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Mk 9,1-13: Jesu Verklärung und Gespräch beim Abstieg vom Berg

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(1) Und er sagte ihnen: »Amen, ich sage euch, es stehen einige hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie das Reich Gottes in Kraft gekommen sehen.«

(2) Und nach sechs Tagen nahm Jesus Petrus und Jakobus und Johannes und führt sie allein beiseite hinauf auf einen hohen Berg. Und er wurde vor ihnen verwandelt. (3) Und seine Kleider wurden ganz glänzend weiß, wie sie kein Walker auf der Erde so weißen kann.

(4) Und ihnen erschien Elia mit Mose, und sie führten ein Gespräch mit Jesus.

(5) Und Petrus antwortete und sagt zu Jesus: »Rabbi, gut ist es für uns, hier zu sein. Und wir wollen drei Hütten bauen, dir eine und Mose eine und Elia eine.« (6) Denn er wußte nicht, was er antwortete, sie waren nämlich von Furcht ergriffen. (7) Und es entstand eine Wolke, die sie überschattete. Und eine Stimme geschah aus der Wolke: »Dieser ist mein geliebter Sohn, hört auf ihn!« (8) Und plötzlich, als sie um sich blickten, sahen sie niemanden mehr außer Jesus allein bei ihnen.

(9) Und als sie vom Berg herabstiegen, befahl er ihnen, daß sie niemandem von dem, was sie gesehen hatten, erzählten, außer wenn der Menschensohn von den Toten auferstanden sei. (10) Und sie griffen das Wort auf und stritten untereinander, was es sei, von den Toten aufzuerstehen. (11) Und sie fragten ihn und sprachen: »Warum sagen die Schriftgelehrten, Elia müsse zuerst kommen?«

(12) Er aber sagte ihnen: »Kommt Elia zuerst, um alles wieder herzustellen? Wieso steht dann geschrieben über den Menschensohn, daß er vieles leiden und verachtet werden wird? (13) Aber ich sage euch: Elia ist gekommen, und sie taten ihm, was sie wollten, wie über ihn geschrieben steht.«

Redaktion

V. 1: Mk kann den überlieferten Satz hier übernehmen, da er selbst, wie 13,30 zeigt, eine zeitlich bestimmte Naherwartung besaß.

Gleichwohl interpretiert die anschließend erzählte Geschichte den traditionellen V. 1. Sie steht, indem sie Jesu Herrlichkeit zeigt, in Kontrast zu 8,27-38, wo das Leiden Jesu und der Jünger behandelt wurde. Gleichzeitig ist die Perikope die göttliche Bestätigung des Petrusbekenntnisses, wenn es recht verstanden wird: Jesus ist der Christus und Menschensohn, muß aber zuvor leiden.

Die Erzählung V. 2-8 ist im Kontext fest verankert. Folgende Motive in der Geschichte sind nämlich bereits aus dem Vorhergehenden bekannt:

V. 2: Bergmotiv (vgl. 3,13; 6,46); die drei Jünger Petrus, Jakobus, Johannes (vgl. 1,16-20; 3,16f; 5,37 – im Anschluß an die Perikope: 13,3; 14,33).

V. 4: Elia (vgl. 8,28 und 9,11).

V. 5: Petrus als Sprecher der Jünger (vgl. unmittelbar vorher 8,29).

V. 6: Zum Unverständnis der Jünger vgl. 4,13; 8,14-21 und im unmittelbaren Kontext 9,10. Zur Formulierung vgl. später 14,40b.

V. 7: Die Proklamation Jesu als Sohn Gottes nimmt 1,11 auf und weist auf 15,39 voraus. (Man vgl. dazu weiter 3,11; 5,7.)

V. 9-13 bestehen aus zwei Szenen:

a) V. 9-10: Hier erscheint der »Menschensohn«, der in der Verklärungsgeschichte nicht vorkam. Das Wort nimmt denselben Ausdruck aus 8,31 auf. V. 9 enthält einen Schweigebefehl an die Jünger, den sie aber mit Unverständnis (V. 10) quittieren. Dieses Schweigegebot ist wegen seiner ausdrücklichen zeitlichen Befristung singulär. Es besagt: Eine Verkündigung dessen, was Jesus wirklich ist, wird erst nach Ostern möglich sein. Diese hermeneutische Richtschnur gilt in gleicher Weise für sämtliche anderen Schweigegebote, und auch in allen drei Leidens- und Auferstehungsvoraussagen (8,31; 9,31; 10,32-34) wird klar, daß das Geheimnis Jesu erst nach seiner Auferstehung gelüftet werden wird.

b) V. 11-13 enthalten eine schriftgelehrte Zuordnung von Elia (äußerer Anlaß ist V. 4) zum Menschensohn. Der Hinweis auf das Leiden des Menschensohnes (V. 12) greift auf 8,31 zurück. Mk sieht in Johannes dem Täufer den wiedergekommenen Elia, der aber bereits getötet wurde (6,14-29).

Tradition

V. 1: Der Vers bezieht sich auf die Erwartung des Weltendes, dem positiv der Anbruch des Reiches Gottes entspricht. Das Wort entstand in der Zeit nach dem Tode und der »Auferstehung« Jesu, als die Erwartung des Kommens Jesu vom Himmel zwar noch lebendig war, etliche seiner Jünger jedoch unverhofft gestorben waren. Den noch lebenden Jüngern sichert das Wort Jesu als Trost zu: Wenigstens ein kleiner Rest der ersten Generation wird den Anbruch des Reiches Gottes noch erleben. Ihr könnt euch darauf verlassen.

Einen Einblick in das Problem der »Parusieverzögerung«, um das es hier geht, liefern die Briefe eines Augenzeugen der ersten urchristlichen Generation, Paulus. 1Kor 15,51 berichtet er von einem ihm widerfahrenen »Geheimnis«, d.h. einem ihm als Propheten zuteil gewordenen Wort des Herrn, das Probleme in der Gemeinde lösen soll. Er schreibt:

»Alle werden wir nicht entschlafen,

alle aber werden wir verwandelt werden.«

Darauf folgt eine Beschreibung des Endes, die seinen plötzlichen Eintritt betont, die Gerichtsposaune hervorhebt und die Totenerweckung konstatiert (1Kor 15,52).

Dieses Wort bewegt sich im Horizont der urchristlichen Erwartung, das Ende der Welt und damit die Ankunft des Herrn Jesus vom Himmel stünden unmittelbar bevor. Der Spruch verändert die Erwartung dahingehend, daß zuvor die meisten sterben würden, einige aber bis zum Ende mit ihrem Überleben rechnen könnten (so auch Mk 9,1).

Eine Vorstufe für diese veränderte Zukunftserwartung finden wir im ältesten Brief des Paulus, dem an die Thessalonicher (1Thess 4,15-17), wo das dem Propheten Paulus zuteil gewordene Wort des »Herrn« wie folgt lautet:

»(15) Denn das sagen wir euch mit einem Wort des Herrn, daß wir, die wir leben und übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn, denen nicht zuvorkommen werden, die entschlafen sind. (16) Denn er selbst, der Herr, wird, wenn der Befehl ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel, und zuerst werden die Toten, die in Christus gestorben sind, auferstehen. (17) Danach werden wir, die wir leben und übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken in die Luft, dem Herrn entgegen; und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit.«

Zum Zeitpunkt der Abfassung des ersten Thessalonicherbriefs setzt Paulus offenbar voraus, daß die Mehrheit der Christen, seine Person eingeschlossen, mit einem Überleben bis zur Ankunft Jesu vom Himmel rechnen könne, während eine Minderheit versterbe.

Aus dieser Rekonstruktion folgt, daß Paulus vor der Abfassung des ersten Thessalonicherbriefs davon ausgegangen war, alle Christen würden bis zum Kommen Jesu vom Himmel überleben; und in dieser Erwartung dürfte er die christliche Durchschnittsmeinung der ersten Jahre nach Tod und »Auferstehung« Jesu vertreten haben.

V. 2-8: Die Tradition ist relativ einheitlich. Man beachte aber, daß am Anfang Jesus Subjekt ist, am Ende die Jünger. Die Tradition wurzelt im jüdischen Milieu. Sie hat mancherlei Parallelen mit Ex 24: Mose steigt auf den Berg, begleitet von drei namentlich genannten Männern (V. 9). Eine Wolke bedeckt den Berg (V. 15), und zwar 6 Tage lang, und Gott redet schließlich mit Mose aus ihr (V. 16). Die Tradition begründet, allgemein gesagt, Jesu Legitimität durch seine Entrückung in die himmlische Sphäre selbst.

Die Mk als literarische Einheit vorgegebene Tradition läßt sich in drei Teile gliedern:

1. Verklärung Jesu auf dem Berg und das Erscheinen von Elia und Mose;

2. Vorschlag des Petrus, drei Hütten zu bauen;

3. Wolke und Wolkenstimme (»Inthronisationsformel«) als Pointe.

Man kann die Tradition mit guten Gründen als Ostergeschichte identifizieren, und zwar wegen des Licht- und des Bergmotivs. So sieht Paulus den himmlischen Christus in einem verklärten Lichtleib (1Kor 15,42-49), und der Auferstandene erscheint seinen Jüngern auf dem Berg: Mt 28,16-20. Die Aufnahme der Verklärungsgeschichte in 2Petr 1,16-18 verankert sie offenbar in einem österlichen Kontext.

Die vorliegende Überlieferung mag die aus Gal 2,9 bekannte Trias »Petrus, Jakobus, Johannes« in ihrem Säulenamt legitimiert haben.

Historisches

V. 1: Die Rekonstruktion der Entstehung des Wortes beweist seine Unechtheit. Doch macht es, zusammen mit den angeführten Belegen aus den Briefen des Apostels Paulus, die brennende Naherwartung der ersten christlichen Generation deutlich, die am besten verstehbar ist, wenn Jesus selbst mit dem Kommen des Reiches Gottes in allernächster Zukunft gerechnet hat.

V. 2-8: Ist die Tradition ursprünglich eine Ostergeschichte, scheidet ihre Historizität von vornherein aus.

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