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Macht Geld glücklich? Eine theologische Perspektive

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Auf die zeitlos aktuelle und eifrig diskutierte Frage, ob denn Geld glücklich mache, lautet die Antwort meist: „Nein, Geld allein macht nicht glücklich.“ Aber dies ist streng genommen keine adäquate Antwort. Denn die stille Einfügung des Gradpartikels „allein“ bedeutet eine entscheidende Einschränkung, die den Bedeutungsgehalt verändert. Geld allein macht nicht glücklich. Wer wollte das schon bestreiten? Was macht denn in seiner Singularität und Exklusivität schon glücklich? Weder Geld noch Gesundheit, Besitz, Beruf, Freiheit oder Liebe machen allein, für sich und absolut genommen, glücklich. Die einfache Frage: „Macht Geld glücklich?“ erlaubt offensichtlich keine klare Antwort, sie verweigert sich einem einfachen Ja oder Nein. Doch scheint zumindest das Gegenteil unbestritten zu sein: „Kein Geld haben macht unglücklich.“ Diese Erfahrung wird bereits im Alltag permanent bestätigt. Der Mangel an Geld führt weitaus häufiger zu Unglück, Streit und Gewalt als Reichtum oder der selbstverständliche Zugriff auf materielle Ressourcen. Samuel Butler hat diese unbequeme Wahrheit in seinem Roman „Erewhon oder Jenseits der Berge“ von 1872 auf folgende Weise formuliert:

„Man stellt oft das Geld in Gegensatz zur Kultur, womit man sagen will, daß einer, der seine Zeit mit Geldverdienen zugebracht hat, ein kulturloser Knülch sei. Weit, sehr weit gefehlt! Was gäbe es, das der Kultur förderlicher ist, als sich eine ehrenvolle Unabhängigkeit erarbeitet zu haben, und was frommt noch soviel Kultur demjenigen, der bettelarm ist, außer daß sie ihn seine Lage um so schmerzlicher empfinden läßt! Der junge Mann, der geheißen wurde, sein Hab und Gut zu verkaufen und es den Armen zu geben, muß ein ganz außergewöhnlicher Mensch gewesen sein, wenn der Rat wirklich klug war, sowohl für ihn wie für die Armen; wieviel häufiger kommt es vor, daß wir an einem Menschen alle möglichen guten Eigenschaften wahrnehmen außer der Vermöglichkeit selber, so daß wir finden, seine wahre Pflicht sei es, sich seine Dienste von andern so gut als möglich bezahlen zu lassen und reich zu werden. Es ist gesagt worden, Geldgier sei die Wurzel alles Übels. Dasselbe läßt sich vom Geldmangel sagen.“1

Anders liegen die Dinge, wenn wir diese komplizierte Frage in „kleinere Münzen“ wechseln. Etwa in die Frage, ob Geld eine elementare Voraussetzung von Glück ist; ob es Glücksgefühle hervorrufen und steigern kann; ob es die Lebensqualität erhöht, die Autonomie und Selbstbestimmung des Menschen fördert etc. Die empirische Glücksforschung, die längst im Zentrum der Sozialwissenschaften angekommen ist, zeigt uns diesbezüglich ein höchst disparates Bild.2 So wird in manchen Untersuchungen der Zusammenhang von Geld/Wohlstand und Glück negiert, weshalb sich Menschen in armen Ländern als glücklicher erweisen, Bangladeshi also zufriedener sind als etwa Amerikaner. Andere Untersuchungen zeigen das genaue Gegenteil, die Bewohner hoch entwickelter Gesellschaften seien grundsätzlich glücklicher als Menschen in Armutsländern. All diese Studien setzen stillschweigend voraus, dass sich Glück definieren, messen und vergleichen lässt, auch über Kulturen und Kontinente hinweg. Aber lässt sich Glück wirklich bestimmen und auf einer objektiven Skala eintragen? Entzieht es sich nicht jedem messbaren Zugriff und bleibt stets flüchtig oder schattenhaft? Sucht uns das Glück im Alltag nicht viel zu selten auf, als dass wir es erschöpfend und überzeugend beschreiben könnten? Zeigt nicht die Erfahrung, dass sich Glücksvorstellungen im Laufe des Lebens auch verändern? Nicht zuletzt präsentiert sich das Glück auch als ein gesellschaftliches Phänomen, elementar von kulturellen und politischen Rahmenbedingungen geprägt. Glück ist nicht nur ein erhabenes Gefühl oder ein seltener Augenblick restloser Gelassenheit, sondern auch ein Diskurs, eine kulturelle Variable, die sich standhaft essentialistischen Definitionen entzieht.3

Ob, inwiefern und auf welche Weise Geld glücklich – und natürlich auch unglücklich – macht, lässt sich deshalb nur annäherungsweise und exemplarisch untersuchen. Die Ergebnisse der empirischen Glücksforschung sollte man daher nicht als „bare Münze“ nehmen, sondern als Indikatoren gesellschaftlicher Entwicklungen und Trends, die den mikroskopisch genauen Blick auf die Einzelphänomene nicht ersetzen können. Vor diesem Hintergrund möchte der vorliegende Aufsatz die These vertreten, dass Geld sowohl eine elementare Voraussetzung als auch eine Repräsentationsform von Glück ist und dadurch grundlegende Fragen im religiösen Verhältnis berührt.

Gibt es einen Zusammenhang von Wohlstand und Glück?

Im Jahr 1971 ließen die beiden amerikanischen Psychologen Philip Brickman und Donald Campbell mit der These aufhorchen, dass die Verbesserung objektiver Lebensbedingungen (Einkommen bzw. Wohlstand) keinen signifikanten Effekt auf die individuelle Zufriedenheit aufweise.4 Steigende Einkommen führten nicht notwendigerweise zu mehr Glück oder subjektiver Zufriedenheit. Vielmehr, so ihre Schlussfolgerung, beruhten diese auf charakterlichen Eigenschaften, die bereits pränatal und in den ersten frühkindlichen Jahren festgelegt würden, sodass weder individuelle Anstrengungen noch staatliche Politik zur Verbesserung beitragen könnten. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam die Untersuchung der Ökonomen Tibor Scitovsky und Richard Easterlin, wonach in entwickelten Gesellschaften das Glück ab einem bestimmten Einkommensniveau nicht mehr zunehme, sondern bestenfalls stagniere und dann häufig zu Leere bzw. Langeweile führe.5 In den USA sei der Anteil der Glücklichen in den letzten 50 Jahren gleich geblieben, obwohl sich Realeinkommen und Lebensstandard seither nahezu verdoppelt hätten. Dieses als Wohlstandsparadox bezeichnete Phänomen bestreitet nicht grundsätzlich den Zusammenhang von Einkommen und Glück, sondern behauptet, dass sich ab einem bestimmten Niveau dieser produktive Konnex auflöst oder in sein Gegenteil umschlägt. Easterlin und Co. haben die Grenze, ab der das Glücksniveau nicht mehr automatisch steige, effektiv mit 20 000 Dollar angegeben. Ab diesem Niveau müsse ein immer größerer Aufwand geleistet werden, um Glücksgefühle zu erleben; man gerät in die hedonistische Tretmühle.6 Als Ausweg empfehlen Scitovsky und Easterlin physische Aktivitäten (Sport) und Kultur.

In jüngster Zeit sind allerdings erhebliche Zweifel an der Gültigkeit des Easterlin-Paradoxes aufgetreten.7 Der Zusammenhang von Wohlstand und Glück bleibe auch jenseits einer bestimmten nominalen Grenze erhalten. Je reicher Menschen und Gesellschaften seien, desto eher seien sie geneigt, sich als glücklich und zufrieden zu bezeichnen. Der tiefere Grund liege in der Struktur des Wohlstands selbst. Denn wohlhabende Nationen wiesen in der Regel einen höheren Bildungsstandard auf, böten eine bessere Gesundheitsversorgung und knüpften soziale Sicherungsnetze, die neben Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zentrale Voraussetzungen für das allgemeine Glücksniveau bildeten. Auch hier gelte die Regel: Je höher das Wohlstandsniveau einer Gesellschaft, desto höher auch die Chance, glücklich zu sein oder zu werden. Allerdings sind dabei noch weitere, vor allem individualpsychologische Faktoren ausschlaggebend. Menschen vergleichen sich in der Regel mit ihresgleichen aus dem beruflichen und privaten Umfeld – nicht mit den Hungernden in den unterentwickelten Ländern. Da Glück meist mit dem Zugriff auf materielle Güter gleichgesetzt wird, beeinflussen insbesondere Werte wie Eigentum, Mobilität (Auto) und Konsum das subjektive Glücksempfinden. Die Differenz bestimmt das Niveau. „Wenn Menschen im Vergleich mit anderen Menschen reicher werden, dann fühlen sie sich glücklicher. Aber wenn der Reichtum einer ganzen Gesellschaft zunimmt, dann empfinden sie sich nicht als glücklicher.“8 Dieser imaginäre Wettbewerb zehrt wiederum am einmal mühsam erkämpften Glück, weil der Gewöhnungseffekt den Überschuss wieder auffrisst. Wenn die anderen das auch alles haben, braucht es neue Anreizsysteme und Statussymbole, um die Quellen des Glücks nicht zum Versiegen zu bringen. Der Weg in die Erschöpfung ist vorprogrammiert.

In der neueren Literatur wird verstärkt die These diskutiert, in welcher Weise etwa gesellschaftliche Gleichheit und soziale Gerechtigkeit das Glücksempfinden beeinflussen. Der britische Gesundheitsökonom Richard Wilkinson und die Epidemologin Kate Pickett untermauern in ihrem Buch „The Spirit Level. Why Greater Equality Makes Societies Stronger“9 mit reichhaltigem empirischen Material die These, dass die Menschen sich umso glücklicher und zufriedener fühlen, je gleicher und gerechter eine Gesellschaft insgesamt erfahren wird. Gesellschaften mit einem hohen Grad an Ungleichheit seien Konkurrenzgesellschaften, die den Stress verstärkten, das psychische Wohlbefinden minderten und die Kontingenz weiter erhöhten. Viele unserer gegenwärtigen Probleme wie soziale Desintegration, persönliche Überforderung, psychische Krankheiten, mangelnde Gesundheit, fehlende Aufstiegsmöglichkeiten etc. seien in hohem Maß gesellschaftlich bedingt, sie resultierten aus Bedrohungserfahrungen, die durch angemessene Umverteilungsmaßnahmen entscheidend abgemildert werden könnten. Darüber hinaus ließen sich auch die Kosten der durch Armut ausgelösten sozialen und gesundheitlichen Probleme nachhaltig reduzieren. Wilkinson und Pickett fordern daher in ihrem Buch, dass die Politik eine Trendumkehr schaffen müsse, nachdem in den letzten beiden Jahrzehnten die soziale Ungleichheit rasant zugenommen habe:

„Wir brauchen keinen revolutionären Umsturz; was wir brauchen, ist ein kontinuierlicher Fluss kleiner Veränderungen in einer konsistenten Richtung. […] Unser Ziel muss es sein, den Mitmenschen mehr Sicherheit zu geben, ihnen die Ängste zu nehmen, sie zu überzeugen, dass eine Gesellschaft mit mehr Gleichheit nicht nur Platz für sie hat, sondern ihnen auch ein erfülltes Leben ermöglicht, das ihnen keine von Hierarchien und Ungleichheit geprägte Gesellschaft der Welt bieten kann.“10

Glück – Erbanlage oder gesellschaftliche Aufgabe?

Woher kommt das Streben des Menschen nach Glück? Ist es in seiner Seele grundgelegt und damit eine Konstante der Gattung oder wird es dem Individuum von außen auferlegt, von gesellschaftlichen Triebkräften befeuert? Nach der Überzeugung vieler Glücksforscher(innen) besitzen wir ein Glücksgen, gibt es also eine genetische Disposition, ob und wie glücklich wir sind. Umstritten erscheint nur das Verhältnis von Erbanlage, Gesellschaft und persönlicher Verantwortung.11 Wenn Erbanlagen und individuelles Vermögen für das Glück hauptverantwortlich sind, dann scheint doch das alte Sprichwort zutreffend, wonach jeder „seines Glückes Schmied“ sei. Diese These hat eminent politische Konsequenzen. Sie bietet die Argumentationsbasis, die Gesellschaft aus ihrer Verantwortung für die unverzichtbaren Rahmenbedingungen eines Strebens nach Glück zu entlassen. Mit biogenetischen Festlegungen lässt sich problemlos der Rückzug des Staats aus einem Kernprojekt der Moderne legitimieren. Denn diese war angetreten, allen Menschen, nicht nur den durch Geburt Privilegierten, die Möglichkeit zu bieten, ihren Anspruch auf Glück erfüllen zu können. Dieser „pursuit of happiness“, wie er paradigmatisch in der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung formuliert wurde, wird dort mit dem „Leben“ und der „Freiheit“ als unveräußerliche Rechte des Menschen bestimmt. Glück war und ist nach wie vor, trotz aller Unterschiede, ein wesentliches Ziel moderner Gesellschaften, sowohl auf der Ebene ihrer theoretischen Begründung als auch in konkreten, politisch-ökonomischen Entscheidungsprozessen. Als ein zentrales Instrument, dieses Ziel zu erreichen, galt und gilt im westlichen Zuschnitt die kapitalistische Marktwirtschaft.12 Diese Entwicklung beginnt bei Jeremy Bentham (1748 – 1832), für den es in der Ökonomie um das größtmögliche Glück der größtmöglichen Anzahl von Menschen gehen müsse, wobei zunächst noch offen bleibt, was mit Glück gemeint ist.13 Auch wenn hier inhaltliche Konkretisierungen weitgehend fehlen, die utilitaristische Perspektive ist vorgegeben und bleibt fortan ein zentrales Movens in der Entwicklung des modernen Sozialstaats. Gegenwärtig findet dieses ambitionierte Projekt seinen markantesten Ausdruck in der breit geteilten wirtschaftspolitischen Grundüberzeugung, dass das größte Glück mit dem größten Wohlstand für die größte Zahl von Bürger(innen) einer Gesellschaft identisch ist. Weil Wohlstand als eine wesentliche Voraussetzung und als Ausdruck von Glück betrachtet wird, rückt in der späten Moderne auch jenes Medium in den Vordergrund, das diesen Prozess auf unvergleichliche Weise vorangetrieben hat und auf diesem Weg zu einem der wichtigsten Medien in der modernen Gesellschaft geworden ist: das Geld.

Zur ökonomischen und transökonomischen Bedeutung des Geldes

Auch wenn Geld (allein) nicht glücklich macht, so zählt es doch zu den elementaren Voraussetzungen von Glück. Was am Beginn der Neuzeit durch die Ausweitung der Handelsströme einen unscheinbaren Anfang genommen hat, ist in der späten Moderne zu voller Entfaltung gekommen: Ohne Geld kein Leben, weder für den Einzelnen noch für die gesamte Gesellschaft. Ohne Geld gäbe es keinen globalen Handel, kein vergleichbares Wohlstandsniveau, keine entsprechenden Wachstumseffekte. Mit Geld hält man den Schlüssel zu den meisten Ressourcen in der Hand, sodass seine Bedeutung steigt und damit auch sein ideeller Wert in bisher unbekannte Höhen klettert.

Was ist denn nun Geld überhaupt – und warum ist es in der Moderne zu einem herausragenden Medium geworden? Ökonomisch ist Geld nach einer gängigen und breit akzeptierten Definition „alles, was allgemein als Tauschmittel, Wertaufbewahrungsmittel und Recheneinheit akzeptiert wird. In anderen Worten: Geld ist alles, was die Geldfunktionen erfüllt.“14 Früher waren es Muscheln oder Tiere, dann Gold, heute ist es weitgehend der Geldschein, dessen Nominalwert nur mehr virtuell einem unmittelbaren Realwert entspricht. Geld bringt höchst unterschiedliche Güter und Dienstleistungen, ja auch Werte unter einen gemeinsamen Maßstab, macht sie vergleich- und damit tauschbar. Seine Transaktionskosten sind konkurrenzlos niedrig, seine Objektivität erscheint unbestechlich, weil es kein Ansehen der Person kennt. Das Kilo Brot kostet für alle gleich, unabhängig davon, welchen Status jemand hat und über welches Einkommen er verfügt. Der Gebrauch des Geldes erfordert kein besonderes technisches Geschick, als Zahlungsmittel ist es universal akzeptiert. Mit einer gültigen Kreditkarte und etwas Bargeld kann man nahezu jeden Winkel dieser Welt aufsuchen und sich mit den notwendigen Alltagsgütern versorgen.

Neben diesen rein ökonomischen Funktionen als Tauschmittel, Recheneinheit und Wertspeicher besitzt das Geld jedoch noch zahlreiche weitere, außergewöhnliche Eigenschaften, die seine Sonderstellung im Güter- und Dienstleistungswesen untermauern. Geld eröffnet zahlreiche Handlungsoptionen und erhöht damit den Freiheitsspielraum der Menschen in bisher unbekannter Weise. Es gewährt Eintritt in die potentiell unendlich große Warenwelt mit ihren grenzenlosen Wahlmöglichkeiten. Was könnte man mit einer Summe Geldes nicht alles machen! Allein die Vorstellung, sich dieses und jenes aneignen oder erwerben zu können, wenn man denn nur wollte, erlaubt ein unvergleichliches Gefühl von Macht und Freiheit, verweist auf eine formale Transzendenz und stößt das Tor zu Erfahrungen von Unendlichkeit weit auf. Gerade in diesen Überstiegserfahrungen erweist sich Geld als eine sprudelnde Quelle von Glück.

Weil sich mit Geld so viele Dinge aneignen und vollbringen lassen, steigt sein Wert, es wird von einem Mittel zu einem Zweck. Mit dem Wechsel vom bloßen Mittel zum Selbstzweck hat Geld einen individuellen und gesellschaftlichen Stellenwert erreicht, der neue Probleme und Gefährdungen hervorruft. Geld kann radikal seinen Wert verlieren, sich buchstäblich in nichts auflösen. Die Geschichte des Geldes ist auch eine Geschichte der Entwertung, des Betrugs, der Katastrophen und der Zerstörung.15 Wie oft haben Inflation und Währungsreformen mühsam Erspartes über Nacht zunichte gemacht. Ohne Vertrauen in das Funktionieren der Märkte und in die staatliche Ordnung wäre Geld wertlos und dem Tausch wären enge Grenzen gesetzt. Währungskrisen sind zugleich tief greifende Vertrauenskrisen, die sich selbst in stabilen demokratischen Gesellschaften endemisch ausbreiten können. Entgegen der verbreiteten Annahme, dass Märkte auf einem festen und sicheren Fundament errichtet sind, bedarf es zur Aufrechterhaltung unseres Ökonomiesystems weitaus mehr an Glauben und Zuversicht, als dies etwa in einem religiösen Verhältnis gefordert ist.

Zahllos sind auch die Beispiele, dass sich Geld innerhalb kürzester Zeit von einer befreienden in eine diabolische Macht verwandelt, die das Individuum in Beschlag nimmt und die Ordnung der Dinge verkehrt.16 Nicht nur die Liebe, auch das Geld kann bekanntlich blind machen, den nüchternen Blick auf die Realitäten trüben, Wertehierarchien verschieben und zu abgründigen Entfremdungen führen. Geiz, Gier, Verschwendungssucht und Käuflichkeit sind nicht bloß traurige, aber insgesamt harmlose Fehlformen eines aus den Fugen geratenen individuellen und gesellschaftlichen Geldverhältnisses, sie führen – häufig unter dem Deckmantel des ökonomischen Fortschritts – auch zu Mord und Totschlag, zu rasender Gewalt, zu Vertreibung und kriegerischen Auseinandersetzungen, in denen Menschen auf brutale Weise Opfer eines ungehemmten Profitstrebens werden.

Die Bibel und das Geld

Die jüdisch-christliche Tradition hat deshalb dem Geld gegenüber stets eine ambivalente Haltung eingenommen. Auf der reflexiven Ebene dominierten von Anfang an kritisch-ablehnende Traditionsstränge. Die affirmativen Ansätze hingegen, die eine friedliche Koexistenz von religiösem Glauben und Geldwirtschaft zumindest für denkbar hielten, hatten es im Sog der exklusiven Zuspitzung des Gottesverhältnisses weitaus schwieriger, stilbildende Traditionen zu entwickeln. Das ist insofern paradox, als auf der praktischen Ebene, im konkreten Alltagshandeln, dem Geld jegliche religiösen Konnotationen abgesprochen wurden. Demnach gab und gibt es kein problematisches Verhältnis von Religion und Ökonomie, das Symbol „Gott“ besitzt mit dem Symbol „Geld“ keine gemeinsame Schnittmenge, beide repräsentieren vollkommen unterschiedliche Wirklichkeiten und Handlungsvollzüge. In dieser Perspektive gibt es daher auch keinen Widerspruch zwischen dem Gottesglauben und einem hemmungslosen Streben nach Profit und Mehrwert. Dementsprechend sind auch die Aufmerksamkeiten für Gefahren und Verwüstungen, die eine entfaltete Geldwirtschaft den Menschen hinterlässt, kaum ausgeprägt.

Im Gegensatz dazu war die kritisch-ablehnende Traditionslinie seit jeher von einem geschärften Blick auf die ambivalente Macht des Geldes bestimmt. Die elementare Gefahr für das Gottesverhältnis wurde genau erkannt und deshalb vehement auf eine Eindämmung seiner Einflusssphäre gedrängt. Ihre Spuren lassen sich bis in die frühesten Schichten der jüdischen Bibel zurückverfolgen. Der Schutz der Armen, Entrechteten und Marginalisierten, wie ihn beispielsweise die Gesetzestexte einforderten, zielte nicht nur auf eine Verhinderung von Ausbeutung und Benachteiligung, sondern sollte zugleich ein Regelwerk etablieren, in dem Gerechtigkeit und Fairness die tragenden Grundpfeiler bilden.17 So diente das stets umstrittene Zinsverbot in einer vom permanenten Nahrungsmangel geprägten Subsistenzwirtschaft weniger der Verhinderung von Kapitalakkumulation als der unmittelbaren Linderung der Not. Kredite waren in der Regel keine Investitions-, sondern Dringlichkeits- bzw. Konsumtionskredite, die den Kauf von Saatgut oder der notwendigsten Alltagsgüter ermöglichen sollten. Eine Zinsforderung hätte in der Regel den Zugriff auf diese knappen, aber (über-) lebenswichtigen Ressourcen weiter erschwert. Die katholische Kirche hat das biblische Zinsverbot, dessen klassische philosophische Begründung Aristoteles geliefert hatte,18 offiziell erst 1830 abgeschafft, nachdem es auf zahlreichen Synoden und Konzilien eingeschärft, in der Praxis aber immer wieder umgangen wurde.

Geld als Gestaltungsmoment individueller und gesellschaftlicher Freiheit

In den modernen, hoch differenzierten Gesellschaften gibt es nur noch wenige Funktionssysteme, in denen dem Geld keine tragende Rolle zukommt. Alles Wirkliche scheint geldvermittelt. Medizin, Wissenschaft, Bildung, Medien und selbst Kunst und Religion, in jedem gesellschaftlichen Bereich wird bezahlt, getauscht, gerechnet und nach ökonomischen Gesichtspunkten entschieden. Wer kennt es nicht aus dem Alltag: Wo Geld im ausreichenden Maß vorhanden ist, lässt sich Neues schaffen und etwas bewegen, während umgekehrt der Mangel an Kapital viele Initiativen und gesellschaftliche Entwicklungen, so notwendig sie auch wären, erschwert oder gänzlich verhindert. Es wächst die objektive und die subjektive Bedeutung des Geldes, weil immer mehr Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens der Ökonomisierung und ihrer Logik unterworfen werden. Diese Ausweitung der geldvermittelten „Kampfzonen“ zwingt die Menschen, sich möglichst viel von dieser machtvollen Ressource anzueignen. Der Zugang zu Bildung, höheren Einkommen, Gesundheitsvorsorge, Alterssicherung und insbesondere die Teilhabe an den gesellschaftlichen Prozessen hängen nicht ausschließlich, aber in wachsendem Maß von der ökonomischen Potenz und den monetären Zugriffsmöglichkeiten ab. Ein nüchterner Blick auf die Statistiken und eine Nachfrage bei diversen Sozialinitiativen oder Beratungseinrichtungen bestätigt, dass der Mangel an Geld gleichbedeutend ist mit entwürdigenden Marginalisierungs- und Exklusionserfahrungen. Wer zu wenig Geld hat oder arm ist, dem sind viele Segnungen des modernen Lebens verwehrt, der kann auf elementare Güter nicht entsprechend zugreifen, lebt meist ungesünder, ist unglücklicher und hat eine kürzere Lebenserwartung. Materielle Armut geht mit sozialer Armut einher, mit Bildungsdefiziten, verminderten Aufstiegschancen und sozialer Diskriminierung.19 Wenn es Aufgabe des Staats ist, seine Bürger in die Lage zu versetzen, ein gutes und selbstbestimmtes Leben führen zu können, dann wird er dafür sorgen müssen, dass allen Menschen eine existentielle Grundsicherung gewährleistet wird, damit sie auf die notwendigen Güter und Dienstleistungen zugreifen können. Dass dies keine Gnade, kein Akt der Barmherzigkeit und auch kein freiwilliges Zusatzangebot des modernen Sozialstaats ist, sondern dem universalistischen Anspruch der Menschenrechte entspringt, scheint heute kein selbstverständlicher Konsens mehr innerhalb des demokratischen Rechtsstaats zu sein. Weil das Geld und mit ihm Besitz und Vermögen wichtige Instrumente in der Gestaltung eines selbstbestimmten Lebens geworden sind, bleibt die Frage nach der gerechten Verteilung dieser Ressource sowohl innergesellschaftlich als auch im globalen Maßstab eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit.

An dieser Stelle wächst den Religionen eine neue Aufgabe zu, sofern sie den semantischen Kern ihrer heiligen Schriften als Anspruch an die jeweilige Gegenwart interpretieren. In der Debatte um gerechte gesellschaftliche Strukturen bringen die religiösen Traditionen ihre Stimme allerdings nicht mehr auf der institutionell-politischen Ebene, sondern auf der zivilgesellschaftlichen ein. Dabei liegt der Fokus weniger auf konkreten Umsetzungsfragen, die eine Domäne der Politik bleiben, als vielmehr auf den Debatten um die Gestaltung politisch-ökonomischer Rahmenbedingungen. Diese Diskussion bedarf fundamentaler Analysen und grundlegender Reflexionen auf Menschenbilder, Grundrechte, Sinnfragen und Strukturen eines guten Lebens, in denen wir auf den Erfahrungsschatz der religiösen Überlieferungen nicht verzichten sollten. Weil allein die Politik und nicht die Ökonomie Gerechtigkeit herstellen und für ihre Durchsetzung sorgen kann, verdient sie in ihren unterschiedlichsten Dimensionen und Bezügen auch eine besondere Unterstützung und kritische Begleitung seitens der Religionen. Wenn in allen monotheistischen Traditionen Gerechtigkeit einer der bevorzugten Namen Gottes ist und als Auftrag an den Menschen in die Schöpfungsordnung eingeschrieben ist, bleibt die Welt mit ihren konkreten Lebensverhältnissen der entscheidende Bewährungsort des Glaubens, das Engagement für Gerechtigkeit und Frieden ein Gradmesser seiner Glaubwürdigkeit.20

Sosehr Geld als ein zentrales Gestaltungsinstrument in modernen Gesellschaften zu begreifen ist und zu den elementaren Voraussetzungen von Glück gehört, sosehr es besondere Aufmerksamkeit verdient, so entschieden ist jedoch auch von Grenzen und Beschränkungen zu sprechen, die dem Geld und seiner Macht gesetzt werden müssen. Zu Recht wird die enge Verknüpfung von Glück mit dem Bruttosozialprodukt und der Steigerung der Konsummöglichkeiten kritisiert. Die ökonomistische Reduktion lässt leicht vergessen, dass für ein gutes Leben weitere Faktoren ausschlaggebend sind, die nicht ausschließlich im Verantwortungsbereich des Individuums liegen, sondern eindringlich auf den gesellschaftlichen Gestaltungsauftrag verweisen. Einen diskussionswürdigen Ansatz haben Anfang der 90-er Jahre die amerikanische Moralphilosophin Martha Nussbaum und der indische Ökonom und Nobelpreisträger Amartya Sen vorgelegt.21 Ihr sogenannter Capability Approach (im Deutschen mit „Fähigkeitsansatz“ nur unzureichend wiedergegeben) versteht sich als ein Lösungsversuch für ein offenes Problem von John Rawls’ Gerechtigkeitstheorie, die nicht ausreichend berücksichtige, dass Gerechtigkeit keine abstrakte Kategorie, sondern stets in einen bestimmten politischen und gesellschaftlichen Kontext eingebettet und daher inhaltlich spezifisch zu bestimmen sei. Den Wert von verteilungsfähigen Gütern könne man nur dann richtig einschätzen, wenn man um ihre spezifische Bedeutung für die Menschen in ihren konkreten Verhältnissen und Situationen wisse.22 Grundgüter würden erst durch die Bedürfnisse und durch die sie bedingenden Entfaltungsmöglichkeiten wertvoll.23 Wohlstand dürfe man daher nicht nur abstrakt nach dem jeweiligen Einkommen bemessen, sondern auch an weiteren Indikatoren, die für ein gutes und erfülltes Leben unabdingbar sind. Diese Liste der Werte bzw. Fähigkeiten, wie sie Martha Nussbaum erstellt hat, reicht vom Recht auf ein langes und gesundes Leben über sexuelle Selbstbestimmung bis zum Recht auf Eigentum und sozialer Partizipation.24 Wie und in welcher Weise Menschen diese Möglichkeiten und Rechte in Anspruch nehmen, liege in ihrer freien Entscheidungskompetenz, Aufgabe des Staats sei hingegen, die Voraussetzungen ihrer Einlösung zu schaffen. Entscheidend sei ferner, dass die Grundbedürfnisse des Menschen zwar kulturell vermittelt sind, doch einen transkulturellen, universalistischen Kern besitzen, der die Autorität lokaler Traditionen begrenzt. Nur allzu oft würden Gewalt und Unterdrückung mit dem Verweis auf die eigene Geschichte legitimiert und damit der Zugang zu elementaren Gütern verwehrt.25

Das Aufbrechen der konsumistisch-utilitaristischen Verengung des Glücksbegriffs und die Ausweitung der Indikatoren, wie sie der „Fähigkeiten-Ansatz“ exemplarisch vor Augen führt, weitet die Perspektive auf die globale Welt. Hier liegt eine Aufgabe religiöser Traditionen und ihrer institutionellen Repräsentanzen, sich engagiert und vorurteilsfrei an den Debatten um die Elemente eines guten und gelingenden Lebens zu beteiligen. Dies erfolgt nicht allein auf einer rational-diskursiven Ebene, sondern zielt mit gleicher Intensität auch auf eine politisch-praktische. Indem Religionen nicht nur im Bekenntnis, sondern auch im rituellen Vollzug und in symbolischer Praxis ihre Hoffnung auf ein gerechtes und gelungenes Leben zum Ausdruck bringen, kann exemplarisch sichtbar und erfahrbar werden, wie Identität gelingt, Gerechtigkeit gefördert und Wunden geheilt werden können. Wie immer man es wendet, Glück ist und bleibt auch ein unverfügbares Geschenk.26

Die unaufhebbare Kontingenz des Glücks

Mit dieser Unverfügbarkeit des Glücks ist gleichzeitig ein Einspruch gegen all jene Ansätze in der Glücksforschung verbunden, die letztlich die ganze Verantwortlichkeit für das Glückserleben dem Individuum auferlegen. Ebenso wird den genetischen Erklärungsansätzen zum Glück (oder Unglück) widersprochen. In Wirklichkeit beruht die Fähigkeit zum Glück auf einem Bündel an Faktoren, zu denen selbstverständlich persönliches Geschick und individuelle Verantwortung ebenso zählen wie charakterliche Prägungen und frühkindliche Erfahrungen. Letztere üben auf das spätere Glücksleben vielleicht den größten Einfluss aus, aber sie legen die Entwicklung nicht fest. Wie und in welcher Weise die einzelnen Faktoren zusammenwirken, daraus lässt sich keine Gesetzmäßigkeit gewinnen, zu viele Variabeln sind an diesem vielschichtigen Prozess beteiligt. Ebenso wenig ist Glück bloßes Schicksal, dem man hilflos ausgeliefert wäre und das einen nur unvermutet überfällt. Auch wenn es letztlich der eigenen Verfügbarkeit entzogen ist, so lassen sich doch aus dem Erfahrungswissen und seiner kritischen Reflexion Bedingungen bzw. Situationen nennen, die Glücksgefühle hervorrufen und sein Ankommen erleichtern. Genannt werden in der Regel Beziehungen zu anderen Menschen, also Freundschaften, Familie, Partner und Kinder; ebenso Arbeit, Bewegung, Kultur und das Gefühl, etwas Nützliches zu tun. Die Frage, was uns wirklich glücklich macht, lässt sich nur in mühsamen Reflexionsprozessen gegen die Verführungen der Werbung und der Imperative des Konsums herausfinden und auch immer nur vorläufig beantworten. In religiöser Sprache formuliert: Ein gutes, glückliches und solidarisches Leben ist und bleibt Ziel und Verheißung des Menschen. Geld erweist sich dabei als ein herausragendes und effektives Instrument. Nicht nur deshalb sollten wir uns auch kritisch und aufmerksam mit ihm auseinandersetzen.

Auf der Suche nach dem Glück

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