohhut kommt daher. Er trägt einen Korb mit Gemüse.

»Entschuldigen«, sagt er zur Eva, »Sie sind doch die Frau Traxler?«

»Ja«, sagt die Eva, will in ihrer Tasche nach den Autogrammkarten suchen.

»Ich habe den Bio-Stand da hinten«, sagt der Mann, »ich soll Ihnen das bringen, von einem Verehrer«, und er übergibt ihr den Korb.

Drinnen sind Brokkoli, Paradeiser, Zucchini und ein großer, weißer Rettich, kunstvoll nebeneinander geschlichtet. Obenauf eine Karte aus Büttenpapier »Herzliche Grüße vom Rosenkavalier Joachim Kaunitz Hackenberg«.

Evas Herz macht eine kleine Rhythmusstörung. Kaunitz Hackenberg? Der Mann vom Friedhof?

Der Bio-Standler sagt: »Alles rein biologisch! Wir sind ein Musterbetrieb! Na dann – bis zum nächsten Mal!«, und er geht in die Richtung seines Standes, vor dem ein großes Sauerkrautfass steht.

»Na, das ist aber ein lieber Verehrer«, sagt die Regieassistentin, eine rundliche Person mit einer Hornbrille. Sie steht neben der Eva und hat die Szene mitverfolgt.

Die Eva starrt auf den weißen Rettich, als plötzlich hinter dem Käsestand der Mann vom Friedhof auftaucht.

»Keine Angst«, sagt er, »Sie werden nicht von mir verfolgt, ich wohne hier gleich um die Ecke. Ich habe erfahren, dass hier gefilmt wird, und wollte ein bisschen zuschauen. Ich bin nämlich auch Schauspieler.«

Die Eva, die sonst eher zu viel redet, ist sprachlos.

»Und da hab ich gesehen, dass Sie hier mitmachen«, er lacht, und sie bemerkt, dass seine beiden Wangen je ein Grübchen haben.

Bei näherer Betrachtung ist er überhaupt eine angenehme Erscheinung. Bei Theaterproduktionen würde man ihn mit komischen Rollen besetzen, denn abgesehen von seinen Grübchen hat sein Gesicht etwas Liebenswertes, Fröhliches. Seine grauen Augen sind leicht schräg gestellt, und die buschigen Brauen darüber lassen in der Mitte Platz für eine Senkrechtfalte. Kleine Ohren, runder Hinterkopf.

Sein Lachen ist ansteckend und die Eva lacht jetzt auch. »Na dann gehen wir in der Mittagspause vielleicht auf einen Kaffee?«, sagt sie.

»Ich habe heute keine Zeit«, antwortet er, »drei Schüler!« Jetzt wird er ein bisschen wichtigtuerisch. »Wissen Sie, ich gebe Privatstunden in Sprachgestaltung! ›Starke Scheite schichtet mir dort am Rande des Rheines zuhauf!‹«, deklamiert er und betont dabei jeden Konsonanten. »Aber am Freitagnachmittag würde es passen. Kommen Sie zu mir, mein Kaffee ist der beste, frisch gemahlen. Und ich werde einen Ribiselkuchen machen!«

No, der geht’s aber flott an, denkt die Eva und sagt: »Ich weiß nicht …«

»Natürlich alles in Ehren, ich weiß doch, dass Sie verheiratet sind. Die Ehe ist ein Zentrum der Ich-Kraft, sie darf nicht zerstört werden durch das Begierden-Leben. Wir müssen unsere Lust zügeln, um uns des Ätherleibes bewusst zu werden.«

Die Eva hat keine Ahnung, wovon er redet, und es fällt ihr ein, dass sie am Freitag eigentlich mit der Franziska in den Prater hätte gehen wollen. Aber das kann man ja eine Woche verschieben.

»Freitag um drei könnte ich vielleicht kommen, aber da muss ich einen Termin verschieben«, fügt sie hinzu, damit er sich nicht einbildet, er sei etwas Wichtiges in ihrem Leben.

»Wenn Sie den Freitag nicht für Ihre Familie reserviert haben? …«

»Nein, nein, das geht schon in Ordnung!« Sie hat jetzt ein wenig hastig zugesagt. Er soll ja nicht glauben …

»Das wird mich freuen«, sagt er. »Ich wohne wie gesagt gleich um die Ecke. Gaullachergasse 72. Ich erwarte Sie.«

»Wir könnten eigentlich Du zueinander sagen …«

»Wenn’s Ihnen nichts ausmacht, bleibe ich beim Sie«, antwortet er. »Also, wir sehen uns.« Und er verschwindet wieder hinter dem Käsestand an der Ecke.

Die Eva steht vor der Gaullachergasse 72. Es ist ein einstöckiges Biedermeierhaus, gelb gestrichen, in den Fenstern im ersten Stock Blumenkästchen mit roten Geranien. Im Erdgeschoß ist die Fassade mit einem Regenbogen bemalt und in den Fenstern kann man frisch gewaschene, weiße Leinenvorhänge sehen. Über dem Regenbogen gibt es ein Schild aus Holz, wo der Schriftzug »Kindergarten Immerfroh« eingeschnitzt ist. Dahinter hört man, wie zur Begleitung einer Gitarre einige Kinder ein Lied singen.

Auch die Franziska ist jetzt in ihrem Kindergarten, und dem Paul hat die Eva gesagt, dass sie mit der Rita ins Schafbergbad geht. Und dort war sie auch bis vor einer halben Stunde. Dann hat sie sich das Sonnenöl weggeduscht und ihre neue Wäschegarnitur angezogen. BH und Höschen in einem unschuldigen Weiß, drüber ein grünes Sommerkleid, das ihre schönen, gebräunten Beine zeigt. Und einen Hauch Eau de Parfum, nicht zu süß, ihre Lieblingsmarke Chanel Nr. 19.

Es gibt zwei Klingeln, neben einer steht »Kindergarten«, neben der anderen sein Name. »Joachim Kaunitz Hackenberg.« Sie läutet. Keine Reaktion. Sie läutet ein zweites Mal, diesmal länger – nichts. Nach dem dritten Läuten will sie sich umdrehen und gehen. Vielleicht ein wenig enttäuscht, aber im Grunde erleichtert, dass sie der Versuchung noch einmal entkommen ist. Plötzlich öffnet sich ein Fenster über den roten Geranien, und sie vergisst zu atmen vor Schreck: Eine Teufelsmaske ist erschienen, die im Falsett kichert:

»Ich bin Luzifer, der Verführer! Der Herr Kaunitz Hackenberg ist nicht zu Hause! Hihihihi!«, und die Teufelsmaske verschwindet. Als sich die Eva von ihrem Schock erholt hat, ist der Joachim mit der Maske in der Hand zum Haustor heruntergekommen und sagt: »Die Maske ist handgeschnitzt! Oben habe ich noch drei davon hängen.«

Er lacht und es ist jetzt gar nichts Unheimliches mehr um ihn herum. Wieder Seidenhemd, diesmal kurzärmelig, von einem blassen Gelb, und wieder eine beige Leinenhose, dazu hat er trotz der Hitze ein Tuch um den Hals gebunden.

»Kommen Sie doch weiter! Bitte mich in den Hof zu begleiten!«, er spielt den Fremdenführer, »Da ist zur Jause gedeckt.«

Sie gehen durch einen kleinen Gang nach hinten in einen Innenhof, der mit roten Ziegeln gepflastert ist. Drum herum gibt es Sträucher und ein kleines Gemüsebeet.

Ein länglicher Holztisch steht dort, der mit einem weißen Spitzentischtuch bedeckt ist. An den beiden Kopfenden liegt je ein Gedeck. Zwei gepolsterte Sessel stehen davor. Es sieht aus wie in einem historischen Film, wo das adelige Paar weit voneinander entfernt seine Mahlzeit einnimmt.

»Dass wir uns nicht zu nahe kommen«, sagt der Joachim, »bitte Platz zu nehmen, der Kaffee kommt gleich.«

Die Eva setzt sich an das untere Ende des Tisches unter einen frisch gepflanzten Baum.

»Das ist eine Eiche«, erklärt der Joachim. »Die stärkt das Ich-Bewusstsein und die Gesundheit. Übrigens …«, er zwinkert ihr zu, »eine Eiche gedeiht besonders gut, wenn Tote darunter begraben sind!«, und er entschwindet ins Haus. Die Eva steht auf und kratzt mit der Fußspitze in der Erde herum. »Wenn Tote darunter begraben sind« … dann setzt sie sich wieder. Der Joachim hat offensichtlich einen sehr schwarzen Humor.

Er kommt mit Kaffee und einem Kuchen aus dem Haus und stellt beides auf den Tisch. »Rhabarberkuchen!«, sagt er, »selbst gebacken«, und schneidet den Kuchen auf.

Dann kommt er mit der Porzellankanne zur Eva und schenkt ihr Kaffee ein. Er ist bemüht, ihr dabei nicht zu nahe zu kommen, aber beugt sich doch so weit herunter, dass sie ihn spüren kann. Und er riecht nach Lavendelseife.

Man trinkt Kaffee und plaudert.

Er ist also auch Schauspieler?

Ja, schon, obwohl man fast keine Rollen mehr annehmen kann, seit das moderne Regietheater die Stücke nur mehr verhunzt. Aber er hat genug Geld, um sich nur dem »Schöngeistigen« zu widmen. Sein Vater hat ihm das Haus vererbt und dazu noch eine größere Summe. Er hatte sich nämlich in der Nazizeit durch »Arisierung« ein Industrieunternehmen angeeignet und es zu einem beträchtlichen Reichtum gebracht.

»Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben und die Großmutter hat mich aufgezogen. Mein Vater war ein böser Charakter, er hat mich sehr viel geschlagen. Und dann bin ich von vier Internaten geflogen. Aber die Großmutter hat mich geliebt und wir haben hier miteinander gewohnt. Im selben Bett geschlafen, bis sie vor sieben Jahren gestorben ist.«

Dann geht es wieder um das Theater: Ein Thomas Bernhard ist ihm zuwider. Er liebt die Klassiker.

Die Eva will jetzt nicht mit ihm über das Theater diskutieren. Er hat offensichtlich sehr konservative Ansichten und sie hat keine Lust mit ihm zu streiten. Sie schaut ihm in die Augen, er schaut zurück.

Sie steht auf und nimmt ihren Sessel. »Ich glaube, ich werd’ ein bisserl näher zu dir … zu Ihnen hinrücken«, sagt sie, doch der Joachim ruft: »Nein, nein, das kann ich nicht zulassen! Bleiben Sie dort, wo Sie sind!«

»Aber einen Kaffee kann ich doch noch haben, oder?«

Er kommt wieder mit der Kaffeekanne zu ihr und schenkt ein. Diesmal legt sie dabei ihren Kopf auf seinen Arm, diesmal weicht er nicht zurück.

»Könnte ich vielleicht ein Bussi haben?«, sagt sie.

Er beugt sich zu ihr hinunter und küsst sie, der Sessel fällt um. Sie fallen beide auf den Flecken Gras, der um die junge Eiche herum gepflanzt ist.

»Gehen wir hinein!«, sagt sie und ihre Stimme ist ganz heiser.

Er steht auf und putzt die Erde-Reste von seinen Knien.

Dann räuspert er sich.

»Machen wir eine kleine Führung durch die Wohnung«, sagt er.

»Aber das Schlafzimmer kann ich Ihnen nicht zeigen, da gibt es Haifische!«, er bleckt die Zähne und macht ein paar schnappende Geräusche.

Sie gehen durch den Gang eine Treppe hinauf in den ersten Stock und er hat dabei seinen Arm um ihre Schulter gelegt.

»Bitte einzutreten, hier das Vorzimmer«, der Joachim tut so, als ob er ein Museumsführer wäre, »und rechts die Küche!«

Er führt sie in einen Raum, der ganz mit hellem Holz verkleidet ist.

»Zirbenholz«, erläutert er. »Die Zirbe ist die Königin der Alpen. Senkt die Herzfrequenzrate. Die hab ich so gelassen, wie sie die Großmutter eingerichtet hat. Hier hängt noch ihre Schürze«, er weist auf einen blauen Kittel, der neben dem Eiskasten auf einem Haken hängt.

Sie schauen sich an und küssen sich wieder.

»Und bitte weiterkommen«, er löst sich von ihr und sie gehen in den nächsten Raum.

»Das Herrenzimmer«, sagt er.

Es ist ein Zimmer mit wuchtigen, altdeutschen Möbeln. Und dort an der Wand hängen vier Teufelsmasken, die, mit der er sie vorhin erschreckt hat, in der Mitte.

»Die sind von einem sehr begabten Maskenschnitzer gefertigt«, erklärt er, »ich hätte gerne noch eine gehabt, aber er hat sich dann leider umgebracht.«

Gegenüber hängt ein Ölbild von einem mürrisch dreinschauenden Mann. »Der Professor«, sagt der Joachim ehrfürchtig, »mein Lehrmeister!«

Dann führt er sie ins Wohnzimmer. Dort geht das Fenster hinunter in den Hof, und man kann die Tafel mit zwei Gedecken und den Resten des Rhabarberkuchens von oben sehen.

Er hat seinen rechten Arm um ihre Schultern gelegt und auf einmal spürt sie, wie sich etwas Hartes in ihre Rippen drückt. Es ist eine Pistole.

»Die hat meine Großmutter immer in der Nachttischlade gehabt«, sagt der Joachim fröhlich.

Die Eva spürt die Angst in allen Eingeweiden, besonders in der Nähe des Beckenbodens.

»Muss ich mich nicht fürchten vor dir?«, ist das Letzte, was sie sagt, bevor sie mit dem Joachim in einem zuerst innigen, dann immer wilder werdenden Kuss sich zusammenfügt.

Er knöpft ihr das Kleid auf, sie hilft ihm dabei, er zieht sie Richtung Schlafzimmer, dorthin wo einen die Haifische fressen – sie kann noch wahrnehmen, dass dort die Wand in ineinanderfließenden Farben bemalt ist. Von Orange über Rot in ein tiefes Blau übergehend, und wo das Blau anfängt, hat jemand drei Fische gemalt. Aber keine Haifische, sie sehen eher aus wie Karpfen.

Sie fallen auf das Bett. Ein altes Doppelbett mit Gitterstäben aus Messing.

Sie hat ihm das gelbe Seidenhemd aus der Hose gezogen und nimmt seine Brust und seinen Rücken mit ihren Händen in Besitz. Er zieht ihr das Kleid über den Kopf. Sie öffnet seinen Gürtel und zieht ihm die Hose bis zu den Knien.

Sie streicht mit der Hand über seine Unterhose, dort, wo er schon in voller Erregung ist. Er küsst ihren Hals, genau in der Kurve, wo sich bei einer Berührung die Körperhaare aufstellen. Die Eva ist überrascht, dass kein Vorspiel nötig ist, dass ihre Angst ein Vorspiel gänzlich ersetzt. Er dringt in sie ein und in kürzester Zeit kommt sie so intensiv, dass sie das Gefühl hat, ihre Eingeweide würden sich zusammenziehen.

Nachdem auch er wie vor Schmerz wimmernd gekommen ist, liegen sie erschöpft nebeneinander. Sie legt ihren Kopf auf seine Schulter.

»Schön war das«, sagt sie.

Er setzt sich plötzlich auf.

»Sie müssen jetzt gehen. Sie haben mein Ich-Bewusstsein gestört durch Ihre Begierde!«, und er steht auf und zieht sich wieder an.

Die Eva ist verwirrt, aber sie sammelt die Unterwäsche vom Boden auf und versucht dann, den Reißverschluss auf der Rückseite ihres Kleides möglichst würdevoll zu schließen. Sie will ihre Sandalen anziehen, doch eine ist unters Bett gerutscht, und die Eva muss auf allen vieren kriechen, um die Sandale hervorzuholen. Das ist eine Stellung, in der es schwer ist, Würde zu bewahren, sie kommt sich vor, wie ein apportierender Hund.

Sie muss sich beeilen. Um fünf spätestens ist die Franziska vom Kindergarten abzuholen. Zu Hause wartet schon die Frau Christl, der sie das Kind übergeben wird, weil die Eva in die Vorstellung muss. Die Frau Christl Kirschbichler ist 64 und kommt aus dem Weinviertel. Sie hat blonde, dauergewellte Haare und blaue Augen in einem erstaunlich glatten Gesicht. Um ihre Taille runden sich die Spuren von sieben Geburten, die sie »erledigt« hat. Ihr Mann war ein gewalttätiger Alkoholiker und hat die Frau Christl nicht gut behandelt, wenn er vom Wirtshaus nach Hause gekommen ist. Dazwischen hat er ihr die Kinder gemacht. Darum hat sie eines Tages die Koffer gepackt und ist mit den Kindern auf und davon. Nach Wien, wo sie eine Stelle als Hausmeisterin angenommen hat und dazu noch zu verschiedenen Leuten putzen gegangen ist. Und eines Tages hat sie jemand zum Babysitten engagiert, aufgrund der Tatsache, dass die Frau Christl mit ihrem zahlreichen Nachwuchs doch Erfahrung in der Aufzucht von Kindern haben müsse.

Und die Christl ist zur Kinderhüterin avanciert, obwohl sie wahrscheinlich mehr als genug hat von den Bangerten. Und so ist sie als Kinderfrau in den Haushalt Matuschka-Traxler gekommen. Sie ist verlässlich und hat sich gleich strikt geweigert, mit den Eltern der kleinen Franziska per Du zu werden. Da würde es an Respekt fehlen. Und natürlich nennt sie die Eva nicht bei ihrem Künstlernamen, sondern sagt mit ihrer grellen Stimme und im Weinviertler Dialekt »Frau Matuschka«.

Wenn die Eva gegangen ist, wird sie die Franziska vor den Fernseher setzen. Der Herr Matuschka ist heute Abend nicht zu Hause, er geht mit seinem Verleger abendessen.

In der Theatergarderobe wartet schon die Rita, der die Eva sofort von ihrem Abenteuer berichten wird.

»Also ich würde mich auf so einen grusligen Typen nicht einlassen«, sagt sie, nachdem die Eva ihre Geschichte beendet hat. »Der hat dir doch wirklich eine Puffn an die Rippen gesetzt?«

»Nur im Spaß …«

»Na da hört sich bei mir der Spaß auf! Sei um Gottes Willen vorsichtig!«

Ja, ja, sie wird vorsichtig sein.

Eigentlich wartet man, bis der Mann anruft. Und wenn er nicht anruft? Am nächsten Tag um zwei Uhr Nachmittag hat die Eva Schweißperlen auf der Stirn, um drei zittern die Hände und sie muss ein großes Bier trinken. Danach hat sie Mut.

Die Eva arbeitet aktiv für eine Frauengruppe, die sich für den Feminismus einsetzt, und es wäre ja gelacht, wenn man sich über die alten Regeln nicht hinwegsetzen könnte. Sie wählt seine Nummer. Er meldet sich nicht. Vier Mal ruft sie an innerhalb der nächsten Stunde, und vier Mal lässt sie es ganz lange läuten. Und abends probiert sie es noch einmal. Drei Tage hat sie nichts von ihm gehört. Je mehr er sie zappeln lässt, umso mehr will sie ihn haben. Sie ist ganz wahnsinnig nach ihm, kann an nichts anderes denken. Die Eva weiß, dass es sie heiß macht, wenn jemand sie schlecht behandelt, aber so eine rasende Sehnsucht hat sie noch nie gespürt. Das macht ihr Sorgen.

Die Eva geht um neun aus dem Haus zur Probe. Bei der Gartentür ist der Postkasten, und der Briefträger war anscheinend schon da, denn aus dem grünen Schlitz schaut ein dickes, gelbes Kuvert heraus. Sie öffnet den Postkasten, und das Kuvert fällt heraus.

Die Eva bückt sich und hebt es auf, darauf ist mit altmodischer, schnörkeliger Handschrift ihr Name und ihre Adresse geschrieben und als Absender Joachim Kaunitz Hackenberg, Wien 1160. Sie lässt die Handtasche fallen – sie ist spät dran – egal, sie hat Schweiß auf der Stirn und öffnet das Kuvert. Drin befindet sich kein Liebesbrief, keine persönliche Nachricht, sondern ein Pack von kopierten Zeitungsartikeln im A3-Format. Die Quelle der Kopien ist eine Zeitschrift, die den Namen »Urlicht. Monatsblatt der Gnostischen Heilsbringer« trägt. Einiges ist mit rotem Bleistift angestrichen. Als Erstes sieht sie: »Die Weiber sind die Posaunen des Teufels«, dann einige Seiten später: »Die Lust ist ein Dämon, den es auszurotten gilt« und noch weiter hinten: »… schon die Rosenkreuzer sagten: ›Die Frau, die Vergnügen am Beyschlafe findet, ist eine Hure.‹«

Sie geht zurück ins Haus und macht sich eine Flasche Bier auf, weil ihre Hände so zittern. Dann geht sie auf die Probe. Als sie nachher ins Auto steigt, kann sie nicht anders, sie muss wieder bei ihm anrufen. Er meldet sich nicht, was hat sie anderes erwartet?

Liebeskummer, schon nach einmal miteinander schlafen? Sie hat nicht gewusst, dass die Angst sie so scharfmacht. Ziemlich verzweifelt gibt sie auf und geht in den Supermarkt, den Wocheneinkauf erledigen. Da kommt einiges zusammen. Obst, Gemüse – sie schaut darauf, dass die Franziska ihre Vitamine bekommt. Es gibt auch nicht viele Süßigkeiten und für das Frühstück ein Vollkornmüsli. Und batterienweise Cola, der Paul ist colasüchtig. Na ja, und auch Rotwein und Bier …

Die Eva weiß, dass sie eine Alkoholikerin ist, aber immerhin – sie hat es unter Kontrolle.

»Ich kann sehr vernünftig mit dem Alkohol umgehen!«, prahlt sie vor ihren Freunden. »Erst trinken, nachdem die Sonne untergegangen ist.«

Na ja, das mit dem Bier heute Morgen war ja eine Ausnahme.

Um fünf holt sie dann die Tochter vom Kindergarten ab.

Kaum ins Auto, auf den Kindersitz verfrachtet, beschwert sich die Franziska über die Kindergärtnerin, die Tante Manuela.

»Der Sascha hat sich heute beim Spielen wehgetan und hat zu weinen angefangen«, sagt die Franziska ernsthaft, »und die Tante Manuela hat gesagt, er soll aufhören, weil Buben nicht heulen dürfen.« Sie nagt an ihrem (gesunden!) Schokoriegel. »Und du sagst doch immer, dass die Buben weinen dürfen und Mädchen mit Autos spielen sollen!«

»Die Tante Manuela ist eine blöde Kuh«, will die Eva sagen, bremst sich aber in letzter Sekunde ein auf eine kindergerechte Version. »Die Tante Manuela ist eine … Tante, die Blödsinn redet. Ich werde morgen mit ihr darüber sprechen.«

Zu Hause riecht es nach chemisch erzeugtem Flieder, denn die Frau Christl sprüht, immer mit Raumspray, nachdem sie Evas Aschenbecher ausgeleert hat. Und sie tut das nachhaltig, um zu demonstrieren, dass der Zigarettenkonsum der Frau Matuschka zu hoch ist.

Im Bett mit dem Teufel

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