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Ihre Vorbilder: Clara Schumann und Josef Kainz

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Nach all den Ausführungen rund um die Theaterfamilie Retty ist es an der Zeit, wieder zu den Zentralpersonen dieser Geschichte zurückzukehren: zu Rosa und ihren Eltern. Im Herbst 1887 tritt Rudolph Retty nach vielen Jahren an Provinztheatern ein Engagement am Deutschen Theater in Berlin an, dessen Direktor Adolph L’Arronge ist. Der Spielplan setzt auf eine wohldosierte Mischung von Klassikern und volkstümlichen Stücken, dieses Konzept machte L’Arronge zum erfolgreichsten Theaterleiter des Wilhelminischen Zeitalters. In Berlin beziehen die Rettys eine Wohnung in der Woehlertstraße 19 im dritten Stock. Rosa besucht die Höhere Töchterschule und erhält Klavierunterricht. Noch vor Mathematik, Physik, Chemie, Französisch, Geschichte, Literaturgeschichte und Musik steht „Gutes Benehmen“ auf dem Lehrplan, das sich auch in vorbildlich aufrechter Körperhaltung zeigen musste. Diese wird ihr ein Leben lang erhalten bleiben.

Rosa hat zu jener Zeit nicht vor, nach dem Vorbild ihrer Eltern den Schauspielberuf zu ergreifen, sie möchte Pianistin werden. Ihr Vorbild ist Clara Schumann, die sie auf Empfehlung des Dirigenten Hans von Bülow spielen hört. Das Konzertprogramm bleibt der jungen Rosa nicht in Erinnerung, wohl aber Claras langes, schwarzes, von einem weißen Stehkragen abgeschlossenes Kleid sowie ihr samtener Kapotthut, dessen Schleifen unter dem Kinn der Pianistin zusammengebunden waren. Die theatrale Erscheinung der damals fast siebzigjährigen Pianistin beeindruckt Rosa mehr als ihre künstlerische Leistung, sodass sie am Ende sogar zu klatschen vergisst. Bereits mit vier Jahren gibt ihr die Mutter Klavierunterricht, später engagiert man dafür die Kapellmeister jener Theater, an denen der Vater engagiert ist, darunter ist der später als Dirigent berühmt gewordene Felix Weingartner. Diesen begeistert weniger ihr Spiel, sondern viel mehr ihre Gesangskunst – er rät ihr zu einer Karriere als Opernsängerin. Ob sie dafür begabt genug wäre, wird sie nie herausfinden, denn Adolph L’Arronge beordert sie für eine Statistenrolle mit wenig Text auf die Bühne, ein Befürworter dieser Tat ist ein Schauspieler, der in ihrem Leben eine bedeutende Rolle einnehmen wird: Josef Kainz.

Sein Name ist einer der wenigen, die von den Schauspielernamen jener Zeit noch im Gedächtnis mancher gespeichert ist. Nicht zuletzt durch die Tatsache, dass ein renommierter österreichischer Theaterpreis, die Kainz-Medaille, nach ihm benannt ist. Die erste davon wird im Jahr 1958 an Rosa verliehen. Josef Gottfried Ignaz Kainz wird hundert Jahre davor in Wieselburg, dem heute in Ungarn gelegenen Mosonmagyaróvár geboren, erhält in Wien Schauspielunterricht und gelangt nach Engagements in Marburg, Leipzig und Meiningen 1880 an das Nationaltheater in München. In der bayerischen Hauptstadt muss er mehrfach Solo-Vorstellungen für einen seiner größten Bewunderer geben: den sagenumwobenen König Ludwig II. von Bayern. Ab dem Jahr 1883 ist Kainz in Berlin tätig und spätestens sein Engagement dort macht ihn zu einem der gefragtesten Schauspieler seiner Zeit, der um seinen Wert weiß und sich daher entsprechende Gagen aushandelt, die er in seinen aufwändigen Lebensstil investiert. Er brilliert als Don Carlos, Romeo, Hamlet, Richard III. und in zahlreichen anderen Hauptrollen. Was ihn über andere erhob, war wohl ein absolut originärer Stil, bei dem sich wendiger Körpereinsatz mit sensibler Darstellung verband. Den Kult rund um seine Person vergrößerte auch der Umstand, dass es zahllose Fotos von ihm gab, die ihn in unterschiedlichsten Rollen zeigten und vom Publikum eifrig gesammelt wurden. Während vor ihm „Naturkünstler“ auf ihre Begabung setzten, etablierte er eine Neuerung im Schauspielberuf, wie Egon Friedell festhielt: „Kainz hat das Moment der Arbeit in seine Kunst eingeführt, das ihr bis dahin fremd war. […] Seine Mittel waren denen vieler anderer keineswegs von Natur aus überlegen; aber sie waren mit einer bis dahin unerhörten Kraft ausgebildet, verfeinert und beherrscht.“11


Rosa mit Josef Kainz in Franz Grillparzers Die Jüdin von Toledo. 1904. „Er spielte, fern von jeder Schablone, mit einer Natürlichkeit, die sensationell wirkte“, schwärmte Rosa über ihr schauspielerisches Vorbild.


Aushangzettel des k. u. k. Hofburgtheaters in Wien. 19. 10. 1907. Dort debütierte Rosa 1891 als „Einspringerin“, 1912 wird sie schließlich zur Hofschauspielerin ernannt.

Aus heutiger Sicht ist die Verklärung von Kainz nicht leicht nachvollziehbar. Der optische Eindruck wurde nie auf Film festgehalten, die erhaltenen Schallplatten klingen für heutige Ohren zu pathetisch. Tatsächlich sind wir nicht mehr gewohnt, jenes deklamatorische Singen in der Stimme als Kunstform zu akzeptieren, im Gegensatz zum Gesang in der Oper ist uns jener Sprechstil völlig fern. Heute muss Theatersprache „natürlicher“ klingen, egal, ob man ein modernes oder klassisches Stück spielt. Selbst Rosa konnte sich im Alter nicht mit den historischen Tondokumenten von Kainz anfreunden, fand, dass sie einen völlig falschen Eindruck vermitteln. Wenn es nach ihr ginge, betont sie, müssten alle Stimmaufnahmen von Kainz vernichtet werden.

Außer ihrem Vater, so hält Rosa fest, war Kainz ihr einziger Lehrer – und diese beiden scheinen ihr als Instruktoren genügt zu haben. Sie besucht an den Nachmittagen das Stern’sche Konservatorium, verbringt ihre Vormittage zumeist damit, bei Theaterproben zuzusehen und dem Schauspielpersonal bei einem Kaufmann Essen zu holen. Als eine Schauspielerin ausfällt, wird Rosa gebeten einzuspringen, der Inspizient stößt sie 1891 förmlich auf die Bühne – und sie spielt wider Erwarten völlig unbeschwert. Wie schon ihren Vater, so überzeugt Kainz Rosa darin, dass im Schauspielberuf nicht nur der Körper, sondern auch die Stimme täglich trainiert werden muss. Jeden Morgen übt der Mime selbst, einen Korken im Mund, schwierige Textpassagen möglichst deutlich auszusprechen. Rosa tut es ihm gleich und arbeitet so an ihrer später von Kritikern und Publikum gerühmten Sprechtechnik. Lehrer und Schülerin werden sich bei den Übungen nahekommen; mag sein, dass Rosa in ihren Erinnerungen ein paar Mal abblendet, wenn die Geschichte zu sehr ins Private gerät.

Rosa lernt schnell und leicht. Lampenfieber, wie es später ihren Sohn Wolf und ihre Enkelin Romy fast unüberwindlich plagt, hat sie nur vor der Vorstellung, mit dem ersten Schritt auf die Bühne ist es verflogen. Ihre Methode, sich völlig in ihre Bühnenfiguren zu versetzen, hat natürlich den Nachteil, dass sie sich oft nur schwer wieder davon lösen kann. Bei tragischen Stücken wie Ibsens Nora führt das später oft sogar zuhause zu Weinkrämpfen, die Beruhigungsspritzen zur Folge haben. Ihre Enkelin Romy wird dies bei mancher ihrer Filmrollen ebenfalls durchleiden müssen.

Ihr erstes Engagement hat Rosa am Deutschen Theater, sie gastiert aber auch am Berliner und dem Lessingtheater. Gastspielreisen führen sie bis nach Kopenhagen. Mit 18 Jahren lernt sie den damals 30-jährigen Gerhart Hauptmann kennen, erlebt seine Transformation von einem anfangs eher schüchternen, an Bleistiften saugenden Autor zu einem sich 1942, mit achtzig Jahren beinahe „goethisch“ gebenden Heros der deutschen Bühne. Sie extemporiert in seinem Stück Der Biberpelz – und betont, ihre Interpretation in späteren Regiebüchern wiedergefunden zu haben. Eine das Spiel Rosas lobende Rohrpostkarte Hauptmanns bewahrt ihr Vater viele Jahre auf. Rosa trifft auch den stets gut frisierten Henrik Ibsen, der sich erst die Haare zerrauft, bevor er sich dem Berliner Publikum mit bohemeartiger Mähne präsentiert. Ein anderer deutscher Dichter, Hermann Sudermann, schreibt ihr die Rolle der Rosl in seiner Schmetterlingsschlacht auf den Leib, von ihm bekommt sie nach der geglückten Premiere den ersten Handkuss ihres Lebens.

Rosas erster großer Schwarm wird der gebürtige Russe Kolja Solowetschik, es ist eine platonische, romantische Liebe. Das Theater, das weiß sie längst, wird sie nie aufgeben, für keinen Mann der Welt. Ihr winkt 1895 ein Engagement am Deutschen Volkstheater in Wien und sie will gerne in die Stadt übersiedeln, in der sich das legendäre Burgtheater befindet. Als sie sich im Lessingtheater verabschiedet, rufen ihr die Leute zu, sie möge bleiben. Sie beteuert, nicht „Adieu“ sagen zu wollen, sondern „Auf Wiedersehen“, obwohl Ersteres angebracht gewesen wäre.


Karl Albach. Um 1896. „Der hochgewachsene, fesche Offizier verbeugte sich und strahlte mir unverwandt in die Augen.“ Mit diesen Worten schildert Rosa die erste Begegnung mit ihrem späteren Ehemann.

Romy spielt sich frei

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