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Starke Ricken, starke Kitze und Ratten des Waldes

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Neben den vielfältigen Aufgaben, die bei der Verwaltung eines großen Forstbetriebes zu bewältigen sind, lagen unserem Wildmeister die Probleme, die der hohe Wildbestand bereitete, besonders das schwache Rehwild, am Herzen.

Während aus Unkenntnis, Zeitmangel oder aufgrund ideologischer Verblendung heute die Devise Zahl- vor Wahlabschuss gilt, Rehwild kaum noch selektiv auf der Einzeljagd, sondern »sportlich« auf Drückjagden abgeknallt, von grünen Förstern als »Ratten des Waldes« bezeichnet wird, schaffte der erfahrene Berufsjäger es, die Qualität unseres Rehwildbestandes zu erhöhen.

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Im blauen Dunst des nahenden Abends – was die Ricke wohl vernommen haben mag?

»Alle Welt redet von Abschussböcken, dass es auch Abschussricken gibt, weiß kaum jemand«, schimpfte er. Voraussetzung für starke Stücke und ordentliche Trophäen sind gesunde, stressfrei lebende Ricken. Zuwachs, ausgewogene Geschlechterverhältnisse und Wilddichten erreicht man durch Schonen bzw. den richtigen Abschuss weiblicher Stücke, nicht der Rehböcke, so die Meinung des Wildmeisters. Jagd ist verantwortungsvolle, nachhaltige Nutzung, die in vielen Gegenden zu einer Form der »Schädlingsbekämpfung« degeneriert, das hatte er bereits vor über einem halben Jahrhundert erkannt.

Schon während der Blattzeit beobachteten wir die Ricken, orientierten uns am körperlichen Zustand der Kitze, merkten kümmernde Stücke für den Abschuss vor und versuchten, den gesamten Familienverband zu erlegen.

Wir erledigten den Abschuss des weiblichen Rehwildes in der Zeit des Verfärbens, im September und Oktober, wenn sich Alter, Gesundheitszustand, allgemeine Kondition sicherer ansprechen lassen als in anderen Jahreszeiten. Zudem lässt sich das Wild meistens noch bei gutem Licht beobachten.

Da die Entwicklung der Kitze sehr von ihrem Wachstum im ersten Sommer oder Frühherbst abhängt, wurden schwache ohne Rücksicht auf das Geschlecht mit der Ricke erlegt. Normalerweise waren sie spät gesetzt worden, oder die Mütter waren uralt und konnten nicht genügend Milch produzieren. Selbstverständlich wurden erst die Kitze, dann die Ricke erlegt. Viele Jäger, sogar Wildbiologen behaupten, Kitze seien im Herbst nicht mehr auf Muttermilch angewiesen und kommen, wenn die Jagdzeit beginnt, ohne Säugen aus. Wer sich aber intensiv mit Rehwild beschäftigt, weiß, dass das nicht zutrifft. Verwaiste Kitze überleben zwar, kümmern aber. Starke, gesunde Ricken säugen bis in den Januar hinein. Die Führung durch das erfahrene Altreh ist mit entscheidend dafür, wie sich Kitze entwickeln.

Damals erhielten Reviere »Hegemedaillen«, wenn überdurchschnittlich viele Knopfböcke geschossen wurden. Auch bei uns standen viele schwache Jährlinge. Meine Großväter hatten erstaunlicherweise nur starke Sechser erlegt. Die wenigen schwachen Böcke und weibliches Rehwild wurden von Angestellten geschossen. Die guten Trophäen der von meinen Vorfahren erlegten Rehböcke in der Eingangshalle des Herrenhauses beweisen, dass es starkes Rehwild bei uns gegeben haben muss, was uns schließlich zum Umdenken veranlasste.

Wir markierten drei Bockkitze und beobachteten sie über mehrere Jahre. Anfangs waren es kümmerliche Zwei- und Dreijährige, entwickelten sich nach dem vierten oder fünften Jahr aber zu respektablen Sechsern. Nach langen Diskussionen zwischen uns Brüdern und dem Wildmeister wurde die Parole ausgegeben, lediglich an Wildbret schwache Jährlinge zu schießen, alles andere, ob kaum sichtbare Knöpfchen oder schwache Spieße, zu schonen. Die Devise des Wildmeisters »Willst du starke Böcke schießen, musst du alte Böcke schießen« hat sich bewährt.

Nach unserer Konfirmation, also mit 14 Jahren, durften wir unsere ersten Rehböcke schießen. Keinen x-beliebigen, sondern einen schwachen oder abnormen, den wir selbst bestätigen mussten. Vorher hatten wir allerdings schon weibliches Rehwild erlegt. Nicht irgendein Kitz, Schmalreh oder eine Ricke, sondern es wurde großer Wert auf Wahlabschuss gelegt. Da war unser Wildmeister unerbittlich. Sein Argument, wonach die Hälfte der Erbmasse von der Mutter kommt, ist schließlich einleuchtend.

Vieles von dem, was ich von dem erfahrenen Praktiker und versierten Wildbeobachter Mackerodt gelernt habe, habe ich in meinen Büchern weitergegeben.

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