Читать книгу Mords-Schuld - Günther Dümler - Страница 12

Zwielicht

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Der Mann in der hellen Leinenhose und dem schwarzen Seidenhemd, dessen oberste drei Knöpfe offen waren und einen ungehinderten Blick auf sein keck hervorlugendes Brusthaar freigaben, schaute sich noch einmal vorsichtig nach allen Seiten um. Die matt schimmernde Goldkette war viel zu massiv und breit, als dass sie echt sein konnte. Andernfalls wäre sie auch viel zu teuer gewesen, als dass man sie dem geckenhaften, jedoch bei näherem Hinsehen billigen Auftreten des Mannes zutrauen würde. „Gwolld und nedd könnd“, würde der Franke treffenderweise urteilen. Niemand schien ihm besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Zufrieden grinste er und verschwand in dem unscheinbaren Hauseingang, doch erst nachdem er die stylische Sonnenbrille mit den Ebenholzapplikationen auf der Einfassung und dem BVLGARI-Schriftzug auf den Bügeln abgenommen und nach oben in sein schütteres Haar geschoben hatte. Hier brauchte er sie nicht. Da wo er hinging, schien keine Sonne.

Er ging mit trippelnden Schritten die Treppe nach unten und blieb vor einer massiven Holztür stehen. Schwungvoll klopfte er dreimal an. Dann noch einmal. Es schien sich um ein Erkennungszeichen zu handeln, denn kurz darauf wurde zuerst die Abdeckklappe des Türspions zur Seite geschoben, dann hörte man einen Riegel zurückfahren und von innen wurde der Schlüssel umgedreht. Eine Dame ungewissen Alters öffnete. Die reichlich aufgetragene Schminke machte es fast unmöglich zu erkennen, ob sie lediglich einen ausgeprägten Hang zur Malerei hatte, insbesondere zur Impastotechnik, bei der dicke Farbschichten mittels Spatel aufgetragen werden oder ob sie eher zur Kaschierung tiefer Furchen im Antlitz der verblühten Schönheit dienten. Verräterische Spuren, die ein Leben in fortgesetzt intensiver Lichteinwirkung hinterlassen hatte, Rotlichteinwirkung wohl gemerkt.

„Bist spät dran, aber komm rein. Sind schon alle da“, versuchte sie ihrer Stimme einen verführerischen Ton zu geben, was jedoch völlig misslang. Es klang eher nach einem von Alkohol und Rauch geprägten Krächzen als dass es sonderlich sexy geklungen hätte. Im Kampf gegen dieses in Schieflage geratene Säuseln hätte ein guter HNO-Arzt sicher eine dankbare Lebensaufgabe gefunden.

Der Raum, den sie betraten, schien eine Art Büro zu sein. Ein alter Schreibtisch stand da, darauf eine Topfpflanze, die ähnlich dürr und vertrocknet zu sein schien wie die Empfangsdame. Ausgesprochener Lichtmangel war wohl auch hier die Ursache. Es gab weder einen Computer, noch einen anderen Hinweis auf die Art der Geschäfte, die hier abgewickelt wurden. In der linken Ecke hinter dem Tisch stand einer dieser überbreiten amerikanischen Kühlschränke mit eingebautem Eiswürfelbereiter, was in keiner Weise zur sonstigen Einrichtung passen wollte. An einer anderen Wand stand ein antikes Modell von einem Geldschrank, ein Safe von dem Typ, der wohl kaum ein modernes Schließsystem, dafür aber rundum bestimmt zentimeterdicke Stahlplatten aufwies. An einem Garderobenständer baumelte lediglich ein verbeulter Hut, sonst nichts. Wahrscheinlich hing er seit dem letzten Winter dort, denn es war Sommer und kaum ein Besucher wäre jetzt auf die abwegige Idee gekommen, mit Hut und Mantel oder dergleichen zu erscheinen.

„Was zu trinken? Whisky, Bier?“, erkundigte sich die verblichene Schönheit wortkarg und ohne besondere Begeisterung. Der Mann schüttelte den Kopf.

„Na dann. Hinein ins Vergnügen“.

Sie öffnete eine weitere Tür, die tiefer ins Innere des seltsamen Etablissements führte.

Drinnen war es eher rauchig und düster. Licht spendete nur eine einzige Lampe, die zudem sehr tief über dem Tisch hing. Die Helligkeit, die der kreisrunde, reflektierende Lampenschirm spendete, reichte gerade so aus um eine Runde von fünf Herren zu beleuchten. Sie waren ähnlich auffällig gekleidet wie der Neuankömmling, zumindest was die protzigen Schmuckstücke, die Ringe an den Fingern und Ohrläppchen angeht, sowie Halsketten, mit denen man gut und gerne einen Kleinwagen hätte abschleppen können. Einer der Männer trug am Hals ein auffälliges Tattoo, das wohl eine mythologische Schlange darstellen sollte, wie man sie von Darstellungen auf chinesischen Vasen kannte. Außerdem waren ein paar asiatische Schriftzeichen eingestochen, deren Bedeutung er wohl selbst nicht kannte. Vor ihnen lagen beachtliche Bündel von Geldscheinen unterschiedlicher Werteinheiten. Keiner hob den Blick, als der Neue eintrat. Sie wollten nicht in ihrer Konzentration gestört und womöglich zu einem kostspieligen Fehler verleitet werden.

Nach über zwei Stunden trat der Mann wieder hinaus ins gleißende Tageslicht. Die jetzt schon etwas tiefer stehende Sonne spiegelte die Häuser der näheren Umgebung auf seiner modischen Sonnenbrille, die nun wieder auf ihrem angestammten Platz thronte. Ihr heller Schein hatte sich mittlerweile in ein dunkleres, nahezu goldenes Gelb verwandelt, das seine Gesichtsfarbe deutlich gesünder erscheinen ließ, als sie es tatsächlich war. Ohne diese Wirkung wäre schnell klar geworden, dass das Gesicht des Mannes eine auffällig bleiche Färbung angenommen hatte. Selbst seine breite Goldkette leuchtete nicht mehr. Sie war komplett verschwunden.

Er blies die Luft aus den Backen, schüttelte zuerst den Kopf, dann den ganzen Körper, wie ein Hund, der im kalten Fluss gebadet hatte und stapfte los. Bis zum Bahnhof waren es gut 20 Minuten zu Fuß. Der nächste Zug ging aber schon in 16 Minuten. Das würde nicht mehr reichen und nach einem scharfen Trab war ihm im Moment ganz sicher nicht zumute. Das bedeutete, er hatte mehr Zeit als angenommen, denn es war Samstag und da fuhren die S-Bahnen nur alle 40 Minuten, so blieb ihm fast eine ganze Stunde. Eigentlich genug, um unterwegs noch einen zu trinken. Er wandte sich nach rechts, heraus aus der Fußgängerzone und weiter in Richtung der Stadtmauer. Sein Ziel war das Rotlichtviertel. In dessen unmittelbarer Umgebung gab es einige einschlägigen Lokale, in die es den normalen, gutbürgerlichen Nürnberger nicht leicht verschlagen würde, es sei denn er wäre auf ein Abenteuer aus.

Robert Hartmann war noch nie einem kleinen Abenteuer abgeneigt, ganz im Gegenteil, ein spießbürgerliches Dasein mit Familie, Frau und Kindern, war ihm schon von jeher eine grauenvolle Vorstellung. Als er die Marion geheiratet hatte, da war sie noch eine echte Knallerfrau, extrem sportlich und das nicht nur auf der Tartanbahn. Auch sexuell war sie damals geradezu auf der Jagd nach neuen Rekorden. Das war genau sein Ding. Sie hatten sich somit prächtig verstanden, anfangs. Doch dann kam der vermaledeite Unfall und mit all dem war von heute auf morgen Schluss. Hatte er damals noch stolz behauptet, die Marion wäre das ideale Model für die Titelseite des Playboy, so kam ihm in diesem Zusammenhang nun bestenfalls die Apothekenrundschau in den Sinn. Dorthin würde die passen. Da könnte sie ellenlang über ihr unverdientes Pech, ihre unverdienten Leiden lamentieren und bei den Weicheiern quer durch die Republik mit ihrem Gejammer um Mitleid betteln. Er jedoch hatte weiterhin seine Bedürfnisse, sich schnell anderweitig Ersatz gesucht und in diversen Liebschaften, aber auch bei käuflichen Damen gefunden, was ihm in den eigenen vier Wänden versagt blieb.

Auch im Moment kam ihm ganz automatisch der Gedanke, dass er ohne Probleme auch einen weiteren Zug ausfallen lassen und noch einen Abstecher hinter die Mauer machen könnte, wie man in der Stadt den einschlägigen Bezirk nennt, gleich hinter der massiven Sandsteinmauer, die im Mittelalter zum Schutz vor feindlichen Eroberungen errichtet wurde. Ihn würde man gerne einlassen, er hatte schließlich alles andere als feindselige Angriffe im Sinn, ganz im Gegenteil, der Eroberung, die ihm vorschwebte, konnte man mit Geld den Weg ebnen. Was er aber nicht bedacht hatte, war die bedauernswerte Tatsache, dass er nicht mehr genug Geld in der Tasche hatte, denn das Glücksspiel und um nichts anderes hatte es sich bei seiner vorherigen Station gehandelt, hatte ihn all seiner Barschaft beraubt.

Das wurde ihm aber erst dann schmerzhaft bewusst, als es ans Zahlen ging und noch einmal viel intensiver, als ihm der eilig herbeigerufene Beschützer seiner Geschäftspartnerin ein oder zwei heftige Schläge mit einem harten Gegenstand verpasste, ihn am Kragen packte und ihn mitsamt seiner hellen Leinenhose auf die Gasse beförderte. Wobei die schöne Hose hinter ihm her flatterte wie ein zerfleddertes Fähnchen bevor sie, genau wie ihr unglücklicher Besitzer, in der Gosse landete, beide begleitet von einer unmissverständlichen Androhung härterer Maßnahmen, sollte er sich je wieder blicken lassen.

Dreckig, mit einem schmerzverzerrten Gesicht und einer Mordswut im Bauch machte er sich widerwillig auf den Heimweg.

Mords-Schuld

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