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"Ich will nicht mehr. Versteh’n sie? Meine Kraft ist am Ende. Ich weiß nicht, wohin, ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß nicht, wie ich mit der Situation fertig werden soll. Das ist nicht zu realisieren. Mein Mann ist tot. Ich fühl’ mich, als hätte man einen riesigen Stein auf mich geworfen. Und der hat meinen Kopf zertrümmert. Es ist jetzt drei Wochen her, aber ich habe noch kein Wort mit den Kindern gewechselt. Ich weiß, was Sie denken. Die hat se nicht mehr alle. Wie hat die die drei Wochen rumbekommen? Die Kinder brauchen Hilfe.

Ja, verdammt!

Die Kinder brauchen Hilfe! Und zwar dringend. Ich muss jetzt da sein, mit ihnen reden. Aber wissen Sie, was ich fühle, wenn ich sie sehe? Wissen Sie, was ich denke, wenn ich mit ihnen nur einmal sprechen würde? Es ist so egoistisch, und ich schäme mich für mich selbst, aber ich kann mit den Kindern im Moment nicht reden: weil ich ihren Vater sehe. Seine Augen, seine Ohren, sein Mund. Alles, was ich liebte, ist tot. Nur erinnert er mich an seinen Vater. Fabio hat so viel von ihm. Er sitzt seit drei Wochen in seinem Zimmer und schaut an die Wand. Nur manchmal steht er auf und malt in sein Buch. Irgendwelche Zeichnungen, und das Erste, was mir einfällt, ist, ihm zu sagen, dass er jetzt fünfzehn ist und verdammt noch mal nicht malen soll. Aber er ist halt so. Der Junge ist aber nicht verrückt. Er ist ganz normal. Immer wieder schreit er wild durch das Haus, aber das ist doch normal, wenn man seinen Vater verloren hat, oder? In der Nacht werde ich wach und höre, wie er mit sich selbst spricht. Der arme Junge. Aber wissen Sie, was die Ärzte vergessen, wenn sie ihn für verrückt erklären? Sie vergessen, was der Junge durchmachen musste. Hören Sie: Ich habe meinen Mann vor sechs Jahren in der Türkei kennengelernt. Wir haben schnell geheiratet und zwei wundervolle Kinder bekommen. Ich liebe sie. Ich wollte damals zurück nach Deutschland, aber Hakan war dagegen. Er arbeitete in Ankara, und so blieben wir dort, und die Kinder lernten Türkisch. In der Schule war Esme eine gute Schülerin. Sie lernte gut, hat sich angestrengt. Nur Deutsch durfte sie nie lernen, weil Hakan dagegen war. Fabio fiel es schwerer. Er ist halt nicht so gesegnet. Wenige Freunde und dann die Mitschüler. Sie riefen ihn immer ‘Spastiker’ oder ‘Geisteskranker’. Aber er ist nicht geisteskrank. Nein, ist er nicht. Und dann, vor drei Monaten: Da sind wir doch nach Deutschland gezogen. Hakan hatte wegen seiner Krankheit seinen Job verloren, und in Deutschland gab es eine sehr gute Therapie. Doch als er im Krankenhaus war, hatten wir kein Geld. Keine Arbeit. Ich kannte hier alte Freunde, die uns halfen, eine kleine Wohnung zu kaufen. Aber was ist jetzt? Nichts. Ich kann nicht mit Geld umgehen, und zu allem Überfluss habe ich keines.

Warum ich Ihnen das alles in der ersten Sitzung erzähle?

Ich habe Angst.

Angst zu Scheitern.

Ohne Mann. Ohne Geld. Ohne alles. ICH BIN ALLEIN! Ich pack’ das nicht mehr. Ich will nicht mehr."

Die Frau verließ das Büro, ohne ein weiteres Wort zu sagen. An der Rezeption erhielt sie den Termin für die nächste Sitzung.

Aufgetau(ch)t

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