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6 Die Fachmittelschule zwischen Reproduktion und Transformation der geschlechtertypischen Berufswahl

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Die in diesem Beitrag untersuchte FMS trägt aus historischen Gründen ein Geschlecht – im Volksmund wurde sie lange «Fraueli» genannt. Sie hatte in früheren Zeiten die wichtige Funktion eines «qualifizierenden Moratoriums» (Krüger, 1991) für weibliche Jugendliche übernommen, welche Berufe ergreifen wollten, die dem gesellschaftlichen Gemeinwohl dienen. Weder diese Töchterschulen noch die biografisch später daran anschließenden Berufsausbildungen waren aber Teil der formal anerkannten Bildung. Die gesellschaftliche Stellung der Schule war daher lange prekär.

Wie wir gezeigt haben, war für die FMS bezüglich der Geschlechterspezifität nur eine pfadabhängige Entwicklung innerhalb der historisch angelegten Pfade der sozialen, pflegenden und erzieherischen Berufe möglich. Damit wurden geschlechtsspezifische Orientierungen und Zuweisungen in der Institution fest verankert (Krüger, 1991). Im Prozess der Positionierung der Schule waren diese Wurzeln Ressource und Rechtfertigungsgrundlage zugleich, auf die sich die Vertreter der FMS abstützten. In Anlehnung an Mahoney (2000) können wir dies als funktionale sowie als legitimatorische Mechanismen bezeichnen, mit denen die Schule die machtbasierten Mechanismen vonseiten der Berufsbildung abwehren und ihre gefährdete Position absichern konnte. Soziale Mechanismen, die einen Wandel hätten bewirken können, indem neue, «männlich» konnotierte Berufsfelder (u. a. Technik) integriert worden wären, konnten sich nicht durchsetzen. Die Vertreter der FMS hatten weniger politische Durchsetzungskraft und Definitionsmacht gegenüber mächtigen bildungspolitischen Akteuren, welche die berufliche Grundbildung stützten und schützten.

Dennoch lassen sich gewisse inkrementelle Prozesse des Wandels der Geschlechtsspezifität nachweisen, welche vor allem funktional mit dem Fachkräftemangel in gesundheitsnahen Berufen erklärt werden können. Die FMS verfügt heute durch die Erweiterung ihrer traditionellen Berufsfelder um Gesundheit/Naturwissenschaften, aber auch um Information/Kommunikation, Gestaltung/Kunst sowie Musik/Theater über das Potenzial einer offeneren Berufsorientierung für junge Frauen und Männer. Zum einen ist die Berufsfeldwahl im Vergleich zur beruflichen Grundbildung biografisch später angesiedelt, was das Überschreiten von Geschlechtergrenzen befördert. Zum anderen handelt es sich nur um eine Berufsfeldwahl, was eine größere Varianz an Berufsbildungswegen auf Tertiärstufe ermöglicht. Wandel könnte zukünftig über legitimatorische Mechanismen erreicht werden, da sich durch ein stärkeres Einbeziehen von jungen Männern in die FMS und in die «weiblichen» Berufsfelder die geschlechterstereotypen Werte und Überzeugungen aufzulösen beginnen.

Die Analysen zu diesem spezifischen Schultyp verweisen darauf, dass sich einmal in Institutionen eingelagerte geschlechtsspezifische Orientierungen und Zuweisungen nur zögerlich verändern (lassen). Die dafür verantwortlichen sozialen Mechanismen sind plural und ineinander verwoben. Sie sind auch nicht immer auf die Geschlechterthematik hin ausgerichtet, können aber (nicht intendierte) Folgen für die Geschlechtsspezifität haben. Machtbasierte Mechanismen sind zentral. Die Mächtigkeit der jeweiligen Akteure ist von den gesellschaftlichen Überzeugungen bezüglich der Wertigkeit, Angemessenheit und Bedeutung der jeweiligen Bildungsinstitution für Wirtschaft und Gesellschaft abhängig. Der außerordentlich große Widerstand, das «männliche» Berufsfeld Technik in einen traditionell «weiblichen» Bildungstyp zu integrieren – was aus einer funktionalen Perspektive (Fachkräftemangel) rational wäre –, lässt vermuten, dass hier ein Kristallisationspunkt von noch tief verankerten patriarchalen Werten und Orientierungen seine Kräfte entfaltet.

Gendersensible Berufsorientierung und Berufswahl (E-Book)

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