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6. Jede Zeit malte ihr Bild von Jesus1

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Dan Browns Roman »Sakrileg« handelt von der Aufdeckung der größten Verschleierungsaktion in der Geschichte. Objekt der Verschwörung ist Jesus, Täterin die katholische Kirche. Sie unterdrückte Dokumente über ihn und seine Familie, aus denen unter anderem hervorgeht, dass er mit seiner Gemahlin Maria Magdalena eine Tochter gezeugt hat.

Mit anderen Worten: Die Figuren im Roman enthüllen allerlei Geheimnisse über Jesus und die frühe Kirche, die, vom Standpunkt der seriösen historischen und theologischen Forschung aus geurteilt, unter die Rubrik »lächerliche Absurditäten« fallen. Dazu gehört, um nur drei weitere Beispiele zu nennen, dass Jesus eine Chronik seines Lebens verfasst haben könnte und Maria Magdalena ein Tagebuch, dass im vierten Jahrhundert Kaiser Konstantin die Evangelien des Neuen Testaments aus mehr als 80 anderen ausgewählt hat und dass sich Jesu Nachkommen im fünften Jahrhundert durch Heirat mit einem französischen Königsgeschlecht vereinten, woraus die Dynastie der Merowinger hervorging.

Diese krude, aber unterhaltsame Geschichte war auch in deutschen Kinos mitzuerleben. Eine hochkarätige Besetzung – mit Tom Hanks in der Titelrolle des Harvard-Professors Robert Langdon, der eher widerstrebend der Wahrheit über Jesus auf die Spur kommt – ließ die Kassen klingeln.

Inzwischen bemühen sich vielerorts Theologen beider großer Kirchen um Schadensbegrenzung und rüsten die Gläubigen gegen die »Verbiegung der biblischen Botschaft«, gegen die »dreiste Erfindung« oder gar gegen den »großen Betrug«, dessen Dan Brown schuldig sei. Dabei kann es nur befremden, dass diese orthodoxen Glaubensrichter die von Brown verfasste fiktive Geschichte – deren Helden freilich viel dummes Zeug erzählen – offenbar nicht von einem betrügerischen oder schlecht recherchierten Sachbuch unterscheiden können. Noch bedenklicher aber ist, dass die christlichen Lehrer, die ihn der Irreführung oder gar des Betrugs zeihen, selbst aus dem Glashaus mit Steinen werfen. Brown erhebt als Autor (zu Recht oder zu Unrecht) lediglich den Anspruch, dass sämtliche in seinem Roman erwähnten Kunst- und Architekturwerke tatsächlich existieren und dass alle Dokumente wahrheitsgetreu wiedergegeben werden, behauptet aber nirgends, dass die Enthüllungen der von ihm erdachten Personen sich auf historisch zuverlässige Fakten beziehen. Wenn rechtgläubige Theologen Brown gleichwohl vorwerfen, historische Ungereimtheiten und Fehler zu verbreiten, sollten sie sich daran erinnern, dass man diesen Vorwurf mit mehr Recht gegen die neutestamentlichen Evangelien erheben kann. Denn deren Verfasser beanspruchen, anders als Brown, durchaus, ein authentisches Jesusbild zu zeichnen.

250 Jahre kritische Bibelwissenschaft haben gezeigt: Die Entwicklung, den Menschen Jesus, seine Worte und Taten zu verfälschen und zu übermalen, begann schon im ältesten Christentum und befindet sich im Neuen Testament bereits in einem fortgeschrittenen Stadium. Die darin enthaltenen Jesustraditionen stehen größtenteils in einem schreienden Gegensatz zu dem, was Jesus wirklich sagte und tat. Historisch geurteilt, haben die frühen Christen sich Jesus so zurechtgemacht, wie er ihren Wünschen und Interessen entsprach und wie er ihnen im Kampf gegen Abweichler und Andersgläubige am nützlichsten zu sein schien. Der charismatische Exorzist Jesus wurde so zum Vollbringer von geradezu monströsen Wundertaten, der jüdische Gleichniserzähler zum missgünstigen Antisemiten, der unstetig umherziehende Wanderprediger zum Weltenherrscher, der einst über Tote und Lebende Gericht halten wird.

Den Kirchenfunktionären, die sich im Fall Dan Brown zu Wort melden, sind diese sicheren Resultate der Forschung keineswegs unbekannt. Dennoch maßregeln sie diejenigen, die daraus in den Kirchen und an den Theologischen Fakultäten die Konsequenzen ziehen, unerbittlich und nehmen in ihrem Übereifer nun sogar die Protagonisten eines Romans und deren absurde Schlussfolgerungen unter Beschuss. Hingegen haben nichtchristliche Juden die ebenso fromme wie skrupellose Verfälschung der Worte und Taten Jesu durch die neutestamentlichen Autoren und ihre Gewährsleute von Anfang an »Betrug« genannt. Sie stellten damit eine weitreichende These auf, die Teil des öffentlichen Gesprächs über Dan Browns Buch und seine Verfilmung werden sollte.

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