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Spiele zum Überleben

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Symbiose bedeutet für das ungeborene Kind, das Baby und das Kleinkind vorerst Passivität, Schutz, Wärme und Möglichkeit zum Wachsen. Instinktmäßig stehen dem neugeborenen Kind eine Reihe von Verhaltensmöglichkeiten zur Verfügung, die zunächst ganz unmittelbar dem eigenen Überleben, der eigenen Sicherheit dienen. Verhalten und Gefühle werden durch Ver- und Gebote der Eltern geprägt. Verhaltens- und Gefühlsmuster verfestigen sich und werden als Thema mit Variationen immer wieder reproduziert.

Das Kind wächst in das Jugend- und Erwachsenenalter hinein. Hat es nicht genügend Möglichkeiten, auch emotional zu lernen, d.h. immer wieder zu überprüfen, ob all die als Kind aktivierten Gefühle und die daraus entwickelten Entscheidungen und Strategien noch angebracht sind, agiert es auch als körperlich längst Erwachsener emotional noch als Kind. Aus ursprünglich lebensnotwendigem Verhalten entstehen so genannte psychologische Spiele, die auf dem im Kleinkindalter erlernten Rollenverhalten beruhen.

In der transaktionsanalytischen Spielanalyse werden drei Rollenstrategien differenziert, die dazu dienen, die Symbiose zu erhalten. So weigern sich so genannte »Opfer« durch Selbstabwertung, ihre Aufgaben zu erfüllen, um die Bequemlichkeit der Symbiose zu genießen. »Retter« agieren nach dem Motto: »Wenn ich tue, was du erwartest, tust du, was ich will.«18 Der »Verfolger« manipuliert durch: »Wenn ich dich genügend bedrohe, tust du, was ich will.«

Psychologische Spiele sind an dem überraschenden Wechsel von einer Rolle in die andere zu erkennen. Sie werden gespielt, um Streicheleinheiten zu bekommen. Meist sind negative Streicheleinheiten das Ergebnis. Spiele können aber auch von »Ich bin o.k., du bist o.k.« ausgehen. Sobald von einer Nicht-o.k.-Position aus agiert wird oder der andere in eine Nicht-o.k.-Position manipuliert wird, ist ein negativer emotionaler Gewinn zu erwarten, der letztlich alle daran Beteiligten unzufrieden lässt. Überwiegend gehen Spiele negativ aus. Trotzdem werden sie gespielt, da es immer noch besser ist, negative Streicheleinheiten zu erhalten als ignoriert zu werden.

Psychologische Spiele lassen sich nach den in ihnen dominierenden Rollen beschreiben:

Opfer-Spiele

Die Spieler sammeln Nicht-o.k.-Gefühle wie z. B. Minderwertigkeitsgefühle, depressive Gefühle, Gefühle des Ängstlichseins. Durch ihr Verhalten, ihren Gesichtsausdruck und ihre Worte laden sie andere dazu ein, sie in dieser Nicht-o.k.-Position zu bestärken. Nach einiger Zeit wird es ihnen zu dumm, getreten zu werden und sie wechseln in die Verfolger-Rolle.

»Tu mir etwas an« oder »schlag mich« oder »mach mich fertig« (»kick me«).

Durch sein Verhalten, z. B. durch »dumme Fragen«, durch ein wehleidiges Gesicht (»Ohrfeigengesicht«) sendet das Opfer die Botschaft an andere: »Schlag mich, tu mir etwas Schlechtes an, lach über mich!« Leute, die z. B. »Jetzt habe ich dich endlich, du Schweinehund!« (Jehides) spielen, lassen sich in so einem Fall nicht lange lumpen und kommen seiner Aufforderung nach. Diese Aufforderung erfolgt häufig über Körpersprache und ist dem Opfer meist nicht bewusst. Wenn es dem Opfer-Spieler zu dumm wird, dauernd Schläge einzustecken, geht er zuweilen in die Verfolger-Rolle. Wenn ihm die Rolle nicht liegt, wird er wieder in das Opfer zurückgedrängt. Seine Reaktion ist: »Siehst du, so geht’s mir immer!« oder »Warum muss das immer mir passieren?«

Durch negative Phantasien wird der Misserfolg vorprogrammiert. Letztlich wundert sich das Opfer auch gar nicht mehr, dass der erwartete Effekt eintritt. Das Spiel hat zusammen mit dem Ersatzgefühl Depression oder Minderwertigkeit die kumulativen Effekte eines Teufelskreises.

»Holzbein«

»Holzbein«-Spieler suchen eine Entschuldigung dafür, dass sie eine Arbeit nicht tun können. Sie sagen: »Für jemanden, der ein Holzbein hat, ist es unmöglich, diese Arbeit zu tun.« Auf diese Weise werden Kollegen ausgebeutet. Häufig wird das Holzbein auch benützt, um etwaigem Misserfolg vorzubeugen. »Man konnte doch nicht erwarten, dass ich diese Stelle bekomme, da ich ja dieses Holzbein, diesen Dialekt, diese Verletzung, diese Nationalität, dieses Alter oder anderes habe.«

»Überlastet«

Unter Managern ist das Spiel »Überlastet« beliebt. Der Spieler übernimmt freiwillig zu viel Arbeit. Meist arbeitet er auch noch zu Hause. Nach einiger Zeit bricht er zusammen, da er überlastet ist, und bekommt ein Magengeschwür oder einen Herzinfarkt.

Der »Überlastet«-Spieler hat nicht gelernt, »nein« zu sagen. Er kann nicht delegieren und hat wenig Vertrauen in andere, die ihm dann auch kein Vertrauen geben.

»Blöd«

Wird oft von Leuten gespielt, die sich Dinge vier-, fünfmal erklären lassen, obwohl sie sie schon verstanden haben. Manchmal haben sie nicht die Erlaubnis, den Kopf und ihre eigene Intelligenz zu gebrauchen. Sie suchen negative Streicheleinheiten von anderen, besonders von Rettern, die sich gerne ausbeuten lassen.

Manchmal gehen sie nach einiger Zeit in die Verfolgerrolle, um anderen zu beweisen, dass auch sie blöd sind. »Blöd« ist ein Spiel, das mit »Kick me« Ähnlichkeit hat. »Blöd«-Spieler erhalten oft krummes Streicheln wie z. B.: »Du bist nicht blöd, du blöder Kerl!«

»Schlemihl«

Der »Schlemihl«-Spieler macht viele Dinge falsch. Er möchte, im Gegensatz zu dem »Blöd«- oder dem »Kick me«-Spieler, nicht geschlagen werden. Sein Gewinn ist der Versuch, Verzeihung zu bekommen. Er erreicht sie, indem er in die Rolle des Opfers geht, sich selbst bemitleidet und herabsetzt. Nicht die erwartete Verzeihung zu geben, hilft diese Spiele zu stoppen.

Opfer-Verfolger-Spiele (Beschuldigungsspiele)

Der Spieler beschuldigt jemand anderen für eine Sache, die er zu vertreten hat. Das Spiel dient tatsächlich aber zur Bestätigung der »Ich bin nicht o.k.«-Position. Anzeichen der Selbstgerechtigkeit und Tugend werden vordergründig gezeigt, dahinter steht letztlich die Angst um das eigene Image.

»Schau, wozu du mich gebracht hast«

Der Spieler macht einen Fehler und beschuldigt dann eine andere Person dafür. Beispiel: Jemand fällt dauernd beim Skifahren (oder er lässt sich fallen) und beschuldigt dann den Begleiter, eine so schwere Abfahrt ausgesucht zu haben. Deshalb wäre der Begleiter auch für die Folgen verantwortlich. Das ist ein Spiel ersten Grades. Ist der Spieler mit dem emotionalen Gewinn nicht zufrieden, bricht er sich eventuell noch ein Bein, nur um dem anderen zu zeigen, was er Böses angestellt hat (Spiel zweiten Grades). Bei einem Spiel dritten Grades kommt es z. B. zur Scheidung eines Paares, zu Totschlag o. ä. Der Spieler sammelt ärgerliche Gefühle über andere und Gefühle der Minderwertigkeit über sich selbst.

»Wenn du nicht wärst«

Der Spieler ist unzufrieden mit sich selbst. Seine Phrase ist: »Ich habe verzichtet, damit du studieren, essen, usw. kannst.« Ein Beispiel ist die Hausfrau, die ihr Studium abgebrochen hat, um Kinder aufzuziehen, aber die Kinder und andere ihre Unzufriedenheit spüren lässt. Ein anderes Beispiel: Jemand verzichtet auf ein Vergnügen, um zu Hause auf jemanden zu warten, der ärgerlicherweise nicht kommt. Durch die dargestellte Leidensmiene wird dem Anderen Schuld aufgebürdet. Verfolger getarnt als Retter und Opfer.

Verfolger-Spiele

Sie verstärken die Grundposition »du bist nicht o.k.«. Sie bestätigen Gefühle von Zorn, Ärger und Aggression.

»Makel«

Ein Chef oder ein Lehrer findet nur Fehler in der Arbeit des Angestellten oder des Schülers. Oft sind es nur Kleinigkeiten. Die Kritik dient dazu, anderen zu beweisen, wie minderwertig sie sind.

»Zwickmühle«

Der »Zwickmühle«-Spieler versteht es, die andere Person so in die Enge zu treiben, dass ihr keine Chance bleibt, was immer sie auch tut.

»Jetzt habe ich dich endlich, du Schweinehund« (Jehides)

Der Spieler arrangiert eine Situation, in der der andere Fehler machen kann, ja muss. Um den anderen zu ködern, nimmt er eine Opfer- oder Retterrolle an. Wenn der andere in die Falle tappt, schlägt er als Verfolger zu. Berechtigungsscheine für Aggression und Ärger werden gesammelt. Am Ende wird befriedigt festgestellt: »Ich habe ja gleich gewusst, dass du ein ... bist.«

Eine andere Funktion dieses Spieles ist die Aufrechterhaltung von Vorurteilen. Das komplementäre Spiel zu »Jehides« ist »Kick me«, was soviel bedeutet wie »Tritt mich«. Jeder erhält den emotionalen, negativen Gewinn, den er bevorzugt. Wenn komplementäre Spieler aufeinander treffen, entsteht eine Form der Hassliebe. In manchen Ehen wird dies zur Symbiose. Der Grund für die Fortsetzung solch qualvoller Beziehungen ist die Angst, kein, auch kein negatives Streicheln mehr zu erhalten. Entweder wird die Beziehung aufgegeben oder härter gespielt, bis es zur Katastrophe kommt.

»Tumult«

In diesem Spiel sind die Ansätze mehrerer anderer Spiele erkennbar. Es wird Kritik geäußert, der Kritisierte verteidigt sich, vielleicht mit »Ja, aber« und geht nach einiger Zeit zur Gegenattacke über. Je nachdem, wie der andere Spieler veranlagt ist, kommt es zu »Haust du meine Tante, hau ich deine Tante«, sofern er mehr zu einer Verfolger-Position neigt.

Bevorzugt er die Opfer-Position, so gibt er nach viel Lärm mit Weinen auf oder resigniert mit: »Ich kann ja doch nichts recht machen.«

»Hilfe! Vergewaltigung!«

Der Spieler oder die Spielerin geben Botschaften über Körpersprache, Kleidung oder durch Andeutungen, dass sie bereit sind, sexuell oder anders auf andere einzugehen. Greift der andere nun zu und möchte die evidente Einladung annehmen, wird überraschend gegenreagiert:

»So hab ich das gar nicht gemeint!«, »April, April!« oder, wenn es härter wird, »Hilfe, Vergewaltigung!«. Ein bekannter schrulliger Künstler trifft in der Straßenbahn einen Schulkollegen, den er Jahre nicht mehr gesehen hat und lädt ihn zu sich nach Hause ein. Als dieser nun tatsächlich nach einigen Tagen auftaucht, will der andere nichts mehr von der Einladung wissen. In manchen Ländern ist dieses Spiel ritualisiert. Nicht ernst gemeinte Einladungen werden gegeben. Als Zumutung wird empfunden, wenn sie angenommen werden.

»Psycho«

Wird von Amateuren wie auch von Profis bei der Erforschung und Interpretation psychischer Schwierigkeiten von anderen gespielt. Der Psycho-Spieler geht davon aus, dass er über das Seelenleben des anderen mehr weiß als dieser selbst und dass dieser sich doch gefälligst nach seinen weisen Ratschlägen verhalten solle. Ansonsten wäre er ganz einfach selber daran schuld, wenn sich sein Seelenleben in falscher Richtung entwickelt. Möglichkeiten, »Psycho-Spiele« abzubrechen, sind die Verantwortung für die eigenen Probleme und das eigene Verhalten zu übernehmen und das auch zu zeigen.

»Ja, aber«

Dieses Spiel kann täglich im Klassenzimmer, im Seminarraum, am Beratungsschalter usw. beobachtet werden. Ratschläge werden erbeten und gegeben. Sie werden jedoch von der Rat suchenden Person mit einem »Ja, aber« so lange abgelehnt, bis beide sich verärgert trennen. »Ja, aber« ist das komplementäre Spiel zu »Psycho«.

»Fallensteller«

Eine Falle wird durch eine falsche Versprechung aufgestellt. Manche Organisationen schildern bei Stellenausschreibungen und in Interviews die Position zu gut, was sich danach als halbrichtig herausstellt. Nach einiger Zeit fühlt sich der Eingestellte wie in einer Falle. Je nach Mentalität wird er in der Falle bleiben oder sich befreien, in dem er das Unternehmen verlässt. In Organisationen wurde bemerkt, dass dieses Spiel für eine hohe Fluktuationsrate verantwortlich war.

»Gib’s dem aber«

Gerüchte und Halbwahrheiten werden weitergegeben in der Hoffnung, dass die Betroffenen in einen schönen Konflikt geraten, den man selbst als scheinheiliger Zuschauer, natürlich unbeteiligt, genießen kann. Ab und zu läuft das Spiel falsch. Dann schließen sich die vorgesehenen Konfliktpartner zusammen und fallen über den »Brandstifter« her.

Retter-Spiele

Sie verstärken die Grundposition »du bist nicht o.k.«. Retter erwarten oftmals Dankbarkeit, die sie aber meistens nicht bekommen, da sie die Nicht-o.k.-Gefühle des anderen bestärken.

»Ich versuche dir nur zu helfen«

Wenn der Retter durch seine Aktionen dem Opfer genügend klar gemacht hat, wie minderwertig es ist, beginnt das Opfer aufzubegehren. Die Schlussreaktion des Retters ist: »Ich versuche dir ja nur zu helfen. Wie kannst du es wagen, so undankbar zu sein und von mir nicht gerettet werden zu wollen?«

»Das mache ich schon für dich«

Der Retter ist immer zur Stelle, sofern er nur eine Situation ahnt, in der er seine Hilfe anbieten kann. Das komplementäre Spiel ist »Holzbein« oder »armer Teufel«:

Jemand stellt sich manchmal absichtlich äußerst ungeschickt oder hilflos an. Das ist für den Retter das Signal, in die Bresche zu springen. Nach der erledigten Arbeit wechselt er in die Verfolger-Rolle und sagt dem »armen Teufel« einmal ganz deutlich, dass er wirklich ein armer Teufel ist.

Läuft die Rettungsaktion schief und gerät er unversehens in die Opfer-Rolle, so kann die Reaktion sein: »Undank ist der Welten Lohn!«

Ablauf psychologischer Spiele

Sie laufen in fünf Phasen ab:

 Das Ködern mit der Suche nach einem Spielpartner.

 Das »Anbeißen« der Spielpartner oder das Eingehen auf den Köder.

 Die kennzeichnende Phase eines Spiels ist der »Trick«, nämlich der plötzliche Wechsel der Ich-Zustände und der dramatischen Rollen: Retter, Opfer und Verfolger; diese Phase ist auch mit einem Wechsel der O.k-Positionen verbunden.

 Die Überraschung auf diesen Wechsel wird in einem Moment der Verwirrung deutlich.

 Einstreichen des emotionalen Gewinns.

Mit allen drei Spielstrategien werden alte, einmal gelernte Gefühle und Verhalten auf neue, nicht mehr passende Situationen übertragen, Relikte einer in den Kindheitsjahren überlebenswichtigen Symbiose.

Von der Familie zur Gruppe zum Team

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