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Tag 5

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Der nächste Tag kam wie bei einem endlosen Hürdenlauf. Man wurde müder, und die Hürden immer höher. Heute waren die sogenannten Einstufungstests dran, die Tonne war schon ganz aus dem Häuschen, als die Nuller sich vor ihr versammelten und dann in den grossen Prüfungsraum gebracht wurden, sie in strammem Schritt voran, klack klack auf dem permakühlen Betonboden. AAA hielt den Daumen hoch, als ihn die Augen seiner zehn Schützlinge suchten, unter ihnen auch Ana und Tomi, verloren an ihren Einzelplätzen hinter den Netzterminals. Reihe um Reihe von hoffnungsvollen Jugendlichen, die seit Generationen auf ihr Vorurteil warteten, das möglicherweise bereits ihre spätere Rolle in der Gesellschaft der Stadtschnecke bestimmte, oder zumindest gewisse Wege bereits jetzt abzuwürgen drohte. Die Lagerleitung und die Regeln von Dawkinsonia hielten grosse Stücke darauf, dass alle die gleichen Chancen hatten. Reine Rhetorik. Alle Eltern versuchten Einfluss zu nehmen, Spenden flossen, auch direkt in die Taschen von Leuten wie Coach Siegler und der Zarewna. Aber allzu offensichtlich konnte nicht gemogelt werden. Zumindest würden seine Leute gerüstet in diese Schlacht ziehen, war AAA mit sich zufrieden. Nur Anakin hatte die Pille davor abgelehnt, sie könne sich selber gut genug konzentrieren. Zuerst hatte sich AAA etwas zurückgesetzt gefühlt, aber alles war wieder gut als sie hinzufügte „du hast uns doch autogenes Training empfohlen, das habe ich geübt, ist gar nicht so schwer, und erstaunlich, wie man sich plötzlich besser spürt. Danke.“

Die Prüfungen begannen, das hiess vier Stunden Sitzfleisch für die Aufsicht, die sich dabei in Ruhe an ihre eigenen Einstufungstests erinnern konnten. Und alle späteren. Es war erst vorbei, wenn man die Insel verliess. Und dann kam die grösste Prüfung, das Schlussprojekt, das über den persönlichen Erfolg und vielleicht die Zukunft der ganzen kleinen Menschenwelt entscheiden würde. Zuerst diese Stunden absitzen, AAA, eins nach dem andern. Es begann schon zu stinken, trotz des grossen, hohen Raumes im Bunker. Stress roch selten gut. AAA blickte sich um. Karl, sehr schick gekleidet heute, in einem dunkelgrauen Anzug aus dem Punktegewinnkatalog über weinrotem Hemd, sass mit zusammengefalteten Händen da und war in Gedanken. Die übrigen Habitatsleiter, die noch nie Aufsicht spielen mussten, fühlten sich unwohl. Er musste mal die Runde machen bei denen. Die meisten kannte er, aber nicht gut. Es gab nicht allzuviele Habitatswechsel, der Grossteil blieb auf ihrer Stufe, ein Leben lang. Ein Mädchen war auch darunter, eine kleine Scharfzüngige, Maria irgendwas, lange schwarze Haare, streng nach hinten gezogen. Nicht sein Typ, lachte nie.

Und daneben, diagonal durch den Raum, wurde gerade la Hek verspätet von einem Robowächter hereingeführt, heute ganz anständig in einem dunkelblauen Kleid mit weissen Rändern, was super zu ihren Augen, Haaren und ihrer leichten Bräune passte, aber mit gerötetem Gesicht. AAA meinte, einen Hassblick von ihr auf sich zu spüren wie einen Leuchtturmstrahl. Und musste grinsen. Er glaubte, den Grund dafür zu kennen, dass der ach so pflichtbewusste Morley heute nicht rechtzeitig erschienen war. War wohl aufgewacht, hatte auf seine Uhr geschaut und sich gefreut, dass er noch zwei Stunden weiterschlafen konnte, gemäss der von AAA nachts justierten Zeit. Das gab Abzug, hier konnte man nicht einfach fehlen wie es Morley sonst auch gerne tat. Er hatte ja eine gute Vertreterin, die Auftritte liebte und sich im dunklen Glanz sonnte. Wie war Hek so geworden? Schade. AAA konnte sich nicht an sie erinnern aus ihrer gemeinsamen Jugend in der Schnecke. Das deutete auf eine Familie der untersten Etagen hin. Das Schneckengehäuse versprach einen Weg nach oben, aber immer schön langsam, im Schneckentempo, wir wollen ja nicht noch mehr Turbulenzen.

AAA sah, wie Ana souverän, beinahe wie eine Schlafwandlerin, die endlosen Aufgaben abarbeitete, die schwieriger wurden, umso besser man unterwegs war. Wenn das so weiterging, musste sie noch vor Jahresende zu den Karlen wechseln, das gab es in Ausnahmefällen. Tomi hingegen sah bleich aus, haderte mit sich, rutschte unruhig auf seinem angeschraubten Stuhl herum. Er hatte seinem Mentor AAA vertraut. Bekam ihm die Pille nicht, oder waren theoretische Prüfungen nicht seine Stärke?

Dann polterte es fast gleichzeitig an zwei Orten, als zwei andere Flowers vom Stuhl kippten. Eine von seinen, eine der Nachzüglerinnen. AAA sprang auf und war noch vor dem Robo dort, da kam auch schon die Tonne herein, die also den Raum von daneben überwachte, und sich vielleicht mit Coach Siegler oder ihrem Sportlehrerkollegen bei einem Gläschen über die Geplagten amüsierte und neue undurchschaubare Lernziele und chaotisch wirkende Beurteilungsbogen entwickelte, einfach aus Freude an der Arbeit. AAA sah zu Tomi, der ausgelaugt aber okay wirkte. Bye bye Karriere in der Cloud. Aber weiter auf dem Weg in eine Zukunft, oder ein Feld weiter in Lager 2. Er nahm sich vor, die Gefallene danach in der Krankenstation zu besuchen, die etwas isoliert lag. Die Pflegerin dort war nett, Carmela, aber niemand war gern krank. Das hiess, mit einem Bein raus zu sein. Opfer des angezählten oder übermütig gewordenen Körpers.

In der in warmem hellen Orange gehaltenen kleinen Krankenstation der Insel war immer etwas los. Als AAA seine Schutzbefohlene, die mittlerweile wieder bei Bewusstsein war, aber aus ihrem Kopf glotzte, als ob sie im falschen Film wäre, auf der fahrbaren Trage dahin begleitete, war erkennbar, dass sich da jemand auf einen grösseren Ansturm an Patienten vorbereitete. Mit Unbehagen dachte AAA an die bevorstehende Sportolympiade, wie sie offiziell hiess. Pflegerin Carmela hatte mehrere Feldbetten aufgestellt und eine Kiste mit Notfallmaterial war offenbar kürzlich von einem Helikopter geliefert worden, sie stand noch wie eine unausgepackte Drohung neben dem Eingang.

Jetzt nahm sie sich der zwei schon am Einstufungstest Gescheiterten an. Sie hatte eine sofort wirksame südliche Liebenswürdigkeit, die mindestens so heilend wirkte wie die Medikamente. Ausserdem war sie für die regelmässigen Impfungen zuständig, welche den neuen Krebs in den pubertierenden Genen in Schach halten sollte. Deshalb hiess sie auch nur die Waxwoman unter den Pubertierenden, von vaccine, dem englischen Wort für Impfungen. Oder vielleicht war der Ursprung des Übernamens auch ein anderer, jedenfalls bei den Jungs, eher in ihren üppigen Kurven begründet. Manche simulierten ein Wehwehchen, um eine Behandlung zu ergattern.

Jetzt fiel AAA ein, dass er auch Karl Harissian oft hier sah, obwohl doch seine Leute selten Anlass hatten, in der Krankenstation sein zu müssen. Einser waren nicht krank. Konnte es sein, dass der schöne Karl, auch ein mediterraner Typ, sich an die süsse Pflegerin Carmela heranmachte, die nur wenige Jahre älter zu sein schien? Aber das konnte täuschen. Dann wiederum erinnerte sich AAA nicht, dass Karl jemals auf die Avancen seiner zahlreichen weiblichen Fans eingegangen wäre. War Karl etwa schwul? Das wäre eine Überraschung für alle, eine negative für seine Karriere. Wenn schon Sex dann bitte mit Fortpflanzungschancen, also hetero, war die klare Devise. Seit den Fortschritten in der Reproduktionsmedizin war das allerdings nichts weiter als eine sehr altmodische Ideologie, soviel wusste AAA.

Als er beim Warten während der Untersuchung weiter sinnierte und sich dabei auf einem der noch leeren Feldbetten ausstreckte, Schuhe schön danebengestellt, den Zorn von Carmela wollte er nicht zu spüren bekommen, die konnte Feuer speien, fand er zwiespältige Eindrücke nicht nur über Karl, sondern auch ihre halbe Frau Doktor hier. Die Kids plapperten sich ihr Leid von der Seele, wenn sie hier waren, vor allem für längere Zeit. Und Carmela hörte geduldig zu. Und wer weiss, wer noch. Hier wurde doch alles ständig beobachtet und beurteilt, und Sprechen im Delirium oder Beichten an die mütterliche Krankenschwester waren eine reine Quelle der Information. Lilith Lua Lagrange hatte stets versucht, sich von hier ferngehalten. Das konnte natürlich auch die normalen Gründe haben, oder weil sie den Geruch von Desinfektionsmitteln nicht mochte, der hier an allem klebte. Nur einmal hatte sie gesagt, jetzt erinnerte er sich: „Es ist gut, dass sie den Körper unserer Flowers heilt. Aber ist es gut, wenn die Teile des Systems einfach wieder funktionsfähig gemacht werden?“ Er hatte damals nicht richtig zugehört und es als Esoterikgesülze abgetan.

Mit ein paar Strafpunkten fürs Habitat wegen Neurodrogenmissbrauchs und einer Verwarnung wurden sie zurückgeschickt. Uma, so hiess das Mädchen, bewegte sich wie ein Zombie. AAA fühlte sich ein bisschen mitschuldig, aber Opfer gab es immer. Der Erfolg der Mehrheit zählte mehr, sorry. Er übergab sie Lilula, kommentarlos.

Erstaunt sah er, dass Anakin offenbar ihrer Theaterbegeisterung Auftritte verschaffte, mehrere H2er hatten sich rudimentäre Kostüme aus Shakespearschen Zeiten gebastelt, Holzschwert, bauschige Röcke, Pluderhosen mit Strümpfen, Hüte mit Federn und probten den Text von Macbeth. Woher hatten die bloss den ganzen Kram? AAA musste losprusten. Wie das aussah, wie das tönte. Dann stand plötzlich er im Scheinwerferlicht, als alle ihn ansahen, Anakin, die ziemlich sicher die gierige Lady Macbeth darstellen sollte und offenbar auch Regie führte, mit unverhohlenem Ärger und enttäuscht. Enttäuscht von was, Mylady? Ich hasse Theater. Macht ruhig ohne mich weiter. Die erste Szene hatte er bereits vermasselt. AAA schämte sich und war erstaunt darüber.

„Entschuldigt, es war so ein Kontrast zur Prüfung heute“ nuschelte er und entfernte sich von der Bühne. Aber er musste das endlich planen, er war der Impresario oder wie das hiess, und er musste wohl oder übel mitspielen.

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