Читать книгу Ein Leben für die Jagd - Gert G. v. Harling - Страница 19

»L’exactitude est la politesse des rois« (Ludwig XVIII.)
Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige

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Ist von Pünktlichkeit die Rede, kommt mir stante pede eine lange zurückliegende Begegnung in der Ukraine in den Sinn. Dort wurde ich vor vielen Jahren als besonders wichtige Persönlichkeit aus Deutschland angekündigt. Man hatte mir den besten Jagdführer weit und breit, der jedes Tier im Wald kennt und genau weiß, wann es wo austritt, zugeteilt, übersetzte der Dolmetscher, bevor ich mit meinem vollbärtigen Begleiter, einem Hünen von Mensch mit großen braunen, gutmütig dreinschauenden Augen, in den klapprigen Geländewagen stieg.

Die Hitze ist anstrengend. Schweißtropfen stehen uns auf der Stirn, rollen uns in die Augen, brennen und fließen als dicke Tränen weiter das Gesicht hinunter. Dazu umschwirren uns Schwärme von Moskitos, machen unseren Gang, nachdem wir in einer schier undurchdringlichen Schilfwildnis den Wagen abgestellt haben, zu einem beschwerlichen Marsch und nicht, wie angekündigt, zu einer erholsamen Pirsch nach kräftezehrender Anfahrt. Mein schweigsamer Fahrer hatte nämlich vorher auf sein Gefährt und mich nicht die geringste Rücksicht genommen. Mit Vollgas hatte er sein Fahrzeug durch tiefe Schlaglöcher und über umgefallene Baumstämme gequält. Ich war während der sausenden Fahrt von einer Ecke in die andere geflogen und konnte mein Gewehr und mich nur schwer vor größeren Blessuren bewahren.

Als ich aus dem Wagen steige, ist der Mann verschwunden, einfach in das hohe Schilf am Wegesrand gefallen. Erst als ich um das Auto herumgehe, ihn dort liegen sehe und rüttele, rappelt er sich mühsam wieder auf. Mir wird schlagartig klar, dass kein normaler Mensch so Auto fahren kann, und mit kaltem Schauder denke ich an die drei Flaschen Wodka, von denen ich höchstens eine halbe getrunken hatte, der Rest war in Windeseile in der riesigen Kehle meines Führers verschwunden. Ich realisiere, der Mann hat, gelinde ausgedrückt, einen gewaltigen Schwips! Mühsam Kurs haltend, torkelt er vor mir her. Dicke schwarze Bremsen bedecken sein feuchtes Gesicht. Sie scheinen ihn nicht zu stören, ja, er scheint sie gar nicht zu bemerken.

Nach einem halbstündigen, wortlosen Marsch erreichen wir ein gemähtes Luzernefeld, und mein bis dahin schweigsamer Begleiter wird mit einem Mal gesprächig. Gestikulierend zeigt er auf seine verbeulte Taschenuhr und versucht mir etwas zu erklären, wobei er immer wieder, nur so viel verstehe ich, auf 21.00 Uhr zeigt. Mein Schulterzucken, um mein Nichtverstehen zu dokumentieren, quittiert er mit wortreichen, unverständlichen Bewegungen, zeigt noch einmal auf 9.00 Uhr und empfiehlt sich. Ich bin allein mit Tausenden von Gelsen.

Es ist 17.30 Uhr. Mühsam quält sich die Zeit dahin. Statt eines erwarteten Rehbocks erscheint ein Pferdefuhrwerk. Mein Gruß in deutscher Sprache wird von dem Kutscher fröhlich, aber unverständlich erwidert. Eine Viertelstunde später rumpelt ein zweites Fuhrwerk auf dem steinharten Lössboden vorüber, und genervt pirsche ich zurück zum Auto. Es steht noch genau dort, wo ich es verlassen habe. Und in seinem Schatten schnarcht mit hochrotem Kopf, von Mücken übersät, der beste Jagdführer der Ukraine, der seine Wildbestände besser kennt als jeder andere und der genau weiß, wann und wo jedes einzelne Stück austritt.

Nach kurzem Überlegen stoße ich den Mann zaghaft an. Als er keine Reaktion zeigt, zerre ich an seinem starken Arm, bis er die Augen aufschlägt und erstaunt in die Runde schaut. Dann springt er auf und kramt seine Uhr hervor. Ein Blick darauf, und nun ist er es, der meinen Arm ergreift und mich unter unverständlichem Gemurmel und Kopfschütteln gewaltsam wieder zu der Stelle führt, an der ich noch vor Kurzem über zwei Stunden ausgeharrt habe.

Von Neuem zeigt er unter ausladenden Gesten und mit wortreichen Erklärungen immer wieder auf seine Uhr. »Zur neunten Stunde« ist alles, was ich begreife. Jedenfalls stehe ich nun wieder allein mit unzähligen Mücken und Fliegen am Feldrand im Schatten einer Robinie und hadere mit meinem Schicksal. Die Zeit schleicht zäh dahin. Das dritte Fuhrwerk an diesem Abend rollt vorbei. Als Pferd und Wagen meinen Blicken entschwunden sind, ist es bereits 20.45 Uhr. »Eine Viertelstunde noch«, denke ich, »dann hat dieses nutzlose Unternehmen ein Ende.«

Plötzlich bricht es im Unterholz. Ich vernehme anwechselndes Wild, und kurz danach verhofft am Wegesrand ein Bock mit einem kapitalen Gehörn. Das heißt, eher umgekehrt: Mein erster Eindruck ist der eines kapitalen Gehörns mit einem Bock daran.

Behutsam ziehe ich den Schaft des Stutzens vor die Schulter. Als das Absehen auf das Blatt zeigt, zerstört ein lauter Knall die idyllische Stille.

Der Bock bricht im Feuer zusammen. Kaum habe ich repetiert, will ich zu ihm eilen, da erscheint der beste Jagdführer von allen. Wie ich strahlt er über beide Ohren. Bevor er mir mit seinen Riesenpranken die Hände fast zerquetscht, kramt er wieder umständlich seine Uhr aus der Tasche, und das Palaver, das ich bereits zweimal über mich ergehen lassen musste, beginnt erneut. Es ist 21.10 Uhr. Mit dem gekrümmten Zeigefinger zeigt Ivan auf seine alte Uhr, und diesmal verstehe ich ihn: »Siehst du, wie ich gesagt habe. Punkt neun ist der Kapitale ausgetreten, und du hast geschossen.«

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Rehbock im lichten Frühlingsgrün.

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Abenteuer Entenstrich an der Örtze – ein Stockerpel fällt ein.

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Ein Einzelgänger, oder folgt die Rotte hinterher?

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Im Reich des roten Freibeuters – ein Rotfuchs auf Nahrungssuche.

Ein Leben für die Jagd

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