Читать книгу Von der Familie zur Gruppe zum Team - Dr. Hans Rosenkranz - Страница 6

Selbstbild und Fremdbild

Оглавление

Während in wissenschaftlichen Feldstudien Aussagen über häufig auftretendes menschliches Verhalten gemacht werden, setzt das gruppendynamische Laboratorium sich selbst zum Forschungsgegenstand. So werden in einer für die Teilnehmer relativ sicheren Umgebung Lernsituationen bereitet, die einen Vergleich des Selbstbildes mit den Fremdbildern der Gruppenkollegen ermöglichen. Die Teilnehmer übernehmen dabei sowohl die Rolle des Forschenden als auch die Rolle des Forschungsgegenstandes.

Beschreiben wir uns selbst, so drückt sich in dieser Beschreibung unser Selbstbild aus, d. h. wir beschreiben uns so, wie wir uns selbst sehen, z. B. »Ich bin Angestellter bei der Firma Y und habe dort die Aufgabe, Verkäufer zu trainieren. Ich bin eine Führungskraft, da ich andere anzuleiten und zu motivieren habe. Ich glaube, dass ich einen guten Job tue, da ich sieben Jahre Erfahrungen gesammelt habe. Ich bin 43 Jahre alt, schaue einigermaßen gut aus, habe Erfolg bei den Frauen, bin ein guter Tischtennisspieler und ein mittelmäßiger Fußballspieler, glücklich verheiratet, habe zwei Kinder, bin ein relativ partizipativer Vater, ein etwas direktiver Vorgesetzter, usw.«

Die Beschreibung ist subjektiv, d.h. sie ist vom Standpunkt des betroffenen Individuums/Subjekts aus gemacht. Sie ist eine psychologische Realität und von daher richtig - subjektiv richtig. Wollen wir uns aber mit dieser subjektiven Richtigkeit nicht begnügen, sondern unser Selbstbild in den sozialen Kontext einer stärker objektiven, d. h. auch von anderer Sicht aus gesehenen Perspektive überprüfen, so haben wir uns die Frage zu stellen: Wie sehen mich die anderen? Speziell diejenigen, mit denen ich am meisten zu tun habe - also die Familie, die Frau, die Kinder, die Freunde, die Mitarbeiter und Kollegen, Vorgesetzte und Kunden.

Solche Informationen über sich selbst sind von anderen in der rauen Wirklichkeit des Betriebes, der Behörde, der Schule etc. nur schwer, wenn überhaupt erhältlich. Es besteht ferner die Gefahr, dass Fragen wie »Wie siehst du mich?« oder »Welche Meinung hast du von meinen Führungsfähigkeiten?« usw. Erstaunen und Verwunderung bei den Befragten auslösen. Das Image selbstsucherischer Nabelschau entsteht (»Der Alte hat heute wieder seinen sentimentalen Tag«). So ist der Einzelne auf sich selbst und seine Beobachtungen zurückgeworfen, wenn ihm nicht in einer lerngeeigneten Umgebung die Gelegenheit zu sozialem Lernen geboten wird. Da Familien und Schulen diese Funktion heute nur mehr sehr eingeschränkt erfüllen, übernehmen gleichsam kompensatorisch andere soziale Einrichtungen, wie zum Beispiel auch Betriebe als Lernstatt oder Lernlaboratorien diese Aufgabe. In komprimierter Form erleben die Teilnehmer den Feedback-Prozess bei dem Soziogramm während eines Gruppendynamik-Kurses:14

...Später, beim Soziogramm, gibt es noch mehr Anlass, über Selbstbild und Fremdbild nachzudenken. Ich komme auch in Bedrängnis, meine Selbsteinschätzung, wo sie positiv ist, zu vertreten, und wo sie negativ ist, nicht zu tief zu stapeln, um bescheidener zu wirken oder gar indirekt »um Schläge zu bitten«. Die negative Quittung für meine Gefühlsäußerungen bekomme ich dadurch, dass zwei Absender mich für zu weich, nicht belastbar und überempfindlich halten und deshalb nicht mit mir als Untergebenem arbeiten wollen. Von allen anderen, und das sind mehr, als ich nach meiner eigenen Einschätzung erwartet habe, wird mir Vertrauen entgegengebracht, Verstand und Gefühl in Ausgewogenheit, Offenheit, und auch Engagement, Kreativität, Kooperationsfähigkeit und Loyalität bescheinigt. Was wünsche ich mir mehr? Mein derzeitiges Problem scheint darin zu bestehen, dieses positive Feedback und die Erfahrung von Anerkennung in meine heimatliche Umgebung mit zurückzunehmen und dort mit weniger Angst die Schwierigkeiten anzupacken. Beim Lesen der Beurteilungskarten habe ich zum ersten Mal in diesen Tagen richtig feuchte Hände. Dieses Soziogramm-Spiel ist wahrlich kein Spiel mehr. Jeder in der T-Gruppe ist längst selbst zum Forschungsgegenstand geworden, anstatt als Außenstehender am »Experiment Führungsstil« herumzulaborieren. Auch unser Typenforscher erfährt am eigenen Leib, wie weh das tun kann. Er spricht von einem dumpfen Gefühl im Bauch und Verkrampfungen im Schultergürtel. Trotzdem überleben wir alle diese erste Konfrontation mit direktem Feedback und es scheint so, als ob wir auch nach dieser bisher einschneidendsten Hürde beieinander bleiben werden. Es sieht im Gegenteil so aus, als ob wir uns in dieser relativ geschützten Gruppensituation mehr und mehr um Feedback-Geben und - Annehmen bemühen. Obwohl beides gleich schwer ist, führt der Umgang damit offensichtlich dazu, soziales Verhalten störungsfreier zu machen und Spannungen merkbar abzubauen.

Faktisch sind wir alle, besonders aber als Führungskräfte, Eltern und Trainer, auf Informationen darüber angewiesen, welche Wirkung, welche Autorität, welches Vertrauen, welche sozialen Reaktionen wir bei Mitarbeitern, Schülern, Studenten, Seminarbesuchern auslösen. Verzichten wir auf solche Informationen und wählen wir eine »Peer-Gynt-Haltung«, eine Haltung des »Sich-Selbst-Genug-Seins«, so entziehen wir uns der Chance des sozialen Lernens und verleugnen durch »Vogel-Strauß-Politik« die Realität. Solche Personen, Führungskräfte verdienen diesen Namen nicht. Sie werden früher oder später zum sozialen Außenseiter, zum Hagestolz, zum weltfremden »Spinner«, zum lernunfähigen Fremdkörper in einer sich ständig verändernden Welt. Sie werden zu oftmals missverstandenen Ursachen von Generationskonflikten, von heimlichen und auch offenen Revolutionen gegen nicht verstandene Entscheidungen, zu Aggressionsobjekten. Am Ende verstehen sie die Welt nicht mehr, da sie nicht gelernt haben, ihren eigenen sozialen Standpunkt in dieser Welt, in einer Gruppe oder einer Organisation zu erkennen und entsprechende Konsequenzen zu ziehen.

Das andere Extrem stellen die »Chamäleon-Typen« dar, die schon auf das leiseste Anzeichen einer Nichtübereinstimmung des Fremdbildes anderer mit dem eigenen Selbstbild ihr Gesicht verändern und es ständig der Meinung anderer anpassen. Hierzu gehören die Sozialanpasser, die Opportunisten, die ständig ihr Fähnchen nach dem Wind hängen.

Von der Familie zur Gruppe zum Team

Подняться наверх