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KAPITEL V

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„Ich brauche wirklich ein wenig Urlaub“

In seinem ersten Brief an P.L.O. Guy Ende Dezember 1926 schrieb Breasted: „Die Aufgabe in Megiddo ist umfangreich, und ich habe das Gefühl, dass Fisher zusätzliche Hilfe brauchen kann, um seiner Verantwortung gerecht zu werden.“1 Es ist kein Wunder, dass Breasted Guy unbedingt mit an Bord haben wollte: Der scheidende Chefinspektor (und amtierende Leiter) der Altertumsbehörde im britischen Mandatsgebiet Palästina als Grabungsleiter in Megiddo – das wäre sicherlich für viele ein regelrechter Coup. Guy war ein dünner, drahtiger Mann, der eine Brille und meist einen Mittelscheitel trug. Wenn er nicht gerade in Jackett und Krawatte herumlief, trug er für gewöhnlich eine Art Militärhemd, denn er hatte im Ersten Weltkrieg sowohl in der britischen als auch in der französischen Armee gedient und war erst zum Hauptmann und dann zum Oberstleutnant aufgestiegen.

Guy, 1885 in Schottland geboren, war 42 Jahre alt, als er Fisher in Megiddo ablöste (Abb. 13). Von 1903 bis 1906 studierte er Altertumswissenschaften in Oxford, danach schrieb er sich in Glasgow ein, wo er von 1906 bis 1909 Jura studierte. Allerdings machte er weder in Oxford noch in Glasgow einen Abschluss. Seine Karriere in der Feldarchäologie begann nach dem Ersten Weltkrieg, als er von Sir Leonard Woolley eingeladen wurde, für die Saison 1919/20 T. E. Lawrence (besser bekannt als „Lawrence von Arabien“) als Fotograf in Karkemiš abzulösen. Anschließend grub er 1921/22 mit Woolley in Amarna in Ägypten.2

Obwohl er keine formelle archäologische Ausbildung vorzuweisen hatte und abgesehen von den zwei Grabungssaisons in Karkemiš und Amarna auch keinerlei Erfahrung besaß, wurde Guy 1922 zum Chefinspektor der Altertumsbehörde im britischen Mandatsgebiet Palästina ernannt. In den folgenden fünf Jahren war er in erster Linie für archäologische Stätten im Norden der Region verantwortlich und wohnte abwechselnd in Haifa und Jerusalem.3

Abb. 13: P.L.O. Guy, undatierte Fotografie

Während dieser Zeit lernte er auch Jemima Ben-Jehuda kennen, die er in seinen Briefen liebevoll „Jimmie“ nannte. Sie heirateten 1925, nach dem Tod ihres Vaters Eliezer Ben-Jehuda, eines sehr bekannten Gelehrten, dem es gelang, das Hebräische als gesprochene Sprache wiederzubeleben. Es störte ihn überhaupt nicht, dass sie bereits eine Tochter aus einer früheren Ehe hatte; Guy behandelte Ruth, als wäre sie seine eigene Tochter. Seine Ehe katapultierte ihn in die oberen Ränge des Jischuv (der jüdischen Gemeinde). Obwohl selbst kein Jude, war Guy fortan fest in zionistischen Kreisen verankert.4


Für Fisher scheint das Ende seiner Zeit in Megiddo ganz plötzlich und fast ohne Vorwarnung gekommen zu sein. In einem Brief, den er Ende März an den Leiter der Altertumsbehörde schickte, führt er die Expeditionsteilnehmer für die kommende Grabungssaison auf und erwähnt nur vier Teammitglieder (sich selbst, DeLoach, Lind und Woodley; sowohl Stanley als auch Higgins waren da bereits fort) sowie 22 ägyptische Arbeiter, die meisten davon aus Quft.5 Die Briefe und Telegramme, die bis zum 12. April 1927 zwischen Breasted, Fisher und einigen anderen hin und her gingen, enthalten ebenfalls keinerlei Hinweis darauf, dass Guy Fisher so schnell ersetzen sollte.6

Eine Woche später jedoch, am 19. April – Breasted war einige Tage zuvor wieder in Megiddo aufgetaucht, um sich mit beiden persönlich zu treffen –, schickte er zunächst einen Brief an Fisher, am nächsten Tag dann einen an Guy. Breasted erklärte Fisher, er sei fortan nicht mehr Grabungsleiter in Megiddo; stattdessen habe er für ihn einen „neuen Posten eingerichtet“, als „beratender Direktor unseres Oriental Institute in Palästina“. Im Brief an Guy erklärte Breasted, er beabsichtige, ihn zum Grabungsleiter zu ernennen – er solle Fisher ersetzen, und zwar bereits in zwei Wochen, am 1. Mai.7

Obwohl der Wechsel an der Spitze des Grabungsteams ganz offensichtlich schon seit einiger Zeit geplant war, scheint es, als habe die Situation, die Breasted bei seiner Ankunft in Megiddo vorfand, dafür gesorgt, dass dieser nun besonders rasch vonstattenging. „Als ich in Megiddo eintraf“, schrieb Breasted später, „befand sich Fisher in einem besorgniserregenden Zustand. Er lag damals im Krankenhaus in Haifa. Vier Stunden lang hatte er bewusstlos in unserem Grabungshaus in Megiddo gelegen, bevor man ihn in die Klinik gebracht hatte.“8

Der offizielle Grund dafür, dass Fisher einen neuen Posten zugewiesen bekam, war sein Gesundheitszustand. „Im späten Frühjahr 1927 war es um die Gesundheit der Expeditionsteilnehmer, einschließlich der von Dr. Fisher, wirklich schlecht bestellt“, schreibt Breasted in seinem Vorwort zu Fishers vorläufigem Bericht, der 1929 veröffentlicht wurde. „Er [Fisher] wurde daher zum beratenden Direktor ernannt.“9 In seinem eigenen vorläufigen Bericht, der 1931 veröffentlicht wurde, vermeldet auch Guy: „Als es Fisher unmöglich geworden war, die Arbeit fortzusetzen, die er rund achtzehn Monate zuvor begonnen hatte, und er sich zur Genesung nach Ramallah begeben hatte, lud mich Professor Breasted ein, die Leitung der Ausgrabungen zu übernehmen.“10

Fisher hatte nicht nur mit wiederkehrenden Malariaanfällen zu kämpfen: Ganz offensichtlich stand er in der Saison 1925/26 allgemein unter großem Stress. Die Auseinandersetzung mit Higgins setzte ihm zu, und insgesamt war die Leitung der Expedition eine viel größere und verantwortungsvollere Aufgabe, als Fisher erwartet hatte und als er bewältigen konnte.

Genau dies teilte Breasted auch James A. Montgomery mit, dem Präsidenten der American Schools of Oriental Research (der gesamten Organisation, nicht nur des archäologischen Außenpostens in Jerusalem): „Wie Sie wissen, hatte er [Fisher] schon immer schwache Nerven, und lange Jahre der Einsamkeit, fern von Amerika, haben das noch schlimmer gemacht. Die Malariaanfälle, unter denen er seit seiner Arbeit in Babylonien leidet, verkomplizieren die Sache noch. … Offenbar hat seine Nervosität inzwischen solche Formen angenommen, dass er unter Wahnvorstellungen, Überempfindlichkeit und Komplexen leidet. Er hat mir gegenüber behauptet, man versuche, ihn seines Postens zu berauben, etc. etc. … Da ich für die künftige Durchführung einer aufwendigen Expedition in Megiddo verantwortlich war, konnte ich selbstverständlich nicht zulassen, dass er allein für die Arbeit verantwortlich blieb.“11

Die Nachricht, dass Fisher abgelöst worden war, verbreitete sich unter den Archäologen im britischen Mandatsgebiet Palästina und in Ägypten wie ein Lauffeuer. Der Archäologe Alan Rowe, der Fisher in Bet Sche’an abgelöst hatte, schrieb Ende April 1927 aus Kairo an das Universitätsmuseum in Philadelphia: „Ich habe gerade auf privatem Wege gehört, dass Dr. Fishers Gesundheit gelitten hat und er gezwungen ist, seine Arbeit bei der Chicagoer Expedition in Megiddo aufzugeben. Seinen Platz wird Mr. P.L.O. Guy einnehmen, derzeit amtierender Leiter der Altertumsbehörde in Jerusalem.“12

Es ist sicherlich kein Zufall, dass Fisher 1923 den Posten als Grabungsleiter in Bet Sche’an aus den gleichen physischen und psychischen Gründen verlor wie 1927 in Megiddo. Tatsächlich scheint er schon zu Beginn seiner Karriere im Feld Probleme gehabt zu haben; als junger Architekt im Jahr 1900 auf seiner ersten Ausgrabung in Nippur in Mesopotamien hatte er angeblich, wie ein Forscher es ausdrückte, „suizidale homosexuelle Sehnsüchte“.13 Er hatte damals auf der Grabung als Zeltkameraden einen jungen britischen Archäologen namens Valentine Geere, der auf der Reise zur Ausgrabungsstätte krank geworden war und den er wieder gesund pflegte. Fisher war so verzweifelt darüber, dass Geere seine Gefühle nicht erwiderte, dass er mehrmals damit drohte, sich das Leben zu nehmen. Wie ein anderer Forscher schreibt: „Die Atmosphäre im Grabungshaus [in Nippur] ähnelte schon bald derjenigen eines Theaterstücks von Edward Albee.“14

Allerdings blieben Fishers Gefühle möglicherweise gar nicht so unerwidert. Geere veröffentlichte später ein Buch mit dem Titel By Nile and Euphrates: A Record of Discovery and Adventure, und die Widmung lautete: „Für Clarence S. Fisher, als Zeichen der Freundschaft und der Dankbarkeit dafür, wie liebevoll er den Autor neun Wochen lang pflegte, als er an Typhus litt.“15


Nach seiner Ernennung war P.L.O. Guy sieben Saisons lang Grabungsleiter in Megiddo. Während dieser Zeit gab es ständig Probleme mit dem Personal. Einige dieser Probleme hatte er von Fisher geerbt, andere scheinen ihre Ursache in Guys unausgesprochenem Groll gegen die besser ausgebildeten Mitarbeiter gehabt zu haben, die Breasted kurzerhand aus den USA herüberschickte, um sich der Grabungsmannschaft anzuschließen.16

Zum Beispiel wies Breasted Guy an, DeLoach einen Mann namens John A. Wilson als Vermesser zuzuteilen.17 Jahre später sollte Wilson Breasted als Direktor des Oriental Institute nachfolgen, aber zu dieser Zeit war er erst 28 Jahre alt und als Zeichner und Vermesser beim Chicagoer Epigraphical Project im ägyptischen Luxor tätig. Er war Teil eines kurzlebigen Experiments, bei dem die Mitarbeiter der beiden Expeditionen (Megiddo und Luxor) während der jeweiligen „Nebensaison“ beim jeweils anderen Projekt mitarbeiteten. Er und seine Frau Mary trafen in Megiddo gemeinsam mit Breasted ein, als jener im April der Grabung seinen schicksalhaften Besuch abstattete, nach dem er die Leitung auswechselte.

Aus irgendeinem Grund führt Guy in seinem vorläufigen Bericht von 1931 Wilson weder unter den Mitarbeitern auf noch erwähnt er ihn als Teilnehmer. Dafür taucht Wilson in den Archivalien auf, und er wird auch in der abschließenden Publikation dieser Grabungssaisons (also im Band Megiddo I) als Teilnehmer der Grabungskampagne in Megiddo von April bis Juni 1927 aufgeführt. Wir können also davon ausgehen, dass er anwesend war. Darüber hinaus teilte DeLoach Breasted mit, sowohl Mr. als auch Mrs. Wilson seien „eine große Hilfe für uns“. Wilson, so DeLoach, helfe bei der Inventarisierung und Vermessung, Mrs. Wilson in der Bibliothek und allgemein rund ums Haus.18

Mit den Leuten, die er selbst eingestellt hatte, verstand sich Guy jedoch bestens. Das wohl beste Beispiel dafür ist Guys Adjutant Ralph B. Parker. Der ehemalige Soldat, der aus irgendeinem Grund „Harry“ gerufen wurde, war zwischen 25 und 30 Jahre alt, als er für Megiddo angeheuert wurde. Er hatte während des Ersten Weltkriegs im Fahrradkorps der britischen Armee und im 16. walisischen Regiment gedient. Auf der Passagierliste eines Schiffs, auf dem er 1926 von Australien nach England reiste, gab er als Beruf „Polizist“ und als Wohnort „Palästina“ an – zu jener Zeit diente er als Offizier der British Gendarmerie, einer Einheit, die Winston Churchill 1922 als paramilitärische Truppe für das britische Mandatsgebiet Palästina gegründet hatte.19

Guy stellte Parker im Juni 1927 ein, als die Einheit aufgelöst wurde. Empfohlen hatte ihn Parkers Kommandant, General MacNeill. Guy übertrug Parker die Verantwortung dafür, im Grabungshaus für Ruhe und Ordnung zu sorgen, sowie einige andere, allgemeinere Aufgaben. Zwar hatte er, bevor er nach Megiddo kam, an einer kleinen Ausgrabung einer Kreuzritterburg teilgenommen, doch danach war Parker nie wieder im Feld aktiv, und auch Guy ließ verlauten, aus Parker würde kein Archäologe mehr werden.20 Trotzdem war er länger als alle anderen in Megiddo aktiv: Er blieb nicht nur bis zur letzten Grabungssaison 1939 vor Ort, sondern war auch später noch als Aufseher für das Grabungshaus und das Gelände verantwortlich, während des Zweiten Weltkriegs, während des Israelischen Unabhängigkeitskriegs von 1948 und danach, bis er sich 1954 schließlich aus dem aktiven Dienst zurückzog.21

Doch nicht alle begrüßten es, dass Parker zum Team stieß. DeLoach beispielsweise beschwerte sich Ende Mai, noch vor Parkers Ankunft, bei Breasted, Parker besitze „keinerlei universitäre Ausbildung in diese Richtung“; für ihn war es schlichtweg Geldverschwendung, diesen Mann als Mitarbeiter einzustellen.22 Nachdem Parker Ende Juni eingetroffen war, revidierte DeLoach seine Meinung jedoch ein wenig und stellte fest, dass Parker „ein ganz fideler Knabe“ war – mit einer Einschränkung: „Ich glaube nicht, dass ich jemals einen Menschen gesehen habe, der die Juden so sehr hasst, sehr zu unserer (und auch Guys) Überraschung.“23

Anfang Juni, also noch bevor Parker eintraf, berichtete DeLoach Breasted von Spannungen auf der Grabung. „Die jüdische Frage wird langsam für uns zum Problem“, schrieb er, „und wir können nicht allzu viel darüber reden, ohne Gefahr zu laufen, Mrs. Guy vor den Kopf zu stoßen. Wir haben jüdische Tischler, letzte Woche hatten wir eine russische Jüdin hier, die sich mit Keramik beschäftigt, und Mr. Guy engagiert gerade einen jüdischen Assistenten für mich. Die Arbeiter sind damit genauso unzufrieden wie wir, vielleicht sogar noch mehr. Der Reis Hamid kam gestern Abend zu mir und sagte, die Männer arbeiteten nur für mich und nicht für Mr. Guy, der ‚ein halber Jude‘ sei.“24

Die Ressentiments, die auf der Ausgrabung herrschten, spiegeln die damalige Situation im britischen Mandatsgebiet Palästina durchaus wider. Seit der Balfour-Deklaration im November 1917 waren gerade einmal zehn Jahre vergangen, doch während dieses Zeitraums waren die Spannungen zwischen Arabern und Juden in der Region immer größer geworden. Schon 1920 und 1921 war es zu Unruhen gekommen. Dennoch hatten die Chicagoer Ausgräber in Megiddo keine Ahnung, wie sehr sich die Situation in den kommenden Jahren noch verschlechtern sollte.


Nachdem Guy Anfang Mai die Grabungsleitung übernommen hatte, sah er sich binnen weniger Tage mit einer ganzen Reihe von Problemen konfrontiert. Einige lagen außerhalb seiner Kontrolle, für andere scheint er selbst verantwortlich gewesen zu sein. Ein durchaus absehbares Problem war die Malaria, die die Mitarbeiter weiterhin plagte, da die Sümpfe noch nicht vollständig trockengelegt waren.25

In seiner 1972 veröffentlichten Autobiografie erinnerte sich Wilson wie folgt an die Situation:

Als 1927 die Saison in Luxor zu Ende ging, fuhr ich nach Megiddo in Palästina, um dort ein paar Wochen lang das Handwerk des Ausgräbers zu lernen. Als Mary und ich dort eintrafen, mussten wir feststellen, dass sich auf dem Hügel keine einzige westliche Person mehr befand, so sehr hatte die Malaria unter der Belegschaft gewütet. Glücklicherweise war die Arbeit gut organisiert, und der Hügel war mit einem Gitter aus Quadraten markiert, anhand dessen man die genaue Position bestimmen konnte. Zwei Wochen lang ließ ich die Arbeiter an derselben Schicht graben. Ich beaufsichtigte das Abtragen der Erde, und ich hörte mir mit feierlicher Miene den Bericht des Vorarbeiters an, von dem ich nur etwa die Hälfte verstand. Am Ende eines jeden Tages beschriftete ich die Körbe mit den Funden nach Planquadrat und Schicht und brachte sie ins Haus, damit die Registrarin sie katalogisieren konnte. Sobald das Personal neu organisiert war, war der neue Leiter [Guy] allzu sehr damit beschäftigt, seinen Hügel zu inspizieren, als dass er mir etwas hätte beibringen können. Mithin leitete ich kurzzeitig eine Ausgrabung, ohne die Prinzipien und detaillierten Techniken einer solchen zu kennen.26

An anderer Stelle schreibt Wilson, dass sie wegen des schlechten Zustands der Straßen ganze vier Stunden benötigten, um die 24 Kilometer von Haifa nach Megiddo zu fahren. Als sie endlich ankamen, verabreichten er und seine Frau sich Chinin, bis ihnen „die Ohren klingelten“, um nicht ebenfalls an Malaria zu erkranken. Als sie ihr Zimmer im Grabungshaus bezogen, litten sie zudem unter der starken Hitze – das Wellblechdach sorgte im Gebäude für Temperaturen von bis zu 47 Grad. „Ich habe nie Feldarchäologie gelernt“, sagte er später, „ich bin einfach Hals über Kopf hineingestolpert.“27

Ein weiterer Rückschlag folgte auf Breasteds Angebot, die Anzahl der Arbeiter zu erhöhen: Einige der ägyptischen Vorarbeiter forderten bei der ersten Gelegenheit höhere Löhne. Statt ihrer Bitte zu entsprechen, entließ Guy sie kurzerhand, offenbar mit Breasteds Zustimmung.28

Dann stieß J. G. O’Neill zum Grabungsteam. Er hatte ein Reisestipendium von der University of Dublin, wo er Student bei R. A. S. Macalister war – ebenjenem Macalister, der 20 Jahre zuvor in Gezer gegraben hatte. Kaum einen Monat nach Beginn der Grabungssaison war er schon wieder fort, nachdem Guy ihn wegen einer Reihe (nicht näher bezeichneter) Fehltritte gemaßregelt hatte. Anfang Juni schickte O’Neill von Jerusalem aus einen Brief an Guy, der Sätze enthielt, die man als Student oder Untergebener niemals einem Grabungsleiter an den Kopf werfen sollte, etwa: „Ich wusste ja, dass Sie nur ein Ersatz für den leider abwesenden Dr. Fisher waren.“29

Guy brachte das Thema Breasted gegenüber erst im August zur Sprache und bemerkte lapidar: „O’Neill entpuppte sich als äußerst fragwürdige Person und ging allen auf die Nerven.“ Ende September gab er weitere Einzelheiten preis, woraufhin Breasted sein Bedauern darüber zum Ausdruck brachte, dass Guy gezwungen gewesen war, sich mit solchen Unannehmlichkeiten auseinanderzusetzen, und dass „dem Experiment O’Neill kein Erfolg beschieden war“.30 Es war das zweite erfolglose „Experiment“ in zwei Jahren: erst Higgins, jetzt O’Neill. Und es sollte nicht das letzte sein.

Während all das vor sich ging, erfuhr Breasted durch William F. Badè von unbestätigten Gerüchten über bestimmte „Vorgänge“ in Megiddo. Badè war Professor an der Pacific School of Religion in Berkeley, Kalifornien. Just zu jener Zeit leitete Badè die Ausgrabungen in Tell en-Nasbeh, einer eisenzeitlichen Fundstätte in der Nähe von Jerusalem, bei der es sich möglicherweise um die biblische Stadt Mizpa handelt. Ein Jahr zuvor hatte Higgins neben seinem Job in Megiddo für ihn gearbeitet, ohne dafür Breasteds Erlaubnis einzuholen, und Badè mit Insider-Informationen über Megiddo versorgt; jener hatte nach wie vor ein offenes Ohr für den Klatsch und Tratsch der Archäologen-Szene.31

Badè bezeichnete sich Breasted gegenüber als „uneigennützige Quelle“ und teilte ihm mit: „Was in Megiddo passiert ist oder jetzt gerade passiert, geht mich natürlich nichts an. Aber ich hege ein wohlmeinendes Interesse am Gelingen der Expedition.“ In Wirklichkeit ist „wohlmeinendes Interesse“ stark untertrieben, und Badè war wohl auch nicht ganz so „uneigennützig“, wie er behauptete, denn immer, wenn er Breasted von solchen Gerüchten in Kenntnis setzte, spricht aus seinen Zeilen eine geradezu diebische Freude.32

Badè schrieb, ein Archäologe habe ihm verraten, dass „die Interessen der Megiddo-Expedition unabsichtlich den Intrigen einer Stenografin mittleren Alters geopfert wurden, die in einen jungen Mann verliebt ist, der wie von Sinnen ist und anscheinend völlig in ihrem Bann steht“. Die Stenotypistin war ganz offensichtlich Miss Woodley, doch welcher junge Mann gemeint war, ist weniger augenfällig – wahrscheinlich DeLoach, eventuell auch O’Neill.

Plausibler ist, dass es O’Neill war, den Badè zitierte und von dem dieses Gerücht ausging. Fairerweise muss man jedoch einräumen, dass Badè ebenso gut von Fisher davon erfahren haben könnte; immerhin hatte Fisher Breasted bereits Ende Mai (ungefähr zu der Zeit, als O’Neill entlassen wurde) ein Telegramm geschickt, in dem er behauptete, die Ärzte in Beirut hätten ihm bestätigt, kerngesund zu sein, und obendrein berichtete: „BEDINGUNGEN IN MEGIDDO SEHR UNBEFRIEDIGEND WÜRDE EMPFEHLEN DASS ICH KOMMANDO ÜBERNEHME UM SITUATION ZU RETTEN“. Breasted telegrafierte ihm noch am selben Tag zurück: „BEDAURE VORSCHLAG UNMÖGLICH“.33

Badè informierte Breasted außerdem darüber, dass das archäologische Material auf dem Tell in Megiddo auf ganz dilettantische Weise ausgegraben worden sei, da Guy nur zeitweise vor Ort gewesen sei. Darüber hinaus sei die Stenografin – also Miss Woodley – damit beschäftigt, jeden zu vergraulen, den sie auf der Ausgrabungsstätte nicht haben wolle, indem sie es Guy oder DeLoach melde, wenn sich jemand „angeblich ungehörig verhalten“ habe. Abschließend schrieb er: „Dadurch werden die Feldbeobachtungen und die archäologischen Aufzeichnungen in einem äußerst kritischen und wichtigen Stadium der Ausgrabung gefährdet“, und behauptete: „Dr. Fisher wäre bereit, die Situation zu retten, soweit es ihm noch möglich ist.“34

Darüber hinaus hatte Breasted einige Wochen später einen anonymen handgeschriebenen Brief in der Post, der lediglich mit „Ein Beobachter“ unterzeichnet war. Hier ein Auszug: „Sie sollten wissen, dass sich in Megiddo ein Skandal zusammenbraut und dass der wissenschaftliche Anteil der Arbeit so laienhaft durchgeführt wird, dass die Altertumsbehörde die Ausgrabung eigentlich schließen müsste. Mr. Guy ist erkrankt und seit mindestens zwei Wochen nicht mehr auf dem Hügel gewesen. Währenddessen geht das Tohuwabohu munter weiter. Sie sollten sich außerdem um die Seriosität einer der Personen Gedanken machen, denen Sie die Verantwortung übertragen haben.“35 Wir wissen nicht, wer diesen anonymen Brief verfasst hat; höchstwahrscheinlich war es O’Neill, Badè oder Fisher.

Das klingt nicht gerade nach einer Situation, die ein neuer Grabungsleiter vorfinden möchte, wenn er eine Ausgrabung übernimmt, insbesondere wenn sein Vorgänger höchstwahrscheinlich an den Machenschaften beteiligt war. Man muss es Breasted hoch anrechnen, dass er Guy trotz allem voll und ganz unterstützte. Mitte Juni schrieb er an Guy, er habe eingesehen, dass „Sie damit zu kämpfen haben, dass Ihnen die einheimischen Arbeiter davonlaufen, aber damit setzt sich ja einfach nur fort, was ich bereits beobachten konnte, bevor ich dort abreiste. Ich bin sicher, dass Sie in der Lage sein werden, die Organisation zu konsolidieren und neu aufzubauen.“36 In einem separaten, vertraulichen Brief informierte er Guy auch über die Gerüchte, die ihn via Badè und den anonymen Briefschreiber erreicht hatten; er war überzeugt, die Gerüchte würden aufhören, sobald Mrs. Guy ins Grabungshaus eingezogen wäre.37

Breasted sandte auch ein betont höfliches Antwortschreiben an Badè, in dem er darauf verwies, dass viele der aktuellen Probleme dadurch verursacht worden waren, „dass es bei der Entbindung Mr. Guys von seinen Pflichten in Jerusalem zu einer unerwarteten Verzögerung kam“.38 Tatsächlich hatte sich genau dies zu einem echten Problem ausgewachsen: Die britischen Behörden brauchten eine ganze Weile, um jemanden zu finden, der Guy als Leiter der Altertumsbehörde im britischen Mandatsgebiet Palästina ersetzen wollte; entsprechend konnte man auch nach dem ursprünglich geplanten Datum seines Ausscheidens eine Zeitlang nicht auf ihn verzichten. Dies wiederum führte dazu, dass Guy immer nur zeitweise in Megiddo sein konnte. Erst Ende August war die Situation endgültig geklärt.

Guy selbst berichtet, er habe drei Tage pro Woche in Jerusalem und drei Tage in Megiddo verbracht, einen Tag habe er gebraucht, um zwischen den beiden Orten hin- und herzufahren. Einige Jahre später schrieb er, die vier Monate nach seiner Ankunft in Megiddo am 30. April 1927 seien „ein wenig anstrengend gewesen“ – das ist wohl reichlich untertrieben.39

In der Zwischenzeit hatten sich auch DeLoach und Breasted darüber ausgetauscht, dass „die Londoner Regierung unfähig ist, einen passenden Leiter für das Palestine Department of Antiquities zu finden“; Breasted bezeichnete das als „großes Unglück für uns“.40 Da DeLoach währenddessen als Aufseher über die Arbeiten auf dem Siedlungshügel eine gute Figur gemacht hatte, beförderte Breasted ihn Ende Juni zum stellvertretenden Grabungsleiter. Dies sollte nicht nur eine Anerkennung seiner guten Arbeit sein; vielmehr wollte Breasted auch dafür sorgen, dass Außenstehende nicht den Eindruck bekämen, die Arbeiten in Megiddo würden immer „von einem zufällig anwesenden Expeditionsmitglied ohne klare Befugnisse“ geleitet.41

Mitte Juli versuchte Guy schließlich, den Gerüchten aktiv entgegenzuwirken, und informierte Breasted, Mrs. Guy habe ihn jedes Mal begleitet, wenn er nach Megiddo gefahren sei. Sie würde jetzt ständig bei ihm sein, was dazu beitragen dürfte, die Lästerer endgültig verstummen zu lassen. Er fügte hinzu, sie seien beide nur deshalb fast den gesamten Juni über nicht vor Ort gewesen, weil sie das Sandmückenfieber erwischt habe (was DeLoach bei einer anderen Gelegenheit bestätigte); im Übrigen glaube er, Fisher habe die Gerüchte über ihn verbreitet – „er verhält sich mir gegenüber ausgesprochen seltsam“.42

Etwa zur gleichen Zeit meldete sich auch DeLoach zu Wort und bestätigte, dass es auf der Ausgrabung nun friedlicher zugehe. Mrs. Guy sei rund um die Uhr vor Ort; sie übersetze eines von Breasteds Büchern ins Hebräische und lerne ägyptische Hieroglyphen. Sie und Mr. Guy hätten ein eigenes Wohnzimmer, so DeLoach, und das Grabungshaus sei fast fertig, nur das große Dach müsse noch aufgesetzt werden. An den Eingängen habe Miss Woodley zudem Blumen gepflanzt und Rasen gesät, was gegen den Stress zwischen den Mitarbeitern helfe.43


Am 11. Juli wurden Jericho, Nablus und mehrere benachbarte Orte von einem schweren Erdbeben erschüttert, das umfangreiche Schäden verursachte und bei dem zahlreiche Menschen umkamen. In Megiddo war es allerdings kaum zu spüren. DeLoach schickte Breasted gleich am nächsten Tag ein Telegramm und teilte ihm mit, das gesamte Team sei wohlauf. Der einzige Schaden, den sie zu beklagen hatten, waren zwei Dutzend Keramikgefäße, die im Lagerraum aus einem Regal gefallen waren. Diese Darstellung wurde später von Lind bestätigt.44

Die Sabotageakte gingen jedoch weiter. Wie vorsätzlich sie waren, ist fraglich – vielleicht sollte man eher von unüberlegten Handlungen mit unbeabsichtigten Konsequenzen sprechen. Auf jeden Fall erhielt Guy Anfang August von Breasted ein Telegramm mit folgendem Wortlaut: „ÜBERRASCHT AUS MEHREREN QUELLEN ZU HÖREN ARBEIT IN MEGIDDO ABGEBROCHEN BITTE GRÜNDE UND DATUM DER WIEDERAUFNAHME TELEGRAFIEREN“. Guy, der wahrscheinlich vollkommen perplex war, konnte nur antworten: „VERSTEHE NICHT ARBEIT LÄUFT UNUNTERBROCHEN“.45

Das Ganze klärte sich schnell auf, und Breasted führte die Verwirrung auf Falschmeldungen durch „Reisende“ zurück. Dennoch darf man sich fragen, wer die eigentliche Quelle war. Möglicherweise war einfach nur ein Brief schuld, den DeLoach Mitte Juli an Breasted geschickt hatte und der mit den Worten begann: „Mr. Guy hat alle Arbeiten am Tell eingestellt, bevor ich [nach Beirut zu einem Arzttermin] abgereist bin …, was mich schwer enttäuschte.“ DeLoach erwähnt nicht, warum die Arbeiten vorübergehend eingestellt wurden, schreibt aber, das wäre sicherlich auch nicht in Breasteds Sinne.46

Darüber hinaus berichtet DeLoach von den Problemen, die Parker auf der Ausgrabungsstätte verursache – er beschimpfe die Arbeiter und habe sogar einen kleinen Jungen zu Boden getreten. „So etwas mag in dem berühmten irischen [sic, eigentlich: walisischen] Regiment, dem er angehört hat, ganz normal sein, aber auf einer Expedition wie der unseren halte ich es für ganz und gar unpassend.“ Nebenbei erwähnt DeLoach, er unterweise den russischen Chauffeur Serge Tchoub darin, ihm bei der Kartierung und Vermessung des Hügels zur Hand zu gehen (Tchoub hatte den Chauffeursposten übernommen, nachdem Stanley Fisher in die USA zurückgekehrt war). „Er ist sehr intelligent und lernwillig“, so DeLoach, und: „Auf diese Weise sparen wir ein Gehalt.“47


In der ersten Augustwoche wurde Parkers Verhalten gegenüber den Arbeitern und den Einheimischen noch schlimmer. Eines Abends gab es einen Vorfall, bei dem Parker laut DeLoach „einem der Einheimischen direkt unter dem Knie gegen das Schienbein trat und ihn dabei schwer verletzte“. Miss Woodley verband die Wunde sofort, und der Mann konnte auf einen Stock gestützt umherhumpeln, aber die Arbeiter, darunter auch einige aus den beiden der Ausgrabungsstätte am nächsten gelegenen Dörfern, traten aus Protest in Streik. DeLoach und Lind brachten Parker schließlich dazu, sich zu entschuldigen, und dann überredeten sie die Streikenden, wieder an die Arbeit zu gehen, doch – so DeLoach: „Die Einheimischen sind äußerst aufgebracht.“48

DeLoach, der inzwischen, was die Vorgänge auf der Ausgrabung anging, zu Breasteds wichtigster Quelle geworden war (wie Kellogg im Jahr zuvor), berichtete tendenziell mehr über unerfreuliche Vorkommnisse hinter den Kulissen als über aufregende Entdeckungen. Das tat er aber ganz bewusst: „Ich füge zahlreiche Details bei, die für sich genommen vielleicht nicht allzu bedeutsam sind, aber wie ich in den vergangenen zwei Jahren festgestellt habe, erwachsen die meisten großen Dinge, die das Schicksal einer Expedition beeinflussen, aus solchen kleinen, und wenn man diese kleinen Dinge rechtzeitig in den Griff bekommt, erspart man sich viel vertane Zeit und eine Menge Ärger. Ich bin gar nicht versessen darauf, mich ständig zu beschweren und Fehler zu finden, aber ich bin der Ansicht, Sie sollten wissen, was hier wirklich vor sich geht.“49

DeLoach hat in beiden Punkten recht, denn solche kleinen Zwischenfälle führen bei Ausgrabungen auch heute noch mitunter zu großen Problemen, und Breasted musste auf dem Laufenden bleiben, was Megiddo anging, wo bereits überdurchschnittlich viele persönliche Reibereien und personelle Probleme aufgetreten waren. Falls jedoch tatsächlich DeLoachs Briefe von Mitte Juli und Anfang August Breasted dazu veranlassten, sich bei Guy telegrafisch zu erkundigen, warum ihn Berichte über die vorzeitige Schließung der Ausgrabung erreicht hatten, trug DeLoach selbst möglicherweise – wenn auch unbeabsichtigt – zu einigen der aktuellen Probleme bei.

Ende August wurde Ernest Richmond zum Leiter der Altertumsbehörde ernannt, ein Posten, den er ein ganzes Jahrzehnt lang, bis 1937, innehatte. Guy konnte sich endlich ganz auf Megiddo konzentrieren, auch wenn die diesjährigen Ausgrabungen nur noch einen Monat dauerten, bevor man Ende September in die Pause ging.50 Kurz nach dem Ende der Grabungssaison bat Badè Guy und de facto auch Breasted um Entschuldigung. Er nahm alle Gerüchte zurück, die er verbreitet hatte, und schrieb an Guy: „Sie hatten eine sehr schwierige Aufgabe: sich gleichzeitig um die Altertumsbehörde und die Angelegenheiten der Megiddo-Expedition zu kümmern, und ich bewundere Sie dafür, wie Ihnen das gelungen ist.“51

Der Geschäftsführer des Oriental Institute, Charles Breasted – James Henry Breasteds ältester Sohn und von nun an ein wesentlicher Bestandteil unserer Erzählung –, äußerte, sie hätten in Chicago bereits erkannt, „was das in Palästina für eine außergewöhnlich anstrengende Zeit war“.52 Guy war sicherlich enorm erleichtert, als er sich endlich von DeLoach, Lind und Woodley verabschieden konnte, die zuerst Urlaub machen und dann nach Luxor in Ägypten weiterfahren würden, wo sie den Winter über bei der dortigen Chicagoer Ausgrabung mitarbeiten sollten. Er und seine Ehefrau Jemima reisten nach Europa, um ihrerseits Urlaub zu machen, den sie beide dringend nötig hatten. Wie er es ausdrückte: „Ich brauche wirklich ein klein wenig Urlaub.“53


Sobald sie aus ihrem Urlaub zurück waren, machte Breasted schon wieder Druck. Anfang Januar 1928 schrieb er an Guy: „Diese kommende Grabungssaison, die im April beginnt, ist für die Zukunft unserer Arbeit von entscheidender Bedeutung … und ich erwarte von Ihnen, dass Sie die Saison über energisch und tatkräftig zu Werke gehen.“ Breasted hatte ein ganz konkretes Ziel vor Augen: Er wollte, dass Guy möglichst schnell zu den Schichten vordrang, die die ägyptischen und salomonischen Monumente bargen, auf deren Entdeckung er mit wachsender Ungeduld und Frustration wartete.54

Zumindest in personeller Hinsicht war die Grabungssaison letztlich ein Erfolg, allerdings auf ganz unerwartete Weise. Da Higgins am Ende der Grabungssaison 1926 entlassen worden war, war DeLoach während der Saison 1927 als Vermesser tätig und zeitweise auch als stellvertretender Grabungsleiter. Anfang 1928 empfahlen ihm seine Ärzte jedoch dringend, aus gesundheitlichen Gründen in Chicago zu bleiben, da er nach wie vor an Malaria litt.55

Das Team sah sich also gezwungen, für die Grabungssaison, die Anfang Mai beginnen und bis Ende Juli dauern sollte, einen erfahrenen Vermesser zu engagieren. Wie sich herausstellte, taten sie gut daran, denn DeLoach erhielt von seinen Ärzten erst im September grünes Licht, nach Megiddo zurückzukehren.

Zunächst wollte man einen Vermesser namens Ivan Terentieff einstellen, der bei einer Expedition der University of Michigan in Karanis (Kom Auschim) in Ägypten beschäftigt war, aber Terentieff war erst Anfang Juni verfügbar. Bis dahin heuerte Guy daher einen jungen Architekten namens Emmanuel Wilensky an, der sich leidenschaftlich für Archäologie interessierte. Der gebürtige Ukrainer war 25 Jahre alt und hatte bereits an einer Ausgrabung der Harvard University in Nuzi im Irak mitgearbeitet.56 Wilensky traf Ende April, kurz vor Beginn der Grabungssaison, in Megiddo ein.

Obwohl es ihm die meiste Zeit über nicht gut ging, weil er verdorbenen Fisch gegessen hatte, erledigte Wilensky seine Arbeit ruhig und professionell. Er arbeitete mit dem Team bis Anfang Juni, für den Rest der Saison löste ihn Terentieff ab, der bis Ende September vor Ort blieb.57 Wilensky war in Megiddo also bereits bekannt, als er einige Jahre später, 1932/33, zur Expedition zurückkehrte.

1928 schlossen sich weitere neue Mitglieder dem Team an, darunter Charles Little, der zuvor als Zeichner in Bet Sche’an gearbeitet hatte und dessen Familie ein Hotel im Libanon betrieb. Wie Wilensky war Little während der Grabungssaison häufig krank, aber in Littles Fall handelte es sich um Herzbeschwerden, für die vermutlich sein übermäßiger Tabakgenuss verantwortlich war – laut einem Augenzeugen rauchte er bis zu 40 Zigaretten und zehn Pfeifen pro Tag. Er kam Mitte April in Megiddo an und hielt gerade eben bis zum Ende der Grabungssaison durch, am 31. Juli kündigte er. Guy war wenig begeistert von ihm: „Mir blieb nicht verborgen, dass er kaum Interesse an seiner Arbeit hat, die er, wie ich fast glaube, lediglich als eine Aufgabe betrachtet, die es zu erledigen gilt, und nicht als etwas, das man con amore tut.“ Er fügte hinzu, er habe inzwischen herausgefunden, warum Little Bet Sche’an verlassen hatte: Rowe hatte ihn gefeuert. Es ist ein Wunder, dass er überhaupt in Megiddo eingestellt wurde.58

Zwei andere junge Männer, die sich ebenfalls in jenem Jahr dem Team anschlossen (einer vor und einer nach der Grabungssaison), sollten für den Fortgang der Ausgrabung und die späteren Publikationen von wesentlicher Bedeutung sein – auch wenn das zu diesem Zeitpunkt niemand ahnen konnte. Der eine war Geoffrey M. Shipton, der 17-jährige Neffe von Guys Adjutant Harry Parker. Shipton, den alle „Geoff “ nannten, kam aus Wales und hatte die Schule abgebrochen. Er stieß Mitte Januar 1928 zum Projekt, bevor die Grabungssaison begann; Parker wünschte sich Gesellschaft und wollte dafür sorgen, dass sein Neffe etwas zu tun hatte. Ein Besucher in Megiddo beschrieb ihn einige Jahre später als „Junge im Teenageralter … ohne universitäre Ausbildung und natürlich ohne jeglichen wissenschaftlichen Hintergrund“.59

Shipton hatte keinerlei archäologische Ausbildung genossen und wurde ursprünglich nur für drei Monate als Zeichner eingestellt, Gehalt: 75 Dollar. Doch am Ende war er eines der dienstältesten Mitglieder der Expedition und war von 1928 bis zur letzten Grabungssaison 1939 dabei. Sämtliche Kenntnisse erwarb er vor Ort in Megiddo, da ihm wiederholt die Zulassung zum Studium in Chicago verweigert wurde, obwohl die anderen im Team sich sehr für ihn einsetzten.60

Der andere junge Mann, der 1928 nach Megiddo kam und ebenfalls einen bleibenden Eindruck hinterließ, war Robert Scott Lamon, ein 1,83 Meter großer, 22-jähriger Geologiestudent, Mitglied der Studentenverbindung „Beta Theta Pi“ der University of Chicago, der beschlossen hatte, sich eine Pause von seinem Bachelorstudium zu gönnen. „Er ist recht schlank, gutaussehend und stammt aus einer hervorragenden Familie“, schrieb Charles Breasted Guy Ende August 1928, um ihn vorzustellen. Allerdings hatte Lamon die USA noch nie verlassen und auch noch nie an einer archäologischen Ausgrabung teilgenommen.61

Lamon fing pünktlich zur Herbstkampagne im September 1928 in Megiddo an und erhielt gleich zwei Aufgaben: als Vermesser anstelle von Terentieff und als Zeichner anstelle von Little, die beide gerade abgereist waren (Abb. 14). Lamon blieb der Expedition fast so lange treu wie Shipton und war 1934, nachdem Guy entlassen worden war, sogar vorübergehend Grabungsleiter. Seine letzte Saison vor Ort war 1935/36, danach kehrte er nach Chicago zurück, um an der Publikation der Grabungsergebnisse zu arbeiten. Später wurde er Erdöl-Geologe und arbeitete in Calgary (Kanada) und Bogotá (Kolumbien) für Standard Oil, Northern Natural Gas und einige andere Unternehmen. Als er in Rente ging, zog er sich nach Arizona zurück, wo er 1975 starb.62

Lamon und Shipton arbeiteten an fünf der auf dem Projekt basierenden Publikationen mit, genauso vielen wie die drei Grabungsleiter (Fisher, Guy und Loud) zusammengenommen. Die Publikationen von Lamon und Shipton sind von erstaunlicher Qualität – erstaunlich vor allem angesichts der Tatsache, dass zunächst keiner von beiden Ahnung von Archäologie hatte. Dazu zählen zwei Bücher über die Keramik, ein Buch über das System der Wasserversorgung und vor allem der Band Megiddo I.63 Die Tatsache, dass man diese zwei jungen und anfangs vollkommen unerfahrenen Mitarbeiter mit der Publikation der zehn von Fisher und Guy geleiteten Grabungen betraute – also aller Saisons des Chicagoer Teams mit Ausnahme derer, die Loud 1935–1939 leitete –, ist äußerst aufschlussreich, wenn nicht geradezu schockierend.

Abb. 14: Die Ausgräber von Megiddo mit Ehefrauen, 7. September 1928; vordere Reihe, sitzend (v.l.n.r.): William Staples, Jemima Guy, P.L.O. Guy (mit Hund), Margaret Staples, Ivan Terentieff; hintere Reihe, stehend (v.l.n.r.): Harry Parker, Edward DeLoach, Olof Lind, Robert Lamon, Geoffrey Shipton

Sie waren nicht die einzigen Neuankömmlinge in jener Saison: Auf demselben Schiff wie Lamon war William E. Staples aus Amerika angereist, der von Breasted für die Expedition als Epigraf und Archivar angeheuert worden war und am selben Tag mit der Arbeit begann wie Lamon. Der Kanadier Staples, von Charles Breasted als „Mann mit großen Fähigkeiten, sympathischer Persönlichkeit und äußerst fleißig“ beschrieben, war Absolvent des Victoria College und der University of Toronto. Er hatte erst 1926 geheiratet und brachte seine Ehefrau, Margaret Ruth (von ihren Freunden nur „Ruth“ genannt), mit nach Megiddo. Sie waren das erste von mehreren Ehepaaren, die im Grabungshaus wohnten.64


Um all das Material, das sie aus dem Hügel holten, fachmännisch zu inventarisieren, wäre es von Vorteil, das ganze Jahr über ein festes Team in Megiddo zu haben, schrieb Guy gelegentlich an Breasted. Bisher waren die Teammitglieder nur während der jeweiligen Grabungssaison vor Ort, den Rest des Jahres über hielten ein paar wenige Mitarbeiter die Stellung. Er plädierte dafür, das ganze Team volle zwölf Monate auf der Ausgrabung zu haben, und zwar mit so wenigen personellen Veränderungen wie möglich. Nur so könne man gewährleisten, dass alle Arbeitsabläufe – Inventarisierung, Zeichnungen, Fotografie, Planung – jederzeit auf dem neuesten Stand seien.65

Anlass für dieses Plädoyer war das Experiment im Jahr zuvor, als die Teammitglieder von Megiddo nach dem Ende der Saison zur Chicagoer Ausgrabung in Luxor in Ägypten geschickt worden waren. Das Experiment war fehlgeschlagen, und so war Breasted mit Guys Vorschlag völlig einverstanden und bat nur darum, den Mitarbeitern ausreichend Urlaub zu gewähren.66

Zu diesem Zeitpunkt hatte Guy bereits einen recht genauen Eindruck vom Charakter seines Teams bekommen. Er mochte Olof Lind, den er einen erstklassigen Fotografen nannte, der seine Arbeit genauso verrichte, wie Guy es getan hätte – immerhin war Guy zu Beginn seiner Karriere in Karkemiš Fotograf unter Woolley gewesen. Zudem sei Lind ein loyaler, angenehmer Zeitgenosse, der gut mit den anderen auskomme.67

Miss Woodley hingegen, die inzwischen Registrarin war, nannte er „seltsam und intrigant“. Guy zufolge war sie von ihrem Job überfordert, aber zugleich sehr darauf bedacht, dass niemand ihr ihre Rolle auf der Ausgrabung streitig machte; das gehe so weit, dass sie anderen das Leben schwer mache, indem sie ihnen nicht erlaube, ihr zu helfen, selbst wenn dadurch bestimmte Aufgaben unerledigt blieben. Am schlimmsten aber fand er, dass „sie überhaupt nicht zeichnen kann und nichts richtig prüft … Wenn ein Fehler auftaucht, streitet sie jedes Mal ab, dass es ihre Schuld ist.“68

Guy zählt auch einige Probleme auf, die Miss Woodley innerhalb des Personals verursacht habe, nicht zuletzt, dass sie nacheinander DeLoach, Shipton und Little schöne Augen gemacht habe. „Jetzt lässt Miss Woodley Shipton links liegen und nörgelt an ihm herum“, schreibt er. „Dafür hat sie sich nun Little vorgeknöpft und scharwenzelt ständig um ihn herum, genau wie sie es schon bei DeLoach versucht hat.“ Shipton, DeLoach und Little waren im Frühjahr 1928 die einzigen alleinstehenden Männer auf der Ausgrabung. Miss Woodley war zu dieser Zeit 37 Jahre alt, Shipton war ganze 20 Jahre jünger. DeLoach war ungefähr 27, also zehn Jahre jünger als Miss Woodley; wie alt Little war, wissen wir nicht genau. Ein Jahr zuvor hatte Badè Breasted ausdrücklich vor „den Intrigen einer Stenografin mittleren Alters“ gewarnt, „die in einen jungen Mann verliebt ist, der wie von Sinnen ist und anscheinend völlig in ihrem Bann steht“ – dieser junge Mann war höchstwahrscheinlich DeLoach.69

Guy beendet seine Kommentare mit der Aussage, Miss Woodley habe „einen Charakter, der sie zu einer äußerst gefährlichen Mitarbeiterin macht“. Er nennt keine weiteren Einzelheiten, versteigt sich aber zu der nebulösen Andeutung, es gebe „viele kleine Dinge, die schwer zu fassen sind … eine Kombination aus Intrigen, unschönen Andeutungen und hinterhältigem Gehabe, die mich veranlasst, Ihnen mitzuteilen, dass ich möchte, dass Miss Woodley nicht länger in Megiddo bleibt, als absolut nötig ist“.70

Insofern ist es kaum verwunderlich, dass Miss Woodley mit Ablauf der Grabungssaison im August 1928 entlassen wurde, fast auf den Tag genau zwei Jahre, nachdem Fisher sie eingestellt hatte. Breasted hat schnell reagiert: Ihre Entlassung erfolgte gerade einmal zwei Monate, nachdem Guy sich bei ihm über sie beschwert hatte.71

Es dauerte eine Weile, bis sie eine neue Anstellung fand, und sie musste dafür nach Griechenland gehen: 1932 fing sie zunächst in Teilzeit als Sekretärin bei der British School of Archaeology in Athen an (vor Megiddo war sie Sekretärin der British School in Jerusalem gewesen). 1936 bekam sie eine Vollzeitstelle, die sie mehr als zehn Jahre, bis 1946, innehatte. Anschließend zog sie sich nach Leeds zurück.72

Währenddessen hatte Guy nach wie vor Probleme mit Fisher, der nicht allzu weit entfernt in Ramallah wohnte. Die beiden Männer hatten ein ziemlich angespanntes Verhältnis, und jeder beschwerte sich immer wieder bei Breasted über den anderen.73 Ende Juni schrieb Guy beispielsweise an Breasted: „Ich habe das Gefühl, dass Fisher sich sehr despektierlich verhalten hat … Abgesehen davon, wie unhöflich er war, als wir uns trafen, hat er meine Briefe, an denen überhaupt nichts zu bemängeln war, völlig ignoriert … Außerdem scheint er keine Gelegenheit auszulassen, über uns herzuziehen.“ Er schließt mit den Worten: „Soweit ich höre und sehe, hat sich Fisher überall, wo er aufgeschlagen ist, als Unruhestifter erwiesen: bei Hilprecht, bei Reisner, in Beisan [Bet Sche’an] und natürlich auch hier bei uns. Er ist ein übler Bursche, und ich hoffe aufrichtig, dass Sie seine Verbindungen zu Megiddo kappen.“74

Doch damit nicht genug: Im selben Brief erwähnt Guy einen nicht näher bezeichneten Vorfall, den sie offenbar erfolgreich totgeschwiegen hatten. „Wenn das ans Licht käme“, behauptete Guy, „hätte es … für Fisher äußerst schwerwiegende Folgen.“ Er versicherte Breasted jedoch: „Obwohl ich auch von anderer Seite davon erfuhr, habe ich mit niemandem außer Père Vincent [von der École biblique in Jerusalem] darüber gesprochen … Er teilte mir mit, er wolle Fisher als Direktor der Schule in Bagdad empfehlen – hatte ich eine andere Wahl, als ihm frank und frei zu sagen, was ich von der Idee hielt? Ich musste daran denken, was hier geschehen war und was ebenso gut auch dort geschehen könnte, wenn Fisher für junge Männer verantwortlich wäre, und ich konnte nicht anders, als ihm davon abzuraten und ihm meine Gründe dafür zu nennen.“

Doch was genau war in Megiddo vorgefallen? Wir wissen es nicht. Guy ist an keiner Stelle näher darauf eingegangen, warum er sich Sorgen darüber machte, was geschehen würde, wenn Fisher für junge Männer verantwortlich wäre. Im Archiv des Oriental Institute findet sich nichts weiter über diesen angeblichen Vorfall. Angesichts dessen, was wir über Fishers frühere unerwiderte Liebe zu seinem Zeltkameraden in Nippur wissen und über einen jungen Mann namens Nasir el-Hussein, den er von der dortigen Ausgrabung mit nach Hause nach Amerika nahm (der jedoch kurz danach wieder in seine Heimat zurückkehrte),75 sowie über einen Adoptivsohn aus Ramallah namens David (bzw. eigentlich Daoud) und eine Schule für Jungen in Jerusalem, mit der er zu tun hatte, dürfen wir davon ausgehen, dass es sich bei dem nicht näher bezeichneten Vorfall um kein Stelldichein mit Miss Woodley handelte. Doch ganz gleich, was Fisher nun getan haben mag oder nicht: Dass Guy dazu neigte, Anspielungen und Klatsch gegen seine Kollegen zu verwenden, leistete ihm in den kommenden Jahren keine guten Dienste, selbst dann nicht, wenn dieser Klatsch auf Fakten basierte. Letztlich führte es 1934 sogar zu seiner Entlassung.

In einem sehr langen und detaillierten Brief, den Guy Ende Juni an Breasted schickte, findet sich eine weitere merkwürdige Anspielung. Er erwähnt einen Angriff auf Parker und Shipton und bemerkt lediglich, dass es eine Untersuchung gegeben habe, die auf zufriedenstellende Weise abgeschlossen worden sei – die Täter hätten für das, was sie getan hatten, um Verzeihung gebeten, und man habe es bei einer Verwarnung belassen.76 Wie schon bei dem nicht näher beschriebenen Vorfall mit Fisher findet sich auch diesmal in den Archiven kein Hinweis darauf, was genau Parker und Shipton widerfahren war. Möglicherweise hatte die Angelegenheit etwas mit dem Vorfall im Juli/August 1927 zu tun, als Parker einen der ortsansässigen Arbeiter misshandelt hatte.77 Vielleicht tauchen irgendwann weitere Informationen hierzu auf, im Moment lässt sich nur festhalten, dass die Grabungsmannschaft in Megiddo und die Bewohner der umliegenden Dörfer in jenen Jahren wohl nicht immer allzu höflich miteinander umgingen.


Was die Beziehungen zu den Einheimischen angeht, ist etwas ganz anderes, das Guy ungefähr zur gleichen Zeit rein zufällig entdeckte, von höchster Bedeutung. Als Guy im Sommer 1928 auffiel, dass der dreijährige Pachtvertrag für das Land in Megiddo, den Fisher 1925 ausgehandelt hatte, im Oktober auslaufen würde, schrieb er an Breasted und nannte ihm für die weitere Arbeit auf dem Siedlungshügel vier verschiedene Optionen. Drei davon setzten eine Verlängerung des Pachtvertrags voraus, bei der vierten sollte ein bestimmter Bereich des Hügels käuflich erworben werden, statt ihn weiter zu pachten.78

Guy hatte bereits bei der Altertumsbehörde nachgefragt, wie man diesbezüglich vorgehen könne, und dort hatte man ihm mitgeteilt, wenn sie bereit wären, dafür zu zahlen, könne das Gelände enteignet und Eigentum der Regierung werden; sie dürften dann nach Belieben darauf graben. Guy fand, man könne sich das mal genauer überlegen. Wie sich herausstellte, tat er durchaus gut daran.79

Keine zwei Wochen später spielten die Entwicklungen Guy direkt in die Hände. Als er dem Rest des Teams gegenüber erwähnte, dass der Pachtvertrag, den Fisher mit den örtlichen Grundbesitzern unterzeichnet hatte, bald ablaufen würde, hatte Miss Woodley, die mit einer in Haifa lebenden britischen Auswanderin namens Frances E. Newton befreundet war, zu aller Überraschung zu vermelden, dass Megiddo rein rechtlich gar nicht den Personen gehörte, denen sie in den vergangenen drei Jahren Pacht gezahlt hatten. Miss Newton habe dies Fisher gegenüber bereits damals erwähnt, als jener 1925 den Pachtvertrag unterschrieb, aber er habe nicht auf sie hören wollen.80

Wie sich herausstellte, gehörten fast 20 Prozent des Hügels – mehr als 5 Hektar – in Wirklichkeit einer Amerikanerin namens Rosamond Dale Owen Oliphant Templeton. Sie war die Enkelin von Robert Owen, der in New Harmony, Indiana, eine bekannte, aber letztendlich gescheiterte frühsozialistische Produktionsgenossenschaft gegründet hatte, und die zweite Ehefrau und Witwe von Laurence Oliphant, einem bekannten schottischen Romancier und Reiseschriftsteller, der von 1882 bis 1888 Tür an Tür mit Gottlieb Schumacher in Haifa gewohnt hatte.81

Laurence lernte Rosamond etwas mehr als zwei Jahre nach dem plötzlichen Tod seiner ersten Frau kennen und heiratete sie sofort. Sechs Monate nach ihrer Hochzeit, Ende Dezember 1888, starb er jedoch an Lungenkrebs. Die nächsten Jahrzehnte brachte Rosamond damit zu, seinen Nachlass zu regeln, und dazu gehörte auch Land, das er im osmanischen Palästina gekauft hatte. Sie heiratete einen Jünger von Oliphant namens James Templeton, der binnen zwei Jahren Selbstmord beging, indem er über Bord sprang, als sie von Beirut nach Haifa fuhren. Das Einzige, was sie aus dieser Ehe mitnahm, war ihr neuer Name – für den Rest ihres Lebens nannte sie sich Mrs. Templeton.82

Von Laurence Oliphant erbte Mrs. Templeton mehr als nur Tell el-Mutesellim. Laut New York Times besaß sie eine ganze Menge Land in der Jesreelebene.83 Als Schumacher 1903 mit seinen Ausgrabungen in Megiddo begann, erschienen in britischen Zeitungen mehrere Artikel, die sie als „Besitzerin eines Teils der Ebene von Armageddon“ bezeichneten. Die Edinburgh Evening News brachte sogar einen ganzen Artikel mit der Schlagzeile: „Englische Lady besitzt Armageddon“. Ein britischer Zeitungsreporter fragte sie: „Wie viel von Armageddon besitzen Sie, Mrs. Templeton?“, worauf sie antwortete: „Ungefähr 1200 Acres, und es ist der mittlere und beste Teil.“84 Mit der Zeit kamen allerdings zwei ganz verschiedene Varianten der Geschichte auf, wie das Land in ihren Besitz gelangt war.

Nach der früheren Version wurde Laurence Oliphant 1884 oder 1885 rein zufällig Eigentümer des Grundstücks in der Jesreelebene.85 In einem ausführlichen Brief über Armageddon, den der Schriftsteller am 11. September 1884 in der New York Sun veröffentlichte, erzählt Oliphant, die Dorfbewohner, denen das Land in und um Leddschun und Tell el-Mutesellim gehörte, hätten enorme Schulden und hätten ihn um Kredite gebeten, die er nicht habe zahlen können. Es ist jedoch möglich, dass er schließlich Hypotheken auf dieses Land aufnahm, um ihnen das Geld zu leihen, und als die Besitzer mit ihren Zahlungen in Verzug gerieten, gingen die Grundstücke an ihn über.86

Als Mrs. Templeton 1903 in London interviewt wurde, erzählte sie dem Reporter allerdings, dass Laurence das Land in der Jesreelebene und in Haifa bereits in den 1880er-Jahren erworben habe – mit einer Einschränkung: „Mr. Oliphant kaufte das Land, aber Europäern war es damals nicht gestattet, dort Land in ihrem eigenen Namen zu besitzen, deshalb blieb es nominell Eigentum eines Arabers.“87

Weiter sagte sie, sie habe 15 Jahre lang erfolglos versucht, es auf ihren Namen umschreiben zu lassen. Später dann sei es ihr gelungen, sie besitze nun 1200 Acres von Armageddon (das wären mehr als 485 Hektar) mit allen nötigen Unterlagen und einem gültigen Titel, der ihre Behauptung bestätige.88

In ihrem Buch My Perilous Life in Palestine, das sie 1929 veröffentlichte, endet die Geschichte jedoch nicht 1903, sondern geht noch fast drei Jahrzehnte weiter.89 In diesem Buch erzählt sie eine ganz andere Version der Ereignisse, die dazu führten, dass sie in Besitz von Armageddon kam: Die türkische Regierung habe Armageddon in den 1890er-Jahren an den Meistbietenden versteigert, und die innere Stimme, die sie schon ihr ganzes Leben lang leite, habe ihr befohlen, die berühmte Stätte zu kaufen. Die örtlichen Grundbesitzer hätten die Regierung angewiesen, das Land zu verkaufen, und sie sei wiederum von der Regierung gebeten worden, es zu kaufen; sie habe also niemanden beraubt, als sie die 1000 Acres Land kaufte, die man ihr angeboten habe.90

Genau das Gleiche erzählte sie auch in einem Brief an den Landkommissar im britischen Mandatsgebiet Palästina, von dem sie auch Guy eine Kopie schickte. Darin schreibt sie: „Ich habe das Land gekauft, das von der türkischen Regierung auf Wunsch der Fellachen versteigert wurde, da jene hoch verschuldet waren und dringend Geld brauchten.“91

Frances Newton brachte 1948 selbst ein Buch heraus, in dem sie diese Version der Geschichte bestätigt: „Vor über 50 Jahren kaufte die Witwe von Lawrence [sic] Oliphant einen Teil des ‚Armageddon‘-Geländes, als die Türken es versteigerten, um Steuern zu kassieren, die die Bauern ihnen schuldeten. In den Unterlagen des türkischen Grundbuchamts erscheint ihr Name als Miteigentümerin.“92


Nachdem er ein wenig recherchiert hatte, kam Guy zu dem Schluss, dass die Leute, an die sie seit 1925 Pacht zahlten, höchstwahrscheinlich gar kein Anrecht auf das Geld hatten – zumindest nicht ohne Zustimmung von Mrs. Templeton. Er verstand nicht, warum sich vor Unterzeichnung des Pachtvertrags niemand das Grundbuch angeschaut hatte, zumal Miss Newton Fisher damals von Mrs. Templeton erzählt hatte. Offenbar hatten Fisher und sein kleines Komitee schlichtweg ignoriert, was Miss Newton gesagt hatte.

Guy erklärte Breasted, sie könnten die neue Situation zu ihrem Vorteil nutzen – da der derzeitige Pachtvertrag nicht gültig sei, könne man mit der eigentlichen Eigentümerin, Mrs. Templeton, neue Bedingungen aushandeln. Und er schlug Breasted vor, sich persönlich mit Mrs. Templeton zu treffen, um festzustellen, ob sie vielleicht bereit wäre, ihnen alles zu einem guten Preis zu verkaufen.

Schließlich suchte nicht Breasted, sondern Guy Mrs. Templeton auf. Anfang September berichtete er Breasted, wie das Treffen verlaufen war: „Ich habe Mrs. Templeton in der Brighton Road 201 in Worthing besucht. Sie ist 82, aber immer noch ganz klar im Kopf. Sie hat … großes Interesse an einer Art christlichem Glauben, den sie selbst als ‚unorthodox‘ bezeichnet und der für mehr Brüderlichkeit zwischen den Menschen sorgen und sie spirituell erheben soll.“93

Sie wolle ihnen das Land unbedingt verkaufen, so Guy, aber zuerst wolle sie ihren Rechtsanspruch endgültig klären. Er berichtet auch, dass sie sehr an der Arbeit in Megiddo interessiert sei und ihnen, was den Verkauf ihres Grundstücks betreffe, keine Hindernisse in den Weg legen wolle. Abschließend schreibt er: „Ich bin froh, dass ich sie aufgesucht habe. Jetzt wissen wir genau, wie die Dinge liegen. Sie ist eine sehr nette alte Dame, und wir haben uns hervorragend verstanden … Obwohl sie eigentlich nur zwei Mahlzeiten am Tag isst, Frühstück und Abendessen, hatte sie für mich verschiedene kleine Küchlein und andere Leckereien zubereitet.“

Ende September telegrafierte er Breasted, die britische Mandatsregierung sei bereit, das Land zu enteignen, vorausgesetzt, das Oriental Institute würde dafür zahlen: „REGIERUNG HAT IHNEN FÜNFUNDZWANZIGSTEN GESCHRIEBEN BEREIT AUF UNSERE KOSTEN ZU ENTEIGNEN GLAUBE DIES IST BESTER KURS UNABHÄNGIG VON AKTUELLER BESITZLAGE STOPP WAHRSCHEINLICHE KOSTEN UNTER 3750 DOLLAR BITTE ENTSCHEIDUNG PER TELEGRAMM“.94

Breasteds knappe Antwort lautete: „VEREINBARUNG MIT DER REGIERUNG ÜBER ENTEIGNUNG UND KAUF ZU MIR TELEGRAFIERTEN BEDINGUNGEN HIERMIT GENEHMIGT“. Er bat Guy außerdem, ihm mitzuteilen, wann die Regierung das Land enteignen werde, damit das Oriental Institute die Rechnung bezahlen konnte.95

Anfang November teilte Guy Breasted mit, die Enteignung des Landes schreite nur sehr langsam voran. Das Gebiet sei offiziell vermessen und diverse Formulare seien ordnungsgemäß ausgefüllt worden, in Kürze würden die örtlichen Eigentümer von der Maßnahme in Kenntnis gesetzt. Er hoffe, in etwa einer Woche Zutritt zum gesamten Gebiet zu erhalten.96

Erwartungsgemäß waren die örtlichen Grundbesitzer und die Dorfbewohner, die deren Land bewirtschafteten, nicht allzu begeistert von der Enteignung. Aber man hatte ihnen klargemacht, dass die Enteignung vonstattengehen würde, ob es ihnen gefiel oder nicht. Am 12. November wurde Hassan Saad, dem Vertreter der örtlichen Grundbesitzer, mitgeteilt, dass der Prozess abgeschlossen sei.

Als Guy und die anderen Teammitglieder am nächsten Morgen den Tell bestiegen, um mit der Arbeit zu beginnen, stellten sie fest, dass ihre Gerätschaften in der Nacht „vorsätzlich beschädigt“ worden waren. Jemand hatte eine der Loren, mit denen die Erde abtransportiert wurde, eine Böschung hinuntergestoßen, das Feldtelefon zerstört, einen Wasserkrug zerschlagen, aus einem der Zelte eine Kiste genommen und in Schumachers Großen Graben geworfen und obendrein „an prominenter Stelle ein unschönes und unhygienisches Souvenir hinterlassen“. Sie meldeten den Schaden der örtlichen Polizei, die eine Untersuchung einleitete. Guy war sich ziemlich sicher, dass Hassan dahintersteckte.97 Bedenkt man den Zeitpunkt und die Umstände, hatte er zweifellos recht.

Mrs. Templetons formeller Anspruch auf das Land musste noch vor dem gemischten anglo-türkischen Schiedsgericht und dann vor dem Landgericht in Jerusalem verhandelt werden; all das ging im Schneckentempo voran und zog sich bis 1931 hin.98 Doch sie freute sich, ihren Teil von Tell el-Mutesellim im Rahmen des größeren Deals, bei dem die lokale Regierung die übrigen Grundbesitzer entschädigte, an Breasted und das Oriental Institute verkaufen zu können. Anfang Dezember 1930 meldete eine begeisterte New York Times, das Oriental Institute der University of Chicago habe Mrs. Templeton Armageddon abgekauft. Die Schlagzeile lautete: „Schlachtfeld von Armageddon für Forschungszwecke einer amerikanischen Witwe für 3500 Dollar abgekauft.“ 3500 Dollar mag nicht nach allzu viel klingen, doch inflationsbereinigt wären das heute mehr als 48 000 Dollar.99

Der Streit um die Enteignungen war damit jedoch noch nicht beigelegt – Briefe im Archiv des Oriental Institute in Chicago, im Archiv der Israel Antiquities Authority in Jerusalem und im israelischen Staatsarchiv belegen, dass die Auseinandersetzung bis in die 1940er-Jahre hinein weiterging. Im Grunde endete sie erst mit dem Unabhängigkeitskrieg von 1948, als das Land kurzerhand Teil des neuen Staates Israel wurde.100

Mrs. Templeton starb 1937. Ihr Adoptivsohn Carlos ließ sie auf dem Friedhof der Llanwrtyd Church in der walisischen Stadt Newtown bestatten, wo bereits ihr Großvater lag, und stellte obendrein auf dem Maple Hill Cemetery in New Harmony, Indiana, wo ihr Vater und andere Familienmitglieder begraben sind, eine Gedenktafel für sie auf, die dafür sorgt, dass man sich für immer daran erinnern wird, dass ihr einst ein Teil von Armageddon gehörte. Die Inschrift lautet:

Diese Tafel dient der liebevollen Erinnerung an

Rosamond Dale Owen Oliphant Templeton Autorin, Philosophin, Reisende, leidenschaftliche Christin. Tochter von Robert Dale Owen. Mitglied der Minerva-Gesellschaft. Gründungsmitglied des New Harmony Woman’s Library Club.

Ehemalige Besitzerin von Armageddon.

Geboren – New Harmony – 13. Dezember 1846

Gestorben – Worthing, England – 19. Juni 1937

Errichtet von ihrem ergebenen Adoptivsohn,

Carlos Ronzevalle. Friede! Friede!101


Abgesehen von den Ereignissen rund um die Enteignung ging es in Megiddo von September bis Dezember 1928 recht harmonisch zu. Edward DeLoach hatte sich endlich von seinen Malariaanfällen und seinen übrigen Wehwehchen erholt, und die Ärzte in Chicago gestatteten ihm, zur Ausgrabung zurückzukehren. Ende September war er wieder vor Ort.102 Dr. und Mrs. Staples und Robert Lamon trafen etwa zur gleichen Zeit wie DeLoach ein. Anfang Dezember waren sie alle „eine recht glückliche Familie“ ohne „Anzeichen von Meuterei“, wie Guy berichtete.103

Als die Tage kürzer wurden, änderte Guy die Arbeitszeiten. Nach dem Mittagessen gab es ab sofort eine längere Pause, in der man lange Spaziergänge unternehmen oder auf die Jagd gehen konnte, anschließend wurde bis zum Abendessen weitergearbeitet. Guy untersagte den Teammitgliedern außerdem, nach dem Abendessen noch zu arbeiten, stattdessen sollten sie lieber lesen; er hatte auch die Idee, einen „Studienkreis“ zu gründen, bei dem sie sich bis spät in den Abend, vermutlich bei einem Glas Wein oder Whisky, informell über ihre Funde unterhalten konnten.104

Guy erstellte auch eine Liste mit allem, was in den Wintermonaten zu erledigen war, bevor im April die nächste Grabungssaison begann. Beispielsweise sollten Arbeitspläne für alle Ausgrabungsareale ausgearbeitet werden, die Inventarisierung der Keramik und anderer Artefakte aus der gerade beendeten Grabungssaison sollte abgeschlossen werden, und alle Funde aus den Jahren 1927 und 1928 sollten noch einmal überprüft werden. Daneben plante er zwei kleinere Publikationen (trotz aller guten Vorsätze blieben beide schließlich unvollendet).

Das Wichtigste auf seiner Liste war ein Plan, um in den neuen Bereichen, die er ausgraben wollte, die Erde abzutragen – also in jenem Gebiet oben auf dem Tell, wo sie im Zuge der Enteignung nun bald würden graben dürfen. Das Team hatte bereits Anfang November die Planquadrate abgesteckt und mit Pflöcken markiert, aber einen Monat später beschwerte sich Guy bei Breasted, heftige Regenfälle hätten ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Der Boden war bis in einen halben Meter Tiefe vollständig wassergesättigt, und Guy wusste, dass es unter diesen Umständen keinen Zweck hatte, weiterzumachen. Also schickte er die ägyptischen Arbeiter bis zum Frühjahr heim zu ihren Familien.105

Armageddon

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