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"Ich möchte kurz zusammenfassen," begann Meyer bestimmt und ruhig, als sich alle Beteiligten an den Küchentisch gesetzt hatten.

"Frau Selcan, Sie haben zwei Kinder, sind seit kurzer Zeit verwitwet, arbeiten in einem Supermarkt und haben ein regelmäßiges Einkommen und eine kleine Wohnung. Das ist positiv zu bewerten. Auf der anderen Seite gibt es psychische Spannungen ..."

"Das müssen Sie nicht sagen. Ich weiß, dass Fabio nicht völlig normal ist, aber ihn hat der Tod seines Vaters sehr getroffen," unterbrach ihn Lira gehetzt. Sie wollte nicht länger über ihren Sohn sprechen.

Doch Meyers Intention war zu ihrer Überraschung zunächst eine völlig andere.

"Nein, wir reden hier im Moment nicht über Fabio. Dazu kommen wir später. Nein, Sie haben das psychische Problem. Und in Ihrem Fall ist das auch normal, weil Sie von dem Tod ihres Mannes getroffen wurden. Sie sind es, die Probleme hat und Hilfe benötigt. Sie brauchen Hilfe, um Ihren Kindern helfen können. Sie haben Ihre Angst auf Fabio übertragen. Nur weil Sie seine psychische Behinderung nicht akzeptieren wollen." Es folgte eine kurze Pause des Entsetzens, ehe Meyer leise und so einfühlsam, wie es nur ging, weitersprach. "Sie brauchen meine Hilfe."

Der Sozialarbeiter versuchte nachdrücklich, das "Sie" zu betonen, was allerdings eher wie ein verbaler Hammer auf die Frau wirkte und sie in ihren Grundfesten erschütterte. Er bemerkte, dass sich die Frau, die sich für ihren Sohn schämte, auf den sie ihre Probleme projiziert hatte, zu wandeln begann. In ihr fiel gerade jede Mauer.

Der weitere Verlauf seiner Arbeit würde von Liras Reaktion abhängen. Für ihn stand nur eine Frage im Raum: Ist sie kooperativ oder zornig?

Und plötzlich meldete sich Esme aus der ihrer Stille und griff in die Entscheidung ihrer Mutter ein.

"Mama, ich war es, die das Jugendamt gerufen hat. Ich will, dass dir geholfen wird. Wir schaffen das allein nicht. Bitte, lass dir helfen. Ich kann nicht mehr allein."

Für Lira hatte sich in der letzten halben Stunde ihr komplettes Lebensverständnis in Luft aufgelöst. Nichts, aber auch gar nichts von dem hätte sie zuvor an sich herangelassen. Aber jetzt konnte sie nicht mehr. Sie wollte nur noch allein sein.

Tränen fielen auf den Tisch. Lira war nervlich am Ende ihrer Kräfte angelangt. Keine weiter Minute würde sie es hier aushalten.

So erklärte sie dem Sozialarbeiter, dass sie etwas Ruhe brauche und er doch in der nächsten Woche wiederkommen solle.

Dieser stimmte ein, wollte aber noch das Risiko eingehen, das letzte offensichtliche Thema anzusprechen.

"Von mir aus gesehen gibt es einen letzten Auftrag an Sie beide. Melden Sie Fabio an einer Schule an. Es gibt auch hier hervorragende Förder- und Inklusionsschulen. Es besteht in Deutschland Schulpflicht, und die muss auch Fabio noch erfüllen. Das sollten Sie bitte bis nächste Woche getan haben."

Er ließ die Worte unkommentiert und bedeutete der offensichtlich nicht zufriedenen Esme, jetzt bitte auf ihn zu hören.

Danach verabschiedete sich Meyer und ließ die zwei allein. Noch immer beeindruckt von der Tochter, die mit ihrer Offenbarung, der Informant beim Jugendamt gewesen zu sein, ein großes Risiko eingegangen war, aber auch eine unglaubliche Reife gezeigt hatte.

Als der Sozialarbeiter auf die Straße trat, fing es gerade an zu regnen. Er spannte nach einem kurzen Blick in den Himmel den Regenschirm auf. Es schien nur ein Schauer zu sein, der aber einiges an Wasser auf die Erde fallen ließ. Meyer hatte noch zwei Termine, die er bis zum Feierabend erledigen wollte. Aber für den Abend wusste er schon, welches Thema er mit seiner Frau am Abendbrottisch besprechen würde.

Aufgetau(ch)t

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