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Der wankende Riese – Seemacht Byzanz

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Seit Gründung in der Spätantike um 330 von Konstantin I. („der Große“, * um 280, †337) als „Costantinopolis“ und „Nova Roma“ und der Reichstrennung in Ost- und Westrom (395) nach dem Tod des Kaisers Theodosios I. wurde im Byzantinischen Reich Großmachtpolitik betrieben, nach dem Untergang des Römischen Reichs übernahm Byzanz die Führung im Mittelmeer und entwickelte sich zu einer typischen Seemacht, die in den 900 Jahren ihres Bestehens über größere Zeiträume die beherrschende Kraft im Mittelmeer wurde. Solange Byzanz Großmacht war, war es auch Seemacht. Wenn seine Geschwader das Mittelmeer nicht beherrschten, so waren sie denen des Kalifats zumindest ein ebenbürtiger Gegner. Im Goldenen Horn lag die stärkste stehende Schlachtflotte der Zeit. In Sizilien, in der Ägäis und an der anatolischen Südküste waren schlagkräftige Provinzgeschwader stationiert, Flotte und Heer waren für schnelle und weiträumige Bewegungen geschaffen. Sie waren wichtiges Mittel byzantinischer Außenpolitik und entsprachen in ihrer Weiträumigkeit und Beweglichkeit den Grundsätzen oströmischer Politik.41

Unter Justinian I. (* 482 – † 565), dessen Regierungsziel die Erweiterung des Reichs und die Verbreitung des wahren Glaubens war, erfuhr das Herrschaftsgebiet seine weiteste Ausdehnung. Von den Feldherren Belisar und Narses wurde 534 der Vandalenstaat, der seit der berühmten Überfahrt des Stamms (429) von Spanien nach Nordafrika mit 80 000 Menschen und dem ganzen Tross unter ihrem Führer Geiserich als Königreich errichtet worden war, vernichtet und verschwand für immer aus der Geschichte. Ebenso geschlagen wurden die Ostgoten, die in Italien unter ihrem König Theoderich einen Staat errichtet hatten; entscheidenden Einfluss auf den Verlauf des Krieges hatte die Seeschlacht bei Sena Gallica vor Ancona in der Adria im Jahr 551. Die byzantinische Flotte unter Arrabanes besiegte mit 50 Dromonen die ostgotische Flotte, die völlig zerstreut wurde – die Neulinge zur See waren der erfahrenen oströmischen Seemacht klar unterlegen. 536 fiel Rom, 540 die Hauptstadt Ravenna, der endgültige Sieg wurde 552 erreicht. Die Herrschaft der Westgoten wurde durch die Besetzung Südspaniens 552 beendet – das Mittelmeer war damit zum zweiten Mal das Binnenmeer des Imperiums.42

Ausdruck und wichtiges Mittel der byzantinischen Großmachtpolitik war neben dem Heer die Flotte, erst durch die schlagkräftige und jederzeit einsatzfähige Flotte wurde das Reich zur Weltmacht. Durch die Reichsflotte, die in großen Zeiträumen höchsten rüstungstechnischen Standard repräsentierte und allen anderen Seemächten mindestens ebenbürtig war, blieb die Einheit des Mittelmeerraums als Operationsfeld oströmischer Politik erhalten.43 Verlor Ostrom die Dominanz auf See, geriet immer das Reich in größere Gefahr; dessen waren sich die byzantinischen Kaiser allzeit bewusst und widmeten der Flottenpolitik ihre meiste Aufmerksamkeit.

Etwa seit 700 begann sich die Flottenorganisation herauszubilden und gliederte sich in zwei große Abteilungen: die kaiserliche Zentralflotte unter unmittelbarer Aufsicht des Kaisers und die Flotte der Themen, das waren die provinzialen byzantinischen Militär- und Zivilverwaltungen. Die Zentralflotte sicherte die Hauptstadt und den kaiserlichen Hof und war zugleich das Rückgrat und der Kern der großen militärischen Seehandlungen, sie stand unter dem unmittelbaren Befehl des Großadmirals, der zeitweise in Friedenszeiten die Funktion eines Marineministers einnahm. Neben dieser zentralen strategischen Flotte spielten die aus eigener Kraft unterhaltenen selbständig operierenden Geschwader in den Außenprovinzen eine wichtige Rolle im Marinekonzept des byzantinischen Staates. Durch die Kräfteteilung war eine ständige Flottenpräsenz im mittleren und östlichen Mittelmeer möglich, um damit die Seeoffensiven des Kalifats und der muslimischen Piraten zu parieren. Über große Zeiträume besaß Byzanz ein maritimes Machtmonopol gegenüber den christlichen westeuropäischen Staaten, so dass der Papst sowie karolingische, langobardische und burgundische Herrscher immer wieder auf die oströmische Flottenhilfe gegen muslimische Einfälle und Bedrohungen durch Piraterie angewiesen waren.44

Die maritimen Provinzen wurden unter Kaiser Leon III. (Kaiser * 717 – † 741) weitgehend verselbstständigt und hatten, je nach ihrer Bedeutung und den militärischen Aufgaben, unterschiedliche Stärke und Kampfkraft. 717/718 reorganisierte der Kaiser die Marine durch die Schaffung zweier neuer Kontingente: Eines der wichtigsten dieser Themen war das der Kibyrrhaioten, das die ganze südöstliche Küstenregion Kleinasiens umfasste und an den Kreuzungswegen der Handelsrouten aus der Ägäis und der Levante, sowie als Barriere gegen das seit 827 von den Sarazenen besetzte Kreta enorme strategische Bedeutung hatte. Gerade im 9. und 10. Jahrhundert mussten sich sowohl die Land- als auch die Seestreitkräfte ständig ägyptischer, kilikischer und syrischer Angriffe, vor allem aber der kretisch-muslimischen Flotten erwehren, zum Schutz der Grenzen in Kleinasien war das Zusammenspiel der Flottenkommandos mit den Befehlshabern der Grenztruppen von lebenswichtiger Bedeutung. Das zweite vom Kaiser geschaffene Geschwader von großer Kampfkraft war das Thema der Ägäis, das Thema von Samos verfügte auf dem gegenüberliegenden Festland sogar über eigene Werften. Eine besondere Flottenabteilung war das kaiserliche Leibgeschwader, das einerseits für die Vergnügungen und Reisen des Kaisers zur Verfügung stand, andererseits auch als Elitetruppe eingesetzt wurde. Es bestand aus zwei großen Dromonen, die besonders hochgerüstet und größtenteils mit Warägern bemannt waren, denen die Sicherheit des Kaisers anvertraut war.45


Die wichtigsten Themen der byzantinischen Flotte (modifiziert nach Eickhoff)

In der äußerst wechselvollen Geschichte des Byzantinischen Reichs spielte die Flotte immer eine wesentliche Rolle. Wurden durch innere Unruhen, Religionsstreite, dynastische Kämpfe, andauernde kriegerische Auseinandersetzungen zu Lande, wie z. B. mit den persischen Sassaniden oder den Bulgaren, oder auch durch die justinianische Pest (541–544) die maritimen Belange vernachlässigt, geriet sofort die Seeherrschaft in Gefahr und das Reich kam in Bedrängnis. Mit Einsetzen der arabischen Expansion Anfang des 7. Jahrhunderts verlor das Reich fast zwei Drittel seines Territoriums, konnte allerdings, anders als das Perserreich, das vollkommen aufgerieben wurde, die vollständige Eroberung verhindern. Obwohl die ersten Angriffe der neuen sarazenischen Seemacht zunächst erfolgreich abgewehrt werden konnten, ging nach der „Seeschlacht der Masten“ 655 die Seeherrschaft verloren. Sein Überleben vor der gewaltigen Übermacht der Araber verdankte Byzanz allerdings seiner Flotte: Die byzantinische Reichsmarine rettete mit letzter Kraft 678 und 717/718 Konstantinopel vor der mit einer überlegenen Flottenmacht antretenden arabischen Invasion. Dabei verdankte sie ihren überraschenden und vollständigen Sieg einer neuen Waffe – dem „griechischen Feuer“. Die Verwendung der neuen Wunderwaffe in einem Augenblick, als das Reich in höchster Bedrohung stand, gehört zu den unwägbaren Überraschungen in der Weltgeschichte, markierte einen Wendepunkt der muslimischen Expansion und zerstörte für immer den Ruhm der Unbesiegbarkeit arabischer Seemacht.

Seit 672 waren die arabischen Flotten in zahlreichen Seegefechten immer weiter durch die griechische Inselwelt auf Konstantinopel vorgerückt, hatten einen byzantinischen Stützpunkt nach dem anderen erobert und den Ring um die Hauptstadt immer enger gezogen; sie waren auf weniger als fünfzig Seemeilen an die byzantinische Metropole herangerückt. In der Zwischenzeit wurde in der Hauptstadt fieberhaft an der militärischen Planung gearbeitet, um die anrennende Flut zum Stehen zu bringen: Kallinikos, ein Architekt und Erfinder aus Heliopolis in Syrien, hatte den Kaiser Konstantin IV. Pogonátos eine Möglichkeit eröffnet, wie man das im Prinzip schon seit langem in den Grundzügen bekannte brennbare Gemisch verbessern und auf den Gegner schleudern konnte.46 Er konstruierte eine Art Siphon, nicht unähnlich den bis zu ihrem Verbot durch eine UN-Konvention 1980 (!) noch in Gebrauch befindlichen Flammenwerfern, das brennbare Gemisch bestand wahrscheinlich aus Petroleum oder Naphtha, Salpeter, Schwefel und Harz. Es handelt sich hier um eines der bestgehütetsten Staatsgeheimnisse der Geschichte – die genaue Zusammensetzung ist bis heute nicht bekannt, so dass auch moderne Historiker weitgehend auf Vermutungen angewiesen sind.47 Durch diese bahnbrechende Neuerung der Seekriegstechnik und der später (959) erfolgten Entwicklungen der Großdromone, des ersten großen Schlachtschiffs der Geschichte, waren wieder offensive Handlungen zur See möglich geworden.


Die Anwendung des griechischen Feuers (Miniatur aus dem 14. Jahrhundert). Das Gemisch hatte die Eigenschaft, auf dem Wasser zu brennen und war mit Wasser nicht zu löschen

Die vernichtende Niederlage der arabischen Seestreitkräfte 678 vor Konstantinopel sicherte das byzantinische Kerngebiet und die Vorherrschaft auf See konnte für die nächsten Jahrzehnte wiederhergestellt werden. Allerdings waren die folgenden Jahrhunderte geprägt von ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen des Imperiums mit dem Islam und dem Verlust großer Teile des Reichs – ganz Nordafrika, Sizilien, Süditalien, die Iberische Halbinsel und die Levante wurden muslimisch. In ständigen Seekriegen mit dem Kalifat musste das Reich nach erbitterten Kämpfen Sizilien aufgeben (827–902), indessen konnte durch die kombinierten Seeoperationen zwischen Zentralflotte und den maritimen Themen die Seeherrschaft im ägäischen, adriatischen und ionischen Meer sowie in der nördlichen Levante und gegen die Russen im Schwarzen Meer behauptet werden. In kombinierten See- und Landoperationen wurden Kalabrien (885/886), Kreta (959) und der Ostteil Siziliens (1038) zurückerobert werden. Erst die aufstrebenden italienischen Seerepubliken beendeten im 11. und 12. Jahrhundert die zurückgewonnene Dominanz in diesen Gewässern.48

Am Vorabend der Kreuzzüge drangen die Seldschuken nach Kleinasien vor und brachten Byzanz am 19. August 1071 in der Schlacht von Mantzikert eine schwere Niederlage bei, die zum Verlust von fast ganz Kleinasien führte. Durch die gravierenden territorialen Verluste fehlten Soldaten, es mussten also in zunehmendem Maße mit hohem finanziellen Aufwand Söldner angeworben werden, fehlende Steuereinnahmen brachten das Reich zusätzlich in schwierige wirtschaftliche Nöte – die Flotte, eine der wichtigsten Säulen oströmischer Außen- und Machtpolitik, verkam bis zur Bedeutungslosigkeit. Gleichzeitig sahen sich die Rhomäer heftigen Angriffen der unteritalienischen Normannen ausgesetzt, die mit der Eroberung von Bari 1071 die letzte in byzantinischem Besitz befindliche Stadt in Italien eroberten. Daneben wurden die Balkanprovinzen von unentwegten nomadischen Einfällen erschüttert – das Reich schien kurz vor seinem Ende zu stehen.49 Als in dieser Situation mit Alexios I. (Kaiser 1081–1118) die Komnenen den Kaiserthron bestiegen, begann der Wiederaufstieg Ostroms, wobei allerdings weder die politische Macht noch der Wohlstand vergangener Zeiten erreicht wurde. Immerhin konnte aber den Kreuzfahrern des ersten Kreuzzuges bei den Vereinbarungen über die eroberten Gebiete die kaiserliche Macht sehr selbstbewusst demonstriert werden.

Die lange Geschichte der oströmischen Seemacht brachte es mit sich, dass die byzantinischen Seeleute in Bezug auf ihre Seemannschaft und die Beherrschung ihrer Schiffe allen anderen überlegen waren. Thiess hatte dies folgendermaßen formuliert:50

„Denn Seefahren hieß damals wie heute nicht nur die Beherrschung von Wind und Wetter, es hieß die nur in Jahrzehnten zu lernende Entwicklung eines Sinnes für die Gesetze des Meers, es hieß richtiges Reagieren auf den Umschlag von Stille in Sturm, es hieß eine bis zur Automation eingelernte Sicherheit in der Führung jener großen Kriegsfahrzeuge und im Falle des Zusammenstoßes mit dem Gegner ein präzises Manövrieren mit der Genauigkeit eines anspringenden Tieres. In dieser Kunst waren die Griechen Meister. Ihre Fähigkeit in der Navigation, ihre Kenntnis der Wasser des Mittelmeers, ihre meteorologische Erfahrung beruhte auf einer jahrhundertealten Schulung.“

Dem Seemann wurde ein Schatz mündlicher und schriftlicher Überlieferungen von meteorologischen und geografischen Daten und Beobachtungen überliefert. Diese Streckenbeschreibungen, „periploi“ genannt, zählten die Marschentfernungen von Station zu Station auf dem Landwege bzw. von Hafen zu Hafen auf den Seerouten. Sie waren sicher auch auf schriftlichen Aufzeichnungen, also Karten verzeichnet, diese zeigten aber keine auch annähernd maßstabgetreue Wiedergabe.

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