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Verallgemeinere ich nun meine obige Äußerung und sage »Geld zu stehlen ist nicht richtig«, dann bringe ich einen Satz hervor, der keine faktische Bedeutung hat, das heißt, der nichts aussagt, das entweder wahr oder falsch sein kann.

(A. J. Ayer Sprache, Wahrheit und Logik, S. 141. Erstveröffentlichung des engl. Originals 1936)

Sir Alfred Jules »Freddie« Ayer (1910–89), besser bekannt als A. J. Ayer, hat mit dafür gesorgt, dass die bei den englischen Philosophen des 20. Jahrhunderts so beliebten Doppel- oder gar Tripel-Initialen populär wurden. War er doch einer der großen philosophischen Namen jenes Jahrhunderts. Ausgebildet in Eton und Oxford, stellte Ayer sich in die analytische Tradition von Bertrand Russell und G. E. Moore (1873–1958) und war wie alle vernünftigen Philosophen ein Anhänger Humes.

Ayers philosophische Schriften sind von einer Klarheit und Präzision, die in der englischen Literatur ihresgleichen suchen; sein bekanntestes Werk ist Sprache, Wahrheit und Logik, durch das er die englischsprachige Welt mit dem logischen Positivismus bekanntmachte.

Der logische Positivismus ist das geistige Kind einer Gruppe von Philosophen, die in den Jahren zwischen den beiden Weltkriegen regelmäßig in Wien zusammenkam. Die logischen Positivisten, die diesem heute berühmten Wiener Kreis angehörten, waren ebenfalls Anhänger David Humes. Sie hatten sich die Weiterentwicklung seiner Ideen auf die Fahnen geschrieben mit der Absicht, in der Philosophie aufzuräumen und sie für die Methoden und Prinzipien der modernen Wissenschaft anschlussfähig zu machen.

Während eines Wien-Aufenthalts nach seiner Promotion führte sich Ayer 1932 selbst in den Kreis ein. Dort erkannte man seine Brillanz und sicher auch, dass dieser frühreife junge Mann von erst Anfang zwanzig über brillante gesellschaftliche Verbindungen verfügte. Und so nahm man ihn auf. Da er bereits eine |36|entsprechende geistige Vorprägung mitbrachte, brauchte es nicht viel, um ihn für den logischen Positivismus zu gewinnen, und nur ein paar Jahre später verfasste er als Fünfundzwanzigjähriger Sprache, Wahrheit und Logik.

Humes Empirismus umfasst in seinem Kern ein Prinzip, für das die Bezeichnung Humes Gabel [Hume’s fork] gebräuchlich wurde und das auch in Zitat 15 umrissen ist. Hume zufolge ist eine Äußerung oder Aussage bedeutungsloser Unsinn, wenn es keine Möglichkeit gibt nachzuweisen, dass sie zutrifft, also wahr ist, oder nicht zutrifft und also falsch ist – und es gibt bloß zwei Möglichkeiten, wie sich das Wahr- oder Falschsein einer Aussage nachweisen oder verifizieren lässt. Logik ist die eine, empirische Evidenz die andere. Humes Gabel ist eine ausgesprochen zweizinkige Angelegenheit.

Eine Aussage wie »Ein Vater ist ein männliches Elternteil« ist logisch wahr. Denn das Wort »Vater« bedeutet »männliches Elternteil«. Hume bezeichnete solche Aussagen als Aussagen über Beziehungen von Begriffen, heute heißen sie analytische Sätze. Eine Aussage wie »Der Himmel ist blau« ist auf der Grundlage der Evidenz der Sinne wahr oder nicht wahr. Hume bezeichnete solche Aussagen als Aussagen über Tatsachen, heute nennt man sie synthetische Sätze. Nach Hume lassen sich metaphysische Aussagen über ein höchstes Wesen oder über den Sinnen für immer verschlossene Welten und dergleichen weder logisch noch durch Beobachtung verifizieren, und daher sind sie unter keinen Umständen wahr oder falsch, sondern haben schlichtweg keinen Sinn.

Die beiden scharfen Zinken der humeschen Gabel bestechen die logischen Positivisten am meisten. Kernbestandteil ihrer Philosophie ist das Verifikationsprinzip.Worum es sich dabei handelt, geht aus den obigen Erläuterungen bereits mehr oder weniger hervor. Kurz gefasst lautet das Prinzip: »Alle Aussagen sind wahr, falsch oder unsinnig.« Eine längere Fassung könnte so lauten: »Aussagen, die sich nicht durch reine Logik als Tautologien oder Kontradiktionen verifizieren lassen oder nicht durch empirische Evidenz als wahr oder falsch verifiziert werden können, sind unverifizierbar und damit unsinnig.«

|37|Logische Positivisten erkennen an, dass es eine Menge synthetischer Sätze gibt, deren Wahr- oder Falschsein – deren Wahrheitswert – noch nicht bestimmt worden ist. Zum Beispiel, »Auf dem Mars gab es einmal Leben«. Sie lassen solche Aussagen als sinnvolle gelten, sofern diese prinzipiell verifizierbar sind; das heißt, sofern es empirisch möglich ist, ihren Wahrheitswert zu bestimmen, auch wenn das noch niemand unternommen hat.

Anhand des Verifikationsprinzips wollten die logischen Positivisten die Philosophie wieder auf Vordermann bringen, ja sie gedachten sogar, das ganze menschliche Denken mit ihm zu bereinigen. Logik und Mathematik sollten weiterhin die eine Seite oder Zinke bilden, die empirische Wissenschaft die andere. Das ganze übrige Denken, das weder reine Logik noch reine Wissenschaft war, wie Metaphysik, Ethik und Ästhetik, sei als Unsinn einzustufen und entsprechend zu verwerfen. Diese alten Diskursbereiche hätten keine große Zukunft mehr zu erwarten. Im besten Fall dürften sie mit der Dichtung auf eine Stufe gestellt oder als gesammelte Äußerungen, Imperative und Bekundungen behandelt werden, in denen Gefühle, Emotionen, Hoffnungen und Erwartungen zum Ausdruck kommen – aber nicht als sinnvolle Aussagen, die Tatsachen anführen und nachweisbar Falsches behaupten.

Kommen wir zuletzt konkret auf unser Eingangszitat zu sprechen. Ayer redet hier sicher nicht der allgemeinen Selbstbedienung im örtlichen Supermarkt das Wort, sondern er trifft eine wichtige Feststellung über den epistemologischen Status von moralischen Aussagen wie »Geld zu stehlen ist nicht richtig.« Weil diese Aussage weder analytisch noch synthetisch ist, kann sie nur unsinnig sein, wie letztlich jede moralische Aussage bzw. der moralische Diskurs insgesamt nur unsinnig sein kann. Dieser von Ayer und anderen vertretenen Auffassung nach drücken Sätze der Moral keine Tatsachen aus und könnten dies auch gar nicht, und zwar aus dem einfachen Grund, dass es moralische Tatsachen nicht gibt.

In der Moralphilosophie ist diese Sicht als moralischer Subjektivismus oder Nonkognitivismus bekannt. Diesem gegenüber geht der moralische Objektivismus oder Kognitivismus von der Existenz |38|moralischer Tatsachen aus, deren Erkenntnis möglich ist (siehe Zitat 39, Warnock). Für die Vertreter des moralischen Subjektivismus, wie Ayer, sind moralische Behauptungen, die offenbar Anspruch auf eine tieferliegende moralische Wahrheit und prinzipielle moralische Geltung erheben, wie etwa »Wohltätigkeit ist gut« oder »Mord ist nicht richtig«, in Wirklichkeit lediglich Gefühlsäußerungen, emotional getönte Zustimmungs- oder Ablehnungsbekundungen. Bei Ayer heißt es im Anschluss an die zitierte Stelle weiter: »Das ist so, als ob ich ›Geld zu stehlen!!‹ geschrieben hätte – wobei die Ausrufezeichen, einer zweckmäßigen Konvention entsprechend, durch ihre Gestalt und Stärke anzeigen, dass hier eine konkret empfundene moralische Ablehnung ausgedrückt wird« (Sprache, Wahrheit und Logik, S. 142).

Ein Zweig des moralischen Subjektivismus ist der Emotivismus. Emotivisten argumentieren beispielsweise, dass sich der Streit in der Abtreibungsfrage, bei aller realen Abneigung, die jede der beiden Seiten für die andere empfinde, nicht durch moralische Argumente lösen lasse: weil es hierbei keine moralischen Tatsachen gebe, die sich entdecken oder herausfinden ließen und auf deren Grundlage man jemals schließen könnte, dass eine Seite Unrecht hat und die andere Recht.

Die Gegner der Abtreibung würden nun einmal so, ihre Befürworter eben anders empfinden. Emotivisten sehen in dem Satz »Abtreibung ist nicht richtig« lediglich eine artikuliertere Form des Buh-Rufens, während für sie der Satz »Abtreibung ist akzeptabel« nicht mehr als eine artikuliertere Form des Hurra-Rufens darstellt. Kein Wunder also, dass dem Emotivismus der alberne, aber doch ganz passende Spitzname »Buh-Hurra-Theorie der Ethik« verpasst wurde.

Einige ziemlich beschränkte, reaktionäre Leute haben behauptet, es sei unmoralisch, so wie Ayer zu behaupten, dass die Moral jeder faktischen Grundlage entbehre. Denn damit würde den Menschen ein Freibrief ausgestellt, zu tun und zu lassen, was sie wollen. Es mag zwar durchaus sein, dass sich manche Menschen von der Behauptung, die Moral entbehre jeder faktischen Grundlage, zu einem Handeln frei von moralischen Rücksichten |39|ermutigt fühlen. Doch wenn man es Philosophen, für die die Moral jeder faktischen Grundlage entbehrt, zur moralischen Pflicht machen will zu behaupten, dass sie eine faktische Grundlage habe, dann ist das philosophisch gesehen zum Vergessen.

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