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Das Selbstverständnis Ihres Kindes als ‚vollständiger Mensch‘

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Jeder Mensch auf diesem Planeten ist ein ‚Pauschalangebot‘. Wir möchten akzeptiert und wertgeschätzt werden, wie wir sind, als Ganzheit, nicht als ein Bündel von Merkmalen, aus dem man die Rosinen rauspickt. Ihr autistisches Kind braucht eine qualifizierte Begleitung, um einen Platz in der Welt zu finden, an dem es sich wohlfühlt. Unter Einsatz positiver Energien und mit einer optimistischen Grundhaltung kann auf dieses Ziel hingearbeitet werden. Das heißt aber nicht, dass man das Kind ‚in Ordnung bringt‘.

Indem man einem Kind, ob es nun ‚besonders‘ oder ‚normal‘ ist, Fähigkeiten beibringt, die ihm zu Erfolg und Eigenständigkeit verhelfen, ‚bringt man es nicht in Ordnung‘ oder ‚heilt‘ es, sondern hilft ihm zu lernen, was es wissen muss und zu beherrschen, was es tun muss, um ein möglichst eigenständiges Leben zu führen. Es bedeutet, es in seinem kontinuierlichen Lernprozess zu lieben und zu führen und es dabei mit der gleichen Akzeptanz, die wir uns für uns wünschen würden, in seiner Ganzheit zu akzeptieren.

Bryce hatte Erfolg, aber nur weil er Selbstachtung gewonnen hatte, weil es ihm gelungen war, mit seinem Umfeld in Einklang zu leben und weil er jetzt als Erwachsener zunehmend in der Lage ist, sich auszudrücken und für sich einzutreten. Als diese Puzzleteilchen im Laufe seiner Kindheit und Adoleszenz an ihren Platz fielen, kamen die sozialen und kognitiven Lernprozesse in Gang. Mit jedem Jahr kamen neue, sehr erfreuliche Errungenschaften hinzu: Ich denke etwa an den Tag, als er in einem Schwimmwettbewerb in unserer Stadt einen Preis erschwamm, an den Tag, als er als ‚Grandpa Joe‘ singend und tanzend in Charlie und die Schokoladenfabrik auftrat. Oder an den Tag, an dem er zum ersten Mal mit dem Zweirad fuhr. Seine Begeisterung, als er das erste Mal mit Pfadfinder*innen unterwegs war und seine Euphorie, als er den Mut aufgebracht hatte, seine Kindergartenliebe zum Tanzen aufzufordern. Laufen war sein Ding. Während der sechs Jahre in der Mittelschule und der Highschool trat er in Leichtathletikmannschaften an. Ich denke an den Tag, als er seine erste Gehaltszahlung bekam. Als er allein auf Reisen ging, seinen Führerschein machte. Als er sein College-Zeugnis an der Wand aufhängte.

Auch wenn die vier Aspekte, die wir gerade beleuchtet haben, für viele autistische Kinder gelten, darf man nicht vergessen, dass der Ausdruck ‚Autismus-Spektrum‘ impliziert, dass kein Kind ganz so ist wie das andere. Jedes beginnt seine Reise an einem anderen Punkt des Spektrums, und jedes hat sein eigenes Tempo auf dem Weg durch seine Entwicklung und eine vollkommen berechtigte individuelle Perspektive. Und, was genauso wichtig ist: Alle Eltern, Lehrer*innen oder Erziehungsberechtigen haben ihr eigenes individuelles Verständnis von Autismus. Jeder Mensch, der beteiligt ist, ist ein komplexes Gebilde, wie ein Fernsehbild, das aus Millionen von Pixeln besteht. Deshalb gibt es kein allgemeingültiges Erfolgsrezept. Es obliegt jedem selbst, zu recherchieren, sich zu informieren und die notwendige Kleinarbeit zu machen. Und selten findet sich eine Gelegenheit, die Hände in den Schoß zu legen. Ein autistisches Kind zu führen, zu erziehen und wertzuschätzen, ist ein kontinuierlicher Prozess.

Beverly Sills, eine große Opernsängerin und Mutter zweier Kinder mit besonderen Bedürfnissen, hat einmal gesagt: „Es gibt keine Abkürzungen zu einem Ort, der einen Besuch wert ist.“ Das stimmt, aber die Reise kann von der Freude an Entdeckungen durchdrungen sein. Sie haben den Reiseführer in der Hand.

10 Dinge, die autistische Kinder ihren Eltern sagen möchten

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