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Der Schatz im Schwedengraben

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In der Metzgerei von Simon Bräunlein und seiner Frau Gisela ging es wie immer hektisch zu. Es war kurz vor Mittag und einige, vor allem ältere Hausfrauen, hatten es plötzlich unglaublich eilig. Wahrscheinlich war ihnen eben erst siedend heiß eingefallen, dass es neben einem gelegentlichen Ratsch zum Zweck der Einholung diverser Neuigkeiten auch noch ein schmackhaftes Mittagessen auf den Tisch zu bringen galt. Wenngleich für das Letztgenannte die Zeichen eher schlecht standen, die Teller also vorübergehend noch leer bleiben mussten, so war für den Nachtisch bereits gesorgt. Man durfte sich auf eine reichlich mit Neuigkeiten, ja mit geradezu köstlichen Sensationen randvoll gefüllte Dessertschale freuen. Diese war bis oben hin gefüllt mit Berichten zu hochwichtigen Ereignissen, die einer genauen Erörterungen bedurften, garniert mit Tupfern aus rätselhaften Gerüchten, die die Fantasie der Interessenten zusätzlich anregten.

Doch davon wusste die Gisela bisher noch nichts. Erst musste die alte Dame zu Ende bedient werden, die seit gefühlten zehn Minuten unschlüssig vor der Wursttheke stand und sich partout nicht entscheiden konnte.

„Woss iss etz, Frau Zängerlein“, fragte Gisela Bräunlein, die beste und gleichzeitig einzige Fleischereifachverkäuferin von Röthenbach. Halt! Diese Behauptung ist mittlerweile nicht mehr so ganz richtig. Seit der große BIGMA-Supermarkt eröffnet und die Metzgerei Bräunlein dort die Fleisch- und Wurstabteilung übernommen hatte, gab es noch eine weitere Mitarbeiterin, die aber bei weitem nicht an Giselas Qualitäten heran reichte. Wie sollte sie auch? Dafür hätte es nicht nur Giselas profunder Fachkenntnisse bedurft, sondern auch ihrer herausragenden Befähigung zur Pflege wertvoller Kundenbeziehungen. Alles Eigenschaften, die ein tiefgreifendes Wissen bezüglich Vorlieben und Eigenheiten der werten Kundschaft, sowie großes Einfühlungsvermögen voraussetzen. Ferner sind regelmäßige Updates von Informationen aller Art nötig, quasi als permanente Fortbildungsmaßnahmen. Über alle Ereignisse im Ort sowieso, ob nun harmlos oder brisant, angefangen von kleinen Skandälchen, wie kolportierten Eheproblemen von Nachbarn, bis hin zu bedauerlichen Scheidungsgerüchten. Neuerdings gehörten auch Verstöße gegen die Coronaregeln dazu, die man dann mit Freundinnen und Bekannten genüsslich diskutieren und gegebenenfalls noch weiter ausschmücken kann. Oder man erfährt einfach nur Neuigkeiten, die für die werte Kundschaft von Interesse sein könnten. Einen Einkaufstipp etwa oder das eine oder andere Kochrezept. So etwas wird geschätzt und gerne im Detail diskutiert.

In all diesen Fragen war Gisela Bräunlein unbestreitbar die Nummer eins in Röthenbach. Doch im Moment musste sie erstmal ein anderes Problem lösen.

„Also Frau Zängerlein, nehmer mer widder wie immer a Värdl Aufschnitt ohne woss Geräucherds drin selbstverständlich odder derfs heid amal woss ganz anders sei?“

Gisela wusste natürlich auch genau über die Vorlieben und Unverträglichkeiten ihrer Kundinnen Bescheid. Im Falle der Frau Zängerlein war es ein schwacher Magen, der auf geräucherte Wurstsorten äußerst abweisend reagierte und sie war deshalb absolut in der Lage maßgeschneiderte Vorschläge zu machen. Dem entsprechend nickte die alte Dame dann auch und gab endlich grünes Licht für Gisela weiterzumachen.

„Und ihr Maskn, dee müssns fei scho aa über die Nasn naufziehn, sonst hilfds nix, gell“

„Woss für Massn? Mir langd a Värdl odder hunderd Gramm, seid mei Moh ….“

Mit dem Ausruf „Maske!“, wobei sie jeden Buchstaben einzeln betonte und das Ganze mit einer entsprechenden Geste unterstrich, unterbrach sie die Metzgermeistersgattin, ging aber ansonsten auf das Missverständnis erst gar nicht weiter ein. Sonst hätte sie sich nur wieder in aller Ausführlichkeit das bedauerliche, weil vorzeitige Ableben des Ehemanns von Frau Zängerlein vor nunmehr fast 15 Jahren in Breit und Länge, vor allem Länge, anhören müssen. Sie warf stattdessen die Wurstschneidemaschine an und tat so, als würde sie wegen des Geräuschs des rotierenden Messers nichts hören.

Wie bereits erwähnt sind gute Ratschläge bei Gisela im Preis inbegriffen. Leider waren sie aber auch nötig. Besonders die älteren Herrschaften hatten ihrer Erfahrung nach während der gesamten Pandemie Probleme sich mit der Masken- und Abstandspflicht abzufinden. Und dabei wäre es gerade für sie als höchste Risikogruppe wichtig gewesen, sich zu schützen. Die gute Frau Zängerlein hatte allerdings in dieser Hinsicht eine auf den ersten Blick eher krude Ansicht.

„Horngs Frau Bräunlein, etz binni scho über die Neunzg naus. Glaubn sie im Ernsd, mir macherd dess woss aus, wenns zu End gingerd?“, hatte sie auch mitten in der schlimmsten Zeit um den Jahreswechsel 2020/21 auf ihrer Ablehnung der Vorsichtsmaßnahmen beharrt. Warum sollte sie jetzt plötzlich anders denken, wo aufgrund des Impffortschritts die drei am ärgsten gefährdeten Risikogruppen, sofern sie es wollten, vollständig geimpft waren und der Mundschutz nur noch nötig war, um die restliche Gruppe der Normalsterblichen zu schützen.

„Außerdem hobb ich meiner Lebdooch noch nie sowoss brauchd und ich hobb fei allerhand midgmachd in mein Lebn. In zweidn Weldgriech, die Imbfalation mid der Währungsreform, dreimal simmer ausbombd worn, damals in der Bindergass in Nämberch drin. Dou werri mi doch nedd von so an lumberdn Virus färchdn. Und wenns dann immer nu dee Phosphorbombn runder gworfn homm, dee verdammdn Engländer, dee homm immer ausgschaud wäi Christbäum, wenns vom Himml gfalln sinn….“

Gisela gab es auf. Vielleicht hatte die alte Frau auch Recht, zumindest aus ihrer Sicht. Denn lange würde sie ohnehin nicht mehr leben. Es war sowieso ein Wunder, dass sie noch alleine zuhause bleiben konnte. Und bevor sie noch jeden Topf einzeln aufzählen konnte, den sie aus den Trümmern gerettet hatte, machte sie schnell ihr Päckchen fertig und legte es geschwind auf die Theke.

„So, Frau Zängerlein, dess wärs dann widder amal. Einsvirzich gricherd ich dann.“

Nachdem die alte Dame gezahlt hatte und gegangen war schnaufte die Gisela noch einmal kräftig durch und wandte sich der nächsten Kundin zu, die schon verdächtig mit den Augen gerollt hatte, was Gisela natürlich nicht entgangen war.

„Also die Alten, die haben ja anscheinend alle Zeit der Welt. Dass unsereins nebenbei noch arbeiten muss, darauf kommen die gar nicht.“

Das konnte durchaus stimmen, kam allerdings bei Gisela nicht besonders gut an.

„Wissns, ich werd hoffndlich aa amal so ald und dann hoffi doch, dass sie mid mir aweng mehr Geduld aufbringer wie grad mid der Frau Zängerlein. Also, woss derfs sei, damid mer amal weider kommer?“

„Um Gottes Willen, was ist ihnen denn über die Leber gelaufen, Frau Bräunlein. Da getrau ich mich ja gar nicht zu sagen, dass ich heute nur ein einziges Stück Schnitzel brauche. Wissen sie, bei uns isst nur noch mein Mann Fleisch. Ich und meine beiden Töchter, wir verzichten mittlerweile ganz auf tierische Ernährung, schon allein aus moralischen Gründen, von den gesundheitlichen Vorteilen ganz zu schweigen- Naja, meinen Mann bringen wir schon auch noch zur Vernunft.“

Sie lächelte dabei eigenartig verkniffen vor sich hin, beinahe bösartig, wie eine Katze, die die Maus in einer Ecke festgesetzt hat und zum finalen Schlag mit der krallenbesetzten Pfote ausholt. Sie hatte keine Ahnung wie gefährlich sie im Augenblick, mitten im Metzgerladen, quasi dem Tempel der Fleischeslust, lebte.

„Wissen sie, man kann ja auch beim Fleisch schon in der Zubereitung einiges in die richtige Richtung bewegen. Pfeffer und Salz sind tabu, dafür stehen ja jede Menge feinster Kräuter zur Verfügung, die nicht nur gut schmecken, sondern auch noch äußerst gesund sind.“

Und sie zählte eine exotische Zutat nach der anderen auf, die Liste wollte gar kein Ende mehr nehmen. Gisela hörte gar nicht mehr richtig zu. Sie hielt sich auch mit ihrer völlig konträren Meinung erstaunlich gut zurück, äußerlich zumindest, innen drinnen kochte der Vulkan bereits gefährlich und stand kurz vor dem Ausbruch. Am Ende gab die verdächtig dünn gewordene Kruste nach, bekam einen Riss und die glühende Lava schoss in einem einzigen Satz heraus.

„Den armer Moh braungs ja gar nimmer lang bekehrn, als Vegedarier odder gar als Veganer odder woss sie sinn. Den homms ja alaans mid ihre Gewürze scho zum halbn Pflanznfresser gmachd. Vom Fleisch merkd der doch sowieso nix mehr.“

Die Kundin schien nicht einmal beleidigt zu sein, sie lachte lediglich wissend. Vermutlich hatte sie derartige Ausbrüche schon anderweitig zuhauf erlebt, als dass sie sich davon beeindrucken lassen würde. Und mit der Gisela schien sie eher Mitleid zu haben, ob so viel Unkenntnis. Sie wischte den Wortwechsel elegant beiseite und wechselte routiniert das Thema.

„Haben sie denn schon das Neueste gehört?“ Oder haben sie keine Zeit für solche Dinge?“

Da irrte die Dame. Wenn es interessante Neuigkeiten gab, dann spielte Zeit nur eine untergeordnete Rolle.

„Woss gibds denn so Indessandes. Könners ruhich weiderredn. Ich konn zuhörn und arbeidn zur selben Zeid.“

„Also, zurzeit sind doch diese Grabungsarbeiten wegen der Erweiterung der Kanalisation in vollem Gang. Da hat es vorhin einen riesigen Menschenauflauf gegeben, gleich vorne bei dem so genannten Schwedengraben, gleich bei …“

„Ja, weider, ich wass scho wo dess iss. Ich bin schließlich in Rödnbach geborn. Ich hobb scho im Schwedngrabn gschbilld, da homm sie noch nedd amal gwussd, dass Rödnbach überhaubds gibd.“

„Ja, also wegen der vielen Leute, da musste ich ja quasi einen Umweg machen und darum hat es mich natürlich interessiert, was es da zu sehen gab. Zuerst hatte ich ja an einen Unfall gedacht, aber was soll ich ihnen sagen?“

„Ja, woss denn?“

„Die Arbeiter sind auf eine Menge, offenbar sehr alter Metallgegenstände gestoßen. Der Bürgermeister war auch schon da und ich habe zufällig im Vorbeigehen gehört, wie er sagte, dass die Fundgegenstände wohl hunderte Jahre alt wären, vielleicht sogar so alt wie der Ort selbst.“

An ein zufälliges Vorbeigehen glaubte Gisela nicht einen Augenblick. Die Dame war bekanntermaßen einem Plausch nicht abgeneigt, um es sehr vorsichtig und milde auszudrücken. Sie konnte sich gut denken, dass die sich deshalb gerne ganz nach vorne, in die erste Reihe der Schaulustigen drängen ließ. Leider konnte die Gisela im Moment nicht einfach Mal schnell das Geschäft schließen und so war sie auf die dürftigen Informationen angewiesen, die sie von ihren Kunden bekommen würde. Deshalb bohrte sie auch noch einmal nach.

„Uralt, dess iss abber a dehnbarer Begriff. Es konn ja aa durchaus sei, dass am End vom Griech jemand sei Daaflsilber oder andere Wertsachn im Gardn vergrabn hodd, damids die Ami nedd finden, wies seinerzeid mid ihre Banzer ins Dorf eigrolld sinn. Woss wass mer denn? Dess homm damals an Haufn Leit‘ gmachd. Dee Ami homm doch alle Häuser durchsuchd, obs nedd irgnd an glann Lausboum findn, den die Nazi nu schnell in a Uniform gschdeggd homm, dasser den Einmarsch von die Amerikaner aufhaldn soll.“

„Mei Großvadder zum Beischbill“, fuhr sie fort, „der war im erschdn Weldgriech bei die Ulanen, der hodd damals nu sein Säbl derhamm ghabd. So als Andenkn hald an sei Zeid beim Königlich Bayrischn Schwerreiterregimend. Den hodder heilich ghaldn. Mei Vadder hodd uns immer erzähld, dass sie als Kinder dess werdvolle Ding nedd amal homm anfassn derfn. Den hodd er dann aa vergrabn, wall, mer hodd ja kanne Waffn derhamm hobn derfn und wer wass, woss dee Ami mid ihn gmachd häddn, wenns den bei uns im Haus gfundn häddn. Aufd Letzd häddns den aldn Moh weecher Widerstand nu derschossn.“

Die Kundin war nicht sehr beeindruckt von Giselas Theorie und winkte sofort ab.

„Nein, die haben dort anscheinend eher Münzen und Schmuck gefunden, wenn ich es richtig mitbekommen habe. Aber das wird man ja bald genauer wissen. Die Presse war vorhin auch schon da und die erfahren das alles ja aus erster Hand. Sie werden sehen, morgen steht es bestimmt schon in der Zeitung.“

Da war sich auch Gisela auch ganz sicher. Da sie aber als führende Quelle für Neuigkeiten und Gerüchte aller Art gilt, war dies kein allzu großer Trost für sie. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, war einer ihrer Lieblingssprüche. An der Nachrichtenbörse musste man die erste sein und diesbezüglich hatte sie einen Ruf zu verlieren. Der Verkauf von Brat- und Leberwurst rückte schlagartig in den Hintergrund. Unsichtbare, jedoch sehr feinfühlige Antennen fuhren aus, um ab sofort jeden interessanten Hinweis aufzufangen und auf Verwertbarkeit zu filtern. Die Verkaufsgespräche würden heute selbstverständlich allesamt um dieses Ereignis kreisen.

Mords-Schuld

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