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Gegen unrechtmäßige Indizierungen

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Die mildeste Form der Indizierung erfolgte mit dem Zusatz „donec corrigatur“.40 Im Grunde handelte es sich hierbei jedoch nach Ansicht Reuschs und Haringers ebenfalls um eine Expurgation. Wenig Verständnis bringen der Altkatholik und ebenso der Zensor und Redemptorist für die meisten Gründe auf, die im 16. und 17. Jahrhundert zu einer solchen Zensur geführt hatten und dafür verantwortlich waren, dass zahlreiche Druckschriften noch im ausgehenden 19. Jahrhundert völlig zu Unrecht auf dem Index standen:

1. Autoren kamen manchmal nur deshalb auf den Index, weil sie in ihrem Werk einen Häretiker, also einen Protestanten zitierten oder diesen auf einem bestimmten Wissensgebiet als gelehrt oder besonders ausgewiesen lobten.

2. Gebetbüchlein wurden oft nur deshalb verboten, weil sie nicht approbierte Litaneien enthielten.

3. Zuweilen fand sich ein Buch eines in Rom ansässigen Autors nur deshalb auf dem Index wieder, weil er es ohne „Imprimatur“ des für den Buchdruck in der Heiligen Stadt zuständigen Magister Sacri Palatii irgendwo außerhalb hatte drucken lassen, selbst wenn es inhaltlich vollständig orthodox war.

4. Für eine Indizierung konnte ausreichen, dass der Autor oder Herausgeber „haereticus“ war, auch wenn das Buch nicht das Geringste gegen den katholischen Glauben enthielt.

5. Die im Expurgatorium vorgeschlagene Korrektur bezog sich manchmal nur auf ein paar Worte, die eine Neuauflage eigentlich nicht lohnten.

6. Oft, besonders bei Klassikerausgaben, war der Grund der Indizierung überhaupt nicht ersichtlich.41 Auch das Verbot medizinischer und anatomischer Titel war zum Teil nur schwer nachvollziehbar – zumindest für Haringer.

Gerade an diesem Punkt seines Gutachtens über Reusch macht Haringer deutlich, wie wenig er als Indexkonsultor des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit den ursprünglichen Intentionen der römischen Zensur anfangen konnte. Die Inquisition und die Indexkongregation waren im Zuge der Gegenreformation 1542 beziehungsweise 1571 als Instrumente einer weitausgreifenden Medienpolitik gegründet worden, als man in Rom – sehr, sehr spät – die Bedeutung der Erfindung des Buchdrucks für die Reformation und die damit gegebene fast unbeschränkte Möglichkeit der Verbreitung von Ideen erkannt hatte. Das Wissensmonopol der Kirche war in Gefahr geraten, die Heilige Schrift als „norma normans non normata“, also als normierende, nicht normierte Norm, bezeugte sich selbst und war jedermann in der Volkssprache zugänglich, der heilige Hermeneut und das kirchliche Lehramt drohten überflüssig zu werden, säkulare Bereiche des Wissens, namentlich die Naturwissenschaften, emanzipierten sich vom Deutungsmonopol des Glaubens, die kirchlich dominierte Wissenskultur zerfiel in einzelne Sektoren. Dem Heiligen Offizium und der Indexkongregation ging es ausdrücklich nicht nur um Theologie und Philosophie, vielmehr stand eine Totalkontrolle des Wissens und des Buchmarktes als seines Hauptmediums auf der Agenda.42

Diesen umfassenden Anspruch konnte Haringer nicht mehr nachvollziehen. Für ihn sind Index und Inquisition für Glaubensfragen zuständig. Und nach einem solchen Vorverständnis müsste das kirchliche Lehramt sich somit faktisch aus den profanen Wissensbereichen zurückziehen, das katholische Wissensmonopol wäre aufgegeben. Die Totalkontrolle des Buchmarktes erwies sich ohnehin als Illusion. In seinem Votum für Saccheri verdeutlicht Haringer diese im Grunde revolutionäre Ansicht: „Die Grundausrichtung der Zensur ist heutzutage wesentlich milder; zahlreiche indizierte Bücher weltlichen Inhalts würden heute wohl nicht mehr verboten werden.“

Für Haringer hat sich die römische Buchzensur auf das Wesentliche (den Bereich des Glaubens und der Sitten) zu konzentrieren, und der Index selbst muss hier Anschluss an moderne (auch bibliographische) Standards erhalten, weshalb eine grundlegende Reform unumgänglich erscheint. Immer wieder kommt der Redemptorist in seinem Gutachten auf diese Fragen zurück. Bücher von mittelalterlichen Autoren vor Erfindung des Buchdrucks existierten ohnehin nur in wenigen handschriftlichen Abschriften. Im Falle einer Indizierung wurden diese meist Opfer des Feuers, so dass sich kein Exemplar erhalten hat. Warum soll ein nicht mehr existierendes Buch weiter auf dem Index stehen? – so fragt Haringer.

Ganz anders sah es – das gesteht Haringer im Anschluss an Reusch durchaus zu – nach Erfindung des Buchdrucks aus. Hier waren umfassendere Maßnahmen notwendig. Aber für die übertriebene Strenge Pauls IV. bringt er kein Verständnis auf. Was sollen Bücher von Protestanten, die nichts zum Thema Glauben enthalten, oder Werke katholischer Autoren, deren einziger Mangel es ist, unter evangelischem Patronat gedruckt oder einem Protestanten dediziert worden zu sein, auf dem Index? Auch ein „protestantischer“ Erscheinungsort wie Straßburg, Augsburg, Basel, Frankfurt am Main, Genf, Hagenau, Leipzig, Marburg, Nürnberg, Halle, Tübingen oder Wittenberg – um nur die wichtigeren deutschen Orte zu nennen – reicht nach seiner Ansicht für die Damnatio eines Werkes und einen Verbleib auf dem Index nicht aus.

Für noch problematischer hält Haringer die Anordnung Pauls IV., alle Bücher aus der Officina von einundsechzig Druckern und die Drucker selbst, auch wenn sie nur einmal ein Werk eines protestantischen Autors hergestellt hatten, auf den Index zu setzen. Bis heute seien trotz aller Reformen siebzehn davon stehen geblieben, wie Haringer empört notiert.43 Ebenso inakzeptabel ist für den Konsultor die Tatsache, dass Namen, die etwa im Briefwechsel zwischen Oecolampad und Zwingli lediglich erwähnt sind, einfach aufgrund dieser Tatsache auf den Index Pauls IV. kamen – Namen, von denen Reusch lakonisch schreibt, was Haringer zustimmend zitiert, „die mir wenigstens nur aus dem Briefwechsel bekannt sind“.44 Auch die „Ausbeutung“ von Cochläus und die Indizierung zahlreicher von ihm als Gegner Tetzels namhaft gemachter Persönlichkeiten kann Haringer genauso wenig verstehen wie sein Gewährsmann, der Apostat Reusch.45

Der Index der verbotenen Bücher. Bd.1

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