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Die Landschaft des Mythos

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Die Auswirkungen der Mythologie auf die hellenische Welt bestätigt ein Blick in den Atlas. Tatsächlich leiten sich sowohl die Selbstbezeichnung der Griechen als „Hellenen“ wie auch der Begriff „Atlas“ von zwei Figuren der griechischen Mythologie her, von Hellen und Atlas.

Die Hellenen Wir haben bereits gesehen, wie Deukalion, der erste Mensch, die Flut überstand und die Welt von Neuem bevölkerte. Sein Sohn hieß Hellen. Hellens Kinder ließen sich in Thessalien nieder und verbreiteten sich später über jenes Land, das die Griechen unter jenem Namen kannten, den es heute noch trägt: Hellas. Auch einige andere Gegenden der griechischen Welt wurden nach Gegenden benannt, wo sich Enkelkinder und Nachfahren Deukalions ansiedelten:

Doros zog nach Süden, und seinen Namen tragen die Dorer, zu denen später auch die Spartaner zählten. (Die Dorer liehen ihren Namen außerdem einem bestimmten Architekturstil, dem dorischen, dessen eindrucksvollstes Beispiel der Parthenon in Athen ist.)

Xuthos zeugte den Ion (andere sagen allerdings, er habe ihn adoptiert und Ions wirklicher Vater sei Apollon gewesen, der Xuthos’ Frau Kreüsa – gesprochen „Kre-u-sa“– verführt hatte). Ion wurde zum Kriegshäuptling der Athener, die sich fortan Ionier nannten. Das taten auch die Bewohner vieler Inseln im Ägäischen Meer und ein Großteil der Griechen in Kleinasien, die ihren Landstrich als Ionien bezeichneten. Sie alle betrachteten Ion als ihren gemeinsamen Stammvater.

An Delos aber erfreust du am meisten dein Herz, Phoibos (Apollon); denn dort versammeln sich die Ionier in ihren langen Gewändern mit ihren scheuen Frauen und Kindern, um dir Ehre zu erweisen. Homerischer Hymnos an Apollon (2, 146–148)

Auch der ionische Architekturstil hat wie der dorische die Zeiten überdauert – das bestätigt ein Blick auf die ionischen Säulen vieler Prunkbauten der Neuzeit, darunter das British Museum in London und der Sitz des US-Schatzamts in Washington.

Achaios gab seinen Namen den Bewohnern der Landschaften westlich von Athen, besonders im Gebiet rund um Argos und Mykene – deshalb beschreibt Homer diejenigen, die die Trojaner bekämpften, als Achaier. In späteren Zeiten führten diejenigen, die ihre achaische Herkunft verfochten, erbitterte Kriege gegen die Aitoler, die für sich in Anspruch nahmen, die Nachfahren des Aitolos zu sein, eines weiteren Kindes von Hellen, der den Süden Thessaliens und den äußersten Osten Griechenlands besiedelte.

Zeus und Io

Zu den Berufsrisiken einer wunderschönen Prinzessin gehörte es in der Frühzeit der Welt, dass es damals noch nicht viele Leute auf der Erde gab und Zeus allen wunderschönen Prinzessinnen sein besonderes Augenmerk widmete, weil er sich vorgenommen hatte, mehr Leute zustande zu bringen. Nachdem er Argos diskret in Wolken gehüllt hatte, damit Hera nichts merkte, zwang Zeus Io seinen Willen auf. Als er danach bemerkte, wie die misstrauische Hera bereits dabei war, die Wolke aufzulösen, tarnte er Io eilig als weiße Kuh. Hera fiel auf die Täuschung nicht herein und bat Zeus, ihr die Kuh zu schenken, was ihr Zeus nicht abschlagen konnte, ohne sich zu verraten. Hera machte Argos (nicht die Landschaft, sondern ein Ungeheuer mit hundert Argusaugen) zum Wächter über ihre Neuerwerbung, während sie Nachforschungen zu deren Herkunft anstellte. Zeus aber ließ Io von Hermes entführen, der im Zuge seiner Arbeit Argos erschlug. Hera verpflanzte ihrerseits die Augen des Argos auf den Schwanz des ihr zugeordneten Vogels, des Pfaus, und schickte eine riesige Stechfliege aus, eine Rinderbremse, die Io quälen und keine Ruhe finden lassen sollte.


Hermes führt Io heimlich fort – so zu sehen auf einer griechischen Amphora des 6. Jh.s v. Chr.

Die Kinder der Io Schon vor unvorstellbar langer Zeit hatte sich die griechische Kultur über weite Teile des östlichen Mittelmeerraums verbreitet. Während wir dies heute wohl auf Handelswege und Kriege zurückführen, schrieben die alten Griechen diese Ausdehnung Io zu, einer wunderschönen Prinzessin aus Argos. Dem Mythos zufolge prägten ihre Kinder nicht nur das künftige Gesicht Griechenlands, sondern auch vieler anderer Länder mit. Ios Nachfahren bilden einen von mehreren alles überspannenden mythologischen Stammbäumen, der innig mit den beiden anderen großen Gebilden dieser Art verwachsen ist, der Nachkommenschaft von Atlas und von Hellen.

Nach ihrer Verwandlung in eine Kuh setzte Io nach Kleinasien über, indem sie die Meerenge durchschwamm, die nach diesem Ereignis benannt ist: die „Kuhfurt“, den Bosporus. Da sie außerstande war, sich im Osten niederzulassen, zog sie nach Süden, wo sie das Kind gebar, das sie von Zeus getragen hatte. Aigyptos, der jenem Land dann den Namen Ägypten einbrachte, war einer ihrer Nachkommen. (Eine weitere Nachfahrin von Io – und auch auf sie war Zeus später scharf – war Europa, die ihren Namen einem ganzen Kontinent lieh.)

Agamemnon, König der Argolis zur Zeit des Trojanischen Krieges, war ein weiterer Io-Nachkomme, allerdings über Pelops, einen Einwanderer aus dem kleinasiatischen Lydien, der seinen Namen auf die Halbinsel Peloponnes übertrug.

Die Danaiden

Danaos, der ebenfalls von Io abstammte, kehrte ins Land seiner Vorfahren zurück und wurde dort König der griechischen Stadt Argos. Seine zahlreichen Kinder waren lauter Töchter, also schmiedete Aigyptos, der fünfzig Söhne hatte, den Plan, sie mit Danaos‘ Töchtern zu verheiraten und damit auf lange Sicht die Argolis seinem schon jetzt ausgedehnten Reich hinzuzufügen. Danaos ging zum Schein auf die Idee ein. Auf sein Drängen ermordeten alle seine Töchter jedoch in der Hochzeitsnacht ihre Bräutigame (allein Hypermnestra ausgenommen, die den Mann, den sie abbekommen hatte, allen Ernstes mochte). Später heirateten die Töchter lauter junge Argiver, weshalb zur Zeit des Trojanischen Krieges „von Danaos stammend“ mit „aus Argos stammend“ synonym geworden war. Die moderne Redewendung vom Danaergeschenk verdanken wir dem Latein Vergils: Timeo Danaos et dona ferentis (Aeneis 2,49), „Ich fürchte die Danaer, selbst wenn sie Geschenke bringen“.


Der Atlas Farnese aus Rom

Zahlreiche Heroen durfte Io ebenfalls zu ihrer Nachkommenschaft zählen; die vielleicht wichtigsten unter ihnen sind Perseus und Herakles – wobei der letztere für diese geographischen Ausflüge so wichtig ist, weil zu Ehren der Taten des Halbgottes zahlreiche Städte namens Herakleia aus dem Boden wuchsen. Die italische Version einer solchen Stadt, das kleine Herculaneum, wurde durch glühende Aschewolken aus dem Vesuv zur selben Zeit für die Nachwelt konserviert, als Pompeii unter Ascheregen begraben wurde.

Troja und Asien Der Titan Atlas, ein Bruder des Prometheus, hat seinen Namen einem Gebirgszug und einem großen Berg in Nordafrika gegeben. Er war es, der im Kampf zwischen Göttern und Titanen den Sturm auf den Olymp anführte. Zur Strafe wies ihm Zeus die Aufgabe zu, den Himmel auf seinen Schultern zu tragen.

Bevor er das Himmelsgewölbe auf sich lud, fand Atlas noch die Zeit, mehrere Kinder zu zeugen, darunter die sieben als die Plejaden bekannten Schwestern und eine weitere Tochter namens Dione. Elektra, eine der Plejaden, hatte einen Nachkommen namens Dardanos, der seinerseits der Vorfahr von Ilos war, welcher die Stadt Ilion gründete, heute bekannt als Troja (nach Tros, dem Vater des Ilos). Manche glauben, Dardanos habe seinen Namen nicht nur der Landschaft Dardania am Hellespont, sondern auch den nahen Dardanellen übertragen, dem Schauplatz blutiger Kämpfe im Ersten Weltkrieg.

Da Pelops, der Ahnherr Agamemnons, aus dem Geschlecht Diones war, kann man erkennen, dass der Trojanische Krieg eine Art Familienangelegenheit war (sehr weitläufige Verwandtschaft allerdings). In späteren Zeiten führten die Römer ihre Ahnen über Aeneas auf Dardanos und letztendlich auf Atlas zurück. Die Mutter des Atlas war Klymene oder, wie andere sagen, Asia, worunter die Griechen einen Teil des westlichen Anatolien verstanden, während es im heutigen Sprachgebrauch zum größten und meistbevölkerten Kontinent der Welt geworden ist.

Von zänkischen Göttern und tragischen Helden

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