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Kapitel 4 – Rya und Levana

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Die drei Freunde gingen jede Woche auf Entdeckungstour und fanden immer wieder neue Plätze, wo sie gemeinsam spielen konnten. Manchmal liefen sie zu den alten Ruinen oder schauten den Männern bei den Ausgrabungen von alten Steingefäßen zu.

Bald, als Levana und Rya auch Fahrräder von ihren Eltern geschenkt bekommen hatten, fuhren sie in das nahe Wäldchen, den ein kleiner Bach teilte. An einer Stelle führte eine schmale, wackelige Brücke über das Wasser auf die andere Seite des Waldes. Die Bäume beschirmten den Bach, doch die Sonne drängte sich dennoch durch das Laubkleid und ließ die Wasseroberfläche glitzern.

Dieser Platz wurde mit der Zeit zum Stammplatz der drei Freunde, besonders, wenn es sehr heiß war. Dort fanden sie Schutz vor der Hitze und kühlten ihre Füße im Wasser. Manchmal fischten sie interessant geformte Steine vom Grund und bemalten sie mit ihren Farbstiften. Die Steine versteckten sie hinterher im Gebüsch.

Eines Abends kam Levana auf die Idee, die Steine am Straßenrand zu verkaufen. Sie stellten vor Ryas Haus einen Tisch auf und boten Passanten die bunten Steine an. Einige kauften ihnen sogar welche ab. Für das selbstverdiente Geld ergatterten sie Eis und andere Leckereien. Wenn ihnen gerade mal langweilig war, nahmen sie die Farbstifte und bemalten sich gegenseitig, um einander zu ärgern. Abends kamen die drei Freunde mit bunten Köpfen nach Hause und mussten lange mit Wasser und Seife schrubben, bis die Farbe wieder weg war.

Mit der Zeit kletterten sie nicht einmal mehr auf Dächer, denn die Gegend um das Wäldchen war viel spannender.

»Rya, sieh dir mal Jasin an. Sein Stein sieht aus, wie er selbst - ein Teufelchen«, neckte Levana den Jungen, als sie an einem besonders heißen Nachmittag am Bach saßen.

Jasin bekam einen roten Kopf, stand auf und rannte der flüchtenden Levana hinterher, doch es gelang ihm nicht, sie zu fangen. Als Levana den Jungen auslachte und dabei über die Schulter blickte, stolperte sie über einen besonders dicken Stein auf ihrem Weg. Strauchelnd fiel sie ins Wasser des Bachs.

»Na, wer sieht denn jetzt wie ein Teufelchen aus?«, feixte Jasin, ehe er sich wieder neben Rya setze, die sich vor Lachen nicht mehr einkriegen konnte.

Levana sah die beiden sauer an und rief: »Macht euch ruhig lustig über mich, euer Lachen wird euch noch vergehen.« Sie schöpfte mit ihren Händen Wasser aus dem Bach und spritzte beide nass.

Dichte Wolken verdeckten die Sonne, doch bisweilen erhaschten einzelne Strahlen einen Blick auf die Erde.

Die Zeit verging schnell für die Freundinnen und die Tage ihrer Kindheit wurden durch Jasin versüßt. Sie genossen es, durch den Wald zu streifen.

Während sie über weiches Moos und leise knirschenden Kies wanderten, entdeckte Jasin einen mächtigen Baum auf der anderen Seite der Brücke. Er reckte sich weit in den Himmel und spendete viel Schatten. Jasin und die Mädchen setzten sich ins Gras unter dem Baum, dann pflückten Levana und Rya Blumen und zogen die Stängel durch die Blüten, bis Halsketten und Armbänder daraus entstanden. Als es nach einer Weile langsam zu tropfen begann, grinste Jasin und sagte: »Ich habe da eine Idee!«

Die Mädchen sahen ihn neugierig an.

»Wir könnten um den Stamm dieses Baumes ein Zelt bauen. Dann könnten wir hier auch bei Regen die Zeit verbringen und müssten nicht zu Hause herum sitzen. «

Rya runzelte die Stirn: »Wie stellst du dir das vor?«

Auch Levana blickte skeptisch und fragte: »Stimmt, womit sollen wir denn ein Zelt bauen, etwa mit Gras und Würmern?«

»Mit Plastiktüten und Ästen! Und die Tüten binden wir mit einem Seil fest«, antwortete Jasin überzeugt.

»Lasst uns gehen und anfangen«, freute sich der Junge übermütig.

Levana schaute beide skeptisch an.

»Los Levana, steh auf, lass uns die Sachen besorgen. Du kannst am besten Äste sammeln. Ich besorge die Tüten und Rya, du könntest ein paar Sträucher suchen, damit wir bequem im Zelt sitzen können«, schlug Jasin vor.

Schnell machten sie sich trotz der dicken Regentropfen auf den Weg, und die beiden Mädchen unterstützen Jasin eifrig beim Bau des Zeltes.

Einige Stunden später war das Zelt fertig und die Tüten boten tatsächlich Schutz vor dem Regen. Durchnässt saßen sie im Trockenen und freuten sich über Jasins blendende Idee.

Wenige Tage später trug Rya eine kleine, alte Kommode zu ihrem Versteck, die jahrelang in ihrem Keller gestanden hatte. Darin verstauten sie Getränke und Bücher. Bald war die Kommode zu einer richtigen Vorratskammer geworden. Levana und Rya brachten ihre Schultaschen mit und machten im Zelt ihre Hausaufgaben oder lernten für Prüfungen, die bevorstanden. Jasin half ihnen manchmal dabei. Wenn Rya alleine war, schrieb sie Gedichte und klebte sie an den Baumstamm oder sie schrieb aus Langeweile kleine Nachrichten an Levana und Jasin, damit sie wussten, dass sie da gewesen war. So vertrieben sie sich die Zeit.

Die Jahre vergingen und sie wurden älter. Steine bemalten sie nicht mehr und sie kletterten auch nicht mehr auf Hausdächer. Doch ihr Versteck gab es immer noch. Sie saßen aneinander gedrängt und erzählten sich ihre Erlebnisse. Die Freundinnen lauschten neugierig, wenn Jasin von den häufigen Reisen berichtete, die er mit seinen Eltern machte. Er erzählte von den Pyramiden in Ägypten, von den Beduinen und vielen anderen Dingen. Levana freute sich immer, wenn er seine Abenteuer beschrieb.

Manchmal trug Rya Gedichte vor. Dabei kamen sie auf die Idee, sich gegenseitig etwas vorzulesen und mit verteilten Rollen zu sprechen.

»Ich bin König Herodes, Herrscher über dieses Gebiet. Seht meine prunkvollen Paläste und die großen Bäder. So groß sind mein Reichtum und meine Macht. Und nun folge meinem Befehl Aristobulos! Oder ich werde dich ertränken lassen.« Jasin zeigte zum Bach.

»Ich bin Aristobulos, dein Widersacher«, entgegnete Levana.

»Diener, ergreift meinen Schwager und tötet ihn«, befahl Jasin.

»Treibe die Vornehmsten zusammen, denn mein Tod ist nah. Und die Soldaten sollen die gefangenen Männer im Augenblick meines Todes töten, damit jede Familie hier über mich weinen muss.«

Jasin warf sich auf den Boden und stellte sich tot. Rya, die seine Schwester spielte, bückte sich über ihn und trauerte:

»Ich, als die Schwester von Herodes, verbiete euch den letzten Wunsch meines Bruders Herodes zu erfüllen.«

Levana : »Und so soll es geschehen!«

Dann stand Jasin wieder auf und alle lachten.

Bald schon kamen sie in den Genuss von richtigen Büchern.

»Wenn man ein Buch liest, dann wird man an einen anderen Ort versetzt und man kann dem Alltag entfliehen«, zitierte Rya stets ihre Mutter. Irgendwie war sie anders als die übrigen Mädchen. Rya war sehr kritisch, sie stellte alles immer erst in Frage, was man ihr erzählte. Auch hatte sie schon früh eine Vorstellung davon, was sich gehörte und was nicht. Das hübsche Mädchen überzeugte und beeindruckte alle, weil sie gut reden und argumentierten konnte. Zwar hatte sie viele Bekannte, aber sie wollte nur Levana zur Freundin.

Auf der Schule herrschten Zucht und Ordnung. Früher schlug der Schuldiener ungezogenen Schülern mit der Peitsche auf die Hände oder den Hintern. Weil sich aber viele Eltern über die grausame Bestrafung lautstark beschwert hatten, setzte die Schule diese althergebrachte Erziehungsmethode jetzt sehr selten ein.

Eines Tages hängte Jasin eine Flagge im Zelt auf, die er während seiner Reisen mit seinen Eltern in Burma gekauft hatte. Auf dem Tuch war ein tanzender Pfau abgebildet. Rya war ganz begeistert und deutete auf die Flagge: »Levana schau, das ist der Pfau, von dem ich einmal geträumt habe, erinnerst du dich noch?«

»Das ist doch kein Pfau, sondern ein Huhn! Ein Pfau sieht anders aus«, ärgerte Levana ihre Freundin. Dann sah sie sich die Flagge genauer an und lächelte.

Jasin bemerkte das ehrliche Interesse der Freundinnen und erklärte daraufhin: »Der tanzende Pfau symbolisiert in Burma den Kampf für Demokratie und Freiheit.«

Ein Traum aus Sand und Regen

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