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4. Zwei machtvolle Anwälte von Verschiedenheit

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Was zugunsten von Verschiedenheit spricht, ist zunächst nicht mehr als eine naive Idee, die sich in dem Sprichwort „Je mehr, desto besser!“ widerspiegelt. Denn Vielfalt erlaubt eine Wahl. Je mehr Möglichkeiten es gibt, umso weiter ausgefächert ist das Spektrum möglicher Auswahl. Das ist alles richtig so, aber es setzt Zweierlei voraus.

Zunächst muss das Subjekt tatsächlich in der Lage sein zu wählen. Das wiederum setzt voraus, dass alle Identitäten oder Rollen, zwischen denen er oder sie auswählen muss, hinreichend schwach sind, so dass er oder sie tatsächlich eine freie Wahl hat. Die Identitäten oder Rollen müssen eine Art „Katalog“ bilden, in dem alle käuflichen Artikel auf gleicher Grundlage angeboten werden. Die diesem Bild zugrunde liegende Vorstellung ist ihrem Wesen nach eine ökonomische. Ihr Vorbild ist der Markt: eine Vielzahl von Läden, die verschiedene Annehmlichkeiten anbieten. Pluralismus kann deshalb ein indirekter Weg für den Markt sein, sich selbst zur letztverbindlichen Instanz zu erklären.

Indem er freilich die alleinige und ausschließliche Herrschaft beansprucht, fördert der Markt das genaue Gegenteil von Pluralismus, nämlich den Monismus. Wäre der Markt ein seiner selbst bewusstes Wesen, dann wünschte er so viel Unterschiedenheit wie möglich, auf dass jedes einzelne Element geschwächt wäre und immer weniger dazu imstande, seinem Lockruf zu widerstehen. Divide et impera lautet der Leitspruch, den sich der Markt zweifellos bereitwillig zu eigen machte.

Die zweite Erfordernis für reale Verschiedenheit ist die Existenz einer Instanz, die hinreichend mächtig ist, zwischen den verschiedenen Elementen einer identischen Größe zu urteilen, die alle dieselbe Autorität beanspruchen. Diese Instanz, die in Extremfällen sogar in der Lage sein muss, Teilnehmende vom gesellschaftlichen Dialog auszuschließen, ist der Staat. Auch der Staat wünscht so viel Verschiedenheit wie möglich, hofft er doch, auf diese Weise dem möglichen Widerstand vermittelnder Körperschaften entgegenwirken zu können.

In den Vereinigten Staaten beispielsweise wird die Koexistenz einer großen Zahl von Individuen und Gruppen aller Schattierungen allein dadurch ermöglicht, dass es eine gemeinsame Verfassungsloyalität gibt. Toleranz ist hier eine Tugend des Individuums. Aber der Staat kann unmöglich tolerieren, was seinen Prinzipien widerspricht. Und dies nicht aufgrund irgendeiner inneren Bosheit, sondern einfach deshalb, weil er es sich nicht leisten kann, seine Existenz in Frage zu stellen. Kein Staat hat jemals die Verheißung ewigen Bestands erhalten. Insofern ist es entscheidend zu wissen, welche Art von Unterschiedenheit willkommen ist und welche mit Widerstand rechnen muss.

Ein eleganter, wenngleich letztendlich nicht tragfähiger Lösungsweg besteht darin, unter jenen Gesichtspunkten, in Bezug auf die Verschiedenheit toleriert oder gar gefördert werden sollte, solche zu wählen, die Charakteristika des Individuums sind. Zu ihnen zählen etwa Rasse, Geschlecht und sexuelle Orientierung. So wird üblicherweise Homosexualität als ein paradigmatischer Fall von Verschiedenheit betrachtet. Doch ist dies nicht frei von Ironie; denn ein homosexuelles Paar besteht aus zwei Personen, die gerade nicht verschieden sind. Ganz im Gegenteil sind sie nicht nur in Bezug auf ihre Körper, sondern auch in Bezug auf ihre Empfindsamkeit, ihre empathischen Fähigkeiten usw. einander sehr ähnlich. In jedem Fall wird Diskriminierung sorgfältig vermieden. Und falls es doch einmal dazu kommen sollte, wird sie mehr oder weniger streng bestraft.

Auf der anderen Seite werden Verschiedenheiten, die größere Gruppen betreffen, misstrauisch beäugt. Was immer dazu angetan ist, Gemeinschaften unter Kontrolle zu bringen, sie ihres gesellschaftlichen Einflusses zu berauben oder sie gar aufzulösen, wird begrüßt. Große Eisbrocken schmelzen nicht so leicht wie kleine Stückchen. Deshalb wird der Staat alles daran setzen, große soziale Einheiten weitestmöglich zu zerstückeln.

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